Das real existierende Deutschland ist zu einem Land voller Paradoxien geworden. Die Staatsverschuldung steigt ins Unermessliche, im Jahr 2022 betrug der Schuldenstand 2,368 Billionen Euro, das ist 2 368 000-mal 1 Million und damit fast zwei Drittel des Jahres-Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 3,876 Billionen im Jahr 2022. Parallel dazu zerbröseln die sozialen Sicherungssysteme. Man jammert über einen Fachkräftemangel, der angeblich die Zuwanderung von bis zu einer Million Menschen pro Jahr erfordere. Zugleich diskutiert man ernsthaft die Einführung einer Viertagewoche und merkt gar nicht, dass man damit bis zu 20 Prozent Arbeitskraft vernichtet.
Der Einsatz für Ehe, Familie und Kinder verkommt zum Lippenbekenntnis, zumal gleichzeitig die Streichung der Witwenrente und des Ehegattensplittings diskutiert wird. Millionen und Abermillionen fließen in die weite Welt hinaus, nicht selten in korrupte Systeme. Aber wenn im Ahrtal und im benachbarten Erfttal in der Nacht vom 14./15. Juli 2021 in einer Flut 189 Menschen umkommen und samt Infrastruktur Hunderte von Häusern und Betrieben kaputtgehen, dann dauert die rein materielle Aufarbeitung wohl ein Jahrzehnt. Das Land Rheinland-Pfalz beispielsweise nimmt für 2023 ganze 11 Millionen für die Beseitigung von Schäden in die Hand, während die Hansestadt Hamburg allein im März 2023 für 6500 Flüchtlinge insgesamt 14 Millionen Euro für Hotelunterbringung zu schultern hatte.
Deutschlands angeblich entscheidender Beitrag zur Verwirklichung von „One-World“-Visionen inkl. Rettung des Weltklimas und Bewältigung weltweiter Migrationsströme ist angesagt. Finanziert aus dem Geldbeutel und den Konten des deutschen Michels. Aber es ist nichts anderes als Selbstaufgabe, immer häufiger orchestriert von UNO, WHO und Co. nichts anderes als Unterwerfung unter die Visionen eines globalen Milliardärssozialismus, dem es – ausgestattet mit Stiftungs-Milliarden, ja -Billionen – als „woker“ Kapitalismus um die Etablierung eines Überstaates und die Preisgabe nationaler Souveränitäten geht.
Und die Folge? Der Staat sieht sich nicht mehr als originärer Garant, sondern als argwöhnischer Begrenzer von Freiheiten bis ins Totale (Totalitäre?). „Cancel Culture“ ist angesagt. Schier alltäglich. Ein Heilbronner Konditor, der Faschingskrapfen mit „indigenen“ Köpfen ziert, wird im Februar 2023 von einer kommunalen Stelle ermahnt. Winnetou muss wegen Verbots von „Cultural Appropriation“ nun definitiv sterben; eine Tanzgruppe von Rentnerinnen, die bei der Bundesgartenschau im April 2023 mit Sombreros auftritt, ist ebenfalls wegen „Cultural Appropriation“ unerwünscht.
Nun hat der deutsche Michel Ende 2021 ein solches System nolens volens bestätigt und mit der „Ampel“ mit knapper Mehrheit eine Gouvernanten-Regierung gewählt. „Gouvernante“ in dem Sinne, wie man sich diesen früheren, durchaus ehrenwerten Beruf im negativen Klischee vorstellt: spießig, besserwisserisch, belehrend, endlos tadelnd, verbietend, immer nur das – vermeintlich – Beste wollend.
Wo sind die Bürgerlichen?
Und die CDU, die Partei der Ex-Kanzlerin? Zusammen mit der CSU fuhr sie bei der Bundestagswahl 2021 das miserabelste Ergebnis seit Bestehen der Republik ein: 24,1 Prozent. Oder noch härter gerechnet: 18,9 Prozent gaben der CDU in 15 Bundesländern ihre Stimme, der Söder-CSU auf den Bund berechnet 5,2 Prozent, allein auf Bayern bezogen 31,7 Prozent. 24,1 Prozent insgesamt – das sind – wegen der vielen Nichtwähler – 18,5 Prozent der Wahlberechtigten. Es war dies eine Klatsche für die Ex-Kanzlerin und „ihren“ Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Gleichwohl stellen die Merkelianer in der CDU nach wie vor einen Machtfaktor dar.
Neu-Parteichef Friedrich Merz weiß die Partei nicht komplett hinter sich. Zugleich holt sich die CDU samt CSU eine blutige Nase an der von ihr selbst errichteten „Brandmauer“ gegen die AfD und damit gegen Hunderttausende dorthin abgewanderte CDU-Wähler. Derweil wird Merkel schier hagiografisch mit höchsten Orden der Republik sowie der Länder NRW und Bayern behängt.
Apropos Wahlen: Sollte man nicht von „sogenannten“ Wahlen sprechen, zumindest in Berlin? Dort fand am 26. September 2021, dem Tag der Bundestagswahl, zugleich die Wahl zum Abgeordnetenhaus statt. Besser: Sie sollte stattfinden. Denn 73 Wahl-lokale waren zeitweilig geschlossen; es gab zu wenig Wahlurnen; in manchen Wahllokalen wurde über 19 Uhr hinaus gewählt; in 100 Wahllokalen gab es zu wenig Stimmzettel. Vielfach wurde falsch ausgezählt, andernorts waren Stimmzettel verschwunden. Berlin, doof, aber sexy? Der Verfassungsgerichtshof Berlins ordnete in der Folge eine Wiederholung der Wahl an. Diese fand am 12. Februar 2023 statt. Die CDU siegte, der rot-grün-dunkelrote Senat wurde von einem schwarz-roten ersetzt. Geändert hat sich nichts.
Dass die Bundestagswahl in Berlin ebenso chaotisch ablief, ist klar. Aber es errangen drei Linkspartei-Kandidaten ein Direktmandat, so dass ihre Partei trotz eines bundesweiten Ergebnisses von nur 4,9 Prozent in den Bundestag einzog. Gegen diesen Teil der Wahl in Berlin gibt es rund 1700 Beschwerden in Karlsruhe. Wie werden die Damen und Herren in roter Robe im Herbst 2023 urteilen? Wetten, dass …
Liberalismus in Deutschland ist „out“
Und die anderen „Bürgerlichen“? Die FDP, die dem Namen nach „Liberalen“? Zur Jahreswende 2017/18 hatten sich die „Freien Demokraten“ im Bund einer „Jamaika“-Koalition (schwarz-gelbgrün) verweigert. Die Begründung war: „Lieber nicht regieren als schlecht regieren!“ Damals wäre man zweitstärkste Regierungsfraktion gewesen. Nun, da man drittstärkste Regierungsfraktion ist, gilt: „Lieber schlecht regieren, als auf Ministersessel verzichten!“ Die Quittung folgte: Die FDP flog aus den Landtagen in Berlin, in Niedersachsen und im Saarland. Die „Gelben“ stellen (Stand: Sommer 2023) nur noch 85 Abgeordnete in 11 Landesparlamenten. Auf Bundesebene dümpelt man im Juli 2023 bei der „Sonntagsfrage“ um 7 Prozent vor sich hin.
Der Liberalismus und die Liberalität eines Friedrich August von Hayek, das Denken eines Ludwig Erhard haben in Deutschland offenbar keine Chance mehr. Gleichheit und Gleichmacherei rangieren vor Freiheit, Entmündigung und „komfortable Stallfütterung der domestizierten Massen“ (Wilhelm Röpke) rangieren vor Eigenverantwortung. Eine wahrlich liberale Partei, die glaubhaft gegen solche Paradigmenwechsel angeht, gibt es nicht mehr.
Jetzt die Gretchen-, respektive Michel-Frage
Am 26. September 2021 also hat der deutsche Michel gewählt. Und zwar mit in der Summe 52,0 Prozent der Wähler (= 39,8 Prozent der Wahlberechtigten) eine „Ampel“. Deren Ziel ist ein anderes Land mit einem neuen Bild von Familie und Geschlechtlichkeit, von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit, von Nation und Staatsangehörigkeit, von Leistungsprinzip und Eigenverantwortung, von Gewaltenteilung und Subsidiarität.
All dies müsste den deutschen Michel auf die Palme bringen. Aber er bleibt brav am Boden und duckt sich weg. Dabei wurde der deutsche Untertan seit Bestehen der Republik noch nie so miserabel regiert wie ab 8. Dezember 2021. Nun schaut der deutsche Michel, wenn er nicht eingefleischter Sozialist, gut situierter Grünling oder Pseudoliberaler ist und sich nicht mit der geplanten Freigabe von Cannabis darüber hinwegtrösten will, dumm aus der Wäsche. Den eigenen Unmut in Meinungsumfragen zu artikulieren, reicht nicht. Nein, der deutsche Michel schluckt nach wie vor viel zu viel. Nicht einmal das öffentlich-rechtliche „Unsere tägliche Gehirnwäsche gib uns heute!“ bringt er zu Fall, indem er den „Beitragsservice“ für die Öffentlich-Rechtlichen trickreich lahmlegt.
Noch geringer als die Wahlbeteiligung dürfte der Anteil der De-facto-Wähler sein, die vor ihrer Stimmabgabe die Programme der Parteien gelesen haben. Hätte wenigstens ein Teil der in der Summe 52 bzw. 39,8 Prozent, die die „Ampel“ ins Kabinett hievten, dies getan, wäre Deutschland einiges erspart geblieben, denn man konnte anhand der SPD- und „Grünen“-Programme sowie aus Teilen des FDP-Programms erkennen, wohin die Reise Deutschlands geht.
Der deutsche Untertan soll nun also sein: bindungslos, genderfluid, bevormundet, zur Denunziation bereit, denkfaul, bekennend antifaschistisch, antirassistisch, antikolonialistisch, antiweiß, ewig ob seines Deutschseins schuldkomplexbeladen, vegan, klimaneutral und wegen CO2 fortpflanzungsunwillig. Ist Ruhe da die erste Bürgerpflicht? Nein, der deutsche Michel muss sich endlich auf seinen Namenspatron, den Erzengel Michael, den Drachenbezwinger, besinnen. Als intellektueller Stachel – auch für CDU/CSU. Diese Union, solange es sie noch gibt, sollte ihre „Merkel“-Prägungen hinter sich lassen, sich markant als die große Oppositionspartei präsentieren und endlich den „grün-marxistisch-woken“ Kulturkampf kontern.
Auszug aus dem Vorwort zur aktualisierten Neuausgabe von:
Josef Kraus, Der deutsche Untertan. Vom Denken entwöhnt. LMV, Breitklappenbroschur/Paperback, 360 Seiten, 20,00 €.