5. September 1977: Der Terror in Deutschland nimmt immer brutalere Ausmaße an. Auf offener Straße wird der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt, vier seiner Begleiter brutal ermordet. Roland Manthey, Chef des Verfassungsschutzes und mächtigster Staatsmann im Krisenfall, weiß auch ohne das Bekennerschreiben, wer dafür verantwortlich ist. Die RAF fordert die Freilassung ihrer inhaftierten Mitglieder im Austausch gegen die Geisel.
Eilig beruft Manthey einen Krisenstab ein, der die größte Bedrohung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland abwenden muss. Schon kurz nach der Entführung Schleyers, bringen mit der RAF sympathisierende Palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine „Landshut“ in ihre Gewalt.
Doch der Staat darf sich nicht erpressbar machen – so die feste Überzeugung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt. In einer der spektakulärsten Befreiungsaktionen wird die Entführung der „Landshut“ durch den Einsatz der GSG-9 in Mogadischu beendet. Hanns Martin Schleyer wird von seinen Entführern ermordet. Die RAF-Häftlinge Baader, Ensslin und Raspe begehen in Stammheim – unter bis heute nicht völlig geklärten Umständen – Selbstmord.
Jene „44 Tage“ haben – wie ein Rezensent bemerkte – für die Bundesrepublik Deutschland und die Zeitzeugen eine ähnliche Wirkung und Stellenwert, wie „9/11“ für die US-Amerikaner.
Es ist ein Blick zurück in die „bleierne Zeit“ der Terroristenjagd. Sie wurde damals als die größte Herausforderung empfunden, der die Bundesrepublik in ihrer noch jungen Geschichte ausgesetzt war. Größte Herausforderung? Die haben wir mit der Corona-Epidemie ja schon wieder. Und es zeigen sich erstaunliche Parallelen – aber auch erstaunliche Gegensätze.
Der Kampf gegen die Terroristen, die Deutschland in den Grundfesten erschütterte mit Bomben und Morden und Entführungen war die Stunde der Staatsgewalt. Die hatte gerade entdeckt, dass der Computer erfunden worden war. „Schleierfahndung“ lautete das Schlagwort; Datenabgleich, Auswertung vager Hinweise, eine Art künstlicher Intelligenz die beispielsweise ermittelte, dass unter den Terroristen überdurchschnittliche viele Stipendiaten der „Studienstiftung des deutschen Volkes“ waren und daraufhin alle Stipendiaten herausfischte und durchleuchtete. Die 100 D-Mark Büchergeld, die man als Stipendiat erhielt, waren sauer verdient angesichts der immer neuen Polizeikontrollen. Die moderne Staatsgewalt versprach, die Terroristen zu finden – nur noch ein klein wenig Geduld …
Das erinnert an das Versagen in der Corona-Phase. Wahre Wunderdinge wurde von der Digital-Staatsministerin Dorothee Bär versprochen; gehalten wurde nichts, nur Geld verschwendet und wertvolle Zeit verdaddelt. So wie auch die hochgelobte Impfstoffbeschaffung auf EU-Ebene sich zu einem der letztlich teuersten Staatsversagen entwickelt hat. Sie reden viel und können wenig. Das ist die Parallele. Es ist nichts besser geworden. In einer geraden Linie wurden seither Bürgerrechte eingeschränkt, Freiheitsrecht beschnitten, Kontrollen ausgeweitet, die Rolle der Exekutive aufgebläht und das Parlament kastriert.
Bemerkenswert aber ist: Damals gab es wenigstens ein Bewusstsein für den Wert der Demokratie, den Rang des Grundgesetztes, die Bedeutung der Grundrechte und der bürgerlichen Freiheiten. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat mit dem Oppositionsführer Helmut Kohl darum gerungen, wohl aber auch mit sich selbst: Was war unumgänglich notwendig, wo waren Grenzen? Es wurden Debatten geführt, deren schmerzhafter Verlauf der vorliegenden Thriller nachzeichnet und das Ethos der damaligen Politik nachvollziehbar macht.
Man ist noch mehr entsetzt, wenn man die Kaltschnäuzigkeit rekapituliert, mit der in der Corona-Phase unsere Grund- und bürgerlichen Freiheitsrechte platt gemacht wurden. Wer dagegen protestiert wird sozial delegitimiert, angegriffen, verhöhnt, abgestempelt. Das Bewusstsein für den Wert der Demokratie und des Grundgesetzes auch in Zeiten tatsächlicher oder scheinbarer Herausforderungen ist bei den Regierenden verloren gegangen. Damals war Helmut Schmidt Kanzler, entschieden und skrupulös zugleich.
Die damalige Zeit wurde bleiern genannt. Sie war lebendig, offen, diskursiv, von Achtung und Verantwortung getragen. Heute IST die Zeit bleiern. Das Buch ist ein hochspannender Thriller. Seine wahren Qualitäten zeigt er im Rückblick auf eine schwierige Zeit und ihre Akteure und durch eine überwölbende Gedankenführung, die das heutige Handeln ungewollt bewertet und die Handelnden für zu leicht befindet.
Stephan R. Meier, 44 Tage. Und Deutschland wird nie mehr sein, wie es war. Thriller. Penguin, 464 Seiten, 16,00 €.
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