Tichys Einblick
Wie die Politik unsere Sicherheit gefährdet

Verfassungsauftrag: Der Staat hat die Pflicht zur Stärke!

Deutschland ist ein freies Land. Das war nicht immer so. Diese Errungenschaft unserer Zeit sollten wir uns immer wieder bewusst machen. Denn man muss nicht sehr weit reisen, um erleben zu können, dass es auch ganz anders geht.

© Thomas Punzmann

Innere Sicherheit ist mehr, als die Abwesenheit von Straftaten. Was sich so banal anhört, ist es gar nicht. Wenn Menschen ihr Verhalten ändern, beispielsweise Frauen davon Abstand nehmen, aus Angst davor, belästigt, begrabscht oder ausgeraubt und verprügelt zu werden, an Großveranstaltungen teilzunehmen, werden sie nicht Opfer dieser Delikte. Und wenn alte Menschen nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr vor die Türe gehen, weil sie befürchten, überfallen zu werden, wird ihnen das nicht passieren. Die Nutzung des Taxis zur späten Abendstunde, statt der U-Bahn wird vermutlich dazu führen, dass man sicher nach Hause kommt.

Alle diese Verhaltensänderungen bewirken, dass viele Straftaten nicht stattfinden. Sie sind aber auch und vor allem ein kollektiver Verlust an Freiheit, den wir nie akzeptieren dürfen. Aber dieser Freiheitsverlust ist real. Manchmal unmerklich, nie statistisch erfassbar, manchmal übertrieben ängstlich wahrgenommen und doch schreitet er fort. In Berlin gab es die »Women‘s Safety Area«, an die sich verängstigte Frauen in der Silvesternacht wenden konnten. Das sind die Botschaften, die eher Angst erzeugen, als positiv zum Sicherheitsempfinden der Menschen beizutragen.

Deutschland ist ein freies Land. Das war nicht immer so. Umso wichtiger ist es, diese Errungenschaft unserer Zeit immer wieder zu betonen und hervorzuheben. Denn man muss gar nicht weit reisen, um erleben zu können, dass dies auch ganz anders geht. Wir können uns versammeln, protestieren, organisieren, uns frei informieren und austauschen, und vermutlich glauben die meisten von uns, dies alles sei normal und selbstverständlich. Ist es leider nicht. Ein Grund mehr, dieses hohe Gut unserer Gegenwart gelegentlich in Erinnerung zu bringen.

Heutzutage muss niemand befürchten, von einer Geheimpolizei abgeholt und in einen Kerker geworfen zu werden, weil man öffentlich seine Meinung gesagt hat. Klar, das Strafgesetzbuch setzt Grenzen, aber auch das ist gut so. Denn die Freiheit der Meinung endet stets da, wo die Persönlichkeitsrechte der Mitmenschen anfangen. Und es ist auch richtig, dass das Internet da keine Unterschiede macht.

Da gibt es sogar Juristen, die allen Ernstes glauben, sich in der scheinbaren Anonymität des Internets mit üblen persönlichen Beleidigungen austoben zu können. Glücklicherweise gibt es eben auch Staatsanwaltschaften, die dem einen Riegel vorschieben. Allerdings dürfte die Zahl angezeigter Straftaten, die wir »Kriminalitätsentwicklung« nennen, sprunghaft steigen, wenn wirklich alle diejenigen Anzeigen erstatten würden, die im Netz bedroht, beleidigt, sexuell belästigt oder gestalkt werden.

Es ist eine Staatsaufgabe ersten Ranges, für Sicherheit zu sorgen. Ohne Sicherheit wird rasch die Freiheit verloren gehen. Deshalb ist es Aufgabe aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu schützen, einschließlich aller daraus resultierenden Freiheitsrechte. So will es unser Grundgesetz.

Der Staat hat also gar kein Recht auf Schwäche, er hat die Pflicht zur Stärke.

Das ist der Grund, warum staatliche Strukturen in Bund, Ländern und Kommunen endlich wieder gestärkt und geachtet werden müssen. Wo Beschäftigte nicht nur lästige Kostenfaktoren sind, sondern ihre wertvolle Arbeit für unser Gemeinwesen auch Anerkennung findet. Und das ist auch der Grund, warum die politisch Verantwortlichen mehr als bisher den Schutz der Bevölkerung vor Gefahren jeglicher Art in den Vordergrund ihrer Bemühungen stellen müssen.

Natürlich ist es schön, Weltoffenheit, Toleranz und Humanität zu zeigen. Es hebt moralisch in die Höhe, hinterlässt ein gutes Gefühl und wird auch vielfach beklatscht. Aber wer Freiheit und Sicherheit aus dem Blick verliert, versündigt sich an unserer Gesellschaft und riskiert den Verlust von beidem. Viele Anzeichen sind erkennbar. Die Gewaltkriminalität steigt, die Zuwachsraten sind beachtlich, nach langen Jahren des Rückgangs. Gruppen und Gangs gehen schwer bewaffnet aufeinander los, häufig ist ein für unsere kulturelle Prägung eher lächerlicher Ehrbegriff der Anlass.

Opfer von Gewalt durch zugewanderte Menschen fühlen sich gleich zweimal als Opfer, nämlich durch die Tat selbst und durch anschließende Beschwichtigungen, Relativierungen und Verschweigen von Zusammenhänge. Die Vorstellung, dass die Tat hätte verhindert werden können, wenn man Gefahren erkannt, Einreisen kontrolliert und gefährliche Menschen frühzeitig aus dem Verkehr gezogen hätte, bringt viele Menschen in Wut und Verzweiflung. Sie fühlen sich im Stich gelassen, von einer Politik, die ihr eigenes Gutsein in den Vordergrund rückt und die Opfer weitgehend ignoriert.

Die Zahlen sind dramatisch. Messerattacken haben allein in Hessen zwischen 2014 und 2016 um satte 20 Prozent zugenommen, auch in anderen Bundesländern dürften ähnliche Entwicklungen zu verzeichnen sein. Dabei waren die Zahlen davor sogar rückläufig gewesen. Natürlich sind es nicht nur Flüchtlinge, die in derartige Auseinandersetzungen verwickelt sind – aber sie sind weit überrepräsentiert. Das hat seinen Grund, denn Messer sind rasch verfügbar, gesetzliche Vorschriften sind entweder unbekannt oder werden ignoriert. Und aus der Heimat hat man die Vorstellung mitgebracht, bewaffnet sein zu müssen, um sich jederzeit »wehren« zu können.

Etwa 43 Prozent der Verdächtigen hatten die deutsche Staatsbürgerschaft, die übrigen 57 Prozent verteilen sich auf rund 60 verschiedene Nationalitäten, Afghanen, Syrer, Türken und Somalier sind die meist genannten. Das hessische Innenministerium will seine Einsatzkräfte mit besonderen Schutzwesten und »Schnittschutzschals« schützen, auch in anderen Ländern sind solche Schritte in Vorbereitung.

Nach jahrelangem Sinken der Gewaltkriminalität musste Bundesinnenminister Thomas de Maizière im April 2017 erstmals wieder einen deutlichen Anstieg der Gewaltkriminalität in Deutschland bekanntgeben. Und er machte keinen Hehl aus der Ursache: Die Flüchtlingskrise. »Ohne die Zunahme von tatverdächtigen Zuwanderern wäre die Gewaltkriminalität 2016 entweder weiter gesunken oder zumindest nicht gestiegen«, so der Ressortchef in aller Klarheit. Natürlich bedeuten mehr Menschen zusätzliche Kriminalität, aber es sind eben insbesondere Gewaltdelikte, die der Bevölkerung zu schaffen machen und Ängste befördern.

Um mehr als 14 Prozent stiegen Mord und Totschlag, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung um 12,8 Prozent, nahezu 10 Prozent gingen Körperverletzungsdelikte nach oben. Auch im vergangenen Jahr hat sich dieser Trend fortgesetzt. Da nutzt es nichts, darauf hinzuweisen, dass häufig Zuwanderer selbst von Straftaten als Opfer betroffen sind; von Opfern wird dieser Versuch der Relativierung zu recht eher als zynisch empfunden.

Der Umgang mit Daten aus der so genannten Kriminalitätsstatistik ist nicht einfach. Immerhin handelt es sich um eine reine Arbeitsstatistik, also um die Zahl der angezeigten oder entdeckten Straftaten, die von Polizei und Staatsanwaltschaften bearbeitet wurden. Über die tatsächliche Kriminalität sagen sie wenig aus; dies könnte konsequente Dunkelfeldforschung erhellen.

Nie fehlt der Hinweis darauf, dass mehr Menschen sozusagen naturgemäß mehr Kriminalität bedeuteten und dass, wie ein Landesinnenminister immer wieder betont, das »Kriminalitätsverhalten« von Zuwanderern nicht anders sei, als das Verhalten von Deutschen auch. Den Opfern nutzt das wenig. Es sei denn, man mag es für tröstend halten, einer vergewaltigten Frau zu erklären, dass die Tat auch von einem Deutschen hätte begangen werden können, sogar mit höherer Wahrscheinlichkeit. Auch das: Zynismus pur.

In manchen Innenstädten versetzen so genannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge die Menschen in Angst und Schrecken. Meistens sind es gar nicht viele dieser Täter, aber sie richten gewaltigen Schaden an. Schon ein Dutzend junger Männer können die Bevölkerung in Aufruhr versetzen, die Sicherheitsbehörden an ihre Grenzen führen und den Protest der Bevölkerung steigen lassen. Der Rechtsstaat lässt sich vielfach vorführen, er präsentiert sich als schwach, inkonsequent und für die Täter eher einladend als abschreckend.

Dass vermutlich etwa die Hälfte aller dieser angeblich Jugendlichen in Wahrheit schon als Erwachsene in unser Land gekommen ist, stört niemanden. Am allerwenigsten diejenigen Unternehmen, die an der »Betreuung« prächtig verdienen und doch nie zur Stelle sind, wenn die »lieben Kleinen« mal wieder betrunken und bewaffnet um die Häuser ziehen und unschuldige Menschen quälen. Wer Jugendschutz in Anspruch nehmen will, sollte nachweisen müssen oder daran aktiv mitwirken, festzustellen, dass er tatsächlich Jugendlicher ist. Wer Mutterschutz in Anspruch nehmen will, wird in keinem Fall daran vorbeikommen, den Nachweis der Schwangerschaft vorzulegen, das leuchtet ein. Für Jugendschutz gilt das nicht.

Und die Signale sind unverkennbar, der Elefant steht mitten im Zimmer. In den wenigen Ländern, wo Überprüfungen stattfinden, wird schnell klar, dass diese angeblichen Jugendlichen teilweise erheblich älter sind und vorsätzlich, wenn auch aus nachvollziehbaren Gründen, gelogen haben. Aber flächendeckend scheint in Deutschland nur noch das Erheben von Steuern und Abgaben zu funktionieren.

»Wir haben jetzt alles im Griff.«, lautet die Botschaft, die immer wieder ertönt, wenn über die terroristische Bedrohung gesprochen wird, die dramatisch gewachsen ist. Wenn das organisatorische Chaos, das die Politik der gegenseitigen Abgrenzung, der provinziellen Arroganz und föderalen Selbstüberschätzung geschaffen hat, mal wieder deutlich wird, ist die Verantwortung rasch abgeschoben.

»Behördenversagen« teilen uns mit wichtiger Miene diejenigen mit, die für diese Zustände maßgeblich verantwortlich sind – und berufen dann Untersuchungsausschüsse ein, um zu untersuchen, was sie eigentlich längst wissen: Die Polizei ist schuld. Kaum noch jemand hat wirklich einen Überblick darüber, wie viele Ausschüsse, Behörden oder Einzelpersonen am Fall Amri arbeiten. Im Ergebnis werden sie alle zu der Feststellung gelangen, dass jedenfalls die Politik nichts damit zu tun hat, was in Berlin angerichtet wurde.

Dabei ist es nicht so schwierig, herauszufinden, woran es liegt. Behörden sprechen nicht miteinander, tauschen viel zu selten Informationen aus, können online ohnehin viel zu oft nicht miteinander kommunizieren und sind in ihren Zuständigkeiten, Befugnissen und ihrer Ausrüstung hoffnungslos zersplittert. Datenschutzbeauftragte an jeder Büroecke und ganze Bibliotheken an Dienstvorschriften verhindern überdies, dass sachdienliche Informationen und Daten rasch, unbürokratisch und effektiv zusammenfließen und sich zu einem Lagebild verdichten, das konsequentes Handeln möglich macht.

Das ist die Lage im föderalen Deutschland, jeder baut seinen Sandkasten und ist stolz darauf, dass der andere nicht hineinschauen kann. Die Föderalismusreform, eines der schlechtesten Gesetze deutscher Nachkriegsgeschichte, hat die Überbetonung landesspezifischer Kompetenzen perfekt gemacht.

Wie die Realität ist, zeigt auch im Jahre 2018 der Fall Fathi Ben M. in Berlin. Mit 18 Alias-Namen ist der seit Jahren ausreisepflichtige Tunesier in Deutschland unterwegs. Fathi Ben M. narrt Deutschland seit 2014 und Deutschland ist hilflos. Mit falschen Angaben reist er ein, stellt den ersten Asylantrag. Viele Monate später Ablehnung, er soll abgeschoben werden. Aber potz Blitz, er war nicht mehr da! Na sowas aber auch.

Alles von vorn. Neuer Name, neues Spiel, neues Glück, neuer Asylantrag. Gibt ja sonst nichts zu tun in Deutschland. Erneut Ablehnung, erneut Androhung der Abschiebung. Sie wissen schon, liebe Leserinnen und Leser, was jetzt kommt: Richtig, er war wieder weg. Jetzt erfährt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine wahre Identität, Tunesien schickt Ersatzpapiere. Drei Abschiebeversuche scheitern, er ist mal wieder unterwegs.

Übrigens: Zwischendurch immer wieder Straftaten, mehrere Ermittlungsverfahren werden eingeleitet; eine Art Perpetuum Mobile deutscher Strafrechtspflege. Dann endlich, Dezember 2017, er wird beim Drogen dealen erwischt. Na ja, einsperren? Wo, in Berlin? In Abschiebehaft? Von wegen, Haftplätze gibt es in der Millionenstadt nicht für solche Fälle. Der Senat ist jetzt auch anderweitig beschäftigt, öffentliche Unisex-Toiletten, bemalte Fahrradwege und Laptops für Straftäter in Haft sind erstmal wichtiger.

Aber er ist doch ein islamistischer Gefährder oder etwa nicht? Die einen sagen so, die anderen so. Nicht einmal in Berlin, also innerhalb eines Landes, sind sich das Gericht und die Polizei darüber einig, ob Fathi Ben M. nun ein islamistischer Gefährder ist oder nicht. Die Polizei sagt, ein normaler Drogenkrimineller, wie sie zu Tausenden in der Hauptstadt unterwegs sind. Da kommt man natürlich nicht auf den Gedanken, ausgerechnet diesen einen nun mal einzusperren. Machen wir ja sonst auch nicht.

Ausreisepflichtig? Sind Hunderttausende in Deutschland, wen interessiert das schon. Außerdem kann in Deutschland jeder Amtsrichter festlegen, wer ein islamistischer Gefährder ist. Wer hier nichts zu sagen hat, ist selber schuld, alles Terrorexperten in deutschen Richterzimmern. Was das Bundeskriminalamt zur Identifizierung islamistischer Gefährder entwickelt hat, kann man getrost ignorieren, im Jahre 2018, etwas mehr als ein Jahr nach Amri.

Mit anderen Worten: Der Kontrollverlust dauert an. Menschen reisen mit falschen Identitäten ein und im Land umher, die Behörden streiten, Informationen sind nicht vernetzt, Bewertungen macht jeder, wie er will – auch dazu ist er nicht verpflichtet, Haftplätze sind sowieso nicht da, Drogenhandeln auf offener Szene gehört ja irgendwie zur Hauptstadt dazu und vermutlich dürfen wir auf den nächsten Asylantrag von Fathi Ben M. schon warten und überrascht sein, mit welcher Identität er uns dann überrascht. Und wenn er sich dann zu einem Terroranschlag entschließt, ist die Polizei schuld.

Dann werden sich diejenigen, die für diese Art von Strukturen verantwortlich sind, die die Zuständigkeiten gesetzlich festgelegt und die mangelhaften Kommunikationsfähigkeiten zu verantworten haben, die die völlig unkontrollierte Einreise Hunderttausender gebilligt haben und dies weiterhin tun, wieder an den Händen fassen und uns dazu auffordern, keine Angst zu haben, unser Leben einfach weiter zu leben und uns keinesfalls dazu hinreißen zu lassen, unsere Lebensgewohnheiten zu ändern. Und sie werden natürlich übereinstimmend feststellen, dass die Polizei schuld ist.

Dabei haben wir sie längst geändert, unsere Lebensgewohnheiten. Für viele Menschen ist die Angst vor Terror und Gewalt dafür bestimmend, wo sie hingehen, an welchen Veranstaltungen sie teilnehmen, wann sie auf die Straße treten. Deutschland ist nicht nur weniger sicher geworden; wir haben schon jetzt jede Menge Freiheit verloren. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass es besser wird.


Rainer Wendt, Polizeibeamter, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Autor von »Deutschland in Gefahr: Wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt«. Bekannt durch zahlreiche Auftritte in der Öffentlichkeit und in den Medien.


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