Als am Vormittag jenes 3. Novembers 2020 das Telefon klingelte, ahnte Dr. Friedrich Pürner, Amtsarzt und seit etwas mehr als zwei Jahren Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben, nicht, dass infolge dieses knappen Telefonates seine Karriere beendet, die Reputation zertrümmert und viele seiner Überzeugungen fundamental infrage stehen würden. Er ahnte nicht, dass man ihm nur zwei Möglichkeiten lassen würde: von seinen fachlichen Einschätzungen abrücken und schweigen oder dauerhaft kaltgestellt werden, denn vorerst hieß es nur: Versetzung. Er werde am LGL gebraucht. Pürner war völlig klar, dass seit Beginn der Krise vieles – zu vieles – falsch lief. Systemfehler, die man in der Flüchtlingskrise 2015 mit großen Anstrengungen bewältigt und danach wieder ignoriert hatte, drückten nun mit brachialer Macht an die Oberfläche: Personalmangel, fehlende Ausrüstungen und Ausstattung, Inkompetenz in den oberen Etagen. Dass selbst hochrangige und bestens qualifizierte Beamte sich dem System aus Hierarchie, Mangelwirtschaft und Privilegien würden unterordnen müssen, war Pürner längst bewusst, aber Schweigen keine Option.
Eine beachtliche Karriere
Zu diesem Zeitpunkt hatte Friedrich Pürner bereits 34 Jahre im Staatsdienst hinter sich: Bundeswehr, Bundesbehörde, Landesbehörden, JVA, kommunale Verwaltung. Er konnte auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken, die noch einiges an Optionen hätte bieten können. Nach einer Ausbildung zum Automechaniker absolvierte er während seiner Bundeswehrzeit eine Ausbildung zum Bürokaufmann. Es folgten Auslandseinsätze und das Abitur im Abendstudium. Er begann ein Jura-Studium, wechselte zur Medizin und promovierte 2010. Nach verschiedenen Stationen im kurativen Bereich war er als Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen und Master of Public Health beim bayerischen Gesundheitsministerium tätig, wechselte als leitender Infektionsarzt ins Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Vor seiner Berufung zum Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg stand Pürner der Abteilung Epidemiologie vor und war Chef der Taskforce Infektiologie am LGL.
Kritische Fragen waren unerwünscht
All diese berechtigten Fragen waren unerwünscht, trafen sie doch genau die wunden Punkte des Systems. Ungeachtet dessen tat Dr. Friedrich Pürner seine Pflicht als Beamter und setzte gemeinsam mit seinem Team die Maßnahmen vorbildlich und mit außergewöhnlichem Einsatz um, wie Landrat Klaus Metzger (CSU) am 4. November 2020 der SZ zu Protokoll gab. Denn wie eine Strafmaßnahme sollte Pürners Versetzung, im Amtsdeutsch »Abordnung«, von seinem Posten nicht aussehen, mit der er mitten in der Hochphase der Pandemie an jenem 3. November zurück zum LGL beordert wurde mit der Aufgabe, sich um die Digitalisierung des Gesundheitssystems zu kümmern. Man wollte den unbequemen Amtsarzt zunächst nur aus dem Weg haben. Kritik an Dr. Friedrich Pürner hatte man bereits seit Monaten kolportiert und seine Expertise infrage zu stellen versucht. Als Mitte Juni 2020 fast 100 Mitarbeiter eines Spargelhofes in Inchenhofen positiv auf das SARS-CoV-2 Virus getestet worden waren und die Inzidenz des Landkreises vorübergehend in die Höhe schnellte, vermutete Pürner den lokalen Medien gegenüber, dass es sich bei den Betroffenen nicht um Erkrankte handele, da keiner von ihnen Symptome aufwies. Die positiven Testergebnisse könnten auf Virenreste einer vergangenen Infektion hindeuten, die nicht mehr aktiv seien, aber im Test positiv anschlügen. Fast ein Jahr später konnte man die Bestätigung dessen im Focus lesen:
»Überraschende Entdeckung: Obwohl das Coronavirus ein RNA-Virus ist, können Teile seines Erbguts in unsere DNA eingefügt werden. Forscher vermuten hierin den Grund, dass PCR-Tests auch Monate später noch positiv sein könnten.«
Erwartungsgemäß wurden Pürners Einwände ebenso wie die von anderen Experten nicht gehört. Die Bevölkerung brauche Führung. Zweifel schaden und kosten Menschenleben, so die Linie der Politik. Dennoch kam Dr. Friedrich Pürner noch bis Ende Oktober 2020 in regionalen und überregionalen Medien zu Wort. Gute Kontakte und sein vor der Pandemie geschätztes Fachwissen machten es möglich.
Pürner lässt sich den Mund nicht verbieten – zum Missfallen der Bayerischen Staatsregierung
»Eine Gesellschaft muss den Diskurs aushalten – auch Markus Söder« (Pürner, Aichacher Zeitung, 24. Oktober 2020).
Teile der Gesellschaft, speziell Markus Söder, hielten den Diskurs nicht aus. Am 3. November 2020 informierte die Regierung von Schwaben Dr. Friedrich Pürner über seine Abordnung an das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Das Gesundheitsamt Aichach-Friedberg wurde bis Juli 2023 in wechselnder Besetzung nur kommissarisch geleitet.
Zuvor noch geschätzter Experte, wurde Dr. Pürner nun auch durch Medien wie t-online in die Ecke der »Umstrittenen« gestellt. Unter der Überschrift »So groß ist die Gefahr durch Corona-Leugner in Behörden« fokussierte das Portal in einem Artikel auch auf den Amtsarzt. So schnell kann es gehen: Pürner kritisierte einzelne Maßnahmen und fand sich in einem Artikel unter der Überschrift »Corona-Leugner« wieder.
Im März 2021 klagte Dr. Friedrich Pürner gegen seine Abordnung aus dem Amt, die er selbst für eine Strafversetzung aus fadenscheinigen Gründen hält: Bestrafe einen, erziehe Hunderte. Es wurde seiner Klage stattgegeben. Kurz vor dem Prozess zog die Regierung von Schwaben die Abordnung überraschend zurück, jedoch nur, um Pürner erneut zu versetzen. Diesmal nach München in die Regierung von Oberbayern, um die Approbationen ausländischer Ärzte zu prüfen. » … anscheinend soll ich nun wie ein Wanderpokal weitergeeicht werden«, kommentierte Pürner die erneute Versetzung.
Angriffe auf Pürner
Ein Jahr nach dem Verlust seiner Stelle als Gesundheitsamtsleiter hatte Dr. Friedrich Pürner auf Twitter schon 35 000 Follower und das Buch »Diagnose Pan(ik)demie« veröffentlicht. Bitter-ironisch bezeichnete er sich nun selbst als Oberschwurbler. Allerdings hat er den Weg der evidenzbasierten Fachlichkeit nie verlassen. Er ist weder Coronaleugner noch Impfgegner. Als Präventivmediziner empfiehlt er Impfungen, die er für sinnvoll erachtet, und plädiert für ausführliche Patientenberatung und Aufklärung auch die Covid-19-Impfungen betreffend.
Allerdings war auch die Solidarität aus dem Lager der Kritiker immens. Unzählige Briefe, Demonstrationen, offene Briefe und neugewonnene Freunde machten Pürner immer wieder Mut, nicht aufzugeben.
Gerichtsverhandlung und: Wo bleibt die Entschuldigung?
Eine weitere Gerichtsverhandlung folgte zwei Jahre nach der ersten Versetzung am 20. Oktober 2022. Pürner arbeitete nun als Prüfungsvorsitzender für angehende Mediziner bei der Regierung von Oberbayern – ein Job, der nicht seiner Qualifikation entsprach. Doch einen Weg zurück in den öffentlichen Gesundheits- dienst und auf eine ihm angemessene Stelle schien aussichtslos. Zu schwer wiegen die Kontaktschuldvorwürfe, Pürner habe sich mit den falschen Medien, mit Querdenkern und Rechtsextremen gemein gemacht. Doch auch aus dem Lager der selbsternannten Selbstdenker musste er sich Anwürfe gefallen lassen, da er Impfungen nicht grundsätzlich ablehnt.
Das juristische Tauziehen endete im Dezember 2022 mit einem Vergleich und der Vereinbarung, Stillschweigen zu bewahren. Der Freistaat Bayern beteuerte vor dem Amtsgericht, die Abordnung ans LGL sei keineswegs eine Sanktion gewesen.
Inzwischen sind drei Jahre vergangen. Bis zur Drucklegung steht der Amtsarzt, Epidemiologe und Master of Public Health beruflich auf dem Abstellgleis. Nahezu alle seine Kritikpunkte wurden inzwischen wissenschaftlich abgesichert. Dennoch wartet Pürner auf eine Entschuldigung der Verantwortlichen – auf seine Rehabilitation, und sei es nur durch eine seinen Fähigkeiten angemessene Arbeitsstelle. Er selbst hat den Verantwortlichen und denen, die ihn bedroht und beschimpft haben, längst verziehen. Doch wann werden sie ihm verzeihen, dass er den Mut hatte, sich ihnen entgegenzustellen?
Addendum: Am 22. November 2023 siegte Pürner vorm Bayerischen Landgericht in einem weiteren Verfahren, welches nicht die eigentliche Versetzung zum Gegenstand hatte, sondern die ihr vorausgehende, ungewöhnlich schlechte Beurteilung seiner Leistungen im Zeitraum 2017 bis 2020. Auf Basis dieser somit rechtswidrigen Beurteilung scheiterten zwei Bewerbungen Pürners auf leitende Positionen. Nach dem Urteil vom 22. November müssen die Auswahlverfahren für diese beiden Stellen – Leiter des Gesundheitsamtes am Landratsamt München sowie Leiter des Sachgebietes Gesundheit bei der Regierung von Niederbayern – neu durchgeführt werden. Die Kosten des Verfahrens trägt der Freistaat Bayern.
Anke Behrend wurde in Berlin vor dem Mauerfall geboren, lebt inzwischen seit über 15 Jahren im Süden Deutschlands und arbeitet in der Medienbranche. Sie war mehrere Jahre als Kolumnistin für das Satiremagazin »Eulenspiegel« tätig und arbeitet aktuell al Autorin für alternative Medien.
Auszug aus:
Marcus Klöckner (Hg.), Umstritten. Ein journalistische Gütesiegel. FiftyFifty Verlag, Klappenbroschur, 192 Seiten, 20,00 €.