Tichys Einblick
Interview über die Reaktionen auf ihr Buch

Ulrike Guérot: „Wieso muss ich mich abgrenzen?“

Mit einem scharfzüngigen Essay hat die Publizistin und Europawissenschaftlerin Ulrike Guérot die Corona-Gesellschaft und -Politik kritisiert. Sofort brach eine Hasswelle über sie herein – obwohl sie als klassische Linke nur einst feste Prinzipien der Linken verteidigt.

IMAGO/IPON

Ulrike Guérot galt als politische Vordenkerin der neuen Linken in Deutschland: Ihre Thesen zur europäischen Republik machten sie gerade in grünen und linken Milieus populär. In der Corona-Frage kam es zum Bruch – jetzt wird sie von ihren ehemaligen Fans auf einmal entgeistert angeschaut, weil sie es wagt, an Lockdown und Impfzwang zu zweifeln. Sie meint jedoch, sie habe an ihren Prinzipien festgehalten.

Ihr neues Buch „Wer schweigt, stimmt zu“ hat viele wütend gemacht. Scharfzüngig kritisiert Guérot den neuen Corona-Zeitgeist und die gesellschaftlichen Auswirkungen der deutschen Pandemiepolitik, benennt das Versagen der „Intellektuellen Elite“ des Landes und fordert eine neue Debatte über den Freiheitsbegriff. Dabei langt sie hart zu: Sie spricht in einem hypothetischen Beispiel von Prozessen in Den Haag oder von „Gleichschaltung“.

Gefundenes Fressen für diejenigen, die sich lieber mit „Tone Policing“ als mit Inhalten auseinandersetzen wollen. Und natürlich sind es nur diese Schlagwörter, die am Ende rezipiert werden, nicht die Inhalte ihres Buches.

Die Politikwissenschaftlerin sah sich schnell massiven Anfeindungen im Netz ausgesetzt. Bereits im Sommer 2021 wurde sie in einen organisierten Shitstorm verwickelt. Mit anonymisierten IP-Adressen wurden Guérots Social Media Accounts in den „rechten Schmutz und die Verschwörer-Ecke gezogen oder es wurde ihr ‚Schwurbelei‘ vorgeworfen“, wie sie selbst sagt. Darum habe sie zum 1. September 2021 alle Accounts für sechs Monate deaktiviert. Pünktlich zum Erscheinen ihres neuen Buches kehrt sie zurück – und steht schon wieder im Fokus eines Shitstorms.

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Der Soziologe Armin Nassehi wirft ihr beispielsweise „autoritär-faschistischen Sound“ vor, stellt sie gedanklich in eine Linie mit Björn Höcke. Andere werfen ihr gar Antisemitismus vor, weil sie von den Interessen der Pharma-Industrie spricht.

Im Gespräch mit TE erläutert sie, wie sie damit umgeht: „Ich verbringe mein Leben nicht von morgens bis abends mit der Nase auf Twitter, und ich möchte auch kein Leben führen, das von Twitter getrieben wird. Man (guckt) irgendwann mal, während man auf einem Empfang steht, aufs Handy und denkt sich: Was ist denn da schon wieder los?“

Und: „Diese Leute würden ja immer davon ausgehen, man würde mit Twitter vor der Nase durchs Leben laufen und sich nur darum Sorgen machen: Ist da jetzt gerade wieder was gegen mich am Start? Für mich trifft das nicht zu.“

Was sie von den Anfeindungen hält? „Die Lotosblume wächst im Schlamm. Wenn andere Leute meinen, sie müssten mit Dreck werfen, dann ist ja schon die Frage: muss mich das überhaupt stören?“ Ihren Kritikern habe sie privat Gesprächsangebote zukommen lassen. Diese wären jedoch ausgeschlagen worden.

Stattdessen habe der Mob versucht, sie zu diskreditieren, zu framen und zu canceln. „Einer meiner schärfsten – man muss fast sagen: obsessivsten – Kritiker auf Twitter stellte mich sofort in die Nähe zu Björn Höcke. Höcke hatte mein Buch gelobt. Sofort meinten fünf oder sechs von meinen Freunden aus dem eher grün-liberalen Milieu: ‚Du musst dich sofort abgrenzen!‘ Doch es gilt, was Hannah Arendt gesagt hat: Wer sein Wort der Öffentlichkeit gibt, kann nicht kontrollieren, was damit geschieht.“

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„Wieso muss ich mich abgrenzen? Ich habe ein Buch geschrieben und alle haben das Recht, dieses Buch gut zu finden. Wenn ich ein Buch schreibe und Björn Höcke es gut findet, dann bin ich darum nicht rechts. Wenn ich grünen Tee mag und Herr Höcke auch grünen Tee mag, bin ich ja noch lange nicht Björn Höcke. Mich irritiert eher, dass die Twitter-Blase denjenigen zujubelt (wenn „Likes“ dem modernen Jubeln entsprechen), die in aller Öffentlichkeit persönliche Anfeindungen oder Unterstellungen verbreiten. Denn im Grunde ist ja das nicht anständig, zumal wenn man sich persönlich kennt. Jedenfalls habe ich nicht öffentlich reagiert, sondern per E-Mail und mithin privat Gesprächsangebote an meine Kritiker versendet, die indes ausgeschlagen wurden: Don’t feed the beast!“

Viele würden übersehen, dass Nicht-Handeln weder Fatalismus noch Mutlosigkeit oder Feigheit sei: „Es kann ja auch eine bewusste Entscheidung sein, nicht zu handeln, sondern einfach das Diskursfeld zu verlassen und diejenigen, die sich durch das Ausleben von Ressentiments blamieren möchten, sich selbst zu überlassen. Ich kann nur hoffen, dass es genug Leute gibt, die deren Konzept durchschauen, nämlich: if you can’t beat the argument, you need to get the person.“

Angst vor dem Cancel-Mob hat Ulrike Guérot nicht. „Mein Verlag steht voll hinter mir. Der Westend Verlag ist ein tolles Team und teilt meine Einschätzung im Umgang mit persönlichen Anwürfen.“ Auch von ihrer Lehrstätte, der Universität Bonn, erhofft sie sich Rückendeckung. „Man kann nur hoffen, dass die Universität genau das ist und bleibt: nämlich eine Universitas, eine Stätte des freien Denkens, des Diskurses und des respektvollen Streits zwischen herrschender Meinung und Minderheitsmeinung.“ Die Diskrepanz der Rezeption des Buches zwischen dem akademischen und dem öffentlichen Raum sei übrigens bezeichnend und sollte wiederum zu denken geben. „Ich würde mir wünschen, dass wir eine Hochschulkultur behalten, die auf der Wertschätzung anderer Meinungen basiert“, so Guérot.

Und ergänzt: „Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals öffentlich ein schäbiges Wort über meine Kritiker (es sind meist Männer) gesagt zu haben. Ich vermeide es, über andere Leute schlecht zu reden. Es ist eher meine Art, andere Leute offen und argumentativ anzugreifen. Das weiß z.B. Roland Tichy, auf dessen Blog dieses Interview erscheinen wird, sehr gut. Mit ihm habe ich vor zehn Jahren während der Bankenkrise gestritten wie eine Kesselflickerin, aber es ging um Argumente, nicht um persönliche Anfeindungen. Nichts ist besser bzw. interessanter als eine respektvoll geführte, strittige Diskussion.“


Ulrike Guérot, Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen. Westend Verlag, 144 Seiten, 16,00 €


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