Tichys Einblick
Leichter leben mit Philosophie

Thomas von Aquin: »Für Wunder muss man beten, für Veränderungen arbeiten«

Er schuf eine einzigartige theologische Synthese, die das Zusammenwirken von Glauben und Vernunft, Seele und Körper veranschaulicht und die menschliche Freiheit von Gott her beleuchtet. Seine Werke, die ihn auch als politischen Philosophen zeigen, gehören zu den einflussreichsten Schriften des Abendlandes.

Auf den ersten Blick erscheint dieser Gedanke wie ein Widerspruch, Gebet und Warten auf die Erfüllung desselben versus Arbeit und Verändern und Gestalten. Der zweite Teil könnte fast ein politisches Programm sein: Verändern durch Gestalten, Gestalten durch Verändern, klingt aktuell. Es geht Thomas von Aquin jedoch nicht darum, einen Gegensatz herzustellen, sondern beides miteinander zu verbinden, gemäß der Benediktinerregel „Ora et labora!“

Es ist einerseits das Gebet und das Vertrauen, beziehungsweise die Hoffnung auf Erfüllung, andererseits das Arbeiten, das ausschließlich dem Wohl der Allgemeinheit dient und das die Allgemeinheit zum Ziel hat. In Auslegung des Jakobusbriefes erkennt Thomas, dass es nicht reicht, nur zu beten und auf Wunder zu warten, sondern dass dem Beten auch Taten folgen müssen. Der Mensch muss selbst handeln und dieses Handeln, das Arbeiten, geschieht zur Ehre Gottes und zum Wohle der Allgemeinheit. Insofern ist Arbeiten auch eine Form des Gebetes.

TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE
Leben mit dem Abgrund: Wie uns Philosophie helfen kann
Handeln zum Wohle der Allgemeinheit heißt modern übersetzt „soziales Handeln“ oder „soziale Arbeit“. Und nur durch ein soziales Arbeiten ist Veränderung möglich. Soziales Arbeiten ist ethisches Arbeiten und mit dem Lohn der Arbeit Gutes tun. In den ökonomischen, politischen und sozialen Ungleichheiten sieht Thomas für die privilegierteren Menschen eine Verpflichtung, Hilfsbedürftige zu unterstützen, ihnen Gutes zu tun und Almosen zu geben. Der tiefere Sinn der Arbeit ist somit nicht das Anhäufen von Geld und materiellen Dingen, sondern Gutes damit zu tun. Insofern ist Arbeit sowohl Dienst am Nächsten, als auch Dienst an Gott.

Zum 750. Todestag des Doctor Angelicus
Thomas von Aquin: Apostel des gesunden Menschenverstands
Durch Thomas von Aquin wird der Subsidiaritätsgedanke entwickelt, der das Verhältnis zwischen den verschiedenen sozialen Einheiten bestimmt. So vertritt er in der „Summa theologica“ die Auffassung, dass niemand aus einem höheren Stand eine Arbeit verrichten soll, die auch jemand aus einem niederen Stand machen könnte. Dies jedoch nicht aus Standesdünkel, sondern man würde jemandem aus einem niederen Stand die Arbeit wegnehmen und ihn somit von der Gemeinschaft, auf deren Unterstützung er angewiesen wäre, abhängig machen. Vielmehr soll jeder die Arbeit verrichten, die seines Standes und seinen Fähigkeiten angemessen ist.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch die Hilfsbedürftigen ihren Beitrag dazu leisten sollen, aus ihrer Hilfsbedürftigkeit herauszukommen. In der modernen Sozialgesetzgebung heißt dies Hilfe zur Selbsthilfe. Dass eine gerechte Entlohnung und Anerkennung aller Arbeiten erfolgt, wird vorausgesetzt. Aus diesem Subsidiaritätsprinzip ist die katholische Soziallehre entstanden, die dann später mit anderen ethischen Aussagen christlicher Konfessionen, wie zum Beispiel der Ethik des Calvinismus und der protestantischen Ethik als christliche Sozialethik zusammengefasst wird.

Auszug aus: Helga Ranis, Leichter leben mit Philosophie. Quell Verlag, Taschenbuch, 200 Seiten, 14,90 €.


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