Tichys Einblick
Feindliche Übernahme

Sarrazin: Befreiung der Einwanderungspolitik von Ideologie und Wunschdenken

Sein neues Buch wurde bereits skandalisiert, noch ehe es zu lesen war, jetzt ist es erschienen und die Empörung steigt. Dabei geht es Sarrazin darum, eine ideologiefreie, nüchterne Debatte über ein drängendes gesellschaftliches Thema zu führen – wie auch der folgende Auszug zeigt.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Die Lösung eines Problems beginnt bei der Klarheit im Denken und bei der Genauigkeit der Wortwahl: Nur ein kleiner Teil der Zuwanderung seit 2015 aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten besteht aus Kriegsflüchtlingen, und auch diese kamen aus sicheren Erstankunftsländern wie der Türkei oder Italien nach Deutschland. Tatsächlich handelt es sich zum allergrößten Teil um illegale Zuwanderer, die sich mithilfe des Asylrechts eine Bleibeperspektive in Deutschland erkämpfen wollen. Nur 0,5 Prozent aller Antragsteller erhalten aber schließlich politisches Asyl. 99,5 Prozent erhalten kein Asyl, aber sie bleiben letztlich nahezu alle. Das Asylrecht wurde zum Tor für illegale Einwanderung.1

Die gute Nachricht: All diese Zuwanderer kommen aus Ländern, in denen die Lebenserwartung steigt und die Kindersterblichkeit sinkt. Die schlechte Nachricht: Es handelt sich bei den Krisenländern durchweg um Länder mit sehr hohen Geburtenraten und explosionsartiger Bevölkerungsvermehrung, wo sich die Bevölkerung alle 20 bis 30 Jahre verdoppelt. Jahr für Jahr steigt die Bevölkerung in Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten um über 40 Millionen, das ist mehr als die halbe Bundesrepublik. Die Menschen fliehen vor den jugendlichen Bevölkerungsmassen ihrer eigenen Staaten, vor einer Armut, die durch Unbildung, korrupte Strukturen und unfähige Regierungen geprägt ist. Der Schlüssel zur Änderung dieser Verhältnisse liegt in den Ländern selbst. Das ist eine Frage von Gesetzgebung, Erziehung und Bewusstsein, es ist keine Frage des Geldes.

Die klassische Entwicklungshilfe ist weitgehend gescheitert, sie konnte die Probleme nicht lösen. Länder wie China, Singapur oder Vietnam zeigen, wie es geht, nämlich durch Bildung, Disziplin, Fleiß und eigene Anstrengung. Ländern wie Nigeria, Syrien oder Afghanistan sollten sich daran ein Beispiel nehmen.

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Fluchtursachen bekämpfen heißt: die kulturellen Einstellungen in den Krisenländern ändern, Unwissenheit, Korruption und schlechte Regierungspraxis bekämpfen. Dabei kann und muss der Westen helfen. Aber er darf dabei nicht als Vormund auftreten und muss den Stolz der Völker in den Krisenländern respektieren. Der Erfolg ist ungewiss und wird viele Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Bis dahin muss Europa seine Grenzen vor illegaler Einwanderung schützen. Das ist möglich, wie die Beispiele Kanada, Australien, Israel oder auch Großbritannien zeigen. Man muss es nur wollen. Jeder illegale Einwanderer, der über das Mittelmeer oder die Balkanroute zu uns möchte, muss schon vor dem Aufbruch erfahren, dass sein Vorhaben chancenlos ist, weil jedes aufgegriffene Boot sofort wieder an den Ausgangspunkt der Reise gebracht wird. Die Energie der Menschen muss sich auf bessere Verhältnisse in den Heimatländern richten. Das ist die einzige kausale Lösung des Flüchtlingsproblems.

Oberst Redda, Offizier der libyschen Küstenwache, sagte im Januar 2018: »Die Europäer haben Grund, Angst zu haben. (…) Wenn das so weitergeht, dann siedelt ganz Afrika über.«2

Wo aber die Ankunft in Europa nicht möglich ist, wird auch der Aufbruch nicht stattfinden. Das zeigte sich im Sommer 2017 auf dem Mittelmeer zwischen Libyen und Sizilien. Als die Zusammenarbeit der italienischen und libyschen Küstenwache die Flucht über das Mittelmeer weitgehend erschwerte, sank nicht nur die Zahl der Neuankömmlinge auf dieser Route, sondern mehr noch die Zahl der im Mittelmeer Ertrunkenen dramatisch. Ein striktes Grenzregime bleibt so lange unverzichtbar, bis sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den Herkunftsländern Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens ausreichend verbessert haben. Das wird noch viele Jahrzehnte dauern.

Wenn ein Thema auf große Widerstände stößt, dann empfiehlt es sich bisweilen zurückzutreten, um die Voraussetzungen und das Umfeld zu klären. Dies tue ich in Form einiger prinzipieller Fragen zur Einwanderung nach Deutschland:

Braucht Deutschland aus demografischen Gründen Einwanderung? Die Antwort ist Nein. Auch bei der gegenwärtigen Geburtenrate kann der Wohlstand ohne Einwanderung gesichert werden. Den präzisen Nachweis dazu habe ich bereits an anderer Stelle geführt.

Kann Einwanderung helfen? Die Antwort ist, es kommt darauf an:

Wenn wirtschaftliche Gründe entfallen, stellt sich die Frage: Haben wir eine moralische Pflicht, Einwanderung aus armen Ländern zuzulassen? Die Antwort ist Nein. Weder sind wir an den schlechten Zuständen in den Auswanderungsländern schuld, noch verdanken wir unseren Wohlstand ihrer Ausbeutung.

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Die weitere Frage ist dann: Haben wir eine Pflicht, den armen Ländern zu helfen? Die Antwort ist Ja. Allerdings wissen wir, dass Nahrungsmittelhilfe langfristig schädlich ist, dass auch die Entwicklungshilfe in den meisten Ländern konzeptionell gescheitert ist und mehr geschadet als genutzt hat. Wir wissen, dass nur Bildung, gute Gesetze, Fleiß und verantwortungsbewusste Eliten Wohlstand erzeugen können. Die Ursachen der Armut können also nur in den armen Ländern selbst bekämpft werden. Dabei müssen wir ihnen mit gutem Rat zur Seite stehen. Das ist aber auch das Einzige, was wir tun können.

(Der Afrikaforscher Stephen Smith weist darauf hin, dass die Auswanderung Afrika nicht hilft, sondern schadet, weil die Aktivsten gehen. Die Geldüberweisungen der Ausgewanderten bezeichnet er als Rente ohne Gegenleistung für die Zurückgebliebenen, die ihre Aktivitäten lähmt und zudem den Ausgewanderten die materiellen Mittel entzieht, die sie für ihre Integration brauchen. Es liegt deshalb im ureigenen afrikanischen Interesse, die Auswanderung nach Europa und Nordamerika zu unterbinden.) 3

Wir wissen außerdem, dass ausnahmslos alle Krisenländer, von Afghanistan bis Subsahara-Afrika, deren wachsenden Einwanderungsdruck wir spüren, dem islamischen Kulturkreis angehören und seit vielen Jahrzehnten wegen anhaltend hoher Geburtenraten eine Bevölkerungsexplosion erfahren. Eine Bekämpfung der Fluchtursachen kann also nur darin bestehen, in diesen Ländern die kulturellen Einstellungen zu ändern und die Regierungen zu verbessern. Das kann nur in den Ländern selbst geleistet werden. (Die Änderung kultureller Einstellungen kann Deutschland nicht einmal in Griechenland leisten.)

In den islamischen Ländern Afrikas und Asiens werden jedes Jahr 46 Millionen Menschen neu geboren. Die Bevölkerung dieser Länder wächst jedes Jahr um 34 Millionen Menschen. Dagegen werden in ganz Europa bis zum Ural jährlich nur 8 Millionen Menschen geboren, davon in Deutschland 700 000. Das zeigt: Selbst Auswanderungszahlen, die der islamischen Welt kaum demografische Entlastung bringen, würden Europa und Deutschland hoffnungslos überfordern: Berlin-Neukölln, Duisburg-Marxloh, Bradford oder Marseille wären dann sehr schnell überall.

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Speziell in Afrika verdoppelt sich die Bevölkerung gegenwärtig alle 30 Jahre, und die Zahl der Geborenen steigt Jahr für Jahr. Der Einwanderungsdruck wird also weiter steigen. Es ist für das europäische Modell zu einer Überlebensfrage geworden, diese Einwanderung nicht zuzulassen. Wer das nicht sehen will, ist ein Traumtänzer. Wer unterstellt, wir könnten von Europa aus die Fluchtursachen wirksam bekämpfen, verhält sich wie ein Rosstäuscher. Wer sich vor diesem Hintergrund darauf zurückzieht, man könne Grenzen nicht schützen, gibt die Interessen des eigenen Landes und der europäischen Völker mehr oder weniger kampflos auf.

Als 2015 die große Wanderung begann, zeigte sich die Bundesregierung völlig unvorbereitet und verstrickte sich in ein Netz von Ausflüchten, Unwahrheiten und leeren Behauptungen:

Alle wesentlichen Fehler werden unverändert fortgesetzt:

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Bei der Verbesserung der Welt gibt es natürliche Grenzen. Deshalb gehört es zu den vorrangigen Aufgaben einer Regierung, das Land vor schädlichen Einflüssen, z. B. durch falsche Einwanderung, zu schützen. Der Migrationsdruck aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten auf die europäischen und deutschen Grenzen wird ebenfalls fortbestehen und tendenziell sogar noch zunehmen, wenn man die demografische Entwicklung in diesen Regionen bedenkt; und die Schlepper werden weiterhin sehr gute Geschäfte machen. Es wird auf die Dauer auch nicht helfen, neben Erdoğans Türkei noch weitere Diktaturen oder autoritäre Regime von fragwürdiger Legitimation mit der Bewachung der europäischen Außengrenzen (und damit der deutschen Grenzen) zu betrauen. Der Drang nach Europa, insbesondere nach Deutschland, wird erst dann nachlassen, wenn im fernsten afrikanischen Dorf klar ist, dass eine erfolgreiche Ankunft in Deutschland nicht mehr zum Bleiberecht führt, wenn die Voraussetzungen für politisches Asyl nicht gegeben sind.

FUSSNOTEN
1 – Vgl. zu diesem Abschnitt Thilo Sarrazin: »Anmerkungen eines nicht Hilfreichen – Wie man die fatale Migrationspolitik korrigieren müsste«, in: Philip Plickert (Hrsg.): Merkel. Eine kritische Bilanz. München 2017, S. 152–166.
2 – Vgl. Christoph Ehrhardt: »Das beste Geschäft ist immer noch das Schleusergeschäft«, in: FAZ vom 13. Februar 2018, S. 2.
3 – Vgl. »Ansturm auf Europa«, Interview mit Stephen Smith, in: Die Weltwoche 21 (2018), S. 3–40.
4 – Kay Hailbronner: »Wie das europäische Asylrecht reformiert werden kann. Nötig ist eine effektive Balance zwischen Schutzpflichten und Migrationssteuerung«, in: FAZ vom 12. April 2018, S. b6.
5 – Vgl. Reinhard Müller: »Absurdes Dublin«, in: FAZ vom 23. Juni 2018, S. 4.

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Ungekürzter Auszug – mit freundlicher Genehmigung des Verlags – aus:
Thilo Sarrazin, Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht. FinanzBuch Verlag, 496 Seiten, 24,99 €.

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