Tichys Einblick
"Feindliche Übernahme"

Thilo Sarrazin: Der Unberührbare

Sein neues Buch ist schon ein Skandal, noch ehe es erschienen ist. Am Umgang damit zeigt sich, was in Deutschland schiefläuft. Was Sie von seinem neuen Buch erwarten dürfen.

© Sean Gallup/Getty Images

So mutig wie Thilo Sarrazin bin ich nicht: Während einer Talkshow mit Publikum saß ich links von ihm, Katja Kipping (Die Linke) rechts. Der damalige Finanzsenator von Berlin referierte darüber, dass Hartz-IV-Empfänger gut, gesund und schmackhaft von 4 € am Tag leben könnten. Sarrazin hat es selbst ausprobiert und ein Kochbuch dazu geschrieben.

Das Publikum tobte. Sarrazin referierte unbewegt und unberührt. Ich rutschte von ihm weg, aus Angst vor fliegenden Tomaten und Geifer, Kipping ebenfalls. Sarrazin blieb unberührt. Er redete weiter über preiswerte Wiener Würstchen von Lidl.

Sarrazin ist stur. Mit seiner Sturheit verschaffte er dem bankrotten Berlin durch harte Sparpolitik die schwarze Null. Den Protest zog er auf sich, der komplett versagende Bürgermeister Klaus Wowereit („arm aber sexy“) konnte unbescholten Partys besuchen. Sarrazin war für arm zuständig, Wowereit für sexy.

Sarrazin stellt sich hin, zieht durch. Jede Gesellschaft braucht ihren Sarrazin. Der muss Missstände benennen, und darf nicht weichen. Sarrazins erster Bestseller; „Deutschland schafft sich ab“ zitiert als Leitsatz das Wort des SPD-Gründers Ferdinand Lassalle: „Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.“

Sarrazin beschreibt den Bevölkerungsverfall der letzten Jahrzehnte, warnt vor einem Sozialsystem, das das Nichts-Tun belohnt, tadelt eine Einwanderungspolitik, die eher Leistungsschwache anzieht und Leistungsfähige abstößt und kritisiert die Bildungspolitik, die diese Trends verschärft. Eigentlich wäre das schlimmste Urteil: alles bekannt. Solche Dystopien haben vor ihm beispielsweise Meinhard Miegel („Die deformierte Gesellschaft“) oder Arnulf Baring („Scheitert Deutschland?“) geschrieben – beachtet, aber folgenlos, vergessen.

„Die Deutschen weichen Realitäten gern aus, reden lieber vom Wünschbaren, träumen,“ heißt es etwa bei Baring. Sarrazin weicht nicht aus. Aber Deutschland hat sich verändert. Während Baring noch vom „Aufwachen“ träumte und einer „mächtigen Bewegung“ zur Wiedergewinnung der Realität – an Sarrazin bricht diese Debatte.

Du bist so, wie Du rezensierst
Sarrazin: Die Unschuldigen verfolgen den ewig Schuldigen
Es wäre falsch, hier Angela Merkel die alleinige Schuld zu geben. Ihre Bemerkung über Sarrazin „nicht hilfreich“ ist ja nicht die härteste, brutalste, folgenreichste Kritik, eher ein laues Lüftchen des Unbehagens. Zum bekannten Sturm gegen Sarrazin wurde das Lüftchen durch die eilfertige Verstärkung durch gefällige Medien. Der mediale Shitstorm zur Verteidigung der Regierung durch eine freie Presse war erfunden. Dazu kam die Tabuisierung der politischen Korrektheit. Sarrazins eher beiläufige Bemerkungen über „Kopftuchmädchen“, mangelnde Bildungsanstrengungen und genetische Bedingung von Intelligenz wurden zu Rassismus, Eugenik und anderen monströsen Behauptungen aufgeblasen – sogar der „Unberührbare“ entschuldigte sich für leichtfertige Behauptungen.

Aber bekanntlich ist es dann schon zu spät, wenn Rassismus und Nazismusvorwürfe niederprasseln und jede nüchterne Auseinandersetzung oder gar Relativierung niederbrüllen, von der eigentlich Debatte und Fortschritt leben. Der Vernichtungswille gegen Kritiker ist absolut und wird mit Journalistenpreisen belohnt. Den unbestrittenen Höhepunkt lieferte Denis Yücel, der bezüglich Thilo S. den Wunsch ausgedrückte, „der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten“, woran schon falsch ist, dass Sarrazin überhaupt einen Schlaganfall hatte. Aber dann doch angeschlagen wirkte, kein Wunder.

Doch Sarrazin legte nach. In „Wunschdenken“ (2016) vermittelt er über eine Modellprojektion, wie sich die Bevölkerung in Deutschland durch Zuwanderung und hohe Geburtenraten der Zuwanderer entwickelt. „Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass jede Jahrgangskohorte von Flüchtlingen und illegalen Einwanderern im Verlauf von zwei Jahrzehnten durch Familiennachzug und eigene Kinder auf das Fünffache wächst.“ Seine vorsichtigste Projektion: „Selbst ‚nur‘ 200.000 Flüchtlinge und illegale Einwanderer pro Jahr bewirken 2030 eine Gesamtzahl von 12 Millionen Flüchtlingen und 2040 von 22,6 Millionen. Es reicht also nicht aus, den Flüchtlingszuzug zu begrenzen, man muss ihn weitestgehend stoppen.“ Ein „Asylrecht, welches dem Grunde nach 80 Prozent der Menschen der Welt in Europa Asyl gewährt, …riskiert… den Untergang Europas, so wie wir es kennen.“

Sein neues Buch baut darauf auf. Der Titel „Feindliche Übernahme – Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ ist programmatisch: Mittlerweile zeigt sich ja, wie schwierig die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Integration vieler Zuwanderer ist. Sarrazin weist zudem auf den wachsenden Bevölkerungsdruck aus Afrika hin. Er zerreisst die Argumente, durch wirtschaftliche Hilfen könnte dies begrenzt werden – wie schon früher zitiert er Studien, die belegen, dass schon gewaltige, jahrzehntelange und nachhaltige wirtschaftliche Erfolge notwendig wären, um unbedingte Sesshaftigkeit zu bewirken.

Redliche Argumentation
Hep hep Sarrazin! Rückblick auf eine Menschenhatz
In seinem empfehlenswerten, kürzlich in der FAZ erschienen Artikel zur Bevölkerungsexplosion in Afrika und Arabien (der bisher nicht online zu lesen ist), in der er die Studie des Entwicklungsökonomen Michael Clement (der übrigens für offene Grenzen und möglichst freie Migration wirbt) für das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) zitiert, kommt er zu dem Schluss, dass es zwar notwendig sei, die „Fluchtursachen“ zu bekämpfen, dies aber keine Lösung für den Auswanderungsdruck biete. Eine verantwortungsvolle Politik müsse die Sicherung der EU-Außengrenzen gegen illegale Migration verstärken. „Erst dann, wenn klar ist, dass die Ankunft in Europa über illegale Einwanderung nicht mehr möglich ist, wird der Aufbruch nach Europa sich abschwächen und damit übrigens auch die Zahl der illegalen Einwanderer, die bei der Überfahrt mit seeuntüchtigen Booten sterben.“

Auch Sarrazins neues Buch scheint notwendiger Lesestoff zu sein, der mit klaren Argumenten der vorherrschenden Lehre widerspricht, wonach ein paar Hilfen hier und da den Einwanderungsdruck beseitigen und ein paar Sprachkurse in Deutschland die Gesellschaft stabilisieren könnten.

Offensichtlich versuchte Sarrazins bisheriger Verlag DVA, der von seinen bisher veröffentlichten Büchern gut 1,5 Mio Exemplare allein im Hardcover verkauft hat, das Erscheinen von „Feindliche Übernahme“ zu verzögern – über die kritischen Landtagswahlen im Herbst in Bayern und Hessen hinaus. Er gehört zur Verlagsgruppe Random House, einem Unternehmen des Merkel-treuen Bertelsmann-Konzerns. Nun prozessiert Sarrazin mit Random House; sein Buch erscheint Ende August im FinanzBuch Verlag, der auch die „Edition Tichys Einblick“ verlegerisch betreut.

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