Die erste Phase der Flüchtlingewelle geht ihrem administrativen Ende zu. In wenigen Monaten werden alle Flüchtlinge, die bisher ankamen, registriert sein und die meisten werden bis Jahresende das Asylverfahren durchlaufen haben. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit stehen dann im Sommer bis zu 350.000 Flüchtlinge über die Jobcenter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Die bisherigen Beiträge in den Medien zu Flüchtlingen sind von kontroversen Standpunkten geprägt. Überwiegend Politiker, Islamwissenschaftler, Sozialarbeiter, die NGO‘ s, Kirchen und Tendenzbetriebe melden sich zu Wort. Liest man die Lesermeinungen in den Medien (ich habe keinen Zugang zu sozialen Netzwerken und kann mich deshalb nur auf die Medien beziehen), so widerspiegelt sich dort kaum der Optimismus der o.g. Gruppen.
Ein Bereich wird ausgeklammert. Die Wortführer sind ja dort nicht tätig und kennen sich offenbar nicht so gut aus. Das ist der Bereich, wo Menschen ihr Brot nicht vom Staat aus Steuern bezahlt bekommen, sondern jeden Monat am Markt erkämpfen müssen. Ich spreche von den etwa über drei Millionen privatwirtschaftlichen Firmen, die keinen staatlichen / halbstaatlichen Eigentümer haben.
Haben Sie schon mal nachgedacht, warum es da so ein lautes Schweigen gibt? Ja, es gibt eine Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums und des Dachverbandes des Industrie- und Handelskammern mit dem Namen: „NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ und auch Initiativen von Wirtschaftsstiftungen.
Aber niemand – auch nicht die IHK und HWK – stellt das Thema „streng religiöse Muslime am Arbeitsplatz integrieren“ in den Mittelpunkt. Etwa 80% der 2015 angekommenen 1,1 Millionen Flüchtlinge sind muslimischen Glaubens und kommen aus den als am strengsten religiös definierten Ländern Syrien, Irak, Iran und Somalia. 2014 waren es noch 63% bei 225.000 Flüchtlingen.
Arbeitgeber kennen – und fürchten – das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) und die dort definierten Gründe für Diskriminierung. Nach dem AGG hat jeder Mensch die gleichen Rechte unabhängig von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Religion, Weltanschauung, Alter oder sexueller Identität.
Wie (fast) alle Gesetze in Deutschland beruht auch das AGG auf Vorgaben der EU. Aber sind dann die mittlerweile 28 Gleichbehandlungsgesetze (oder Anti-Diskriminierungsgesetze) in den EU-Ländern gleich? Die Antwort lautet: Nein.
Schaut man sich generell staatliche Regelungen in einzelnen EU-Ländern an, so ergibt sich der Eindruck, dass Vorgaben aus Brüssel sehr unterschiedlich umgesetzt werden. In einigen Ländern ist man bei 75 % Umsetzung schon sehr zufrieden und sieht dies fast als Übererfüllung an, wogegen in Deutschland eine Umsetzung mit 130 % als noch nicht vollständig betrachtet wird. Das hat dann Konsequenzen, wie beim AGG.
Innenminister Schäubles Hinterlassenschaft
Zum besseren Verständnis, wann und wie das AGG gemacht wurde: Nach Ende der rot-grünen Koalition 2005, wo mit den Arbeiten am Gesetz begonnen wurde, hat dann im Jahre 2006 – also vor 10 Jahren- nach einer intensiven Diskussion der Bundestag das AGG verabschiedet. Es trat im August 2006 in Kraft. Sechs Wochen später sprach der damalige Innenminister Schäuble in einer Regierungserklärung der CDU/SPD Koaltion (zur Vorbereitung der Islamkonferenz) den bekannten Satz:
„Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft. Muslime sind in Deutschland willkommen. Sie sollen ihre Talente entfalten und sie sollen unser Land mit weiter voranbringen.“
Hätte er zuerst diesen Satz gesagt und dann das AGG eingebracht, wären doch einige Abgeordnete stutzig geworden und die Wirtschaft wäre vielleicht rechtzeitig aufgewacht und Sturm gelaufen bei dem Punkt „religöse Diskriminierung“.
Die hier schon lebenden Muslime haben vor den Arbeitsgerichten bisher durchgesetzt:
- 2 bis 3 bezahlte kurze Gebetspausen während der Arbeitszeit (Urteil 2002)
- unbezahlte Freistellung zum Besuch der Moschee am Freitagmittag
- Verweigerung des Transports von Alkohol in Flaschen aus religiösen Gründen (Urteil 2011)
- Tragen des islamischen Kopftuchs (Urteil 2012)
Damit wurde der Boden für die Aufnahme der muslimischen Flüchtlinge in privatwirtschafltichen Unternehmen gelegt. Warum sage ich „privatwirtschaflich“?
Diskriminierung der Wirtschaft
Das AGG gilt bei religiöser Diskriminierung nur eingeschränkt für Kirchen, Staat und Tendenzbetriebe (wie z. B. Diakonie und Caritas). Diese müssen keine muslimischen Gläubigen, die z.B. das Kopftuch tragen oder während der Arbeitszeit beten wollen, als Arbeitnehmer akzeptieren. Sie verdienen ihr Geld mit der Erstaufnahme der Flüchtlinge, bezahlt aus den Steuern. Deshalb die vielen wohlfeilen Worte der Kirchenfürsten und Parteioberen.
Kommen wir zurück auf die 27 anderen EU Länder. Kennt man dort auch diese Zugeständnisse? Ich konnte nicht alle Länder untersuchen, dazu fehlten mir Zeit und Geld. Aber es sieht so aus, dass außer in Deutschland nur in Großbritannien das Gebet am Arbeitsplatz seit 2013 erlaubt ist. Das ist einer der Gründe, warum es in Großbritannien kein „refugees welcome“ gibt und die Flüchtlinge auf der französischen Seite des Kanals zur Abschreckung in elenden Camps hausen müssen.
Vergleicht man die deutschen Regelungen mit Österreich, wo es seit 1912 ein Islamgesetz gibt, welches 2015 novelliert wurde, fällt auf: In Österreich gibt es keine Möglichkeit, am Arbeitsplatz zu beten, für den Freitag-Besuch in der Moschee eine Freistsellung vom Arbeitgeber zu fordern oder den Transport von Alkohol im Betrieb aus religiösen Gründen zu verweigern. Nur das Kopftuch darf getragen werden. Sehen Sie die Tabelle mit den Anmerkungen.
Es wäre eine interessante Aufgabe für den DIHK und die deutschen Auslandshandelskammern (AHK), zu analysieren, in welchen EU-Ländern – außer Deutschland und Großbritannien – das Beten während der Arbeitszeit (z. T. auf Kosten des Unternehmers) und weitere Umsetzung von Anforderungen des Korans gestattet sind. Ich denke: Es gibt keine. Die jetzige Gesetzgebung und Rechtsprechung in Deutschland ist im EU-Kontext ein Wettbewerbsnachteil für die deutsche Wirtschaft, über den die Politik schweigt.
Die Rechtssprechungspraxis ist, dass die Arbeitsgerichte nur Religionsgutachten orientalischer Religionsgelehrter akzeptieren, nicht jedoch deutscher Prediger oder Islamwissenschaftler. Diese werden zwar staatlich ausgebildet und subventioniert, werden aber von den Orientalen nicht anerkannt. Das deutsche Arbeitsgericht hinterfragt diese Gutachten nicht.
„Jedenfalls gehört zum Recht auf ungestörte Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 2 GG auch das Durchführen von Gebeten (Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I Art. 4 Rndr. 53 mit weiteren Nachweisen). Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es dabei nicht darauf an, ob die Religion das Beten während der vom Kläger begehrten Zeit zwingend vorschreibt. Ausreichend ist, dass der Gläubige die religiöse Handlung als verbindlich ansieht.“ (Böckenförde, NJW 2001, S. 723, 724).
Dieses „ausreichend ist … verbindlich ansieht“ ist die Einladung an die konservativsten Muslime (Wahabisten, Salafisten, Vertreter des Islamischen Staates), die Forderungen des Korans in etwa 3,7 Millionen Unternehmen im größten Land der EU umzusetzen unter dem Schutz der Rechtsprechung zur religiösen Diskriminierung.
Diskriminierung der Nicht-Muslime
Aus meiner Sicht werden dann in Zukunft mit dem AGG in einem säkularen Land die Ungläubigen diskriminiert, ganz im Sinne der „Fatwa zu der Frage, wie der Islam die Ungläubigen ansieht“.
„Unser Prophet [Muhammad] hat uns befohlen, gegen die Ungläubigen zu kämpfen, wenn wir in der Lage sind, sie in ihren Ländern zu erobern und sie vor die Wahl zu stellen, bevor wir ihre Länder erobern:
- Zum Islam überzutreten. In diesem Fall werden sie [die Ungläubigen] wie wir betrachtet, sie haben unsere Pflichten und Rechte;
- Tribut [an Muslime] im erniedrigten Zustand zu zahlen;
- Sich für den Krieg [gegen uns Muslime] zu entscheiden. In diesem Fall werden uns [im Falle unseres Sieges] ihr Eigentum, ihre Frauen, Kinder und Ländereien gehören. Sie gelten den Muslimen als Kriegsbeute …“
Aus Sicht eines streng religiösen muslimischen Flüchtlings ist die – für ihn im Vergleich zum bisherigen Leben, sehr reichliche deutsche Sozialhilfe, verbunden mit einer warmen Wohnung und der Chipkarte der Krankenkasse – eine erste Rate des Tributs, den die Ungläubigen zu zahlen haben. Tribut [an Muslime] im erniedrigten Zustand zu zahlen – so sieht man aus islamischer Sicht die Zahlungen der Bundesregierung an nordafrikanische Länder und die Türkei, um abgewiesene Flüchtlinge zurückzunehmen, die aufgrund fehlender Grenzkontrollen erst ins Land gelassen wurden.
Vermutlich deshalb gibt es keine detaillierte Berichterstattung in den Mainstreammedien zur Integration von streng gläubigen Muslimen am Arbeitsplatz unter Verweis auf die Regelungen des AGG und die Rechtsprechungspraxis.
Dieser 1. Teil beruht auf Untersuchungen des Autors. Sein Buch „Gebetspausen am Arbeitsplatz – Erwartungen geflüchteter Muslime. Basiswissen für Arbeitgeber“ ist bei Amazon.de erhältlich.
Lesen Sie im 2. Teil die Bewertung des Schlussantrages der Generalanwältin des EUGH vom 31.05.2016 im Falle der Rechtssache C‐157/15, „Kopftuchverbot am Arbeitsplatz“ und welche Veränderungen sich im AGG und der Rechtsprechung ergeben werden, sollten die Richter im Herbst dem Schlussantrag folgen.
Ein interessanter Fakt vorab: Außer der belgischen Regierung gaben auch die französische und britische Regierung sowie die EU Kommission Stellungnahmen an die (deutsche) Generalanwältin ab. Das zu erwartende Urteil des EuGH bindet alle EU-Länder. Es gibt also Hoffnung, dass das Buch zum Jahresende größtenteils Makulatur wird und die Rechte der Arbeitgeber Primat erhalten.
Kopftuchverbot am Arbeitsplatz – Schlussantrag der EU Generalanwältin vom 31.05.2016: Die belgische Niederlassung der britischen Sicherheitsfirma G4S – mit mehr als 1⁄2 Million Mitarbeitern – verbot 2006 ihren Mitarbeitern das Tragen religiöser Symbole am Arbeitsplatz. Eine an der Rezeption tätige Muslima klagte dagegen, da sie nicht ohne islamisches Kopftuch arbeiten wolle und schließlich landete der Fall vor dem EuGH. Die verklagte belgische Niederlassung der weltweit agierenden Sicherheitsfirma G4S, beschäftigte, wie wir inzwischen wissen – auch den Attentäter von Orlando als Wachmann.
Wie argumentierte die Generalanwältin?
Im Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof haben G4S, das Centrum, die Regierungen Belgiens und Frankreichs sowie die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. Dieselben Beteiligten waren auch in der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2016 vertreten, außerdem hat sich das Vereinigte Königreich an dieser Verhandlung beteiligt. In der Rechtssache C‐188/15 wurde am gleichen Tag mündlich verhandelt.
Frankreich weist mit Nachdruck darauf hin, dass der Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 gemäß dem einleitenden Halbsatz von Art. 3 Abs. 1 nur im Rahmen der auf die Gemeinschaft (heute: Union) übertragenen Zuständigkeiten eröffnet ist. Nach Ansicht Frankreichs ist deshalb die Richtlinie nicht dazu bestimmt, auf Situationen Anwendung zu finden, welche die nationale Identität der Mitgliedstaaten berühren. Insbesondere vertritt dieser Mitgliedstaat die Auffassung, die Geltung der Richtlinie für den öffentlichen Dienst („service public“) unterliege wegen des in Frankreich geltenden Verfassungsprinzips des Laizismus („laïcité“) Einschränkungen. In diesem Zusammenhang beruft sich Frankreich auf die in Art. 4 Abs. 2 EUV verankerte Pflicht der Union, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, wie sie in deren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck kommt.
Im Mittelpunkt des Interesses steht für das vorlegende Gericht die Frage, ob es sich bei dem streitgegenständlichen Verbot um eine religiöse Diskriminierung unmittelbarer oder mittelbarer Art handelt.
Während G4S davon ausgeht, es liege überhaupt keine Diskriminierung vor, wohingegen Frankreich und das Vereinigte Königreich eine mittelbare Diskriminierung annehmen, halten Belgien und das Centrum eine unmittelbare Diskriminierung für gegeben. Die Kommission spricht sich in der vorliegenden Rechtssache C‐157/15 für die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung … aus.
Die Verfahrensbeteiligten sind sich zutiefst uneinig, ob ein Verbot wie das hier streitige ein legitimes Ziel verfolgt, geschweige denn ein legitimes Ziel im Sinne einer der beiden genannten Richtlinienbestimmungen, und ob es einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält. Während G4S dies bejaht, sprechen sich das Centrum, Belgien und Frankreich dagegen aus. Auch die Kommission äußert eine gewisse Skepsis. Die Praxis der nationalen Gerichte zu dieser Fragestellung ist uneinheitlich.
Dabei ist dem Arbeitgeber ein unternehmerischer Beurteilungsspielraum zuzu- gestehen, welcher letztlich im Grundrecht der unternehmerischen Freiheit seine Grundlage findet (Art. 16 der Charta der Grundrechte). Zu dieser Freiheit gehört es, dass grundsätzlich der Unternehmer bestimmen darf, in welcher Art und Weise sowie unter welchen Bedingungen die im Betrieb anfallenden Arbeiten organisiert und erledigt werden sowie in welcher Form seine Produkte und Dienstleistungen angeboten werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint es bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des unternehmerischen Beurteilungsspielraums keineswegs als abwegig, dass eine Rezeptionistin wie Frau Achbita ihre Tätigkeit unter Einhaltung einer bestimmten Kleiderordnung – hier: unter Verzicht auf ihr islamisches Kopftuch – auszuüben hat. Ein Verbot wie das von G4S ausgesprochene kann als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen werden.
Im vorliegenden Fall ist das Kopftuchverbot Ausfluss der Politik der religiösen und weltanschaulichen Neutralität von G4S, die sich das Unternehmen selbst auferlegt hat.
Eine solche Neutralitätspolitik geht nicht über die Grenzen des unternehmerischen Beurteilungsspielraums hinaus. Dies gilt umso mehr, als es sich bei G4S um ein Unternehmen handelt, das bei verschiedensten Kunden aus dem öffentlichen wie privaten Sektor u. a. Bewachungs-und Sicherheitsdienste, aber auch Rezeptionsdienstleistungen erbringt und dessen Mitarbeiter bei allen diesen Kunden flexibel einsetzbar sein müssen.
Wie Frankreich in diesem Zusammenhang zu Recht hervorgehoben hat, gilt es nicht zuletzt, den Eindruck zu vermeiden, dass die von einer Arbeitnehmerin durch ihre Kleidung öffentlich zur Schau gestellte politische, philosophische oder religiöse Überzeugung von Außenstehenden mit dem Unternehmen G4S bzw. mit einem von G4S versorgten Kunden in Verbindung gebracht oder gar diesem zugerechnet werden könnte.
Anders als beim Geschlecht, der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft, der sexuellen Ausrichtung, dem Alter und der Behinderung einer Person handelt es sich aber bei der Religionsausübung weniger um eine unabänderliche Gegebenheit als vielmehr um einen Aspekt der privaten Lebensführung, auf den die betroffenen Arbeitnehmer zudem willentlich Einfluss nehmen können. Während ein Arbeitnehmer sein Geschlecht, seine Hautfarbe, seine ethnische Herkunft, seine sexuelle Ausrichtung, sein Alter oder seine Behinderung nicht „an der Garderobe abgeben“ kann, sobald er die Räumlichkeiten seines Arbeitgebers betritt, kann ihm bezüglich seiner Religionsausübung am Arbeitsplatz eine gewisse Zurückhaltung zugemutet werden, sei es hinsichtlich religiöser Praktiken, religiös motivierter Verhaltensweisen oder – wie hier – hinsichtlich seiner Bekleidung.
Zum anderen sollte aber speziell mit Blick auf ein Kopftuchverbot nicht voreilig und pauschal behauptet werden, dass eine solche Maßnahme die Integration muslimischer Frauen in das berufliche und gesellschaftliche Leben über Gebühr erschwert. Gerade der Fall von Frau Achbita zeigt dies besonders plastisch: Die Betroffene ging rund drei Jahre lang bei G4S ihrer Tätigkeit als Rezeptionistin nach, ohne am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch zu tragen, war also als Muslima trotz Kopftuchverbot voll in das Erwerbsleben integriert. Erst nach mehr als drei Jahren Berufstätigkeit für das Unternehmen G4S bestand sie darauf, dort mit Kopftuch zur Arbeit erscheinen zu dürfen, und verlor daraufhin ihren Arbeitsplatz.
Insgesamt kann also ein Verbot wie das von G4S verhängte als wesentliche, entscheidende und legitime berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen werden, die grundsätzlich geeignet ist, Ungleichbehandlungen – gleichviel, ob unmittelbarer oder mittelbarer Natur – wegen der Religion zu rechtfertigen, vorausgesetzt, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird beachtet.
Ergebnis
Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich (die Generalanwältin) dem Gerichtshof vor, auf das Vorabentscheidungsersuchen des belgischen Hof van Cassatie (Kassationshof) wie folgt zu antworten:
- Wird einer Arbeitnehmerin muslimischen Glaubens verboten, am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch zu tragen, so liegt keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG vor, wenn dieses Verbot sich auf eine allgemeine Betriebsregelung zur Untersagung sichtbarer politischer, philosophischer und religiöser Zeichen am Arbeitsplatz stützt und nicht auf Stereotypen oder Vorurteilen gegenüber einer oder mehreren bestimmten Religionen oder gegenüber religiösen Überzeugungen im Allgemeinen beruht. Das besagte Verbot kann jedoch eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie darstellen.
- Eine solche Diskriminierung kann gerechtfertigt sein, um eine vom Arbeitgeber im jeweiligen Betrieb verfolgte Politik der religiösen und weltanschaulichen Neutralität durchzusetzen, sofern dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. In diesem Zusammenhang sind insbesondere zu berücksichtigen:
- die Größe und Auffälligkeit des religiösen Zeichens,
- die Art der Tätigkeit der Arbeitnehmerin,
- der Kontext, in dem sie diese Tätigkeit auszuüben hat, sowie
- die nationale Identität des jeweiligen Mitgliedstaats.
Mein Fazit:
Sollten also die Richter am EuGH dieser Sicht der Generalanwältin folgen, dann kippt in Deutschland die Rechtsprechung zu religiöser Diskriminierung. Das hätte auch zur Folge, dass dann die Unternehmen viel freier wären, Muslime einzustellen. Ohne zusätzliche Kosten zu befürchten.
Ich beziehe mich auf den Kommentar zum AGG: „Diskriminierung aufgrund der islamischen Religionszugehörigkeit im Kontext Arbeitsleben – Erkenntnisse, Fragen und Handlungsempfehlungen“. Wir lesen dort auf Seite 20:
In der Konsequenz können unmittelbare Diskriminierungen im Bereich der Arbeit in Deutschland nicht auf Sicherheitsgesichtspunkte oder sonstige Rechtspositionen Dritter gestützt werden, wenn die Gründe nicht im Zusammenhang mit der Ausführung der geschuldeten Arbeitsleistung stehen. Die generelle Nichteinstellung von afghanischen Musliminnen und Muslimen bei Behörden des Verfassungsschutzes wegen Sicherheitsbedenken wäre unzulässig, ebenso bei einer privaten Sicherheitsfirma, die mit den Flughafenkontrollen befasst ist.
Michael Wolski hat das Buch Gebetspausen am Arbeitsplatz geschrieben. Er war viele Jahre im Außenhandel tätig, zuletzt in Bosnien.