Klaus-Rüdiger Mai schreibt Sachbücher und Romane. Das macht auch sein neues Buch DIE KOMMUNISTIN besonders. Das Buch werden viele auf eine Geschichte der Wiedergeburt von Rosa Luxemburg als Sahra Wagenknecht verkürzen. Doch das ist nur die sehr lesenswerte Rahmenerzählung, mit der Autor Mai durch die Geschichte Deutschlands von einem Sozialismus in den nächsten führt – mit Wagenknecht, die Georg Lukács darin folgte, „Marx ausdrücklich über Hegel und nicht Hegel über Marx“ zu verstehen.
Dass ein vorbildlich Woker aus der SPD wie der Ex-OB von Düsseldorf Geisel in Wagenkechts Partei eingetreten ist, überrascht nicht – nur einen Moment, dass Stefan Grüll aus der FDP „die programmatisch strategische Ausrichtung“ des BSW „in einem zeitgemäß fortgeschriebenen sozial-liberalen Verständnis“ propagiert. Beide kannten Klaus-Rüdiger Mais Befund nicht, der Geisel nicht stören dürfte und Grüll noch heimsuchen wird:
Im linken Spektrum fällt sie zwischen den vielen postmodernen Schwätzern auf, zu denen sie häufig im krassen Widerspruch steht. Letztlich jedoch vermag sie nicht, die Ideologie des Marxismus hinter sich zu lassen, denn auch ein kreativer Sozialismus bleibt ein Sozialismus.
Die alten Parteien haben sich in der postmodernen Mitte versammelt und schließen dort die Augen vor dem globalen Wechsel, der im Westen fundamental ist. Auf der Suche nach Hilfe bleibt Bürgern, die nach ihrem Normal suchen, nur noch die AfD, nach Mai aber nicht als Alternative, „sondern als schlichte Notwehr“. Die deutsche Linke kümmern jene nicht mehr, für die sie früher Politik gemacht hat, die Arbeiter und Angestellten. In diese Lücke stieß die AfD, dorthin folgt ihr Wagenknecht und behauptet, das kann ich besser. Der Ausgang dieses Wettbewerbs ist offen.
Geisel und Grüll widme ich stellvertretend für andere Abtrünnige des Parteienstaats, als die sie nicht erscheinen wollen und deshalb Zuflucht zum BSW suchen, zwei Mai’sche Absätze:
Sahra Wagenknecht ist die Zauberin, die die Vergangenheit zur Zukunft verklärt. Der orthodoxe Marxismus gewinnt wieder an Boden – und Sahra Wagenknecht ist seine Lichtgestalt.
Ihre Anhänger finden sich auf linker wie auf rechter, auf sozialistischer und auf konservativer Seite des politischen Spektrums, selten übrigens bei wirklich Liberalen, die nichts mit den Lindner-Liberalen gemein haben.
Mai zitiert Antonio Gramsci: »Wenn die herrschende Klasse den Konsens verloren hat, d. h. nicht mehr ›führend‹, sondern einzig ›herrschend‹ ist, Inhaberin der reinen Zwangsgewalt, bedeutet das gerade, dass die großen Massen sich von den traditionellen Ideologien entfernt haben, nicht mehr an das glauben, woran sie zuvor glaubten usw. Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: In diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.« Zur Autoimmunerkrankung des Westens, dem Postmodernismus, sagt Mai. Damit hat der Autor den Leser, wo er ihn hinhaben will: im Aufwachraum der Repressivität der 2000er-Jahre nach der Schein-Progressivität der Siebziger.
Wer Wagenknecht als neue Sozial-Liberale interpretiert, hat auch nachträglich nicht realisiert, wie früh auch die FDP-Linke, nicht nur die der SPD Richtung Wokismus zog. Dazu bei Mai dies:
Allerdings empfand die junge Sahra Wagenknecht wie die westdeutschen Linken und Linksliberalen die Friedliche Revolution in der DDR als Sieg der Konterrevolution – und dürfte es – gewählter ausgedrückt inzwischen – immer noch so sehen. Darin stimmt sie mit den Postmodernen überein, die eben die Friedliche Revolution als Beleidigung und die Wiedervereinigung als narzisstische Kränkung wahrgenommen hatten. Was sie als Marxistin von den Postmodernen hingegen unterscheidet, ist, dass sie die Vielgestalt linken Denkens nicht im gefälligen und selbstzerstörerischen Postmodernismus, der Chimäre, die sich mal identitätspolitisch, dann wieder postkolonial ausgibt oder sich in den Räuschen der Critical Race Theory, der Social Justice Bewegung, der Gender Studies oder der Queer Theory rekelt, nicht gegen ihren Marxismus eintauscht, einen Marxismus, der sehr stark von Georg Lukács und daher auch von Georg Wilhelm Friedrich Hegel geprägt ist.
Klaus-Rüdiger Mai wird mir meine Kurzfassung gestatten: Wagenknecht ist der intellektuell gepflegte Weg in den Wokismus-verbrämten Milliardärs-Kommunismus. Der sich damit ästhetisch angenehm vom proletisch-woken Kindskopf-Grünismus abhebt. Aber eben nur ästhetisch.
Sahra Wagenknecht war zwischen 15 und 20 Jahre alt, als die DDR implodierte. Den Herbst 1989 nennt sie ihre schlimmste Zeit. Habeck und Baerbock erleben nun auf ihren Thronen ihre schlimmste Zeit. Damals war, heute ist Konterrevolution.
Werte Leser, Autor Mai führt sie von der damaligen Konterrevolution durch die Merkel’sche DDR-Wiederkehr in die Konterrevolution von heute. Folgen sie ihm. Einsichten in Zusammenhänge und Hintergründe kann ich Ihnen ebenso versprechen wie Blicke auf Personen und Handlungen, die Ihnen so unbekannt gewesen sein dürften wie mir.
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Denen, die sich für Linksliberale halten, widme ich ein Gedicht von Rainer Maria Rilke aus dem Jahr 1903.
Der Panther
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Klaus-Rüdiger Mai, Die Kommunistin. Sahra Wagenknecht: Eine Frau zwischen Interessen und Mythen. Europa Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 24,00 €.