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Resolution und Revolution. Frank Vorpahl auf den Spuren von Georg Forster – ein Doppelporträt

Georg Forster hat als Zoologe, Botaniker und Zeichner mit Captain Cook die Welt umsegelt und ist später in Mainz zum Revolutionär aufgestiegen (Version Ost), beziehungsweise verkommen (Version West). Seit der ersten Begegnung mit Forsters Vogel-Zeichnungen steht Frank Vorpahl im Bann des Welterkunders.

Die Geschichte beginnt vor nicht ganz einem halben Jahrhundert in Zeuthen, südöstlich von Berlin – am Podex der Welt gelegen und für uns Westdeutsche damals so exotisch wie, sagen wir, Point Venus in der Bucht von Matavai, irgendwo hinter der Datumsgrenze. Im Atelier seines Großvaters, dessen Seestücke die Ostsee-Ferienheime der DDR-Gewerkschaft schmücken, stößt der noch nicht zehnjährige Frank auf die Aquarelle exotischer Vögel. Manch antarktischer Sturmvogel mag in die Ostseeidyllen des Malers geraten sein.

Deutschlands erster großer Weltreisender, der Naturforscher, Reiseschriftsteller, Aufklärer und Revolutionär Georg Forster (1754-1794) etwa 30jährig auf einem Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein.

Naturgetreu dokumentiert hat sie zwei Jahrhunderte zuvor ein wahrhaft großer Deutscher. Georg Forster hat als Zoologe, Botaniker und Zeichner mit Captain Cook die Welt umsegelt und ist später in Mainz zum Revolutionär aufgestiegen (Version Ost), beziehungsweise verkommen (Version West) und bald darauf in Paris gestorben. Seit der ersten Begegnung mit Forsters Vögeln steht Frank Vorpahl im Bann des Welterkunders. Diese Leidenschaft lässt ihn nicht mehr los. Ein Syndrom des Eingesperrten? Vorpahl bestreitet es. So wie die Forsters, Vater und Sohn, ihre erste Expedition in die Tiefe Russlands (im Auftrag Katharina der Großen) unternehmen, reist Vorpahl in der Sowjetunion herum, nach Armenien, in die Ukraine. Aufzuhalten ist er nicht. Auch ihm gerät eine Revolution in die Quere. Sie öffnet ihm die Welt. Anders als Forster darf er die neue Freiheit ausleben.

Im Westen verkannt und vergessen, war Georg Forster eine Galionsfigur der DDR. Verehrt als Jakobiner, stalinistisches Urbild und Internationalist. Zur Rechtfertigung der Mauer wird er herangezogen – nur weil das revolutionäre Frankreich seinerseits auch die Grenzen geschlossen hat. Forster soll gefälschte Wahlen rechtfertigen – weil doch auch im revolutionären Mainz nur Bürger wählen dürfen, die einen Eid auf die neuen französischen Ideale abgelegt haben, auf Freiheit und Volkssouveränität. Die DDR fälscht sich die Französische Revolution ebenso zurecht wie das Leben Forsters. Der war im Westen natürlich erledigt.

Vorpahl studiert in Leipzig Geschichte, promoviert nach der Wende in Kassel – wo Forster gelehrt hat – und wird Journalist. Ein Angebot des ZDF, kein Witz, nimmt er an, weil Mainz die Stadt Georg Forsters ist. Er zieht sogar in das Nachbarhaus der Forsters in der Neuen Universitätsstraße 5 – ohne es sofort zu wissen. Zufall oder Bestimmung? Jedenfalls lernt er jetzt einen ganz anderen Forster kennen.

Der Entdecker des Entdeckers

Seine erste Reise in die Südsee unternahm Vorpahl mit Christina, einer Filmregisseurin, für die er ein Drehbuch über Forster schreiben will – ein Unterfangen, das scheitert, denn Vorpahl ist ganz und gar Wissenschaftler.

Captain Cooks Ankerplatz Point Venus im Jahre 1773, im Hintergrund die beiden britischen Expeditionsschiffe Resolution und Adventure auf einem Gemälde von William Hodges. Von hier aus brach Georg Forster mehrfach zur Erkundung Tahitis auf.

Als Kulturredakteur dreht er eine ganze Reihe von Beiträgen über Cook und die Forsters, weiß Synergien zu nutzen, sucht zwanzig Jahre lang jede einzelne, verborgene Bucht, jeden Wasserfall, reist jeder Wendung in Forsters Leben hinterher. Jahrelang fahndet er nach der Kaskade, die Forster gemalt hat, bis er sie endlich an der Südspitze Neuseelands mit Hilfe einer Vogelbeschreibung entdeckt. „Vieles verlief im Sande, manche Reise war umsonst“ resümiert er. Sein Buch ist Abenteuerroman und Wissenschaftskrimi eines Besessenen.

Was gibt es heute überhaupt noch zu entdecken? Ferne Planeten: Ja. Fremde Archipele: Nein. Was es zu entdecken gibt auf den Spuren des Georg Forster findet sich verschollen in labyrinthischen Bibliotheken und Archiven. Das erste Aufsehen erregt der Forstererkunder Vorpahl 2006 im Natural History Museum zu London. Ein Konvolut von beinahe tausend prachtvollen, großformatigen Originalbildern von Forsters Reise um die Welt fällt ihm unvermutet in die Hände, die niemals zuvor publiziert worden sind. Zu Papier gebracht in einem schwankenden, engen Verschlag unter Deck der Resolution. Vögel, Fische, viele von ihnen bereits ausgestorben. Vorpahl kümmert sich, es wird ein Bestseller.

Georg Forsters Erstdarstellungen neu entdeckter Spezies der südpazifischen Tier- und Pflanzenwelt.

Seine zweite Entdeckung macht er 2008 in der weithin unbekannten Mitchell Library in Sidney. Abgelegt unter dem falschen Namen Isaac Smith. Er ist der junge Mann im Kartenraum der Resolution, ein Cousin von Cooks Frau, der es später zum Admiral bringt, und dem der Kapitän im April 1770 die Ehre überlässt, in der Botany Bay als erster Europäer Australien zu betreten. Vorpahl vermutet, dass Forster seine Bilder mit Smith gegen dessen Karten getauscht hat. Sieben der großformatigen 54 Tierzeichnungen sind Unikate (also nicht einmal von Forster selbst kopiert). Wieder wundert sich die Fachwelt über den Spürsinn des deutschen Privatgelehrten und Forsterverstehers.

Seine Erkundungen sind noch nicht zu Ende. Der im revolutionären Paris verstorbene Forster hat eine Geschichte des Großen Inselmeers vorgehabt, eine ethnologische Geschichte des pazifischen Raums. In einem Museum, das Vorpahl noch nicht verraten will, findet er Porträts von Bewohnern dieser Inseln. Er wird sie veröffentlichen, Forsters Plan mit seinen Mitteln verwirklichen.

Genie und Feuergeist

Wer war dieser Georg Forster? Das Gegenteil eines Stubenhockers wie jener Kant, der sein Königsberg nicht verlässt und sich lustig macht über den Welterkunder, dessen Reisen doch nichts lehrten als die „leere Sehnsucht“ nach einem goldenen Zeitalter – das Forster in der Südsee aber gar nicht finden will. Der romantischen Vorstellung paradiesisch lebender „edler Wilder“ folgt er nicht. Er ist Aufklärer reinsten Wassers. Auch das unterscheidet ihn von den Ideologen der französischen Revolution. Sein Wahlspruch: „Ventilation für und wider – es gibt keinen anderen Weg zur Aufklärung.“ Forster entgeht auch nicht, dass diejenigen, die am wenigsten herumgekommen sind, die stärksten Vorurteile gegen „Fremdlinge“ hegen. Kant, der die schwarze Rasse für stinkend und faul hält, ist da keine Ausnahme.

Enttäuscht von der zahlungsfaulen Zarin ziehen die Forsters nach London. Der erst siebzehnjährige Georg, ein Sprachgenie und gelehrtes Wunderkind, macht sich als Übersetzer aus dem Russischen und Französischen in makelloses Englisch einen Namen. Deshalb darf er seinen Vater, von Haus aus Pfarrer, nun jedoch naturwissenschaftlicher Leiter der zweiten Cookschen Expedition, als Assistent und Naturzeichner begleiten. Im Juli stechen sie mit der Resolution, einer kiellosen Barke in See und werden 1111 Tage später zurückkehren. Georg ist der Verfasser von Johann Reinhold Forsters berühmten Reise um die Welt.

In manchem erinnert Forster an seinen Zeitgenossen Mozart, auch der ein genialer Feuergeist auf der Woge seiner Zeit. Sie hätten sich beinahe getroffen. Forster wird vom Kaiser in Wien empfangen, dort, wo Mozart musiziert. Ungeheuer produktiv ist auch Forster. Zwanzig Bände umfassen seine Schriften, geschrieben in weniger als zwanzig Jahren zwischen Resolution und Revolution. Alexander von Humboldt geht mit Forster auf Reisen in Europa, Goethe bewundert ihn und besucht ihn zweimal.

Doch dann lässt er sich von der Revolution mitreißen. Im von französischen Truppen besetzten Mainz, wo ihn der durchaus aufgeklärte Fürstbischof zum Direktor der Bibliothek bestellt hat, steigt er auf zu einem führenden Kopf der kurzlebigen ersten deutschen Republik, ist ihr Vizepräsident, organisiert unter französischer Anleitung die ersten demokratischen Wahlen auf deutschem Boden und ist Chefredakteur der Neuen Mainzer Zeitung oder Der Volksfreund. Es herrscht tatsächlich Pressefreiheit, wenn man auch leicht unter das Fallbeil geraten kann.

Forster ist verheiratet mit Therese, wäre mit ihr lieber ins liberale Hamburg gezogen, gesteht er ihr wenige Monate später. Doch es ist zu spät. Die Frau und Mutter der zwei gemeinsamen Töchter – zwei weitere Kinder sterben – ist schon in der Schweiz mit ihrem Geliebten. In Mainz haben die Forsters in einer Ménage-à-trois zusammengelebt, für Georg offenbar schon deshalb kein größeres Problem, weil, wie Therese schrieb „die Natur sie wohl nicht zu Mann und Frau bestimmt“ hat.

Forster, geboren bei Danzig als Nachfahre schottischer Exilanten, Europäer von Geburt und Neigung, nun in Deutschland geächtet, kehrt nach dem Abzug der Franzosen nicht mehr zurück. Er stirbt, noch keine vierzig Jahre alt, 1794 an einer Lungenentzündung in Paris. Er wäre gern als französischer Forscher auf große Fahrt gegangen.

Der Seelenverwandte

Reich wurde Forster nicht. Im Dessauer Fürsten fand er einen Sponsor. Der stellte Forsters Reiseraritäten in seinem Südseepavillon aus. Anfang Mai wurde im Wörlitzer Schloss, dessen Park zum UNESCO-Welterbe zählt, die erste gesamtdeutsche Forster-Dauerausstellung eröffnet. Kurator: Frank Vorpahl.

Er fühlt sich als Seelenverwandter Forsters. Von der unbändigen Neugier bis zur sexuellen Orientierung. Mit seinem Vorbild teilt er den lakonischen Blick auf die Welt. Und manches Abenteuer. Der alte Forster geht auf der Suche nach dem ominösen, nicht existierenden Südland auf einem winzigen Beiboot im Nebel der eisigen Polarsee beinahe verloren – der Schwimmer Vorpahl entkommt mit Müh und Not einer Meeresströmung. Der junge Forster beschließt die Episode über den nicht sonderlich geliebten, ständig mit Cook im Clinch liegenden Vater mit der trockenen Bemerkung, dem Geretteten seien die “feuchten Betten in der baufälligen Cajütten“ nun noch einmal so viel Wert gewesen als zuvor. Vorpahl, noch einmal davongekommen, findet, nachdem er seine Notlage eindringlich beschrieben hat, ebenso nüchtern: „Solche Situationen waren mir aus Georg Forsters Reisebericht vertraut.“

Autor Frank Vorpahl auf der Suche nach Whai-Urua, Georg Forsters erstem Anblick der Insel Tahiti im Morgengrauen des 16. August 1773.

Das ist die Manier des größten lebenden Reiseschriftstellers Paul Theroux, der vor dreißig Jahren mit einem Paddelboot bayerischer Herstellung die Archipele der Südsee erkundete für seinen Weltbestseller „Die glücklichen Inseln Ozeaniens“.  Der Titel ist reine Häme, das Buch nimmt dem Leser jede romantische Illusion. Das gelingt auch Vorpahl. Der Zauber seines Werks kommt ganz aus der Begeisterung für Forster.

In seinem Buch, das sich streckenweise liest wie ein Roman, begegnen wir nicht nur den Forsters und dem großen Seefahrer Cook. Plötzlich stehen wir auch vor William Bligh. Auch er ist an Bord, ahnt noch nicht, einmal als Kapitän der Bounty weltberühmt zu werden. Zur Meuterei ist es gekommen – so jedenfalls pflanzt Hollywood es uns ins Hirn – weil er das spärliche Süßwasser an Bord mit den  Brotfruchtpflanzen im Laderaum teilt. Vorpahl lernt William Blighs Nachfahren Maurice kennen, und der Brotfrucht gilt auch sein besonderes Interesse. Forster hat sie gezeichnet, beschrieben. Dort, wo sie herkommt, wird sie kaum noch geschätzt, da ihre Zubereitung, einer schwarzen, gummiartigen Haut wegen, mühsam ist. Vorpahl schätzt die Brotfrucht als „die wichtigste Kulturleistung der Polynesier, Ergebnis von mehr als 2000 Jahren Züchtung, Dreh- und Angelpunkt der Besiedlung der unendlichen Weiten des Pazifiks, der Nabel der pazifischen Welt.“ Er sieht, nur halb ironisch, seinen größten Verdienst übrigens darin, mit Brotfrucht in der Küche experimentiert und eine mühelose Zubereitungsart in der Mikrowelle entdeckt zu haben. Der Renaissance der nahrhaften Pflanze stehe nun ja nichts mehr im Wege.

Forsters Reisebericht ist einzigartig, weil er die Inseln der Südsee als erster und letzter Europäer im ursprünglichen, noch nicht „korrumpierten“ Zustand erkundet. Vorpahl beschwört dieses Erlebnis herauf, als sei es erst gestern geschehen. Dabei versteht er, so zu erzählen, dass die Abenteuer des Georg Forster und die Fahrten des Frank Vorpahl nahtlos ineinander übergehen.

Auf den Spuren früherer Entdecker sitzen wir vor unseren Bildschirmen ohne den Hintern zu bewegen. Ein Buch von der Klasse Frank Vorpahls, das der eigenen Phantasie Räume lässt und zugleich an Anschaulichkeit jedem Film überlegen ist, ist jedoch die bessere Alternative.

Es erzeugt unbändige Reiselust. Ich, der Leser, will jetzt auch dorthin, unbedingt, auf Georg Forsters Spuren, nach Numea auf Neukaledonien, nach Tahuatas im Archipel der Marquesas, nach Tautira auf einer der Gesellschaftsinseln.


Frank Vorpahl, Der Welterkunder. Auf der Suche nach Georg Forster.
Galiani-Berlin, Leinenband mit vielen Abbildungen, 544 Seiten, 32,00 €.

Empfohlen von Tichys Einblick – erhältlich im Tichys Einblick Shop ˃˃˃

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