„Wir leben in einer globalisierten Welt, haben sie aber noch nicht völlig verstanden, haben nicht gelernt, wie wir alle darin gut leben können“, schreibt Michail Gorbatschow im Vorwort seines neuen Buches, das sich als sein politisches Vermächtnis verstehen lässt.
In seinem vorherigen, 2015 erschienen Buch „Das neue Russland“ rechnete Gorbatschow noch unverblümt mit Putin ab. Dieser zerstöre, so schrieb er damals, um seiner eigenen Macht willen die Errungenschaften der Perestroika in Russland und errichte ein System ohne Zukunft. Gorbatschow forderte deshalb ein neues politisches System für Russland, und machte sich damit im Kreml alles andere als beliebt.
Nun legt der letzte Generalsekretär der KPdSU in seinem neuen Buch eine 180-Grad-Wende an den Tag. Mit Kritik an Putin hält er sich diesmal völlig zurück. Mehr noch: Die Linie des neuen Werkes deckt sich fast völlig mit der des Kremls. Selbst für die Annexion der Krim oder Russlands Aggression in der Ostukraine findet Gorbatschow kein kritisches Wort.
Deutlicher kann mit der Legende nicht aufgeräumt werden. Gorbatschow führt auch aus, wie es zu der Legendenbildung kam: „Gleichzeitig wurde ein Vorrücken der militärischen Infrastruktur und der Nato-Truppen nach Osten vertraglich ausgeschlossen, wodurch das Gebiet der ehemaligen DDR entmilitarisiert und die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland erheblich reduziert wurden.“ Damit stellt er klar: Die Nicht-Erweiterungs-Vereinbarung bezog sich ausschließlich auf militärische Infastruktur und auf NATO-Truppen im damaligen Beitrittsgebiet.
Dies sind aber auch die einzigen Passagen in dem Buch, in denen Gorbatschows Darstellung im Kreml nicht auf Sympathie stoßen dürfte. Im Restlichen ist das gesamte Buch eine Abrechnung mit dem Westen, der nach Gorbatschows Darstellung Russland verraten hat. So sei zwar eine Ausbreitung der NATO damals nicht vertraglich ausgeschlossen worden, sie verstoße aber gegen den Geist der Vereinbarungen, klagt der Ex-Generalsekretär. Dass Moskau mit seiner aggressiven, polternden Politik, mit seinen ständigen Abstrichen an der Souveränität seiner Nachbarn diese regelrecht in die NATO trieb, blendet Gorbatschow aus.
Das ist die rote Linie, die sich durch das gesamte kurze Buch zieht: So extrem kritisch der 88-Jährige das Vorgehen der NATO sieht, so unkritisch ist er gegenüber der russischen Politik. Putin wird in dem Werk als Lichtfigur und beinahe Unschuld vom Lande dargestellt, dem an nichts mehr gelegen wäre als an guter Partnerschaft mit dem Westen – die aber vor allem am Hegemoniestreben der USA scheiterte.
Gorbatschow stellt das Ende der Sowjetunion in dem Buch weniger als eine Folge von Misswirtschaft und der katastrophalen Zustände im eigenen Land dar – sondern eher als freiwilligen Schritt des Kreml in Richtung Frieden, den dann der Westen verraten habe. Dass sein Land de facto pleite war und völlig abgewirtschaftet hatte, lässt der Konkursverwalter der Sowjetunion unter den Tisch fallen und tischt nun selbst jene sowjetische Version der Dolchstoßlegende auf, die im Kreml und den von ihm gesteuerten Medien so beliebt ist: Die große und stolze UdSSR, die aus freien Stücken den kalten Krieg beendete und dem Westen die Hand ausstreckte – worauf dieser Moskau dann den Dolch in den Rücken stieß.
Das hat etwas Tragikomisches: Ist Gorbatschow im eigenen Land doch vor allem deshalb einer der unbeliebtesten, ja verhasstesten Politiker und als Verräter verpönt, weil ihm genau das unterstellt wird – eine voll funktionsfähige Sowjetunion quasi aufgegeben und an den Westen „verkauft“ zu haben. Dass Gorbatschow nun selbst mit seiner neuen Darstellung voll auf Kreml-Linie einschwenkt und genau dieser Sichtweise, mit der er diskreditiert wird, Nahrung gibt, ist nur als peinlicher Kotau vor Präsident Putin zu erklären.
Gorbatschow widerspricht sich dabei in dem Buch teilweise selbst. Etwa, wenn er dem Westen vorwirft, man würde dort Moskau zu Unrecht unterstellen, dass es sich in die Belange seiner Nachbarländer einmische und deren Souveränität nicht anerkenne. Und dann später genau dies selbst unterstreicht, wenn er sich echauffiert, dass der Westen bei seiner Ukraine-Politik keine ausreichende Rücksprache mit Moskau gehalten und dessen Interessen nicht berücksichtigt hat.
Interessant ist auch, wie stark Gorbatschow seinen Schwerpunkt auf eine Abschaffung von Atomwaffen und den Umwelt- und insbesondere Klimaschutz legt. Dies sind nicht nur grüne Themen – sondern auch solche, die nach Angaben von KGB- bzw. Ostblock-Überläufern wie Juri Besmenow (siehe hier oder auf Englisch hier) oder Ion Pacepa (siehe hier) wichtige (Langzeit-)Strategien waren, mit denen KGB-Chef Andropow den Westen langfristig von innen zersetzen wollte, und dabei, wie es heute scheint, durchaus erfolgreich war. Interessant (und weitgehend vergessen) in diesem Zusammenhang ist, dass Gorbatschow der politische Ziehsohn des früheren KGB-Chefs und späteren Generalsekretärs war. Den 1982 verstorbenen Andropow hätte das neue Buch Gorbatschows sicher erfreut.
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