Tichys Einblick
Rackete gegen „das System“

Neues Buch vom „Kapitän“ der „Sea Watch“

Europas bekannteste Schlepperin hat ein Buch geschrieben. Inhaltlich ist es nicht der Rede wert. Zwischen den Zeilen offenbart es ein Milieu, das viel lieber fühlt als denkt und das dafür Marktwirtschaft wie Demokratie gleichermaßen verachtet.

Carsten Koall/Getty Images

„Das System in Frage stellen.“
(Carola Rackete, nach eigenen Angaben „Naturschutzökologin“)

Um das vorab klarzustellen: Ich bin dafür, jedes Schiff in Seenot und jeden Schiffbrüchigen zu retten. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Betreffende den Zustand selbst absichtlich herbeigeführt hat: Wir retten schließlich auch Menschen nach Selbstmordversuchen und weisen sie in der Notaufnahme nicht mit dem (zutreffenden) Hinweis ab, sie seien ja selbst schuld. Dabei folgen wir einer bestimmten humanistischen Moral- und Ethikvorstellung.

Die wird nicht von jedem geteilt: Es gibt in der philosophischen, juristischen, medizinischen und selbst religionswissenschaftlichen Literatur dazu wohlbegründete Gegenpositionen. Die kenne ich, ich respektiere sie, aber ich teile sie nicht: Ich bin für Rettung, unbedingt. Für Schiffbrüchige heißt das: Man zieht sie aus dem Wasser und versorgt sie.

Was danach passiert, ist eine ganz andere Frage.

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Carola Rackete, 31, hat ein Buch geschrieben: „Handeln statt Hoffen“, der Untertitel lautet „Aufruf an die letzte Generation“. Man muss nicht sonderlich konservativ sein, um das ziemlich dick aufgetragen zu finden – aber darunter tut Rackete es nun mal nicht. Ihre heimliche Co-Autorin Ann-Kathrin Schwarz hat sich den Künstlernamen „Anne Weiss“ gegeben und lebt nach eigenen Angaben „minimalistisch, vegan und nachhaltig“: Das beschreibt auch gleich ganz gut den Esprit und das Sprachniveau des Buches sowie das Ausmaß an Lesevergnügen. Der leicht prätentiöse Buchtitel steht in etwas irritierendem Gegensatz zum schwer ernüchternden Buchinhalt.

Rackete zitiert viel, setzt sich aber wenig bis gar nicht mit anderen als den eigenen Gedanken auseinander. Man erfährt sehr viel über ihren eigenen gefühligen Blick auf die Welt – und sehr wenig darüber, weshalb ausgerechnet ihre Ideen die Welt zu einem besseren Ort machen sollten. Das liegt vor allem daran, dass sie kaum ausgereiftere Ideen äußert als die Abschaffung von Marktwirtschaft („Konsum und Wachstum“ heißt das bei ihr) und die Abschaffung von Demokratie (die konsequent nur als „ziviler Gehorsam“ bezeichnet bzw. verunglimpft wird). „Klimakatastrophe“ und „soziale Ungleichheit“ verwachsen bei ihr sprachlich zu einer Art symbiotischer Lebensform: Das Eine kommt nicht ohne das Andere vor, letztlich verschwimmen die Grenzen so sehr, dass das Eine in das Andere übergeht: Die Lösung der Klimaprobleme und die Abschaffung des Kapitalismus sind schlussendlich dasselbe. Ach ja, moderiert wird die Buchvorstellung von Nadja Charaby von der (Überraschung!) Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Das Ganze wäre keinen Artikel wert – wäre da nicht der Auftritt von Carola Rackete.

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Denn die Frau ist ein lebendes Beispiel für das Komplettversagen unseres Bildungssystems.

Das fängt an mit dem völligen Missverständnis von „Wissenschaft“. Jeder Mensch, der in Deutschland das Abitur besteht, sollte wissen, dass Wissenschaft weder ewige Wahrheiten produzieren soll noch kann. Tatsächlich stimmt das Gegenteil: Echte Wissenschaft erzeugt ausschließlich Erkenntnisse, die immerzu falsifiziert, also widerlegt werden. Wissenschaft besteht gerade darin, immer wieder neue Erkenntnisse zu gewinnen – und sie nach einiger Zeit als veraltet wieder zu verwerfen.

Rackete dagegen scheint tatsächlich zu glauben, dass Wissenschaft ein linearer Weg zur Wahrheit ist. Wegen dieses Missverständnisses (Ungnädige mögen es auch Irrglauben nennen) berufen sich Rackete und Greta und all die anderen auch dauernd darauf, „die“ Wissenschaft sei „sich einig“. Das ist sie natürlich nicht, sie kann es nicht sein: Für echte Wissenschaft darf es gar keine Einigkeit geben. Entgegen dem, was unseriöse Kanzlerinnen fortwährend in die Welt blasen, ist eine Idee eben niemals alternativlos. Im Gegenteil: Die Wissenschaft wie auch die Demokratie leben von den Alternativen.

Rackete & Co. dagegen verabsolutieren bestimmte, per definitionem immer nur temporäre wissenschaftliche Erkenntnisse und machen daraus „die Wahrheit“. Die eine Wahrheit, das weiß jeder anständige religiöse Fanatiker, duldet keinen Zweifel und keinen Widerspruch. Entsprechend ignorieren Rackete & Co. andere Erkenntnisse, andere Meinungen sowieso. Das Abweichende wird bekämpft – und wenn es droht, sich wegen lästiger demokratischer Mehrheitsprozesse auch noch durchzusetzen, wird kurzerhand die Demokratie für dysfunktional erklärt.

Oder anders: Die Unterstützung demokratischer Prozesse wird in dem Augenblick zurückgezogen, wenn sich zeigt, dass die demokratischen Prozesse keineswegs immer zu den gewünschten Ergebnissen führen. Das Mehrheitsprinzip wird nur so lange akzeptiert, wie man selbst zur Mehrheit gehört.

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Folgerichtig schlägt Rackete eine Demokratie vor, in der nicht gewählt, sondern gelost wird.

Das war jetzt kein Witz. Carola Rackete will Parlamente nicht mehr wählen, sondern auslosen – denn derzeit würden die Parlamente wegen der Lobbytätigkeit der Großkonzerne systematisch Politik gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit machen. Als Vorbild nennt sie das antike Griechenland, die „Wiege der Demokratie“. Tatsächlich gab es im alten Athen eine Zeit lang Stadtversammlungen, deren Mitglieder per Los bestimmt wurden. In Übereinstimmung mit ihrem allgemeinen Bildungsverständnis lässt Rackete dabei aber ein paar Kleinigkeiten weg.

Diese kurze Erörterung könnte außerhalb des Berliner Schulwesens ein Neuntklässler vornehmen, und er würde entsprechend vielleicht auch auf die Idee kommen, das Verfahren aus Attika sei für eine heutige Demokratie im viertgrößten Industriestaat der Welt womöglich unbrauchbar. Neunte Klasse, vielleicht auch schon achte. Man würde zu gerne bei der Jade-Hochschule in Elsfleth anfragen, wie dort jemand auf dem intellektuellen Niveau von Carola Rackete einen Bachelor (in Nautik) machen konnte.

Andererseits ist das bezeichnend nicht nur für Racketes Generation, sondern unabhängig vom Lebensalter für das ganze Milieu, das sie repräsentiert. Denn da geht es nicht ums Denken: Es geht ums Fühlen.

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„Für alle Opfer des zivilen Gehorsams.“

Die absurd überhöhte Widmung, die Rackete ihrem furchtbar drögen Buch voranstellt, ist entlarvend: Nicht zufällig klingt sie wie das Motto eines ausschließlich um sich selbst und die eigenen Meinungen kreisenden, alles Abweichende verabscheuenden und von sich selbst zu Tränen gerührten Milieus.

In diesem Milieu hat die Generation von Carola Rackete ein Wort deutlich zu selten gehört: „Nein“.

Die Racketes dieser Welt sind offenkundig von unfähigen 68er-Eltern nie dem notwendigen Schmerz ausgesetzt worden, der entsteht, wenn eigene Wünsche nicht erfüllt werden, weil andere Menschen andere, konkurrierende Wünsche haben – kurz: Sie haben nie das eigentliche Wesen des Sozialen, nie das Konzept des friedlichen Interessenausgleichs, nie die Bedeutung des Mehrheitsprinzips wirklich gelernt. Sie haben nie gelernt, andere Meinungen zu respektieren, zu akzeptieren und damit umzugehen.

Wie bei Tinder wischt das Rackete-Milieu nicht genehme Ansichten einfach weg – und die dazugehörigen Menschen gleich mit. Im Ergebnis entsteht eine Umgebung, in der nur noch die eigene Meinung vertreten ist. Prallt man dann außerhalb der Blase aber doch irgendwo auf andere Ansichten, ist man völlig unfähig, mit deren Trägern einen friedlichen Interessenausgleich herzustellen. Die eigenen Positionen werden verabsolutiert – so sehr, dass man demokratische Prozesse ablehnt (weil die natürlich immer auch dazu führen könnten, dass andere als die eigenen Interessen eine Mehrheit finden).

Dank der Herkunft ist man wohlhabend genug, um sich die Verachtung des Wohlstands (und derer, die ihn erarbeiten) leisten zu können. Dank der fehlgeschlagenen Bildung ist man ignorant genug, um sich die Verachtung echten kritischen Denkens erlauben zu können. Dank der Opfer, die frühere Generationen gebracht haben, ist man behütet genug, um sich die Verachtung der Demokratie anmaßen zu können.

Und wenn man italienische Gesetze bricht, weil sie nicht zu den eigenen Zielen passen, wird man von anderen genauso wohlhabenden und pseudo-gebildeten und überbehüteten Insassen desselben Milieus in Deutschland dann auch noch als neue Heldin bejubelt. Halleluja.

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Derart besoffen vom eigenen Gutsein, biegt man die eigenen Handlungen argumentativ dann so zurecht, dass man in naiver Selbstgerechtigkeit und im Brustton der Überzeugung von der eigenen moralischen Überlegenheit davon erzählen kann – Widerspruch unzulässig, Widerstand zwecklos, denn man ist (analog zu den Blues Brothers) im Auftrag der Wahrheit unterwegs. So lässt sich auch prima jede Kritik am eigenen Tun als „unmenschlich“ oder „anti-humanistisch“ diffamieren. Carola Rackete rettet schließlich Menschenleben im Mittelmeer, Kritik daran ist doch obszön.

Das einzig Obszöne ist in Wahrheit die Verlogenheit dieser Argumente.

Das Seerecht ist in diesem Punkt ganz einfach. Verkürzt gesagt (aber nicht verfälscht), steht da: Man muss Schiffbrüchige bergen, versorgen und in einen sicheren Hafen bringen. Carola Rackete hat geborgen und versorgt – dafür verdient sie keine Anfeindung, sondern Lob und Dankbarkeit. Wer (zum Beispiel, um einen gewissen pädagogischen Effekt auf Schlepper zu erzielen) Menschen lieber ertrinken lassen würde, wird das anders sehen. Ich sehe es nun einmal so.

Aber Rackete besteht dann auch darauf, selbst (und selbstherrlich) zu entscheiden, was ein „sicherer Hafen“ ist. Für sie gibt es einen solchen grundsätzlich ausschließlich an den nördlichen Mittelmeerküsten, also in Europa. Die geretteten Schiffbrüchigen dahin zurückzubringen, wo sie hergekommen waren (zum Beispiel in libysche Häfen), lehnt Frau Kapitän kategorisch ab – obwohl das problem- und gefahrlos möglich wäre und sie teilweise sogar dazu aufgefordert wurde.

Genau in diesem Moment wird aus der Retterin eine Schlepperin.

Rackete rechtfertigt das trotzig, ja geradezu aggressiv: Die Zustände in Libyen seien erbärmlich. Den Menschen, die von dort flüchten, müsse geholfen werden. Man dürfe (!) sie nicht zurück nach Afrika bringen, sondern müsse (!!) ihnen ein Leben in Europa ermöglichen.

Die Zustände sind tatsächlich erbärmlich. Aber das Seerecht spricht von akuter Rettung, nicht von dauerhafter Umsiedlung. Rackete exekutiert in Wirklichkeit einen paternalistischen Moralimperialismus, der Menschen aus anderen Erdregionen grundsätzlich zu hilfsbedürftigen Opfern erklärt. Sie negiert damit sowohl die Eigenverantwortung der Flüchtlinge (für ihr Leben und auch ihre Herkunftsländer) als auch die Selbstbestimmung der Menschen in den Zufluchtsländern (die für sich unverschämterweise das Recht in Anspruch nehmen, selbst bestimmen zu wollen, mit wem sie leben – und mit wem nicht).

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Fast hat man den Eindruck, da suche eine wohlstandsverwahrloste, qua Herkunft den Niederungen der Erwerbsarbeit entrückte Frau nach einem Lebenssinn – und finde ihn in der Wohltätigkeit. Wohltätigkeit braucht bekanntlich Bedürftige. Bedürftige würde man zwar auch in Deutschland finden, aber mit Heimat und so Gedöns können bestimmte Milieus ja nichts anfangen. Also keine westfälischen Obdachlosen in Münster, sondern afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer.

Es ist ein selbstsüchtiges Konzept von Hilfe. Wenn so die ganze Generation ist, dann ist es nicht die letzte Generation – sondern dann ist diese Generation das Letzte.

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