Wie hängt das Gefühl von Neid mit der Unterstützung der Forderung nach Umverteilung in der Gesellschaft zusammen? Um Antworten auf diese Frage zu finden, führte ein Forscherteam 13 Studien mit 6.024 Teilnehmern in den USA, Großbritannien, Indien und Israel durch.
Die Zustimmung zur Umverteilung wurde durch Aussagen wie diese gemessen: »Wohlstand sollte den Reichen genommen und den Armen gegeben werden.« (Skala von 1–7). Oder auch: »Die Regierung gibt zu viel Geld für die Arbeitslosen aus.« (reversed 1–7). Mitgefühl wurde gemessen mit Aussagen wie: »Ich leide mit anderen mit« oder »Ich mag weichherzige Menschen nicht besonders.« Neid wurde mit Aussagen gemessen wie: »Ich verspüre jeden Tag Neid« und »Es ist so frustrierend zu sehen, wie der Erfolg manchen Leuten in den Schoß fällt«.
Der erwartete persönliche Vorteil von Umverteilung wurde durch folgende Frage gemessen: »Stellen Sie sich vor, die Politik würde höhere Steuern für die Reichen beschließen. Welche Auswirkungen hätte es nach Ihrer Meinung auf Sie, wenn Reiche höhere Steuern zahlen müssten?« Auf einer Skala von 1 bis 5 konnten die Befragten angeben: »Meine eigene wirtschaftliche Situation würde sich signifikant verschlechtern – verbessern.«
Es wurden zwei Szenarien als Folge höherer Steuern alternativ dargestellt:
a) Die Reichen (definiert als das eine Prozent der vermögendsten Personen) zahlen zehn Prozent mehr Steuern. Die Armen bekommen entsprechend mehr Geld, das sind in diesem Fall 200 Millionen Dollar.
b) Die Reichen zahlen 50 Prozent mehr Steuern, aber die Armen bekommen statt 200 Millionen nur 100 Millionen mehr Geld. (Um dies für die Befragten zu plausibilisieren, wurde erklärt, dass die Reichen mehr verdienten, als die Steuersätze niedriger waren, sodass mehr Steuern generiert wurden, die dann an die Armen umverteilt werden konnten).
Die Zustimmung zur Verfahrensgerechtigkeit wurde gemessen mit Aussagen wie: »Das Gesetz sollte für alle gleich gelten.« Oder: »Mich würde es nicht sonderlich stören, wenn für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Regeln gelten«.
Die Zustimmung zur Verteilungsgerechtigkeit wurde gemessen, indem sieben Entscheidungsfragen gestellt wurden, wie eine bestimmte Summe unter Individuen und Gruppen verteilt werden sollte. Es differierten sowohl die Summe als auch die Art der Verteilung.
Die Untersuchungen in allen vier Ländern ergaben, dass Fairness-Vorstellungen nur geringe oder gar keine messbaren Auswirkungen auf die Befürwortung von Umverteilung hatten. Dies trifft für beide Fairness-Varianten (gleichmäßige Verteilung oder gleiche Regeln für alle) zu. Das Alter hatte ebenfalls in keiner der Länderstudien Auswirkungen auf die Zustimmung zur Umverteilung. Das Geschlecht hatte in den USA und Großbritannien stärkere Auswirkungen – Frauen in diesen Ländern waren eher gegen Umverteilung als Männer.
Der sozioökonomische Status der Befragten hatte nur in Großbritannien einen (negativen) Effekt auf die Befürwortung von Umverteilung, in den anderen drei Ländern nicht. In den USA hatte die Parteipräferenz einen Einfluss – Demokraten unterstützten erwartungsgemäß eher Umverteilung als die Republikaner. Die drei Faktoren Mitgefühl, Neid und Eigeninteresse hatten indes messbare Auswirkungen auf die Zustimmung zur Umverteilung, und zwar jeder einzelne Faktor unabhängig voneinander. 14 bis 18 Prozent der Befragten gingen sogar so weit, dass sie für eine Umverteilung durch sehr hohe Besteuerung der Reichen (50 Prozent mehr) auch dann eintraten, wenn im Ergebnis die Armen weniger (nämlich nur die Hälfte) bekommen würden als bei einer moderaten Steuererhöhung (zehn Prozent mehr).
Ein weiteres Ergebnis: Je neidischer die Befragten sind, desto stärker präferierten sie bei den Befragungen in den USA, Großbritannien und Indien das die Reichen schädigende Szenario. Die Analyse zeigte, dass das Ausmaß des Mitgefühls die Bereitschaft erklärte (durch eigene Spenden), den Armen zu helfen, während das Ausmaß des Neides keine Auswirkungen auf die Hilfsbereitschaft hatte. Umgekehrt war Neid – aber nicht Mitgefühl – der Grund, warum jemand für eine hohe Besteuerung der Reichen selbst dann eintrat, wenn dies für die Armen nachteilig ist: »Neid, nicht Mitgefühl, bestimmt den Wunsch, die Reichen zu besteuern, sogar dann, wenn das auch für die Armen teuer wird.«
Neid schadet auch dem Neider selbst. Darauf weisen Fiske und andere Forscher hin. Denn der Neidische, der dazu neigt, die von ihm beneideten Mächtigen und Reichen für alle Übel auf der Welt verantwortlich zu machen, unterminiert damit sein Gefühl der Kontrolle über die eigenen Lebensumstände und dies führt nachgewiesenermaßen zu Krankheiten. Neidische können, wenn ihr Neid stark ausgeprägt ist, möglicherweise Nachteile für sich selbst in Kauf nehmen, wenn durch bestimmte Handlungen dem Beneideten Schaden zugefügt wird. Und das, wonach sich Menschen aus unteren Schichten besonders stark sehnen, nämlich Respekt, wird gerade durch die Dynamik der Ressentiments gegen »die da oben« gefährdet. »Neid frisst den Neidischen«, so bringt Fiske es auf den Punkt.
Die oben zitierte Untersuchung aus Australien belegte empirisch, dass Neid schädlich für die Gesundheit ist. Eine Schwäche der Untersuchung ist zwar, dass nur jene als neidisch gewertet wurden, die sich selbst so bezeichnen (siehe dazu weiter oben), aber zumindest bei diesen Personen zeigte sich klar, dass sie weniger gesund sind als Personen, die weniger neidisch sind. Als Maßstab dafür wurde genommen, wie die als neidisch und weniger neidisch eingestuften Personen die Fragen des »SF-36 Mental Health Index« beantworteten. Zudem wurden auch Fragen zur allgemeinen Lebenszufriedenheit (»Alles in allem, wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Leben?«) gestellt. Das Ergebnis war, »dass Veränderungen im berichteten Neid sowohl in einem substanziellen als auch in einem statistisch signifikanten Sinne im umgekehrten Verhältnis mit einer veränderten Zufriedenheit des Menschen mit seinem Leben korrelieren.« Und: »Je größer der Neid heute, desto geringer ist daher das mentale Wohlbefinden morgen.«
Führt mehr Gleichheit zu weniger Neid?
Neid kann durch Umverteilung und mehr »soziale Gerechtigkeit« nicht reduziert werden – diese Erkenntnis betont Schoeck immer wieder. Schon ein altes Sprichwort sage: »Je mehr man dem Neidhart Gutes tut, desto schlimmer wird er.« Diese Beobachtung sei wichtig, weil sie immer wieder bestätigt worden sei. Je mehr man dem Neider durch Geschenke und Wohltaten den vermeintlichen Grund zum Neid nehmen wolle, desto mehr zeige man ihm ja, wie überlegen man sei, wie wenig man das entbehre, was man ihm gibt. »Wenn der Prozess des Neidens einmal angelaufen ist, biegt sich der Neider die von ihm erlebte Wirklichkeit in der Einbildung sogar schon im Wahrnehmungsakt immer so zurecht, dass er nie ohne Grund für den Neid bleibt.«
Dies habe sich in modernen Gesellschaften geändert. »So wie die Gesellschaft für alle Individuen zunächst weit offensteht, so können am Ende nur einige wenige die Spitzenplätze einer Gesellschaft einnehmen. Es wird also zwangsläufig viele Menschen geben, die in diesem Rahmen entweder leer ausgehen und unter Arbeits- und Erfolglosigkeit leiden oder aber mit beruflichen Rangplätzen vorliebnehmen müssen, die unterhalb ihres Niveaus an Fähigkeiten und Fertigkeiten bleiben. Auch in diesem Spiel gibt es Gewinner und Verlierer. Angesichts ihres ›Schicksals‹ werden die Verlierer Neid und Ressentiments gegenüber den ›beati possidentes‹ entwickeln, wie sehr auch deren Berufs- und Lebenserfolg nach dem Ideal der Meritokratie auf Anhieb gerechtfertigt zu sein scheint. Ja, vielleicht schürt erst das Faktum legitimierter Ungleichheit das Ressentiment, weil zu dem Groll noch die Wahrnehmung eigener Ohnmacht tritt.«
Der paradoxe Befund liege auf der Hand: Im Rahmen einer Kultur der Ungleichheit werden Neid und Ressentiments klein bleiben, weil sie sich ja allenfalls auf die je eigenen Kreise und ihre sozialen Unterschiede beziehen. »In einer Kultur der Gleichheit indes, die allen scheinbar alles verspricht (als Ideal), jedoch nur einigen wenigen den Berufs- und Lebensweg eröffnen kann (als Realität), wird auch der Raum für Neid, Missgunst und Ressentiment weit geöffnet. Grenzenlose Gleichheit als (leeres) Versprechen entgrenzt auch die giftigen Gefühle.«
Am lautesten rufe der Mensch nach Neuverteilung, wenn es fast nichts mehr zu verteilen gebe. Der moderne Wohlfahrtsstaat sei daher besonders anfällig für Neidgefühle, so Müller: »Gesellschaften dagegen, die den Sozialstaat als zentrale Agentur zur Verteilung von Lebenschancen inthronisiert haben, bekommen bei Versagen die spiegelbildliche Quittung in Gestalt von Kausal- und Schuldattribution zu spüren. An die Stelle von ›self-blame‹ tritt ›system-blame‹: Nicht man selbst ist schuld am Misserfolg, sondern ›Vater Staat‹ oder ›die Gesellschaft‹ sind schuld, wenn man die Rechnung aufmacht, was ich wollte und was aus mir wurde.«
Auszug – mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag – aus:
Rainer Zitelmann, Die Gesellschaft und ihre Reichen. Vorurteile über eine beneidete Minderheit. FinanzBuch Verlag, 464 Seiten, 34,99 €.
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