Animal Farm, 1943 geschrieben, war für die meisten von uns Schullektüre. In Märchenform beschreibt George Orwell darin die Entstehung einer repressiv-autoritären Gesellschaft. Da man wusste, dass es hier um die Sowjetunion geht, konnte man als Schüler die Lektüre entspannt genießen. In der Bundesrepublik war man ja meilenweit von solchen Umständen entfernt und konnte sich die Moral der Geschichte für zukünftige Machtergreifungen aufheben. Helmut Kohl war ja auch noch im Amt – und hatte seine Vorliebe für FDJ-Nachwuchs noch nicht entdeckt.
Die momentane gesellschaftliche Entwicklung zeigt, dass die universelle Botschaft dieses Märchens nicht verstanden wurde. Kaum jemand bemerkt, dass wir gerade dabei sind, uns eine neue Farm der Tiere aufzubauen. Dem Umstand, dass Orwells Werke vor Kurzem gemeinfrei wurden – also nicht länger urheberrechtlich geschützt sind – verdanken wir aber eine Fülle von Neuausgaben, darunter die im Manesse Verlag erschienene, besonders schön ausgestattete und sorgfältig edierte Neuübersetzung von Ulrich Blumenbach, die das hoffentlich ändern werden.
Orwell warnt in Farm der Tiere dezidiert vor einer linken Revolution. Dass diese Warnung nicht gleich im ‚Kampf gegen rechts‘ entsorgt, also weder abgetan noch ‚gecancelt‘ werden kann, verdanken wir der Tatsache, dass Orwell selbst links stand. Er war Zeit seines Lebens Sozialist, wie viele der damaligen englischen Intellektuellen. Die Erfahrung einer rigiden Klassengesellschaft hatte auch ihn auf die Seite der Gleichheitsverfechter getrieben. Und er war sogar ein Held, der im Spanischen Bürgerkrieg an der Seite kommunistischer Guerillatruppen sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte.
Die Bolschewiken hatten nicht nur als Alliierte einen Sympathiebonus. Ihre Ideale waren generell en vogue. Wer in London, New York oder Berlin wirklich hip sein wollte, war eben links. Deshalb gestaltete sich die Suche nach einem Verleger für Orwell äußerst schwierig. Er kritisierte die falsche Seite. Die offensichtlich sowjetkritische Farm der Tiere war ebenso wenig „hilfreich“ wie heute ein Buch von Thilo Sarrazin. Besonderen Anstoß erregte die Tatsache, dass die Machthaber auf der Farm ausgerechnet als Schweine dargestellt wurden.
Dabei ging es Orwell gar nicht darum, den Sozialismus oder linke Utopien an sich zu kritisieren – diese werden ja bis auf den heutigen Tag, besonders im englischen Erziehungssystem, geradezu liebevoll gepflegt. Wahrscheinlich war auch ihm gar nicht bewusst, wie sozialistischer Ehrgeiz, zu Ende gedacht, zwangsläufig in Repression und Freiheitsverlust führt. Ihm fehlte ja auch, im Gegensatz zu den heutigen Akteuren, noch die Anschauung Chinas, Kambodschas oder Nordkoreas.
Dennoch beschäftigte ihn, wie auch eine nominell liberale Gesellschaft im Angesicht vermeintlich höherer moralischer Ziele autoritär werden kann. Er beschreibt dies eindringlich in seinem Vorwort, das in die vorliegende Neuausgabe klugerweise – und wie ursprünglich von Orwell intendiert – unter dem bezeichnenden Titel “Die Pressefreiheit“ wieder aufgenommen worden ist. Gegenstand sind eben diese seine Erfahrungen bei der Verlegersuche. Obwohl bekannt war, welche Art von System sich in der Sowjetunion entwickelt hatte, entschied man sich in England, dies entweder nicht zu glauben oder zu ignorieren. Kritische Stimmen wurden aufs schärfste angegriffen, Autoren diffamiert und schon damals „gecancelt“. Der liberale Grundsatz der Meinungsfreiheit wurde leichtfertig über Bord geworfen, wenn der Zweck nur heilig genug zu sein schien. Damals: das Hohelied des Sozialismus. Heute: die Integration Europas, die Vorteile der Migration und die Notwendigkeit extremer klimarettender Maßnahmen.
Unter dem Dauerfeuer der täglichen Propaganda fällt es nicht leicht, diese Mechanismen zu erkennen. In der Fabel hingegen erscheint das große Projekt klar und deutlich. Die Schimäre der „‚Gleichheit‘“, erst Europas, dann die der ganzen Welt. Klaus Schwabs Glücksvision der Besitzlosigkeit für alle – doch unter Beibehaltung seines eigenen „unerlässlichen Dienstsitzes“ am Genfer See …
Wir erleben auch heute, dass sich die Parolen aus Orwells Fabel „VIER BEINE GUT, ZWEI BEINE SCHLECHT“ und „ALLE TIERE SIND GLEICH, ABER MANCHE SIND GLEICHER ALS ANDERE“ durchsetzen, verbunden mit nahezu zwangsläufiger Verunglimpfung aller, die nicht mitmachen wollen: der Dissidenten, der vermeintlich „Unvernünftigen“, die, ähnlich wie damals in der Sowjetunion, der großen Utopie im Wege stehen.
Im Pferd Boxer und im Ferkel Petzwutz erleben wir Propagandisten und Tugendwächter, die jenen ähneln, die heute in den Medien verunglimpfen, an den Universitäten und auf den Straßen andere Meinungen niederbrüllen, in Nachbarschaften Maskenverweigerer und Partygänger verpfeifen, alles zur Durchsetzung einer fantasierten Wohlfahrt.
Man darf sich also von der Neuausgabe dieses Klassikers durchaus zu Vergleichen anregen lassen. Und gleich noch einen anderen lesen: 1984, in dem Orwell die weiteren Maßnahmen schildert, die ein Animal-Farm-System im Nachgang erfordert: Zerstörung von Bindung und Tradition, Hirnwäsche und die Umwertung aller Werte.
Georg Orwell, Farm der Tiere. Ein Märchen. Neu übersetzt von Ulrich Blumenbach, mit einem Nachwort von Eva Menasse. Manesse Verlag, 192 Seiten, 18,00 €.