Tichys Einblick
Eingeführt vor 75 Jahren - 21. Juni 1948

Mit 40 Mark pro Kopf in die neue Ära

Nur die Kombination aus Liberalisierung der Wirtschaft und Währungsreform konnte dafür sorgen, dass sich die Beziehungen zwischen Händlern und Kunden wieder normalisierten. Ludwig Erhard legte damit die Grundlage des „Wirtschaftswunders“. Ein Auszug aus Frank Stockers Buch „Die Deutsche Mark“

Am Sonntag, dem 20. Juni, konnten die Menschen an den Lebensmittelkartenstellen, die es im ganzen Land gab, die ersten Scheine des neuen Geldes erhalten. In langen Schlangen standen sie an, denn das Kopfgeld wurde nur an diesem einen Tag ausbezahlt. Dabei durften pro Person  – auch für Minderjährige  – 40  Reichsmark in 40  Deutsche Mark umgetauscht werden, eine Familie mit drei Kindern erhielt also beispielsweise 200 DM. 5,7 Milliarden DM wurden an diesem Tag unters Volk gebracht, Scheine mit einem Gewicht von insgesamt 500  Tonnen  – ausschließlich Scheine. Denn Münzen gab es von der D-Mark zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dafür Banknoten zu Kleinstbeträgen. Wer 40 DM erhielt, bekam in der Regel einen Zwanzigmarkschein, zwei Fünfmarkscheine, drei Zweimarkscheine, zwei Scheine zu einer Mark sowie vier Scheine zu einer halben Mark.

Diese Banknoten hatten zu diesem Zeitpunkt bereits eine kleine Odyssee hinter sich. Wochenlang hatten sie im Keller des alten Reichsbankgebäudes in der Taunusanlage in Frankfurt gelagert. Doch dorthin waren sie nicht etwa aus Berlin gebracht worden, obwohl die Amerikaner noch Ende 1947 in der Auseinandersetzung mit den Sowjets darauf bestanden hatten, dass die neue Währung dort gedruckt werden sollte. Doch dann hatten sie sich umentschieden. Die neue Währung der Deutschen kam nun aus den USA.

Die Entscheidung dafür war schon Mitte Oktober 1947 gefallen, also zu einer Zeit, als sich die USA offiziell noch um eine Währungsreform für alle vier Besatzungszonen bemühten. Die American Banknote Company, die bereits für viele Länder Banknoten produziert hatte, hauptsächlich aber Briefmarken und Aktienurkunden druckte, teilte den Behörden damals mit, dass sie die Geldscheine für eine neue deutsche Währung drucken könne, wenn sie den Auftrag dazu bis Ende des Jahres erhalte  – andernfalls werde sie andere Aufträge annehmen und hätte dann keine Kapazitäten mehr. General Lucius  D. Clay, seit März 1947 amerikanischer Militärgouverneur in Deutschland, drängte daraufhin, den Auftrag zu vergeben, um wenigstens an dieser Stelle kein neues Problem entstehen zu lassen.

TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE
Die Inflation ist zurück, weil Fehler der Vergangenheit wiederholt werden
Das Ergebnis war jedoch, dass diese Banknoten für deutsche Augen sehr „amerikanisch“ aussahen. Das lag daran, dass sie Motive zeigten, die damals auf dem amerikanischen Kontinent sehr verbreitet waren – und zwar nicht nur auf Banknoten. So war auf dem 20-Mark-Schein eine Frau zu sehen, die an einer Säule lehnte und leicht entrückt gen Himmel blickte. Zu ihren Füßen saß ein Jüngling, im Hintergrund waren rauchende Schlote und eine Eisenbahn erkennbar. Genau das gleiche Bild war jedoch schon auf einer 10-Dollar-Note der Merchants Bank of Canada aus dem Jahr  1900 und auf einem 10-Peso-Schein der mexikanischen Banco Mercantil de Yucatan von 1904 zu sehen. Der 100-Mark-Schein zeigte ebenfalls eine Frauengestalt. Diese blätterte in einem Buch, rechts neben ihr lag ein anderer Foliant, davor stand eine Malerpalette und im Hintergrund ein Globus. Auch dieses Motiv war zuvor schon verwendet worden: für Aktien […].

Was aus heutiger Perspektive sehr seltsam anmutet, war damals jedoch nichts Ungewöhnliches. Denn erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es üblich, dass Nationalstaaten ihren Banknoten ein eigenes, unverwechselbares Gesicht geben, sie quasi zu den Visitenkarten ihrer Nationen machen. Davor wurde dafür meist eine Auswahl von vorgefertigten Gravuren genutzt, vor allem in Nordamerika. Deren Besonderheit war es, dass sie extrem fein gearbeitet waren und dadurch nicht so leicht nachgemacht werden konnten. Daher wurden sie für jede Art von Wertpapieren genutzt, Banknoten, Aktien, Anleihen.

Banknoten ohne Unterschrift

Doch nicht nur die Motive der neuen D-Mark-Noten waren für deutsche Augen ungewöhnlich. Auch die Aufschriften waren eigenartig rudimentär. Denn auf den Geldscheinen waren lediglich die Wörter „Banknote“ und „Serie 1948“ sowie die Bezeichnung „Deutsche Mark“ aufgedruckt. Es gab keinen Hinweis auf den Emittenten, also auf die Noten bank. Zudem fehlte die Unterschrift der verantwortlichen Person an der Spitze des Emittenten. Das war jedoch schlicht den Umständen geschuldet: Als die Geldscheine gedruckt wurden, gab es noch keine verantwortliche Notenbank. Erst mit dem „Zweiten Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens“ vom 20. Juni 1948 wurde der „Bank deutscher Länder“ diese Funktion zugewiesen. […]

Die Einführung der D-Mark steht seither für die Ablösung
von Not und Hunger durch Konsum und Wohlstand

Im Frühjahr  1948 waren die Banknoten schließlich fertig gedruckt und wurden in einer Geheimaktion unter dem Codenamen „Bird dog“, zu Deutsch: „Spürhund“, aus den USA nach Bremerhaven verschifft.  […] Einige Tage vor Beginn der Umtauschaktion wurden die Banknoten mit Lastwagen und Spezialzügen an die Lebensmittelkartenstellen in Westdeutschland verteilt, die sie wiederum am 20. Juni an die Bürger ausgaben. […]

Schon einen Tag später war das Wunder geschehen: Die Geschäfte waren über Nacht gefüllt, es gab plötzlich wieder alles zu kaufen. All die Waren, die es jahrelang allenfalls auf dem Schwarzmarkt gegeben hatte, waren nun wieder in den Schaufenstern zu sehen und auch zu erwerben. […]

Tichys Lieblingsbuch der Woche
Erhard wollte Wettbewerb! Wettbewerb?
In den Wochen und Monaten vor der Währungsreform hatten die Händler ihre Ware zurückgehalten, weil sie wussten, dass bald neues Geld eingeführt würde und das alte dann nur noch einen Bruchteil wert wäre. Daher wollte jeder vermeiden, noch große Reichsmark-Beträge anzuhäufen. Doch das galt nicht nur für die Händler, sondern auch für die Produzenten. Auch sie wollten nicht mehr an die Händler verkaufen, horteten ihre Produkte. So kam der Handel weitgehend zum Erliegen, nur der Schwarzmarkt funktionierte noch. Dieser trocknete mit der Währungsreform jedoch aus. Denn ab sofort konnte praktisch alles wieder auf dem regulären Markt erstanden werden. Zudem glichen sich die Schwarzmarktpreise den regulären Preisen an. […]

Mindestens ebenso wichtig waren die Wirtschaftsreformen, die zeitgleich durchgeführt wurden, maßgeblich vorangebracht durch den Wirtschaftsminister der Bizone, durch Ludwig Erhard. Dieser war schon früh ein Verfechter einer Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien gewesen, trat für ein Ende der staatlichen Bewirtschaftung und für eine Aufhebung der Preisbindung ein. Der Preis sollte endlich wieder als Lenkungsinstrument dienen. […]

Erhards Wirtschaftswunder

Ludwig Erhard hatte daher in den Wochen vor der Währungsreform bereits ein Gesetz ausarbeiten lassen, das die Wirtschaft befreien sollte. Am 17./18.  Juni 1948 stand dieses Gesetz bei der 18.  Vollversammlung des Wirtschaftsrats der Bizone, der als eine Art Parlament in Wirtschaftsfragen fungierte, auf der Tagesordnung, und nach hitzigen Debatten wurde es schließlich am 18.  Juni um 4:53  Uhr morgens beschlossen. […]

Erhard […] ließ seinen Sprecher Kuno Ockhardt noch am Sonntag, dem Tag des Geldumtauschs, im Radio verkünden, dass die Preiskontrollen weitgehend aufgehoben würden. Die Händler stellten am Montag wieder ihre Waren in die Geschäfte, die Produzenten lieferten aus, die Menschen kauften. […]

Die Einführung der D-Mark steht seither für die Ablösung von Not und Hunger durch Konsum und Wohlstand, für eine neue Aufbruchstimmung nach Jahren der Agonie, für den Beginn des „Wirtschaftswunders“. Ludwig Erhard hatte daran großen Anteil. Ohne sein Engagement für eine Rückkehr zur Marktwirtschaft, ohne seine Gesetze zur Preisfreigabe und deren trickreiche Umsetzung wären diese Bilder nicht entstanden, gäbe es diesen Gründungsmythos nicht.

Gekürzter und um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Frank Stocker, Die Deutsche Mark. Wie aus einer Währung ein Mythos wurde. FBV, Hardcover mit Schutzumschlag, 360 Seiten, 27,00 €.


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