Tichys Einblick
Unpolitische Politikerin

Merkel am Ende – und Deutschland auch?

Ein neues Buch zeigt, welchen Schaden Angela Merkels Kanzlerschaft angerichtet hat: für die CDU und für Deutschland. Sie hat sich aus machttaktischen Gründen dem grünen Zeitgeist angebiedert und die Interessen des Landes verraten.

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In wenigen Tagen ist Angela Merkel Geschichte – zumindest als CDU-Vorsitzende. Auf dem Hamburger Parteitag wird ein Nachfolger/eine Nachfolgerin an der Parteispitze gewählt. Als Kanzlerin will Merkel noch die volle Legislaturperiode amtieren, hat sie leider angedroht.

Dabei ist „Merkel am Ende“ – so der Titel eines neuen, sehr lesenswerten Buchs des Historikers und Journalisten Ferdinand Knauß. Das Buch kam Anfang November auf den Markt, just in der Woche, als Merkel nach der zweiten verheerenden Wahlniederlage dieses Jahres ihren Rückzug vom Parteivorsitz bekanntgab. Diesen für viele überraschenden Schachzug Merkels hat Knauß nicht antizipiert, das erste Kapitel wirkt daher etwas überholt. Das Buch insgesamt ist jedoch keineswegs überholt.

Knauß erwartet, dass der Abschied Merkels aus dem Kanzleramt eine sehr zähe, schmerzhafte Angelegenheit wird. Aber er ist überzeugt: „Die Methode Merkel, der Merkelismus, ist am Ende.“ Als Merkelismus definiert er den „Ausverkauf von politischem Kapital, also von Werten und Positionen ihrer Partei und Interessen des Landes und der Bürger“. Im Klartext: Um ihre eigene Macht zu sichern, habe Merkel das Land verraten.

Das Buch bietet eine hervorragende, schonungslose Analyse, denn Knauß denkt langfristig und analysiert viel tiefer als die meisten Tagesjournalisten: Was waren das für Zeitgeist-Umstände, die einer Angela Merkel den politischen Aufstieg praktisch aus dem Nichts ermöglichten und wie konnte sie sich nun 13 Jahre im Kanzleramt halten? Wie hat sich Deutschland unter der „alternativlosen“ Kanzlerin verändert? Was sind die bleibenden Schäden, die sie angerichtet hat, vor allem mit ihrer Entscheidung, die unkontrollierte Zuwanderung von mehr als einer Million meist Männern aus dem arabisch-afrikanischen Raum zuzulassen. Trotz des Scheiterns auf zentralen Politikfeldern – von der Energiewende bis zur Flüchtlingspolitik – kann sich Merkel noch immer im Sattel halten. Das liegt auch daran, dass die deutschen Medien in ihrer Mehrzahl der Kanzlerin unkritisch huldigen.

Das Buch „Merkel am Ende“ ist keine Schrift für plumpe Merkel-Hasser. Knauß, im Hauptberuf Politikredakteur der „Wirtschaftswoche“, ist ein gebildeter Mann, der aus einem großen Fundus an politikwissenschaftlichen und philosophischen Einsichten schöpft (über viele Seiten diskutiert er etwa mit Hinweisen auf Carl Schmitt, Max Weber und Machiavelli bis zu Dolf Sternberger und Chantal Mouffe das Wesen des Politischen). Knauß bettet die orientierungslose Merkel-Zeit in einen größeren zeitgeschichtlichen und philosophischen Zusammenhang ein. Und er zeigt, wie die „schwarze“ – in Wahrheit beliebige, grüne – karrierebewusste CDU-Politikerin meisterhaft auf der Welle des postnationalen, links geprägten Zeitgeists in Deutschland surft.

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Merkel sei in Wirklichkeit eine unpolitische Politikerin: Es geht ihr um Macht, aber nicht um Inhalte. Ob und welche Überzeugungen sie hat, ist auch nach 18 Jahren als CDU-Vorsitzende schleierhaft. Daher ihre Wendigkeit, ihr Pragmatismus, der bis zum taktischen Verrat all dessen geht, wofür die CDU früher einmal stand. Auf dem Parteitag im Dezember 2015, auf dem Höhepunkt der von ihr mitverursachten Migrationskrise, sagte Merkel zur Frage, wie sie sich ihr Land in 25 Jahren wünsche: Deutschland solle „offen, neugierig, tolerant und spannend“ sein –eine nichtssagende linksgrüne, gefährliche Leerformel.

Das Buch ist in vier Kapitel und vierzig Unterkapitel gegliedert. Im ersten Kapitel zeichnet Knauß nach, wie Merkel sich trotz wachsender Kritik nach dem Wendepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 behauptete. Obwohl sich extrem viel Unmut in der Bevölkerung und an der Basis aufstaute, konnte sie sich behaupten. Die CDU-Parteitage Ende 2015 und 2016 huldigten Merkel mit elfminütigen bizarren Klatschorgien. Seehofer rannte im Sommer 2018 gegen Merkel wie gegen eine Gummiwand, er scheiterte an Merkels Sturheit. Die CDU sei unter Merkel völlig entkernt, ideologisch und ordnungspolitisch verbogen worden; „mittelfristig droht ihr der Untergang“, schreibt Knauß, der das für einen Verlust für Deutschland hielte.

Das zweite Kapitel analysiert verschiedene Aspekte der Bilanz von dreizehn Jahren Merkel-Kanzlerschaft. Die guten Wirtschaftsdaten sind nicht ihr zu verdanken, sondern den schmerzhaften Reformen ihres Vorgängers. Unter Merkel sind die Steuern gestiegen, die Belastungen für Mittelschichtsfamilien größer geworden.

Was Merkel zu „verdanken“ ist, ist die beschleunigte Energiewende – ein „taktisches Meisterstück“ der Kanzlerin, die mit dem Atom-Aus ein wichtiges Mobilisierungsthema der Grünen abräumte. Allerdings führt diese Energiewende in ein planwirtschaftliches Milliarden-Subventionsgrab und senkt dennoch die CO2-Emissionen nicht, während die Landschaft mit Windradmonstern verbaut wird. Mit Merkel verbunden ist zudem die „alternativlose“ Euro-Rettungspolitik, die in eine verdeckte Haftungsgemeinschaft geführt hat. Knauß erwähnt speziell die sich auftürmenden Haftungsrisiko aus dem Target2-Kreditsystem der Notenbanken; Deutschland ist erpressbar.

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Der größte Negativposten der Bilanz von Angela Merkel bleibt natürlich der Migrantenzustrom, den sie mit Willkommenssignalen und Flüchtlings-Selfies angeheizt hat. Knauß zeigt, wie der Staat völlig die Kontrolle verloren hat und welche gefährlichen Folgen dieser Kontrollverlust über den Asylantenzustrom (darunter viele Betrüger mit gefälschten Identitäten) für die innere Sicherheit hat – Stichworte: Breitscheidplatz-Anschlag, Kandel und viele weitere „Einzelfälle“ – und wie die Asylzuwanderung die öffentlichen Finanzen mit Zig-Milliarden Euro Kosten jährlich belastet. Hunderttausende abgelehnte ausreisepflichtige Asylbewerber bleiben im Land. Die versprochene Abschiebe-Anstrengung scheut der Staat.

Merkel hat ihr Handeln vom Herbst 2015 pseudomoralisch gerechtfertigt, dabei war es taktisch motiviert: ein Nachgeben vor der Linken und Grünen inszenierten „Willkommenskultur“ und der Angst vor „hässlichen Bildern“ an der Grenze. Ihre Open-Border-Politik hat fundamentale Folgen. „Deutschland ist seit 2015 ein anderes Land geworden. Nicht nur durch die Zunahme der demografischen Buntheit und ihre unmittelbaren Folgen für Staatfinanzen, Volkswirtschaft und Kriminalitätsstatistik“, schreibt Knauß. „Das Land ist politischer geworden.“ Denn die „totale Offenheit“ hat auch Gegenkräfte und Widerstand mobilisiert. Merkel ist die eigentliche Gründungsmutter der AfD, die den Gegenpol zum Open-Border-Lager der Grünen darstellt.

Zu den besonderen Stärken von Knauß‘ Buch zählen das dritte und vierte Kapitel. Knauß zeigt, dass die Linksverschiebung der Union nicht erst unter Merkel, sondern schon früher begonnen hat. Die einst bürgerlich-konservative Partei habe es nicht verstanden, dem Post-68er-Mainstream etwas entgegen zu setzen. Deutschland ist daher ein Land mit einer in besonderer Weise nach links verschobenen politischen Landschaft.

„Rechts“ gilt als Schmähwort, während es in anderen Ländern wie Frankreich selbstverständlich eine bürgerliche Rechte gebe. Hierzulande beteiligt sich aber auch die Union am „Kampf gegen rechts“. Einige Jahre lang zahlte sich das taktisch aus, denn es verhinderte, dass die Union von rechts Konkurrenz bekam. Nun aber ist die AfD da und hat Hunderttausende von der Merkel-Union enttäuschte Konservative aufgesogen.

Was Worte sagen
Merkel erklärt ihre Debattenkultur
Die Union hat unter Merkel die geistige Orientierung verloren und ist dem postnationalen, grün geprägten Zeitgeist hinterhergelaufen, der die ganze Welt retten will, aber dabei den Schutz des Eigenen vergisst. Für Merkel gibt es kein staatspolitisch definiertes „Volk“, sondern nur noch „Menschen, die schon länger hier leben“ und solche, „die erst vor kurzem dazugekommen sind“ (oder vielleicht noch kommen wollen).

Deutschland ist für sie nicht historisch-kulturell geprägte das Land der Deutschen, sondern ein irgendwie offenes Gebilde, ein Land ohne Leitkultur. (Wobei Merkel vor fünfzehn Jahren als Oppositionsführerin noch ganz anders redete und damals Multikulti scharf kritisierte. Das ist lange vorbei.) Die heutigen, grünen Deutschen wollen „Weltmeister im Guten“ (Norbert Bolz) sein. Sie imaginierten sich in ein postmodernes Endzeitalter.

In der Merkel-Ära haben zu viele daran geglaubt, dass tatsächlich das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) als linksliberal-demokratischer Endzustand erreicht sei, schreibt Knauß. Dabei sei diese Vision schnell als falsch entlarvt worden. Wir leben in einer neuen Zeit kultureller und politischer Konflikte. Der Islam ist als mächtiger Faktor auf der Weltbühne wiedererschienen.

Nicht Fukuyama, Samuel Huntington lag richtig. Seit zwei Jahren sitzt im Weißen Haus nicht mehr Merkels Freund Obama, sondern Donald Trump. Ein Politiker, der oft rüpelhaft für „das Eigene“, seine eigene Nation „first“ eintritt. Auch in anderen Ländern gibt es ein Bedürfnis der Völker nach mehr Schutz in Zeiten einer beispiellosen Globalisierung. Die Wähler wünschen zupackende Politiker mit klarem Kompass, die Interessen definieren und durchsetzen. Merkels postnationale Politik passt nicht mehr in diese Zeit.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses kluge Buch viele Leser findet, die damit argumentativ gut gerüstet gegen die Merkel-Tristesse ankämpfen können. Auch unter den CDU-Mitgliedern, die in Kürze einen neuen Parteichef wählen (ob es wirklich ein Neuanfang wird, bleibt zweifelhaft) könnte es dem einen oder anderen ein Weckruf sein.


Ferdinand Knauß, Merkel am Ende. Warum die Methode Merkel nicht mehr in unsere Zeit passt. FinanzBuch Verlag, 234 Seite, 19,99 €

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