Tichys Einblick: Herr Krall, was ist der digitale Euro, warum will die EZB ihn einführen? Und: Gibt es bald kein Bargeld mehr?
Markus Krall: Der digitale Euro ist zuallererst nichts Neues. Es geht darum, digitale Transaktionen abzuwickeln: Das ist das, was Anbieter wie Visa jetzt schon machen. Aber die Unternehmen, die das im großen Stil machen, sind alle aus den USA. Christine Lagarde sagt, es gehe ihr um die Geldsouveränität Europas. Auch von anderen politisch Verantwortlichen hören wir allenthalben, dass ihnen nichts ferner liege als ein Bargeldverbot. Jedenfalls sagen sie das, solange die Kameras laufen. Aber wenn man die Verantwortlichen an ihren Taten misst, statt an ihren Worten, hat man das Gefühl: Es geht auch um Kontrolle. Kontrolle über die Geldflüsse der Bürger – das ist etwas, was sich nicht realisieren lässt, solange es Bargeld gibt.
Welche Taten beobachten Sie?
Ein Bargeldverbot kommt nicht mit einem großen Knall. Man versucht sich an der Salamitaktik. Schon jetzt wird die Verwendung von Bargeld immer weiter eingeschränkt und mit Hürden belegt. So gibt es Obergrenzen für die Bargeldzahlung, die immer wieder abgesenkt werden. Für manche Geschäfte ist Barzahlung bereits ganz verboten. Flankiert wird das Ganze mit sublimen Erziehungsideen: Bargeld gilt plötzlich als unhygienisch, es sei schmutzig und voller Keime.
Die Rundfunkgebühren können nur per Überweisung beglichen werden, obwohl das Bundesbankgesetz ja eigentlich vorschreibt, dass Bargeld zur Schuldbegleichung immer akzeptiert werden muss. Immer mehr Restaurants oder Einzelhändler verweigern Bargeld. Funktioniert die Strategie?
Ich glaube nicht, dass der Markt der Haupttreiber ist. Es gibt Unternehmen, die in vorauseilendem Gehorsam agieren oder weil es bequem und günstig erscheint. Sicher, Bargeld verursacht Kosten, aber auch für digitale Zahlungen fallen Gebühren an. Digitales Geld ist nicht unbedingt günstiger, es sei denn, es bedient sich jemand aus der Kasse. So etwas passiert ja. Das ist eine Kalkulation, die das Einzelunternehmen für sich aufmacht. Aber ich denke, dass es nicht allein um die Frage der Betriebswirtschaft geht. Die Betreiber dieser Bewegung sitzen woanders.
Den Plänen der EZB vom Juni zufolge werden in Zukunft Zahlungen von Behörden über die EZB abgewickelt, ganz ohne eine Bank. Wozu braucht man da noch Banken?
Auch mit Bargeld haben wir ja Banken, die am Markt tätig sind. Der digitale Euro funktioniert in erster Linie wie Bargeld ohne Papier. Der entscheidende Unterschied ist, dass Bargeld anonym ist; der digitale Euro hingegen ist wie ein Geldschein, an den eine Liste angehängt ist, wer diesen Schein vorher besessen hat und wofür er ausgegeben wurde.
Aber wofür braucht man denn noch Banken?
Zum Beispiel für die Kreditvergabe. Auch andere Dienstleistungen der Banken werden durch ein digitales Zentralbankgeld nicht automatisch ersetzt. Die Frage ist allerdings, ob das so bleibt, wenn die nächste Bankenkrise kommt. Wenn die EZB das Bankensystem umgehen kann, ist es nicht mehr weit bis zu einem Vollgeldsystem, das die Banken überflüssig macht und in die monetäre Planwirtschaft führt.
Die EZB behauptet aber das Gegenteil. Sie behauptet, beim digitalen Euro würden weniger personenbezogene Daten erfasst als bei Kreditkarten. Außerdem will die EZB mit dem digitalen Euro Bürgern ohne Zugang zu Kreditkarten den Zugang zu digitaler Zahlung ermöglichen.
Na ja, das stimmt so nicht ganz, was die Europäische Zentralbank da behauptet. In Deutschland hat ja jeder Anspruch auf ein Konto bei seiner örtlichen Sparkasse. Dafür werden sie ja von den Kommunen unterhalten. Mit diesem Konto kommt auch eine Karte, womit der Zugang gegeben ist. Es ist also keine Antwort auf eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, dass die EZB jetzt hier etwas Kostenloses anbieten will.
Und wie sieht es mit den Daten aus?
Nun, die Daten, die private Unternehmen über die Kartennutzung erheben, werden nicht automatisch an den Staat abgeliefert. Der Staat kann auf diese Daten zwar zugreifen, aber es sind ihm über den Rechtsweg Hürden in den Weg gestellt. Wenn künftig die Zentralbank diese Daten erst einmal erhebt, ist dieser Zugriff deutlich einfacher. Außerdem kann der erhobene Datensatz dann viel einfacher erweitert werden. Der digitale Euro fängt vielleicht anonym an, aber wie lange dauert es, bis man sich auf den Kampf gegen Kriminalität und Geldwäsche beruft? Dann erhebt man ganz schnell immer mehr Daten. So ist das immer, wenn man dem Staat ein Überwachungsrecht einräumt – und so wird es auch dieses Mal sein.
Das heißt, der digitale Euro ist eine Falle. Werden wir unter eine Überwachungskamera gelockt?
Die Chinesen machen es ja gerade vor, wie das funktioniert. Auch das wird durch so ein System ermöglicht. Da soll sich keiner einer Illusion hingeben. Der Staat wird der Versuchung erliegen, die Politik wird der Versuchung erliegen – sie ist ihr immer erlegen.
Das ist eine düstere Zukunftsvision. Social Scoring aus China, bei uns vielleicht CO2-Vermeidung genannt oder Gesundheitsvorsorge. Wie kann man sich dem entziehen?
Die Verdrängung des Bargelds ist der Schlüssel, um die totale Überwachung durchzusetzen. Denn die Menschen werden selbstverständlich versuchen, der Überwachung auszuweichen. Solange sie noch existiert, ist die Barzahlung die beste Möglichkeit. Wer nicht nachverfolgt werden möchte, sollte eine dicke Geldbörse mitnehmen.
Und wenn das Bargeld weg ist?
Dann wird das Ausweichen schwierig. Dann muss man auf andere Tauschmittel zurückgreifen: Zigaretten, Alkohol, Gold, Silber, Bitcoin. Das sind die alten und die neuen Zahlungsmittel, mit denen man sich der Kontrolle entziehen kann, bis das Geldsystem an sich selbst scheitert. Denn das digitale Zentralbankgeld ist ja auch nicht besser und stabiler als das klassische. Die Gier, die Hybris der Zentralbanken wird mit diesem Spielzeug nur noch wachsen. Die Geldpolitik wird nur noch schlechter werden, der Kontrollwahn zunehmen. Schon bei den Kapitalverkehrskontrollen in Griechenland und Zypern haben wir damals erlebt, dass man einfach den Leuten Limits auferlegt hat, wie viel sie pro Tag abheben konnten.
Und solche Kontrollen erwarten Sie?
Ja. Und mit dem digitalen Euro werden sie noch einfacher. Dann dürfen die Bürger plötzlich nicht mehr aus dem Geld in Kapital fliehen, weil das die Inflation anheizen würde. Oder man gibt ein Tempo vor, mit dem Geld ausgegeben werden muss. Solche Dinge sind möglich mit digitalem Zentralbankgeld. Aber die Krise unseres Geldes wird dadurch nicht entschärft, sie wird verschärft. Schon jetzt wird die EZB von der Inflation eingeholt. Sie wird auch künftig nicht verhindern können, von der Realität eingeholt zu werden.
Markus Krall, Freiheit oder Untergang. Warum Deutschland jetzt vor der Entscheidung steht. LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 256 Seiten, 22,00 €.
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