Tichys Einblick
Wider den Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz

Märchen und Mythen zur Energiewende wissenschaftlich analysiert

Wenn Wissenschaftler Bücher schreiben, sind die meist so trocken, dass es staubt. Es gibt aber einen, der über Märchen schreibt und das ist fordernd unterhaltsam.

„Sieben Energiewendemärchen? Eine Vorlesungsreihe für Unzufriedene“, so der Titel einer Neuerscheinung bei Springer. Professor Andrè D. Thess nimmt sich aktuelle Mythen und Hypothesen vor, um sie wissenschaftlich-methodisch zu analysieren. Der Text ist unterhaltsam geschrieben, natürlich mit stringenter Gedankenführung, was auch heißt, dass man dicht am Text bleiben muss. Märchenhafte belletristische Wortgirlanden sind nicht zu finden, dafür jede Menge Erhellendes und Nachdenkenswertes. Wie begegnet man den Märchen unserer Zeit mit Fakten, wie begegnet man Weltbildern, die von Wünschen und Hoffnungen anstelle von Realitäten getragen werden?

Wie läuft ein Entscheidungsprozess wissenschaftsbasiert, beispielsweise der über den Kauf einer teflonbeschichteten Alupfanne oder einer aus Gußeisen? Warum trifft man energiestrategische Grundsatzentscheidungen nicht ebenso, sondern eher aus dem Bauch heraus? Wie kann man die Energiewende-Diskussion versachlichen? Was unterscheidet ergebnisorientierten Klimaschutz von „Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz“?

Professor Thess beschreibt die Anatomie von Energiewendethemen in sieben Kapiteln, von guten Elektroautos und bösen Verbrennungsmotoren, genügsamen Häusern, einer billigen Energiewende, einfältigen Klimaforschern bis hin zum stubenreinen Flugzeug. Er hinterfragt die Arbeitsweise von „Thinktanks“ und selbsternannten Faktencheckern und liefert interessante Hintergrundinformationen zum Club of Rome und dessen Hauptwerk „Grenzen des Wachstums“.

Er ordnet ein und bewertet umsichtig, zeitgeisttypische Schwarz-Weiß-Malerei wird man im Buch nicht finden. Er benennt die Merkmale des Energiewendemärchens: Die willkürliche Auswahl passender Fakten und eine fehlende Trennung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und persönlichen Werturteilen.

Oft wird das Mit- und Nachrechnen angeregt, das kann man machen, muss aber nicht. Die Ergebnisse seiner überschlägigen, aber gut nachvollziehbaren Berechnungen sind eindrucksvoll genug, etwa wenn zweifelhafte Vergleiche von Verbrenner- und E-Mobilen offengelegt werden oder gezeigt wird, wie man CO2-Vermeidungskosten realistisch berechnen sollte.

Beim Thema Klima wird sich die Leserschaft spalten und auch ich komme an der einen oder anderen Stelle zu anderen Schlüssen, etwa beim Thema Validierung von Simulationsmodellen zur Klimaberechnung. Auch hätte das Thema CO2-Steuer und deren Folgen tiefer ausgelotet werden können. Es wäre aber merkwürdig, wenn bei diesem Umfang an Informationen und der Faktendichte eine einheitliche Lesermeinung zustande käme.

Frequenzeinbruch am 8. Januar
Der Beinahe-Blackout: Ursache, Wirkung und ein Blick in die Zukunft
Wohl in keiner Veröffentlichung bisher wurden CO2-Kompensationssysteme so eingehend betrachtet und am Ende entlarvt. Wiederkehrend weist der Autor auf die Misserfolge von Kommandowirtschaft hin. Es gäbe planwirtschaftliche Irrwege bei Produkten, die nicht konkurrenzfähig seien. Davon wird in diesen Zeiten wenig gesprochen, in denen von Klimaschutz überstrahlte Bauchentscheidungen zentral getroffen werden. Das Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze begegneten uns dabei immer wieder. Die „Große Transformation“ sei der Weg von der parlamentarischen Demokratie zur Gelehrtendiktatur.

Einige Zitate sollte man über die Tore deutscher Universitäten und Hochschulen nageln, zum Beispiel die Regel der Deutschen Forschungsgemeinschaft: „Alle Ergebnisse selbst anzweifeln“ oder auch „Technologiediversität ist genauso wichtig wie Biodiversität“.

Professor Andrè D. Thess ist Direktor des Institutes für Technische Thermodynamik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart. Seine Forschungsschwerpunkte sind thermische Energiespeicher sowie elektromagnetische Prozess- und Hochtemperaturmesstechnik.

Fazit: Volle Leseempfehlung für dieses Buch. Es ist ein Hochkaräter, es fordert den ganzen Leser. Es bringt einen geschärften Blick und zwangsläufig ergibt sich die Anforderung, sich eine eigene Meinung zu bilden. In Zeiten des betreuten Denkens eine zusätzliche, aber sehr erhellende Herausforderung.


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