Im Oktober 2020 markierten die drei Mitglieder der Band „Die Ärzte“ einen weiteren Höhepunkt ihrer Karriere, als sie für die musikalische Untermalung der ARD-Tagesthemen sorgen durften. Die Einladung der gealterten Punk-Rocker erschien durchaus begründet, denn diese wiesen mit ihrem Auftritt auf die dramatischen Einschnitte der Corona-Krise für die Musik- und Kunstszene hin. Wer jedoch erwartete, dass der zwangsgebührenfinanzierte Moderator bei dieser Gelegenheit einmal kritisch die hasserfüllten und polizeifeindlichen Texte der Band hinterfragen würde („Hängt die Bullen auf […] Schlagt sie tot, macht sie kalt“), der wurde enttäuscht – nicht zum ersten Mal. Die ARD-Tagesschau hatte einige Monate zuvor der umstrittenen Band „Feine Sahne Fischfilet“ sogar einen dreizehnminütigen Beitrag anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Albums eingeräumt. Dabei wurde auch ein Ausschnitt aus einem Musikvideo der Band gezeigt („Wir sind zurück in unsrer Stadt / Und scheißen vor eure Burschenschaft“) – als wäre es „Atemlos“ von Helene Fischer. Auf die etwas irritierte Nachfrage des Moderators, wie Hass zu Problemlösungen beitragen könne, antwortete der Sänger der Gruppe, Hass sei ein Gefühl, was man bei den „jetzigen Zuständen“ einfach haben könne.
„Linke Hassmusik“ ist spätestens seit den achtziger Jahren bekannt, war zu dieser Zeit jedoch fast ausschließlich im Punk-Milieu angesiedelt. Obwohl es heute kaum noch Anhänger findet, gilt „Punx not dead“ immerhin noch für die Musik-Szene. So gibt es mit Gruppen wie „B.T.M.“ (2002), „Feine Sahne Fischfilet“ (2007) oder den „Trümmerratten“ (2014) sogar immer wieder Neugründungen. Nicht jedes Punk-Lied ist politisch. Wie die meisten Musiker beschreiben Punks in ihren Stücken ihr Leben und ihre Umwelt. Aber Punkmusik trägt manchmal auch deutlich politische und antidemokratische Züge, etwa wenn die Gruppe „Die Zusamm-Rottung“ im Hinblick auf das „System“ singt: „Manipulation und Korruption sind ihre Strategie / für uns heißt das Lüge und Betrug / doch sie nennen es… Demokratie/“.
Neben Sex, Alkohol, Fußball und „Faschos“ spielt im Leben der Punk-Rocker vor allem die Polizei eine Rolle. Sie verarbeiten in ihren Texten Gewalterfahrungen mit Polizisten, meist in überzeichneter Form, etwa wenn „Die Zusamm-Rottung“ singt: „Und wenn sie mich dann haben / dann machen sie mich kalt / diese bullenschweine / sind voller gewalt“. Die Darstellung der über die Maße gewaltbereiten Polizei dient dem Zweck, nachfolgende Gewaltaufrufe zu legitimieren. So heißt es bei den „Pestpocken“. „Besetzt du mal ein leeres Haus / kommen die Bullen und hauen dich raus. / Wähle jetzt denselben Weg / Gewalt – weil es so nicht weitergeht“. Und „Feine Sahne Fischfilet“ texteten für ihr Album aus dem Jahr 2009: „Wir stellen unseren eigenen Trupp zusammen / Und schicken den Mob dann auf euch rauf / Die Bullenhelme – Sie sollen fliegen / Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein“.
Es sei eben „nur“ Punk-Musik, ist nicht selten die Argumentation, wenn es zu Kritik an den gewaltverherrlichenden Texten kommt – als ob sie nicht ernst gemeint oder zumindest nicht ernst zu nehmen wären. Gegen diese These spricht, dass es am Rande von Punk-Konzerten immer wieder zu Gewalttaten kommt. Aber wie die gesamte Punk-Bewegung wollen auch ihre Musiker vor allem eines: provozieren. Die „Trümmerratten“ fotomontierten auf ihren Werbeplakaten Rattenköpfe auf Bilder von Trümmerfrauen. In ihrem Album druckten sie ein Foto eines Playmobil-Polizisten mit Nazigruß in einem Kothaufen, und beantworteten in einem ihrer Stücke einen Angriff auf eine Polizeiwache mit der Parole: „Scheißbullen – Habt Ihr immer noch nicht genug!“
Während linke Hassmusik bis in die neunziger Jahre hauptsächlich von Punk-Gruppen verbreitet wurde, tun dies heute vor allem linksgerichtete Rap-Musiker über Plattformen wie Youtube und Vimeo. Nicht selten untermalen unbekannte Dritte die musikalische Botschaft mit Gewaltszenen eskalierter Demonstrationen. Eine Häufung solcher Videos kann als Indiz für die Gewaltbereitschaft der Szene gewertet, jedoch nicht zwangsläufig den Urhebern des Textes unmittelbar zum Vorwurf gemacht werden. Tatsächlich distanzierte sich etwa „Captain Gips“ in einem Interview 2013 von einem gewaltverherrlichenden Video mit den Worten: „Auch wenn es Polizisten sind, können wir nicht einfach anfangen die umzubringen oder so was.“ Dennoch scheint er der Gewalt gegen Polizisten nicht grundsätzlich abgeneigt zu sein, enthält das von ihm verbreitete Musikstück doch unter anderem die Zeilen: „Wenn sich 800 Leute mit Motorradhelmen und Knüppelfähnchen vor die Flora stellen / heißt es Eighties-Flashback – Ausnahmezustand! / Wo Bullen für ein Jahr keine Pause im Dienst haben.“ Das Album wurde also nicht grundlos von der Bundesprüfstelle auf den Index gesetzt.
Während die Punkmusikszene diffus erscheint, lassen sich im linken Rap-Spektrum ideologische Strömungen erkennen. Da gibt es die „Zeckenrapper*innen“ und das „Ticktickboom“-Kollektiv mit Interpreten wie „Neonschwarz“, „Sookee“ und „Kurzer Prozess“, denen eine Nähe zur antideutschen Szene nachgesagt wird. Der Rapper „Albino“ versteht sich als Antispeziesist und erklärt die „Vegane Revolution“ zum Ziel. Mit „Kaveh“ gibt es einen Protagonisten, der die westlichen Staaten als „Gangster-Nationen“ verunglimpft, einen Israel-Boykott fordert und nach der dritten Intifada ruft. Im antiimperialistischen Spektrum machte zudem der dem „Jugendwiderstand“ nahestehende Rap-Musiker „Taktikka“ auf sich aufmerksam, der in seinen Stücken Politiker „Blei fressen“ lassen will.
Während die Punk-Musik-Szene ein mehr oder weniger autochthones Publikum erreicht, findet Rap-Musik auch das Interesse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, insbesondere aus dem arabischen Raum. Vor allem aber findet die Polit-Rap-Szene Anschluss an die vermeintlich „unpolitische“ Rap-Szene, die zwar gewiss nicht gegen Kapitalismus ist, aber ebenfalls „gegen Bullen“ und „gegen den Staat“ agitiert. Wie beim Punk-Rock geht es auch beim linken Hip-Hop hauptsächlich gegen Polizisten. Der Rapper „Boykott“ macht deutlich: „angenommen ein Beamter würde mich was fragen / würd‘ ich die Aussage verweigern oder ihm den Kopf einschl…“ Auf eine ähnliche Zielsetzung treffen wir bei Holger Burner. Im Song „Hass“ heißt es: „Wir haben Hass auf die Polizei / Hass auf den Staat / Hass auf eure Fressen / Hass auf die Waffen, die ihr tragt“. Entscheidend für die Bewertung eines Liedtextes ist jedoch nicht allein seine Dramatik, sondern gleichermaßen seine Resonanz in der linken Szene, in der eine kritische Auseinandersetzung mit gewaltverherrlichenden Texten in der Regel nicht stattfindet.
Umso trauriger also, dass linke Hassmusik von weiten Teilen der etablierten Politik nicht als solche erkannt oder bewusst nicht geächtet wird. Als etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im September 2018 für ein Musikkonzert mit „Feine Sahne Fischfilet“ warb, hätte er wissen müssen, dass sich deren Texte nicht nur gegen Rechtsextremismus, sondern auch gegen die Polizei und die demokratischen Parteien richten. Wie zum Beleg erklärte der Sänger der Gruppe auf besagtem Konzert, er finde die „räudige Hetze der Regierungsparteien“ einfach nur abstoßend. Und zu diesen Regierungsparteien gehört letztlich auch die SPD.
Dr. Karsten D. Hoffmann, Jahrgang 1977, ist Politikwissenschaftler und befasst sich seit über einem Jahrzehnt mit militanten Strömungen von rechts und links.
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