Konservative in Deutschland sind politisch heimatlos. Die FDP betreibt im Rahmen der Ampel-Koalition die „Große Transformation“ engagiert mit, ihre Themen sind Mehrfach-Ehe und Förderung der Transsexualität sowie Klimapolitik und Umgestaltung der Wirtschaft in eine staatliche gelenkte Planwirtschaft. Die CDU übernimmt und überbietet die Forderungen der Ampel, versucht die Ampel bei grün zu überholen.
Sind Konservative Relikte einer vergangenen Zeit, die im Zuge des immer wieder verschärften Kampfes „gegen Rechts“ erst als Rechte denunziert werden, um sie dann ausgrenzen zu können? Was ist konservativ noch in einer Zeit eines Umsturzes von oben, in der die bewahrenden Elemente wie Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht, aber auch Polizei und Kirche in den Dienst der Transformation gestellt werden? Aufgeben und weichen – oder sich der Qualität des Konservatismus besinnen?
Und das mit einem Buch, das keine Neuerscheinung ist – aber auch noch nicht so alt, dass man es einen „Klassiker“ nennen könnte – und sich überdies diesem Thema widmet, das von den einen als „nicht mehr zeitgemäß“, anderen als „ewig gestrig“ und einigen, bestenfalls noch verbunden mit leicht melancholischem Bedauern, als verloren betrachtet wird: der Idee, konservativ zu sein? Was sollte mich daran reizen, der ich schon von Berufs wegen und durch mein Naturell (oder umgekehrt) dazu angetrieben werde, das Neue in Entwicklungen, im Zeitgeschehen, in Informationen zu erkennen und weiterzugeben?
Sir Roger Scruton, dessen Todestag sich letzte Woche zum zweiten Mal jährte (und dessen luzide Gedanken wir ebenso vermissen wie seinen menschenfreundlichen Humor) stammte aus einem linken Lehrerhaushalt und wuchs in Zeiten auf, in denen es als ausgemacht galt, dass die „Linke“ auf der historisch richtigen Seite der Geschichte stünde. Sein Werdegang wie sein ganzes berufliches Schaffen stand dazu im offenen Widerspruch und auch wenn er an angesehenen Universitäten auf den Gebieten der Kunst, Musik, Literatur, Politik und Philosophie gelehrt hat, ist Scruton im wissenschaftlichen Betrieb doch stets ein Außenseiter geblieben. Einer der sich nicht anpasste. Der seiner Überzeugung treu blieb. Oder vielmehr: der Wahrheit, der er denkend, beobachtend und im praktischen Wirklichkeitsvollzug auf die Spur kommen wollte.
In „Von der Idee, konservativ zu sein“ erörtert Roger Scruton in jeweils eigenen Kapiteln die Wahrheit aktueller Theorien, z.B. „Die Wahrheit im Sozialismus“, „… im Multikulturalimus“, „… im Kapitalismus“, „… im Liberalismus“ um schließlich „Die Wahrheit im Konservatismus“ zu untersuchen. Hören wir ihm kurz zu:
„Konservative sind nicht daran interessiert, die menschliche Natur zu verbessern oder sie nach irgendeinem Konzept zu formen, damit der Mensch zu einem idealen, rational entscheidenden Wesen werde. Sie versuchen vielmehr zu verstehen, wie die Gesellschaften funktionieren und wie der Raum geschaffen werden kann, damit sie erfolgreich funktionieren können. Der Ausgangspunkt des Konservativismus ist die Tiefenpsychologie des Menschen. Seine grundlegende Philosophie ist durch niemanden besser erfasst worden als durch Hegel in der Phänomenologie des Geistes.
Ich überlasse es dem interessierten Leser, Hegels Argumente im Detail zu entschlüsseln. Was sie vor Augen führen, ist das Bild menschlicher Wesen, die sich aufeinander verlassen können, in Vereinigungen der gegenseitigen Verantwortlichkeit gebunden sind und die Erfüllung in ihren Familien und dem Leben in der bürgerlichen Gesellschaft finden. Unsere Existenz als Bürger, die sich frei am Leben der polis beteiligen, ist möglich geworden durch die dauerhaften Bindungen an die Güter, die wir für wertvoll halten. Wir existieren nicht im Zustand des homo oeconomicus, der nur danach strebt, seine privaten Wünsche zu erfüllen. Wir sind Wesen, die ein Heim bauen, die bei der Suche nach intrinsischen Werten zusammenarbeiten, und was uns wichtig ist, sind die Ziele, nicht die Mittel unserer Existenz.“
Scruton argumentiert auf historischer Erfahrung basierend. Denn die Stärken des Konservatismus sind seine Verwurzelung im menschlichen Geist und Handeln. Die große Transformation mag Regierungsprogramm sein, sie mag vorwärtsgetrieben werden nicht nur durch eine parlamentarische Mehrheit und feige Zustimmung verzagter Pseudokonservativer der CDU. Aber sie geht am Menschen vorbei und wird deshalb scheitern.
Roger Scruton hat, statt dem Verlorenen hinterherzutrauern, ein durch und durch optimistisches Buch geschrieben. Es ist unbedingt lesenswert!
Roger Scruton, Von der Idee, konservativ zu sein. Eine Anleitung für Gegenwart und Zukunft. Mit einem exklusiven Vorwort von Douglas Murray. Edition Tichys Einblick im FBV, Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 22,99 €.