Geschichtsschreibung folgt auch modischen Trends, was man zunächst bei Wissenschaftlern mit langem Atem nicht unbedingt vermuten würde. Die Rolle der Heroen und Herrscherhäuser, die Abfolge von Schlachten und Siegen (weniger von Niederlagen), die Geschichte der Klassenkämpfe, stilisierte Sternstunden oder Wendepunkte der (Welt-)Geschichte sind beliebte Schwerpunkte, auch die Geschichte(n) vom Untergang des Abendlandes sowie großer Nationen und Völker.
Klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, Geschichte auf die Triebkraft vom Klimawandel hin zu betrachten. Damit lassen sich auch wabernder Kulturpessimismus, Weltuntergangsängste, Herrschaftsansprüche und Menschenfeindlichkeit verbinden. Etwa wenn Skeptiker der politisch ergriffenen Maßnahmen, wenn nicht gleich zu Feinden der Menschheit, so wenigstens zu Feinden künftiger Generationen erklärt werden – obwohl Kinder bei Klimabewegten nicht als Segen, sondern als gefährliche CO2-Emittenden gelten. Klimafanatiker nehmen die Gefährdungen jetzt Lebender in Kauf, um künftige Gefahren abzuwenden, in dem sie sich beispielsweise auf stark frequentierte Verkehrswege kleben, und ziehen die Wut derjenigen auf sich, die versuchen in allem Schlammassel täglich ihre Pflicht zu tun. Klimapolitik legitimiert Herrschaftsansprüche, dafür soll die Demokratie geopfert werden und Abschied vom Wohlstand erscheint der derzeitigen Bundesregierung als unausweichlich.
Und nun? Alles für das Klima? Ist denn der Klimawandel nicht ein Phänomen unserer Zeit, eine nie dagewesene Herausforderung?
Ein unlängst erschienenes Buch eines Professors für Globalgeschichte an der Universität von Oxford, Peter Frankopan, widmet sich dieser Frage auf knapp 850 Seiten (plus weiteren rund 150 vertiefender Anmerkungen) in einem atemberaubenden Erzählrahmen, der vor über 4 Milliarden Jahren einsetzt und bis in unsere Tage führt. Erst das dritte Kapitel widmet sich der „Wechselbeziehung von Mensch und Umwelt“ und umfasst die Zeitspanne von 12000 bis 3500 v. Chr.
Die Menschen nehmen sich einfach zu wichtig. „Wir teilen die Erdgeschichte nach Massensterben ein, die wir uns als Apokalypsen ausmalen, der Natur ist es gleichgültig, wer geht und wer bleibt, und sie begünstigt keine Lebensform: immer geht es um Anpassung und Überleben“. Diese Sätze werden Klimabewegten nicht gefallen, denn man könnte daraus schlussfolgern, dass wir eh gigantischen Mächten und Kräften ausgeliefert sind, die über uns schalten und walten und denen es egal ist, ob wir mit einer Wärmepumpe heizen oder die Gastherme zischt. Also gemütlich ein Buch lesen und warten, bis er kommt, der Weltuntergang?
Diesen bequemen Ausweg gestattet Frankopan nicht. Denn menschliches Leben ist immer in der Auseinandersetzung mit der sich verändernden Umwelt entstanden, hat sich angepasst, zurechtgefunden unter neuen Bedingungen – oder ist verschwunden. Der Mensch ist ja erst seit ein paar Jährchen auf dem Planeten sichtbar und fummelt wirkmächtig darauf herum. „Die Wechselbeziehung von Mensch und Umwelt“ begann immerhin schon 12.000 bis 3.500 v.Chr. Aber da beginnt auch das Ringen mit der Natur und ihrer Veränderung. „Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte des Erfindungsreichtums, der Widerstandsfähigkeit und der Anpassung.“ Doch das ist nicht umsonst zu haben.
Frankopan arbeitet heraus, wie grandiose Kulturen scheitern können, wenn sie sich NICHT wandeln: „Klimatische Veränderungen haben den Aufstieg erster Hochkulturen etwa im Industal ermöglicht, aber auch zum Fall großer Reiche wie der Ming-Dynastie in China oder der Maya in Mittelamerika geführt, ein Naturereignis wie der Ausbruch des Vulkans Samalas auf Indonesien hatte im 13. Jahrhundert politische Auswirkungen noch im fernsten England; und schon in der Antike beschrieben die Philosophen, wie der Mensch die Natur für immer verändert.“
In der Beschreibung dieses Zusammenspiels liegt die Faszination des Buches, das ungemein genau und mit geradezu unerschöpflichen Quellen und Belegen arbeitet.
„Die wohl wichtigste Lektion aus meiner Geschichte ist:
alle Gesellschaften, die es nicht geschafft haben,
sich an diese Veränderungen anzupassen,
enden wie die großen Reiche in Mesopotamien: mit null Bevölkerung.
Das sollte man bedenken.“
Klimaretter wie Skeptiker erfahren in diesem faktenreichen und glänzend erzählten Buch viel Neues und Wissenswertes. Der Autor wird nicht müde zu betonen, dass es grob ungenügend ist, nur die menschlichen Reaktionen auf die klimatischen Veränderungen in den Blick zu nehmen. Nuancen und Komplexitäten in der Natur, wie die Sonnenaktivität, minimale Veränderungen der Erdachse, noch unverstandene Oszillationen der Meeresströmungen oder Kräfte aus dem Weltall wirken ebenfalls signifikant auf das Klima der Erde ein. Noch immer versteht der Mensch zu wenig von diesen Zusammenhängen und neigt beim Klimaschutz nicht selten zu Verschlimmbesserungen.
Frankopan erschlägt dabei im Einleitungskapitel alle Klimaskeptiker und fordert volle Konzentration auf CO2-Einsparung – und macht über hunderte von Seiten deutlich: kann sein, dass all dieses Bemühen vergeblich ist, weil der Planet im All einen Haken schlägt wie ein flinker Hase auf dem Feld. Während Klimabefürchter von ihm jeden denkbaren Zuspruch erhalten, finden auch Klimaskeptiker sich immer wieder aufs Neue bestätigt: Es gibt keinen festgesetzten Fortgang der Geschichte, keinen unabänderlichen Lauf der Welt. Und niemand wird ja bestreiten, dass der Mensch versuchen sollte, Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft klug und vorsichtig zu gestalten, statt plündernd und raubend kurzfristig seinen Vorteil zu suchen, der in Wüsteneien endet muss. Wie das geschah oder verpasst wurde, zeigt die großen Handlungsräume auf, die den Menschen zur Verfügung stehen. Sie müssen das Atmen nicht einstellen, wenn sie vorher über die Folgen ihres Tuns nachdenken. Es ist auf jeden Fall ein Hohelied des Konservatismus, der vorsichtig und mit Bedacht mit dem Vorgefundenen umgeht, statt hochmütig die Welt komplett an einem Seminarwochenende neu erfinden zu wollen.
War sich Frankopan dieser Ambivalenz bewusst? Wohl schon. Vielleicht ist er sogar darüber erschrocken, und hat deshalb ein Einleitungskapitel vorangesetzt. Es befriedigt alle Anforderungen der klimapolitischen Korrektheit, die heute öffentlich eingefordert werden, um sie anschließend wie in einer ironischen Wendung zu zerpflücken. Er wirkt wie ein moderner Galileo Galilei, der angesichts des Scheiterhaufens, der für Abweichler schon aufgeschichtet ist, jede Menge gefälliger Forderungen einstreut und Triggerpunkte setzt wie den besonders blödsinnigen und widerlegten, dass 99 Prozent der Wissenschaftler einer Klima-Meinung seien – der Großinquisitor scheint beruhigt, bis dann Galileo murmelt: „Und sie bewegt sich doch“. Denn immer wieder zeigt er die Wendungen, die der menschliche Geist ermöglicht und exekutiert hat. Dazu passt, dass China die Pariser Klima-Übereinkunft verlassen und eigene Wege gehen will, die Frankopan beschreibt – künstlich ausgelöster Regen durch preiswerte, niederfrequente Schallwellen.
Die Welt ist eben nicht auf einen Nenner zu bringen, sondern bunt, wild, widersprüchlich und turbulent – und genau das ist das Ergebnis seines Ritts durch einige Milliarden Jahre Welt-, Klima- und Menschheitsgeschichte.
Peter Frankopan, Zwischen Erde und Himmel. Klima – Eine Menschheitsgeschichte. Rowohlt Berlin, Hardcover mit Schutzumschlag, Lesebändchen, 1024 Seiten, 44,00 €