Tichys Einblick
Über die Irrtümer der Kapitalismuskritiker

»Kapitalismus ist schuld an Umweltzerstörung und Klimawandel«

Antikapitalisten geht es nur vordergründig um Umwelt und Klimawandel. Ihr eigentliches Ziel ist die Beseitigung des Kapitalismus und die Errichtung einer staatlichen Planwirtschaft. Wie steht es aber wirklich um den Zusammenhang von Kapitalismus, Umweltschutz und Klimawandel?

Als ich 20 Jahre alt und überzeugter Marxist war, schrieb ich in einem Aufsatz zum Thema »Zur Argumentationsstrategie linker Umweltpolitik«: »Aufgabe linker Umweltpolitik darf es also nicht sein, systemimmanent gegen die Zerstörung der Umwelt zu kämpfen, denn – wie gezeigt – widersprechen sich Kapitalismus und Umweltschutz grundsätzlich. Es ist daher nicht die Aufgabe, irgendwelche Illusionen über die Möglichkeit des Umweltschutzes im Kapitalismus zu bestärken, sondern diese systematisch zu zerstören und aufzuzeigen, dass Umweltschutz erst in einem anderen ökonomischen System möglich ist, in welchem die Produktionsmittel vergesellschaftet sind und die Produktion am Gebrauchswert, an der Befriedigung natürlicher Bedürfnisse, orientiert ist.«

Ähnliche Argumentationen sind heute, fast ein halbes Jahrhundert später, populär. Naomi Klein, die populäre Kritikerin des Kapitalismus und der Globalisierung, gibt zu, dass sie zunächst kein besonderes Interesse am Thema Klimawandel hatte. 2014 schrieb sie dann ein dickes Buch mit 700 Seiten zum Thema »Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima«. Wie kam es zu diesem Wandel ihres Interesses? Kleins Hauptthema war bis dahin der Kampf gegen die Globalisierung. Sie sagt ganz offen: »… ich begann erst dann, mich stärker für dieses Thema [Fakten zur Erderwärmung] zu engagieren, als ich erkannte, dass sie ein Katalysator für Formen sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit sein könnten, von denen ich ohnehin überzeugt war.« Ihre Hoffnung war eine »neue Klimabewegung, die den Kampf gegen den sogenannten Freihandel aufnimmt«. Effiziente Lösungen, wie etwa die klimafreundliche Kernenergie, lehnt sie strikt ab, da sie gar nicht an Lösungen im Rahmen des Kapitalismus interessiert ist.

RÜCKKEHR DES KLIMAREBELLEN
„Am Klimawandel beweist sich eine heroische Generation selbst“
Sie schreibt selbst, sie habe erkannt, dass das Thema Klimawandel eine Chance sei, dass »wir die Krise kollektiv dazu nutzen können, den Sprung in eine bessere Welt zu wagen« und »der Klimawandel auf vielerlei Arten ein Katalysator für positiven Wandel werden könnte – indem er den progressiven Kräften das beste Argument überhaupt dafür liefert … unsere Demokratie dem zerstörerischen Einfluss der Konzerne zu entreißen, gefährliche neue Freihandelsabkommen zu blockieren … Grenzen für Einwanderer zu öffnen.« Die Klimakrise könne »die Grundlage für eine mächtige Massenbewegung bilden«. Ziele der Bewegung:

Zustimmend zitiert sie einen Vorschlag, wonach die wohlhabendsten 20 Prozent der Bevölkerung die größten Opfer bringen müssten, um damit mehr gesellschaftliche Gleichheit herzustellen. Ihre These ist: »Unser Wirtschaftssystem und unser Planetensystem befinden sich miteinander im Krieg« und daher sei »ein revolutionärer Wandel des Wirtschaftssystems nötig«.

TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE
Eine Verteidigung des Kapitalismus – sachlich, empirisch, überprüfbar
Diese Zitate, die sich durch viele weitere ergänzen lassen, zeigen: Antikapitalisten wie Klein geht es nur vordergründig um Umwelt und Klimawandel. Ihr eigentliches Ziel ist die Beseitigung des Kapitalismus und die Errichtung einer staatlichen Planwirtschaft. Daher lehnt sie alle wirksamen Mittel für Umweltschutz und gegen Klimawandel, die mit dem herrschenden Kapitalismus vereinbar wären, konsequent ab. Wie steht es aber nun wirklich um den Zusammenhang von Kapitalismus, Umweltschutz und Klimawandel? Vergleicht man das Ranking der Länder mit den höchsten Umweltstandards mit dem Kapitalismus-Index, zeigt sich ein anderer Zusammenhang als der von Klein behauptete.

Seit mehr als 20 Jahren veröffentlicht die Yale-Universität den »Environmental Performance Index«, der zeigt, wie gut die Länder im Umweltschutz sind. Insgesamt werden 32 Indikatoren in 11 Kategorien erfasst:

Laut diesen Analysen sind Dänemark, Luxemburg, die Schweiz, Großbritannien und Frankreich die Länder mit den besten Umweltbedingungen. Es folgen Österreich, Finnland, Schweden, Norwegen und Deutschland. In dem Bericht heißt es: »Eine der durchgängigen Lehren des EPI ist, dass Nachhaltigkeit ausreichenden wirtschaftlichen Wohlstand erfordert, um öffentliche Gesundheit und Umweltinfrastruktur zu finanzieren.« Die Forscher zeigen, dass es eine klare Korrelation zwischen dem Bruttosozialprodukt und dem Stand des Umweltschutzes in einem Land gibt.

Interessant ist es, den Umwelt-Index mit dem Index der wirtschaftlichen Freiheit zu vergleichen. Dieser »Index of Economic Freedom«, den die Heritage Foundation seit 1995 ermittelt, misst die wirtschaftliche Freiheit in allen Ländern der Welt. In dem jüngsten Bericht (2021) wurden Länder analysiert. Der Soziologe Erich Weede hat diesen Index treffend als »Kapitalismusskala« bezeichnet. Der Grad der wirtschaftlichen Freiheit wird in dem Index anhand von 12 Kriterien gemessen, die alle gleich gewichtet sind:

  1. Eigentumsrechte
  2. Gerichtliche Wirksamkeit
  3. Staatliche Integrität
  4. Steuerbelastung
  5. Staatsausgaben
  6. Finanzpolitische Gesundheit
  7. Unternehmerische Freiheit
  8. Freiheit des Arbeitsmarktes
  9. Währungsfreiheit
  10. Handelsfreiheit
  11. Investitionsfreiheit
  12. Finanzielle Freiheit

Die zehn wirtschaftlich freiesten Länder waren 2021:

  1. Singapur
  2. Neuseeland
  3. Australien
  4. Schweiz
  5. Irland
  6. Taiwan
  7. Großbritannien
  8. Estland
  9. Kanada
  10. Dänemark

Die wirtschaftlich unfreiesten Länder waren Nordkorea, Venezuela, Kuba, der Sudan und Simbabwe. (…)

Schlagworte aufklären
Zitelmann - "Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung"
Der Ökonom Daniel Fernández Méndez setzte sich mit dem möglichen Gegenargument auseinander, dass die Länder mit größerer wirtschaftlicher Freiheit »ihre umweltverschmutzenden Industrien in die wirtschaftlich weniger freie Dritte Welt ›exportieren‹, während sie die sauberen Industrien im eigenen Lande behalten«. Dem ist jedoch nicht so. Wenn man die Investitionen von Ländern mit einem hohen Umweltstandard analysiert, dann zeigt sich, dass nur 0,1 Prozent der Auslandsinvestments von Ländern mit hohen Umweltstandards in solche Länder erfolgten, die einen niedrigen Umweltstandard haben. Die Folgerungen aus diesen Berechnungen sind eindeutig: »Anhand der analysierten Daten können wir sehen, dass der Kapitalismus gut für die Umwelt ist. Je größer die wirtschaftliche Freiheit, desto besser die Umweltqualitätsindizes. Die ›saubereren‹ Länder exportieren ihre Umweltverschmutzung nicht durch die Verlagerung von Unternehmen.« (…)

Natürlich kann man argumentieren, dass der Kapitalismus zu höherem Wirtschaftswachstum führt und Wirtschaftswachstum wiederum zu einem Anstieg des Ressourcenverbrauchs. Nach dieser Logik wären die ineffizientesten Systeme für die Umwelt am besten, da diese zu einem geringen Wachstum führen. Die oben genannten Analysen zeigen jedoch, »dass in einer frühen Phase des Wirtschaftswachstums eines Landes ein hohes Maß an Umweltverschmutzung zu beobachten ist, während nach einem kritischen Punkt des Wirtschaftswachstums ein allmählicher Rückgang der Umweltverschmutzung zu verzeichnen ist«. Gegen das vereinfachte Argument, mehr Wirtschaftswachstum führe automatisch zu mehr Umweltverschmutzung, sprechen zudem zwei Argumente:

  1. In nicht-kapitalistischen Ländern war die Zerstörung der Umwelt ein noch weitaus gravierenderes Problem als in kapitalistischen Ländern.
  2. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und steigendem Ressourcenverbrauch löst sich im Zeitalter der Dematerialisierung immer mehr auf.

Zunächst zum ersten Punkt. Nirgendwo gab es eine so schlimme Umweltzerstörung wie in den ehemaligen sozialistischen Staaten. Ist das ein relevantes Argument? Ja, denn wenn es so wäre, dass eine auf Privateigentum, Wettbewerb und freier Preisbildung basierende Wirtschaftsordnung ursächlich sei für die Umweltverschmutzung, dann müsste diese ja in Ländern, die nicht diese Merkmale aufweisen, zumindest deutlich geringer sein, was jedoch nicht der Fall ist.

Warum fällt der Groschen nicht?
Sozialismus - Die gescheiterte Idee, die niemals stirbt
Zudem: Wie wir gesehen haben, wollen antikapitalistische Klimaaktivisten wie Naomi Klein eine Wirtschaftsordnung, in der der Staat eine ungleich größere Macht hat als im Kapitalismus. Ihr Rezept gegen Klimawandel und Umweltverschmutzung heißt: Mehr staatliche Planung. In den Staaten, in denen der Staat eine so große Macht über die Wirtschaft hatte, war die Umweltzerstörung jedoch nicht geringer, sondern ganz im Gegenteil, sie war in allen diesen Staaten wesentlich größer. Natürlich kann man sich irgendwelche idealen Systeme ausdenken, in denen der Staat der Wirtschaft befiehlt und alle Probleme von Umweltverschmutzung und Klimawandel gelöst sind. Doch statt mit Gedankenkonstrukten und Utopien ist es lehrreicher, sich mit der Geschichte zu befassen und aus ihr zu lernen. (…)

1990 zog Zhores A. Medvedev Bilanz für die Sowjetunion: »Die Sowjetunion hat durch radioaktive Verseuchung mehr Weide- und Ackerland verloren, als die Schweiz insgesamt an Anbaufläche besitzt. Durch Staudämme wurde mehr Land überflutet als die Gesamtfläche der Niederlande. Zwischen 1960 und 1989 ging durch Versalzung, Veränderungen des Grundwasserspiegels und Staub- und Salzstürme mehr Land verloren, als die gesamte Anbaufläche Irlands und Belgiens zusammen beträgt. Bei akuter Nahrungsmittelknappheit ist die gesamte Anbaufläche seit 1975 um eine Million Hektar pro Jahr zurückgegangen. Die Sowjetunion verliert ihre Wälder im gleichen Maße, wie in Brasilien der Regenwald verschwindet. In Usbekistan und Moldawien hat die chemische Vergiftung mit Pestiziden die Raten geistiger Retardierung so stark erhöht, dass die Lehrpläne der Sekundarschulen und Universitäten geändert und vereinfacht werden mussten.« 1992 konstatierten die amerikanischen Sowjetunion-Experten Murray Feshbach und Alfred Friendly Jr. in dem Buch »Ecocide in the USSR«, dass »keine andere industrielle Zivilisation ihr Land, ihre Luft und ihre Menschen so systematisch und so lange vergiftet hat«. (…)

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wurde Bilanz gezogen. Die sozialistischen Länder rühmten sich ihrer Vorreiterrolle beim Umweltschutz. Die DDR schrieb im Jahr 1968 den Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung und gründete bereits 1972 – 15 Jahre vor der Bundesrepublik – ein eigenes Umweltministerium. Auch beim Umweltschutz, so wurde immer wieder behauptet, zeige sich die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus.

Doch wie sah es in der Realität aus? In dem Bericht der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit hieß es 1990: »Die ökologischen Probleme … sind verheerend. Auch für die Bevölkerung der DDR sind die Umweltbelastungen fast überall wahrnehmbar. Besonders gravierend ist die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und Kohlendioxid, die durch die Verbrennung von Braunkohle entsteht. Die Braunkohle ist der größte Energieträger in der DDR, doch die Kraftwerke sind veraltet; es fehlt an Entschwefelungsanlagen. Die Belastung ist so stark, dass viele Menschen in den betroffenen Regionen, z. B. rund um die Industriezentren Leipzig, Halle, Karl-Marx-Stadt und Dresden, überdurchschnittlich oft an Atemwegserkrankungen und Ekzemen leiden.

Tichys Lieblingsbuch der Woche
»Flugasche« – der Roman, der in der DDR nicht erscheinen durfte
Der ›Industrienebel‹ sorgt regelmäßig für Smog-Alarm in Städten und Dörfern und hinterlässt Staubschichten auf Autos, Fensterbänken und zum Trocknen im Freien aufgehängter Wäsche. Auch die Gewässer sind hochgradig belastet. Die chemische Industrie leitet ihre Abwässer ungeklärt und schadstoffbelastet in die Flüsse und Seen ein. Der in der DDR häufig kolportierte Witz ›In der DDR ist alles grau, außer den Flüssen‹ spiegelt dies wider. Der ›Silbersee‹ bei Bitterfeld/Wolfen gilt als Synonym für eine besonders drastische Gewässerverschmutzung. Das ehemalige Tagebauloch diente der Filmfabrik Wolfen als Abwassergrube, in das Schlämme und Abfälle eingebracht werden. Die schwermetallverseuchte Schlammschicht beträgt 1990 an einigen Stellen bis zu 12 Meter. Zur Verschmutzung der Gewässer tragen aber nicht nur Industrieabwässer, sondern auch die großzügig eingesetzten Düngemittel aus der landwirtschaftlichen Produktion bei. Insgesamt waren viele Flüsse und Seen in der DDR 1990 ökologisch zerstört.«

Die Schadstoffbelastung der Böden, so der Bericht, war in vielen Gegenden der ehemaligen DDR festzustellen und wurde durch die intensive Landwirtschaft bzw. Massentierhaltung ebenso erzeugt wie durch die unsachgemäße Ablagerung giftiger Industrie- und Siedlungsabfälle auf »wilden« Mülldeponien. Die Bergleute, die in Wismut unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen Uran abbauten, bekamen zum Ausgleich bis zu 7 Liter Schnaps im Monat. Das Wort »Uran« durfte nicht ausgesprochen werden und selbst in den Broschüren der Wismut-Berufswerbung wurde es streng gemieden. Auch in den privaten Gesprächen unter den Beschäftigten und Anwohnern des größten Uranbergbauunternehmens Europas war von Uran nie die Rede.

Durch diese Verschweigetaktik sollten Ängste in der Öffentlichkeit vor den gefährlichen Wirkungen des chemischen Elements verhindert werden. Daten zur Umwelt waren in der DDR spätestens seit einem Ministerbeschluss vom 19. März 1974 »Geheime Verschlusssache«. Günther Mittag, Sekretär des Zentralkomitees der SED für Wirtschaft, behielt sich die Entscheidung über die Verteilung vor. Nach 1982 durften nur noch er selbst, der Staatsratsvorsitzende Willi Stoph und Stasi-Chef Erich Mielke den jährlichen Umweltbericht erhalten. Die volle Wahrheit über den katastrophalen Zustand der Umwelt in der DDR erfuhren die meisten Bürger erst nach der Wiedervereinigung.

Gekürzter und um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Rainer Zitelmann, Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten. Zur Kritik der Antikapitalismuskritik. FBV, Hardcover, 464 Seiten, 25,00 €.


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