Tichys Einblick
Lehren der Geschichte

Jürgen W. Falter: „Das wäre eine strategische Torheit“

Der Wahl- und Parteienforscher Jürgen W. Falter hat untersucht, wer wann und warum zu Hitlers NSDAP-Parteigenosse wurde. Im Interview erklärt er, was man daraus für die aktuelle politische Situation in Deutschland lernen kann – und welche Fehler die Parteien von links bis rechts machen

Tichys Einblick: Im Corona-Jahr 2020 haben Sie Ihr Buch „Hitlers Parteigenossen“ veröffentlicht, in dem Sie die Strukturdaten der NSDAP-Mitglieder auswerten. Ein Buch, mit dem Sie belegen, „wie erschreckend heterogen und tief verankert die Gefolgschaft der Deutschen gegenüber Hitler war“, so die „Neue Zürcher Zeitung“. Lässt Ihre Erforschung der NS-Vergangenheit Analogien zu gegenwärtigen rechtsextremen Parteientwicklungen zu?

Jürgen W. Falter: Es lassen sich immer Parallelen ziehen. Das bedeutet keine Gleichsetzung, aber man kann doch bestimmte Strukturen und Prozesse entdecken, die recht ähnlich sind oder recht ähnlich werden können. Das ist einmal ein wachsendes Unbehagen in der Bevölkerung an den etablierten Parteien. Oder Belastungen des Systems, durch was auch immer: Das waren in der Weimarer Republik der Erste Weltkrieg, Versailles und die Reparationen, nicht zuletzt auch die Hyperinflation. Bei uns heute ist es etwas anderes: Es gibt eine an und für sich höchst erfreuliche Gewöhnung an die Demokratie und an ihre Segnungen. Das alles wird heute als selbstverständlich gegeben angenommen. Es gibt kaum Lob, sondern nur noch Kritik an dem, was nicht so gut läuft. Die Kritik äußern einerseits Menschen, denen es selbst nicht so gut geht, aber auch die Leute, die sich von der etablierten Parteipolitik nicht mehr vertreten fühlen.

Gegenwärtig dürfte der wichtigste Faktor sein, dass bestimmte Positionen von den etablierten Parteien über Jahre nicht besetzt worden sind. Beispiel: Die Masseneinwanderung 2015/16, die völlig ungebremst vonstattenging. Dazu noch die Ungeschicktheit von Angela Merkel, weitere Flüchtlinge durch Selfies mit der Kanzlerin anzulocken, was sicher nicht von ihr beabsichtigt war. In solche Lücken stoßen dann neue Parteien. In der Weimarer Republik hat sich die NSDAP unter den Antisystemparteien als die mit Abstand schlagkräftigste erwiesen, was auch etwas zu tun hatte mit dem Charisma und dem rhetorischen Talent Adolf Hitlers und der Tatsache, dass die NSDAP spätestens ab 1930 eine durchorganisierte, äußerst schlagkräftige Partei war, sicherlich die modernste der damaligen Zeit.

„Der wachsende Wahlerfolg der AfD
hat eine Magnetwirkung für alle entfaltet,
die bisher an der Wahlurne kaum Chancen hatten“

Heute sehen viele am rechten Rand eine neue Gefahr entstehen, die sie an die Weimarer Republik erinnert, wobei es an charismatischen Führern allerdings erfreulicherweise bisher mangelt.

Tichys Einblick: Wir reden von der AfD, der erfolgreichsten rechtspopulistischen Partei der deutschen Nachkriegsgeschichte, die in ihrer knapp achtjährigen Geschichte in alle 16 Landtage einzog und die derzeit stärkste Oppositionsfraktion im Bundestag stellt. Allerdings verbietet es sich aus vielen Gründen, die AfD mit der NSDAP gleichzusetzen.

Jürgen W. Falter: Das wäre blanker Unsinn. Das ist die reine antifaschistische Blindheit. Das Gründungs- und Anfangspersonal der AfD waren alte weise Männer. Ich kenne eine Reihe davon. Das sind zum Teil untadelige Demokraten. Hans-Olaf Henkel beispielsweise oder Joachim Starbatty sind Leute, die einfach unzufrieden waren mit der angeblich alternativlosen Eurorettungspolitik.

Tichys Einblick: Beide haben der Partei längst den Rücken gekehrt, wie auch der konservative Journalist Kurt Adam, einer der drei AfD-Gründungsvorsitzenden. Bei dieser jungen Partei ist ein massiver Austausch der Mitgliedschaft in relativ kurzer Zeit zu beobachten. Das Flüchtlingsthema spülte ganz andere Mitglieder in die Partei als das Gründungsthema der Eurorettungspolitik.

Konnte man aus der NSDAP auch austreten?
Eine bahnbrechende Studie zu den Mitgliedern der NSDAP
Jürgen W. Falter: Der wachsende Wahlerfolg der AfD hat eine Magnetwirkung für alle entfaltet, die bisher an der Wahlurne kaum Chancen hatten. Etwa die NPD, eine stramm rechtsextremistische Partei mit neonazistischen Anklängen, die in Deutschland nach 1969 nicht mehr reüssierte. Dann tritt mit der AfD eine Partei mit einem zunächst ehrenwerten Thema und ehrenwerten Gründungsvätern auf den Plan, die tatsächlich bei Wahlen punkten kann. Das zieht Leute an, die diese neue Partei zu instrumentalisieren und zu übernehmen versuchen. Das ist dann ja auch passiert, und zwar stufenweise. Nach Bernd Lucke kam Frauke Petry, dann Alexander Gauland – und irgendwo hockt hinter dem Busch Björn Höcke und wartet auf seine Zeit.

Tichys Einblick: Wie bewerten Sie den spektakulären Redeauftritt von Jörg Meuthen, immerhin Co-Bundesvorsitzender, beim jüngsten AfD-Parteitag, in dem er für einen „zivilisierten Konservatismus“ plädierte und die rechtsextremen AfD-Pöbler zum Austritt aufforderte? Personalpolitisch setzten sich die Vorschläge des moderateren Parteiflügels durch – wenn auch knapp.

Jürgen W. Falter: Auch in Niedersachsen hat sich bei der Aufstellung der AfD-Landesliste für die kommende Bundestagswahl der moderatere Parteiflügel durchgesetzt. Der zum rechten Flügel der Partei zählende frühere Fernsehjournalist Armin-Paul Hampel, derzeit MdB, scheiterte mit seinem Versuch, erneut Spitzenkandidat zu werden. Meuthen, so wie er sich gibt, ist ein konservativ-liberaler Mann. Liberal in seinem wirtschaftspolitischen Denken, konservativ in seinen Werten. Kein Rechtsradikaler, kein Rechtsextremer, mit aller Vorsicht allerdings, deshalb sage ich: So wie er sich gibt. In die Köpfe der Menschen kann man nie so richtig reinschauen. Aber er steht doch eindeutig für einen moderateren Kurs der AfD.

Ich glaube, ihm schwebt so etwas vor wie die CDU der 70er-Jahre – mit deren inhaltlichen Positionen und auch mit deren damaligem Auftreten. Ob er am Ende obsiegt, weiß man nicht. Wenn die radikaleren Kräfte die AfD verlassen sollten, wird die AfD zunächst einmal automatisch schwächer werden. Umgekehrt: Wenn die radikalen Kräfte gewinnen, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls schwächer werden, weil sie dann ihre bürgerlich-konservative Klientel verlieren dürfte, es sei denn, irgendwelche absonderlichen Krisen, von denen wir heute noch gar nichts ahnen, würden ihr erneut Wähler zuspülen, wie das vor fünf Jahren durch die Flüchtlingskrise geschah.

Tichys Einblick: Welcher Teil der AfD wird sich Ihrer Ansicht nach durchsetzen?

Jürgen W. Falter: Die AfD ist zerrissen in sich. Es sind zwei Parteien in einer. Aber das kennen wir von anderen Parteien auch. Für die Grünen hat das lange Zeit gegolten. Es gilt genauso für die Linke: Da tummeln sich staatstragende Sozialdemokraten, aber auch sozialistische Systemveränderer unter einem Dach. Bis heute hat die SPD das Problem, dass es Mitglieder und Funktionäre gibt, die lieber eine Art Volksfront-Regierung haben möchten – also Rot-Rot oder alternativ Rot-Rot-Grün, ja sogar Grün-Rot-Rot – als irgendeine andere Koalition. Bei der AfD ist diese Zweiteilung besonders stark entwickelt. Es ist eine junge Partei, in der der innerparteiliche Machtkampf noch nicht entschieden ist.

AfD-Parteitag: Meuthen gewinnt Richtungsstreit
Tichys Einblick: Im Parteienzustimmungsindex, der die Ergebnisse der Wahlumfragen in Ländern und Bund verknüpft, liegt die AfD um die zehn Prozent. Die Union positioniert sich bei knapp 35, die Grünen bei rund 19, die SPD bei knapp 17, die Linke bei gut sieben und die FDP bei knapp über sechs Prozent. Schwarz-Grün und eine Fortsetzung des aktuellen Berliner Regierungsbündnisses verfügten über die notwendigen absoluten Mehrheiten im Bundestag.

Jürgen W. Falter: Dieses Stimmungsbild zeigt sich bereits seit Monaten. Das ist fast wie festgefroren. Bei allen Oszillationen hin und her kommt fast immer, so wie Sie das jetzt gewichten, das Gleiche heraus.

Tichys Einblick: Unterstellen wir mal, die AfD würde den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen, etwa weil im Frühjahr eine Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz beschlossen würde, was bürgerliche Protestwähler verschrecken könnte: Die Folge wäre eine linke Mandatsmehrheit im Bundestag – Grün-Rot-Rot beim aktuellen Stimmungsbild. Wer AfD wählt, verhindert also eine linke Mehrheit?

Jürgen W. Falter: Ich würde es anders formulieren: Wer AfD wählt, verhindert sowohl eine starke CDU als auch Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot. Paradoxerweise ist die AfD aber auch so etwas wie ein Erfolgsgarant für die CDU, solange sie selbst nicht als koalitionsfähig gilt. Denn solange die AfD für Koalitionen nicht infrage kommt, kann nach gegenwärtiger Umfragenlage keine Regierung gegen die Union gebildet werden. Das kann sich zwar irgendwann ändern – denken wir nur mal an die PDS und die Linke, wie sich das bei denen über die Jahrzehnte geändert hat –, doch unter den jetzigen Umständen hat die AfD ungewollt eine instrumentelle Funktion im Parteiensystem: Sie ist ein Garant für die Große Koalition oder demnächst vielleicht auch für Schwarz-Grün.

„Das sind keine harmlosen Menschen.
Diese Partei und manche ihrer Akteure sind eben nicht nur Opfer, sondern oft auch Täter“

Tichys Einblick: Eine fast paradoxe Wirkung, weil das Parteienestablishment die AfD andererseits als den Gottseibeiuns unserer Tage stigmatisiert. Doch die Partei wird im Meinungskampf vor allem von Links instrumentalisiert. Sobald die CDU eine Position vertritt, die auch von der AfD vertreten wird, kommt der Vorwurf der Kollaboration mit den „Nazis“. Sehr oft springt die Union dann über dieses Stöckchen.

Jürgen W. Falter: Es ist eine strategische Torheit, sein Stimmverhalten daran zu orientieren, wie die AfD abstimmt. Denn dadurch macht man die AfD zum Marionettenspieler. Dadurch kann diese Partei entscheiden, wofür ich nicht bin. Auf diese Weise begebe ich mich in die Hände der anderen und gebe vor allem mein eigenes Programm auf. Diese Methode kann immer wieder strategisch eingesetzt werden. Ich bin gespannt, wenn die AfD ein sozialdemokratisches Herzensanliegen geschickt einbringt, wie sich dann die SPD dazu verhält. Bisher geht vor allem die Union in diese strategische Falle. Mein Ratschlag: Orientiert euch überhaupt nicht an der AfD. Wenn ihr etwas für richtig haltet, dann bringt das ein, egal wie sich die AfD positioniert. Besorgt euch allerdings nach Möglichkeit vorher die Mehrheiten und lasst euch nicht ins Bockshorn jagen. Denn sonst werdet ihr politisch unfrei.

Tichys Einblick: Die politische Gretchenfrage unserer Tage, „Wie hältst du es mit der AfD?“, dominiert den politischen Diskurs. Doch sie fällt auf ihre vorwiegend linken Fragesteller zurück, weil sie dieser Partei, die sie vorgeblich bekämpfen, ständig öffentliche Wahrnehmung verschaffen. Wolfgang Schäuble formulierte erst kürzlich: „Ich finde, unsere Demokratie dreht sich viel zu sehr um diese Partei.“

Von den Werten rechtsstaatlicher Demokratie
Die heutige CDU ist keine Partei der politischen Mitte
Jürgen W. Falter: Unter dieser politischen Überhöhung der AfD leiden aber vor allem CDU und CSU, nicht die linken Parteien oder die Grünen. Die treiben mit dieser AfD-Instrumentalisierung vor allem die Union vor sich her. Das kommt nicht von ungefähr. Die AfD steht natürlich programmatisch der Union näher als beispielsweise den Grünen. Setzt die AfD Themen auf die Agenda, die programmatisch mit der Union kompatibel wären, führt der instrumentalisierte AfD-Abwehrreflex dazu, dass die Union sich im Ergebnis von der eigenen Programmatik distanziert. Das sorgt wiederum für Verdruss im konservativen Union-Wählerlager und stärkt tendenziell die AfD.

Tichys Einblick: Wie bewusst die Linke dieses Spiel betreibt, bewies sie in Sachsen-Anhalt. Erst im November entschied sich dort deren Landtagsfraktion, der bis dahin scharf abgelehnten Erhöhung der Rundfunkgebühr doch zuzustimmen. So konnte man die CDU in die Falle laufen lassen, dass sie allein mit den „Rechtsradikalen“ von der AfD dagegen votiert.

Jürgen W. Falter: Das ist völlig richtig. Das ist Machtpolitik, keine Sachpolitik, die da betrieben wird. Man überlegt sich primär die strategischen und taktischen Vorteile, die man hat. Die inhaltlichen Fragen sind dann zweitrangig. Die AfD ist genau der Beelzebub, der Bösewicht, den man immer wieder vorholen kann. Allerdings tut die AfD auch viel dafür, dass das funktioniert. Das sind ja keine harmlosen Menschen. Die spielen buchstäblich mit den Spielregeln der Demokratie und der Politik. Sie machen demokratische Politik immer wieder auch verächtlich. Diese Partei und manche ihrer Akteure sind eben nicht nur Opfer, sondern oft auch Täter.

Tichys Einblick: Allerdings kann sich die AfD leicht als Opfer des Establishments ikonisieren, wenn man ihr beispielsweise zum x-ten Mal als größter Oppositionsfraktion ein Vizepräsidentenamt im Bundestag verweigert, das allen anderen Oppositionsfraktionen selbstverständlich zugestanden wird.

Jürgen W. Falter: Die anderen Parteien spielen in der Tat das „Opferrolle“-Spiel der AfD mit. Zum Märtyrer kann man sich nie allein stempeln. Da müssen die anderen mitspielen. Ich nenne das eine Form von politischem Autismus.

Tichys Einblick: Die AfD hat im Corona-Jahr demoskopisch deutlich an Zuspruch verloren. Kann sie also nicht, wie die Konkurrenzparteien befürchten, von der heterogenen Bewegung gegen die Einschränkung der unternehmerischen und bürgerlichen Freiheiten profitieren, die uns auch im neuen Jahr aus Gründen des Corona-Infektionsschutzes erhalten bleiben?

Jürgen W. Falter: Bisher sieht es jedenfalls nicht so aus, dass die AfD aus dieser gesellschaftspolitischen Spannungslage Vorteile ziehen könnte. Das liegt meines Erachtens an einem Grundwiderspruch. Die AfD ist eine Partei, die sehr stark auf „Law and Order“ setzt und auf eine starke Exekutive. Die Forderung nach der Einhaltung bürgerlicher Freiheitsrechte, die Forderung nach mehr liberaler Zurückhaltung des Staates mit Eingriffen in die Grundrechte der Bürger lässt sich glaubwürdig kaum mit dieser Partei verbinden. Deshalb glaube ich nicht, dass die AfD aus der Corona-Lage große Vorteile ziehen kann, zumindest dann nicht, wenn die FDP geschickt agiert. Die Liberalen verfahren in der Corona-Politik ja ähnlich, aber mit anderen Untertönen, mit einer anderen Textur.

Tichys Einblick: Im Teil-Lockdown zum Jahresende konnte man den Eindruck gewinnen, dass die FDP mit ihrer Kritik an der Corona-Politik von Bund und Ländern wieder stärker medial in Erscheinung tritt, was sich bereits in einer leichten Stabilisierung ihrer Umfrageergebnisse niederzuschlagen beginnt.

CDU-Parteivorsitz
Laschet: Von der „Pizza-Connection“ zur GrüKo
Jürgen W. Falter: Diese Beobachtung teile ich. Die FDP kritisiert die Regierungsmaßnahmen in einem deutlich verbindlicheren Ton und mit einer viel stärkeren argumentativen Rückkoppelung zu ernsthaften Grundrechtserwägungen. Da ist die FDP im Vergleich zur AfD einfach nach wie vor glaubwürdiger, auch wenn sie ohne Not ihren Rechtsstaatsliberalismus über Jahre hat schleifen lassen.

Tichys Einblick: Bürgerrechtskämpfer wie Gerhart Baum oder Burkhard Hirsch besetzten dieses Terrain einst für die FDP, der sie sich zunehmend entfremdeten. Selbst kleine Parteien brauchen ein Personaltableau, das ihre heterogene Wählerschaft an sie binden kann. Eindimensional darf man sich weder programmatisch noch personell aufstellen.

Jürgen W. Falter: Es klingt, als würden sie einen Übergang zur CDU einleiten. Das ist der große strategische Fehler von Angela Merkel, dass sie die Konservativeren weggebissen hat, Leute wie Roland Koch oder auch Friedrich Merz. Es gibt noch ein paar andere. Wolfgang Bosbach war jahrelang der Einzige, der regelmäßig öffentlich in Erscheinung trat. Aber er hatte in der Partei kein Gewicht im eigentlichen Sinn, sosehr ich ihn persönlich schätze. Die Kanzlerin und ihre politische Entourage haben nicht einmal den Versuch gemacht, die Konservativen, die Wertkonservativen, die Katholisch-Konservativen innerhalb der CDU zu pflegen, ohne dass man deshalb den eingeschlagenen Modernisierungskurs hätte verlassen müssen.

„Armin Laschet ist als Kandidat fürs Kanzleramt
so wenig überzeugend,
wie es Annegret Kramp-Karrenbauer gewesen wäre“

Aber es braucht starke Persönlichkeiten, die einen solchen Flügel nach außen vertreten. Volker Kauder war als langjähriger Fraktionsvorsitzender nie dazu in der Lage, ein Mann wie Alfred Dregger in früheren Zeiten dagegen schon.

Tichys Einblick: CDU und die Union werden in den nächsten Wochen und Monaten endlich die Frage beantworten müssen, wer Kanzlerkandidat wird. In welcher Konstellation hätten Ihrer Meinung nach die Unionsparteien die besten Mobilisierungschancen für die Bundestagswahl?

Jürgen W. Falter: Das ist unglaublich schwer zu beantworten. Natürlich spielt der Kanzlerkandidat eine überragende Rolle. Diese Funktion ist in einem Bundestagswahljahr viel wichtiger als der Parteivorsitz. Wenn das nicht in einer Hand ist, sondern ein Tandem gebildet wird, dann kommt es in jedem Fall stärker auf den Kanzlerkandidaten an. Armin Laschet ist als Kandidat fürs Kanzleramt so wenig überzeugend, wie es Annegret Kramp-Karrenbauer gewesen wäre. Denen fehlt einfach die Anziehungskraft über ihre Partei hinaus. Nicht einmal in der eigenen Partei verfügen sie darüber uneingeschränkt.

Mein persönlicher Favorit wäre Norbert Röttgen als Parteivorsitzender. Den kenne und schätze ich sehr, weil er ein ausgesprochen intelligenter Politiker ist. Als Kanzlerkandidat kommen Jens Spahn oder Markus Söder infrage. Ich würde die Erfolgschancen von Spahn als größer ansehen. Das Tandem Röttgen/Spahn wäre vermutlich das zugkräftigste Duo. Denn Söder böte, wenn er tatsächlich die Bundesbühne beträte, zu viele offene Flanken. Ein CSU-Kandidat ist immer anrüchig, das wissen wir aus der Erfahrung mit Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber. Das ist zwar nicht unbedingt gerechtfertigt, aber so ist es eben. Deshalb wären im Sinne von Stimmenmaximierung für die Union womöglich Röttgen, der ein sehr seriöses Auftreten hat und ein kenntnisreicher Außenpolitiker ist, und Spahn das stärkste Team.

Tichys Einblick: Wie wahrscheinlich ist diese Personalkonstellation?

Jürgen W. Falter: Mein persönliches Spitzentandem hat, fürchte ich, in der CDU und der Union insgesamt die geringsten Chancen, obwohl es über das eigene Lager hinaus die größte Wählermobilisierungskraft entfalten würde.

Tichys Einblick: Welche Koalition wird Deutschland ab Herbst 2021 regieren?

Jürgen W. Falter: Ich rechne mit Schwarz-Grün.

Jürgen W. Falter, Hitlers Parteigenossen. Die Mitglieder der NSDAP 1919 – 1945. Campus Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 584 Seiten, 45,- €.


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