Tichys Einblick
Kritik überlebenswichtig für die Demokratie

Das Verbot von »Hassrede« ist eine Einbahnstraße

Bei dem ganzen Spektakel um »Hassrede« geht es nicht um Höflichkeit und nicht um die Achtung anderer. Das wird uns nur vorgegaukelt. Es geht um Macht. »Hassrede«-Gesetze untergraben die Grundlage der Republik: die politische Selbstbestimmung.

Wie schüchtert man Menschen ein? Wie gibt man ihnen das Gefühl, sich strafbar zu machen, wenn sie ihre Meinung sagen? Man greift zu der trivialen Sprechblase »Hass und Hetze«. Oft erzielt das eine Wirkung. Häufig verunsichert der Vorwurf der »Hassrede«.

Aber was soll »Hassrede« eigentlich sein? Unser Strafgesetzbuch kennt den Begriff gar nicht. Dafür gibt es dort Verbote von Beleidigung, Verleumdung oder übler Nachrede. Der Bürger muss erkennen, was strafbar ist und was nicht. So steht es in der Verfassung. Schwammige Floskeln haben in Gesetzen nichts verloren.

Wenn jemand von »Hass und Hetze« spricht, plappert er entweder ohne nachzudenken nach, was alle plappern. Oder er will die Meinungsfreiheit einschränken und politisch unerwünschte Kritik kriminalisieren. Diese Kritik ist aber durch die Verfassung ausdrücklich erwünscht. Weil sie überlebenswichtig ist für unsere Demokratie.

Meint der, der von »Hass und Hetze« spricht, auch Äußerungen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind? Dann steht jemand vor Ihnen, der Ihr Grundrecht einschränken, der Ihnen den Mund verbieten will. Meint er aber nur das, was das Strafgesetzbuch ohnehin verbietet, warum sagt er es dann nicht? Und spricht einfach von »strafbaren Äußerungen«?

Das dunkelste Kapitel der DDR-Geschichte
Die heimlichen Morde der Stasi
Der Unrechtsstaat DDR kannte die »Staatsfeindliche Hetze«. Mithilfe dieses Verbots wurden viele Oppositionelle weggesperrt, weil die Formulierungen des Paragrafen so schwammig waren, dass beinahe jede kritische Äußerung bestraft werden konnte. So weit, wie gerne geltend gemacht wird, wenn Personen verspottet werden, die aufgrund von Meinungsäußerungen beruflich oder sozial Ächtung erfuhren, sind wir davon nicht entfernt.

Aber: Schwarz-Grün will in Nordrhein-Westfalen »ein bundesweit einzigartiges Netz« von Meldestellen einrichten, die »Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfassen« sollen. Dort legt man dann Dossiers über Bürger an, die nichts Unrechtes getan haben. Und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte schon Ende 2020 an, mit über einer Milliarde Euro »den Kampf gegen rechts« zu unterstützen. Denn »Hass und Hetze« von Islamisten oder von Linksextremisten gibt es hierzulande ja bekanntlich nicht.

Jeder hat den Begriff »Hassrede« schon einmal gehört, aber er wird in keiner der internationalen Übereinkommen zur Wahrung der Menschenrechte verwendet oder definiert. Auch nicht vom Europäischen Gerichtshof oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder einem anderen internationalen Gericht. Nationale Regierungen, Technologieunternehmen und internationale Organisationen verwenden den Begriff »Hassrede« in verschiedenen Dokumenten auf unterschiedliche Weise. Gemeinsames Merkmal ist die fehlende Definition, die Verwendung vager Begriffe und eine erhebliche Subjektivität und (rechtlich unzulässige) Unbestimmtheit.

Auffällig ist, wann und wo die Einschränkungen der Meinungsfreiheit über Strafgesetze stattfinden. Ins Auge springt, dass es häufig diejenigen trifft und sich die Strafverfolgung scheinbar auf diejenigen konzentriert, die nicht die Ansichten des Mainstreams zu bestimmten politisch brisanten Themen teilen. Folglich sind im Europa des 21. Jahrhunderts öffentliche – und manchmal sogar private – Diskussionen über politisch besonders umkämpfte Themen wie Migration, den Islam oder alles, was unter der Modevokale »Woke« subsumiert wird, gelegentlich risikobehaftet.

Insbesondere Online-Aktivitäten haben die Aufmerksamkeit der Zensoren geweckt. Internet-Giganten wie Facebook, X (Twitter), Google und Microsoft haben sich mit der Europäischen Union zusammengetan, um »Hate Speech« online aktiv zu entfernen.

»Die Kommission stellt heute zusammen mit Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft einen Verhaltenskodex vor, der eine Reihe von Verpflichtungen zur Bekämpfung der Verbreitung von illegaler Online-Hetze in Europa enthält.«

Diese Pressemeldung allein ist schon obszön genug, dass sich aber Unternehmen mit dem Staat zusammentun, um gemeinsam die Reichweite der Meinungsfreiheit der Bürger zu bestimmen (genauer: einzuschränken), ist eine rechtsstaatliche Perversion. Die Servilität, mit der sich die Repräsentanten der Unternehmen in der Pressemitteilung zitieren lassen, wirft ein deutliches Bild auf deren Haltung.

»Wir begrüßen die heutige Ankündigung und sind froh, dass wir unsere Anstrengungen zur Bekämpfung von Hasskommentaren im Internet mit der Kommission und der Technologiebranche fortsetzen können …
Wie wir in unseren Gemeinschaftsstandards klarstellen, gibt es auf Facebook keinen Platz für Hassrede. Wir fordern die Leute auf, unsere Möglichkeiten zur Meldung von Inhalten zu nutzen …
Unsere Teams auf der ganzen Welt prüfen diese Meldungen rund um die Uhr und handeln dann schnell«, Monika Bickert, Facebook.

Auf welchem Niveau die »Teams auf der ganzen Welt« operieren, zeigt dieses Buch.

»Wir haben effiziente Systeme, mit denen wir stichhaltige Meldungen in weniger als 24 Stunden prüfen und illegale Inhalte entfernen können. Wir freuen uns auf die gemeinsame Arbeit mit der Kommission …«,
Lie Junius, Google.

Wie es um die »effizienten Systeme« von Google bestellt ist, können Sie an den zahlreichen Beispielen [im Buch – u.a. im Kapitel »Faktenchecker vor Gericht: Tichys Einblick gegen Correctiv« – Anm. d. Red.] selbst überprüfen.

Diese Anbiederung passt zu der Entwicklung, der zufolge die großen amerikanischen Technologieunternehmen – Google, X (Twitter) und Meta – weitgehend die Prämissen der europäischen Gesetze gegen »Hassrede« übernehmen und imitieren. Und sie sind dabei, die damit einhergehenden Beschneidungen der Meinungsfreiheit auszuweiten.

Soll ein kritisches Buch verschwinden?
Correctiv gegen Steinhöfel
Ein durchgesickertes internes Memo von Google zeigt die skeptische Haltung des Unternehmens gegenüber der Redefreiheit und vergleicht die »amerikanische Tradition« mit der »europäischen Tradition«: Amerika bevorzuge die »freie Rede für die Demokratie, nicht die Höflichkeit«, während die europäische Tradition »die Würde und die Höflichkeit jeweils über die Freiheit stellen«. Das Memo macht Googles Unterstützung für die europäische Tradition deutlich und äußert die Vermutung, dass sich alle Tech-Plattformen schließlich in diese Richtung bewegen werden.

In ähnlicher Weise bekennt sich X (Twitter) öffentlich zum Verbot von Inhalten, die dazu dienen, Angst zu schüren oder Stereotypen über eine »geschützte Gruppe« zu verbreiten. Da das Schüren von Angst so weit gefasst und ungenau definiert ist, dass es keinen klaren Inhalt hat, kann alles, was hinter dem Lobpreisen einer »geschützten Gruppe« zurückbleibt, als verdächtig angesehen und gelöscht werden. Tür und Tor werden hier geöffnet für eine Tyrannei von Minderheiten, die bei geringfügiger Kritik indigniert protestieren.

Die Richtlinien von Facebook verbieten ausdrücklich die Verwendung von Begriffen, die als »entmenschlichend« für bestimmte Gruppen angesehen werden. Das Problem mit »Hassrede« ist laut Facebook, dass sie Menschen daran hindere, ihre Identität ungezwungen und frei auszudrücken. Was genau das sein soll, wird allein durch die moralischen Überzeugungen von Zehntausenden von Facebooks menschlichen »Hassrede«-Prüfern und Algorithmen, die Inhalte überwachen und verbieten, beurteilt.

Bei dem ganzen Spektakel um »Hassrede« geht es nicht um Höflichkeit und nicht um die Achtung anderer. Das wird uns nur vorgegaukelt. Es geht um Macht. »Hassrede«-Gesetze untergraben die Grundlage der Republik: die politische Selbstbestimmung.

Das Verbot von »Hassrede« ist eine Einbahnstraße: Es zielt darauf ab, die Rede der »Unterdrücker«-Gruppe zum Schweigen zu bringen, während den »Marginalisierten« volle Redefreiheit gewährt wird. Diese Diskriminierung und Ungleichbehandlung sind diesem Prozess immanent.

Letztlich besteht das Ziel des Verbots von »Hassrede« darin, die Gruppe der »Unterdrücker« zum Schweigen zu bringen, um sie daran zu hindern, negative Urteile über die »Ausgegrenzten«, diverse tatsächliche oder eingebildete Minoritäten zu bilden oder zu äußern.

Sprache als Spiegelbild der Macht, Sprache als Instrument zur Erlangung von Macht.


Um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Joachim Steinhöfel, Die digitale Bevormundung. Wie Facebook, Twitter und Google uns vorschreiben wollen, was wir denken, schreiben und sagen dürfen. FBV, Paperback, 224 Seiten, 18,00 €.


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