Tichys Einblick
Toleranz der Mächtigen

Joachim Gauck bei Maischberger: Toleranz auch für „Dunkeldeutschland“?

Joachim Gauck als Hauptgast bei Maischberger darf Reklame für sein neues Buch machen: Er will versöhnen - aber dann doch nicht so ganz. Sein Aufruf für Toleranz zeigt vielmehr, wie wenig tolerant es zugeht mittlerweile.

Screenprint: ARD/Maischberger

Mit „Maischberger“ eröffnet die ARD wieder die Talk-Show-Saison. Es ist ein neues Format; 30 Minuten lang ist der frühere Bundespräsident Joachim Gauck Hauptgast. Er gibt sich offener, als er das während seiner Amtszeit tat. Er fordert Toleranz. „Vom Gefühl her“ fände er es toll, dass der Bundestag bis heute keinen AfD-Vizepräsidenten gewählt hat. „Von der politischen Vernunft her, finde ich das aber hochproblematisch“, sagt Gauck.

Politischer Verstand und politisches Gefühl gingen bei ihm aber oftmals unterschiedliche Wege. Gaucks anschließendes Plädoyer für mehr Toleranz – „Toleranz heißt auch ertragen“ – sollte sich gerade aktive Politiker mehr zu Herzen nehmen, schließlich werden andere Meinungen doch oftmals von vornherein als zu extrem oder undemokratisch abgetan. Gauck macht auch Reklame für sein Buch zu diesem Thema. Das ist spannend. Wie weit erfüllt er selbst die Anforderungen, die er jetzt formuliert? Lesen wir sein Buch dazu, nehmen wir ihn beim Wort.

Denn Joachim Gauck hat viele Erwartungen, die Konservative und kritische Demokraten mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten verbunden haben, nicht erfüllt. Sein Wort vom „Dunkeldeutschland“ im August 2015 war der Auftakt zu einer Politik der Spaltung Deutschlands, die versuchte, jede Kritik am Kurs der Zuwanderungspolitik dadurch zu unterbinden, dass man diese Kritiker ausgrenzt oder mit der Nazi-Keule zum Schweigen bringt. Geht es nach Gauck in seiner damaligen Erklärung, dann hat Deutschland eine helle und eine dunkle Seite: das Engagement für Flüchtlinge auf der einen, rechtsextreme Anschläge, Gewalt und Hetze auf der anderen. „Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland“. Ob gewollt oder ungewollt, ob auf einen konkreten Vorgang bezogen oder nicht – sie hat die Welle der Ausgrenzung und Verleumdung in Bewegung gesetzt, die seither Deutschland spaltet.

Toleranz auch für die Dunkeldeutschen

Offensichtlich ist ihm nach der Amtszeit als Bundespräsident bewusst geworden, wie verheerend seine Worte wirkten, die beispielsweise der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf „Pack“ verkürzte. Jetzt hat Gauck ein Buch vorgelegt mit dem zweischneidigen Titel: „Toleranz – einfach schwer“. Man kann es als Selbstkritik lesen. Immerhin erkennt Gauck an, dass es „in unserer politischen Landschaft und in unserem politischen Disput zu einer Unwucht gekommen“ ist. Das ist ihm hoch anzurechnen. Und er führt auf vielen Seiten auf, was das für Menschen sind, die da in Dunkeldeutschland leben.

„Als inakzeptabel rechts werden gemeinhin schon diejenigen apostrophiert, die nichts anderes wollen, als  an dem festhalten, was ihnen vertraut und bekannt ist: Konservative, die Gesetze über Abtreibung und die ‚Ehe für Alle‘ am liebsten rückgängig machen würden und das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ablehnen. Menschen, die darauf verweisen, dass schwere Straftaten bei Teilen von Migranten überproportional zu ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sind. Als inakzeptabel rechts gilt häufig schon, wer zu seiner Heimat eine besondere Verbundenheit empfindet und am Nationalstaat hängt. Ja, es stimmt: Diese Menschen stehen rechts von der Mitte, aber sie sind damit nicht rechtsradikal, rassistisch, Nazis.“

Der Exorzist kurz vor Mitternacht
Bei Lanz: Gauck in einsamer Mission
Für ihn bleiben sie ein „zu respektierender Teil des Meinungsspektrums“. In diesen Sätzen werden Anspruch und Schwäche deutlich: Ja, Gauck nimmt „jene“ in Schutz, spottet über die „Tyrannei des vorherrschenden Meinens und Empfindens“, die „neurotische Feindschaft gegen das Eigene“. Er widmet ein Kapitel der „falschen Nachsicht gegen linke Gewalt“. Er benennt sogar Formen von Zusammenarbeit oder Duldung zwischen staatlichen Strukturen, Parteien und Organisationen einerseits und linksradikalen Aktivisten bzw. Angehörigen der autonomen Szene andererseits, die er am Beispiel Frankfurts aufführt. Sympathisch wird er, wenn er sich über die „Intoleranz der Guten“ mit sanftem Spott auslässt und politische Korrektheit, die zum Problem wird – auch und gerade in der Sprache, die zunehmend verkorkst und politisiert wird. Man spürt sein Bemühen, Brücken zu bauen, wieder zu versöhnen, was (auch er) gespalten hat.
Bestrafung auch für Linke? Hört, hört!

Aber wenn ein früherer Bundespräsident so scheinbar harmlos daher schreibt: „Für mich ist daher klar: Militante auch auf Seiten der Linken sind zu bestrafen“, dann hat er ja Recht. Aber man reibt sich die Augen: Ist das eigentlich nicht eine Selbstverständlichkeit? Muss man das betonen? Nun darf man das nicht Gauck vorwerfen. Vielmehr zeigt sich daran wie an vielen Stellen: Es wird längst wie selbstverständlich mit zweierlei Maß gemessen. Das gilt auch, wenn er den wachsenden Einfluss des radikalen Islam und insbesondere den des türkischen Staatspräsidenten Erdogan auf „nicht wenige Deutschtürken“ beklagt und feststellt, dass dessen Vorgehen „zu einem substantiellen Loyalitätsdefizit gegenüber den Werten einer liberalen, demokratischen Gesellschaft führen“ kann wie auch „zu einem Loyalitätsdefizit dem Staat gegenüber, in dem sie leben“. Recht hat er, wenn er beklagt, dass Kritiker dieser Form einer extremen Islamisierung wie Ahmad Mansour, Necla Kelek oder Hamed Abdel-Samad sich nur noch mit zahlreichen Personenschützern auf die Straße trauen können. Das alles sind Positionen, die erstaunen – erstaunen deshalb, weil sie gesagt werden müssen und nicht gesagt werden, und selbst wenn sie in Sonntagsreden verwendet werden, nicht zu entsprechenden Maßnahmen führen.

Ohne Amt kommt der Verstand
Joachim Gauck: "Mich erschreckt der Multikulturalismus"
Da ist das Buch verdienstvoll. Aber was ihm völlig fehlt, ist das Gespür für die tiefen Verletzungen und Wunden, die durch die Radikalisierung der Politik bei einem großen Teil der beschimpften, ausgegrenzten und diffamierten Bevölkerung geschlagen wurden. Das ist mit ein paar Pfarrer-Worten nicht heilbar, zumal er die Ausgegrenzten im Gesamt-Duktus wie eine betreuungsbedürftige Gruppe anspricht, die mehr Geduld für ihre Rückständigkeit beanspruchen darf, aber keinen Anspruch auf Geltung ihrer Werte und Positionen hat. „Es braucht Zeit, um sich an Neues zu gewöhnen, sich teilweise vielleicht sogar ihm anzufreunden, es braucht auch Zeit, um zu lernen, Menschen und Dinge auszuhalten, die den eigenen Gewohnheiten und Denkweisen widersprechen.“ Das ist ja richtig, weil er es aus einer Perspektive des Einwanderers formuliert – desjenigen, der aus der DDR in den liberalen Westen eingewandert ist. Aber sind die Einheimischen gehalten, sich an die von ihm selbst kritisierten Lebens- und Politikformen des Islamismus nicht nur zu gewöhnen, sondern sich auch noch mit ihnen „anzufreunden“?
Gewöhnung an den Steinzeit-Islam?

Genau das fordert er in den ersten Kapiteln, tadelt Kritiker und kritisiert dann später wieder den Multikulturalismus und Kulturrelativismus, wenn ein Täter, der seiner Frau den Hals durchgeschnitten hat, nur ein mildes Urteil erhält, weil er ja nach den Wertvorstellungen eines Steinzeit-Islam so handeln musste. Das findet er dann doch etwas krass, so viel Toleranz. Aber ist da die von ihm geforderte „kämpferische Toleranz“ noch das Mittel der Wahl, und wo liegen die Grenzen? Nun bleibt ja die Frage offen, wie man damit umgeht, wenn Messermörder sich auf die Scharia berufen und damit noch durchkommen. Doch Gauck wird seltsam sanft und liebevoll tolerant mit diesem Spektrum und eher streng mit den Forderungen an jene Konservative, die er überhaupt noch als Gesprächspartner akzeptiert und das auch nur dann, wenn sie sich besser früher als später einlassen auf die Rutschpartie der Werte und die Variabilität von Gesetzen, sobald sie Zuwanderer erfassen.

So hangelt er sich ambivalent durch die Seiten. Er fordert Toleranz, um „Lagerbildung“ zu vermeiden, dabei werden ernsthafte Menschen genau in diese Meinungslager getrieben. Dennoch ist das Buch eine gute Investition, wenn Sie Zitate für die Forderung nach mehr Toleranz brauchen oder ein Mitbringsel für ein Abendessen bei Gutmenschen, von denen Sie überraschenderweise noch eingeladen werden. Denn Gauck ist nach allen Seiten offen. Das ist mehr, als er vorübergehend war. Nach dem Amt kommt der Verstand, insofern ist Gauck jetzt wiederhilfreich für die Debatte.


Joachim Gauck, Toleranz – einfach schwer. Herder, 244 Seiten, 22,00 €.


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