Der Himmel ist grau. Es ist recht kalt für die Jahreszeit in Madrid, als ich am 19. Januar 2024 die Paketabholstation betrete. An der Kioskkasse wartend, höre ich eine vertraute Stimme. Hinter der Theke ertönt die Stimme des argentinischen Präsidenten Javier Milei. Die Frau an der Kioskkasse hört YouTube-Videos von Javier Milei, während sie auf Kundschaft wartet und kassiert. In dem Video geht es um die Wiederherstellung von Recht und Ordnung in Argentinien.
Als ich an der Reihe bin, frage ich, ob sie gerade Milei höre. Ich bin nicht zum ersten Mal bei ihr, um Paketsendungen abzuholen. Die Frau, wahrscheinlich die Eigentümerin, ist eine kleine untersetzte Südamerikanerin. Indigen. Über 60. Etwas mürrisch und lustlos. Spröde im Umgang.
Als sie den Namen Milei vernimmt, verändert sich ihr Gesicht. Zum ersten Mal sehe ich sie lächeln. »Ja, er gefällt mir«, antwortet sie. Ich halte ihr mein Handy vor die Nase, mit einem Selfie von mir mit Milei. Wieder verändert sich ihr Gesicht. So muss pures Staunen aussehen. Sie schaut mich an, als sei ich ein Wesen von einem anderen Planeten.
Aus meiner Sicht ist es kein Wunder, dass ich Javier Milei kenne. Schließlich ist die Anzahl der Anhänger der Österreichischen Schule, einer Denkschule der Ökonomie, der wir beide angehören, sehr überschaubar. Auch unter den hispanischen Anhängern der Österreichischen Schule kennt man sich.
Ich frage neugierig, warum ihr denn Milei gefalle. Sie nennt zwei Gründe. Milei sei nah an den Menschen. Und er kümmere sich um die Belange der Armen.
Ich will wissen, ob sie Argentinierin sei. Ihr Akzent und Aussehen deuten eigentlich nicht darauf hin. Sie sei aus Bolivien, sagt sie. Eigentlich könnten die Bolivianer die Argentinier nicht sonderlich leiden. Argentinien hätte Bolivien in einem Krieg Land geraubt. Aber den Milei, den würde sie trotzdem mögen.
Ungläubig verabschiede ich mich. Von jetzt an wird sie mir immer ein Lächeln schenken.
Das Phänomen Javier Milei ist noch größer und bedeutender als gedacht. In einem kleinen Kiosk in einem Vorort von Madrid lauscht eine indigene, aus bescheidenen Verhältnissen stammende Bolivianerin den Worten von Javier Milei über die Ideen der Freiheit. Milei ist dabei, den Kulturkampf zu gewinnen.
Sein kometenhafter Aufstieg zum argentinischen Präsidenten und Hoffnungsträger einer globalen Politikwende ist das faszinierendste politische Ereignis der jüngeren Geschichte. Einer der unglaublichsten und spektakulärsten Politikerfolge überhaupt. Ein Anarchokapitalist als Präsident eines Landes. Wie ist das möglich?
Milei kam aus dem Nichts. Ja, er hatte sich in Argentinien einen Namen gemacht als streitlustiger, unterhaltsamer, teilweise unflätig schimpfender Talkshowgast. Aber er ging als Quereinsteiger in die Politik. 2021. Ohne Struktur. Ohne Partei. Von Null. Und wird im peronistischen Argentinien, einem jahrzehntelang vom Sozialismus geprägtem Land, der erste liberal-libertäre Präsident der Welt.
Im Wahlkampf hielt er Vorlesungen über Ökonomie auf Marktplätzen. Er verschob die Koordinaten der öffentlichen Debatte, dominierte den Wahlkampf, brachte Freiheit, Abschaffung der Zentralbank und radikale Reformen in den öffentlichen Diskurs.
Das Erstaunliche ist daher nicht so sehr, dass Milei noch radikalere Reformen als Erhard vorschlägt. Das Einzigartige ist, dass er diese Reformen im Wahlkampf angekündigt hat und dafür gewählt wurde.
Das Phänomen Milei wirft bedeutsame Fragen auf. Wie konnte ein Außenseiter aus dem Nichts der erste liberallibertäre Präsident der Geschichte werden, mit einer radikalen libertären Staatskritik? Nüchtern betrachtet, ist das ein Wunder.
Und was sind genau Mileis Ideen? Was ist der Libertarismus, inwieweit unterscheidet er sich von anderen liberalen Strömungen? Und was genau ist der Anarchokapitalismus, zu dem sich Milei bekennt? Außerdem, was ist unter dem von Milei so oft beschworenen Kulturkampf zu verstehen, der in Lateinamerika in aller Munde ist?
Javier Milei schickt sich an, den Kampf um die besseren Ideen in alle Welt zu tragen. Seine fulminante Rede vor der versammelten Politik- und Unternehmerelite auf dem World Economic Forum (WEF) in Davos im Januar 2024, sein gefeierter Auftritt auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) in den USA im Februar und sein Konterfei auf dem Cover des TIME Magazine im Mai werfen weitere Fragen auf. Wird das Phänomen Milei global? Formt sich ein neues globales Bündnis gegen die woke, linke Leitkultur? Ein Bündnis für Wahrheit und Freiheit?
Die Linken schalten in den Panikmodus. Sie haben existenzielle Angst, dass Milei mit seiner Politik erfolgreich ist. Sie versuchen alles, um einen Erfolg Mileis zu verhindern. Kommt es zu einer Trendwende in einer Welt, die in den vergangenen Jahrzehnten immer schneller nach links in den Etatismus abgedriftet ist? Befinden wir uns inmitten einer liberalen Revolution?
Und was lässt sich aus dem Phänomen Milei für Deutschland lernen? Inwieweit lässt sich Mileis so erfolgreiche Strategie kopieren, weltweit, aber vor allem in Deutschland? Wie lässt sich eine Politikwende gestalten, mit libertären Ideen, mit den besseren Ideen? Milei hat gezeigt, dass eine solche Wende machbar ist. Die Zeit ist reif. Es lebe die Freiheit. ¡Viva la libertad, carajo!
Auszug aus: Philipp Bagus, Die Ära Milei. Argentiniens neuer Weg. LMV, Klappenbroschur, 264 Seiten, 22,00 €.