Jan Fleischhauer brauchte über ein halbes Jahrzehnt, um das Scheitern seiner Ehe druckreif zu Papier zu bringen. Nur Elitesoldaten mit veritabler posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) brauchen länger, um über ihr Trauma zu erzählen.
Nach der Lektüre des neuen Buches des Spiegel-Journalisten weiß man, dieser Jan Fleischhauer ist ein Gefreiter im Schützengraben der Liebe. Ein Ausgestoßener. Ein Weggeschobener. Ein Entsorgter.
Sein verstörender, sein lustiger, sein listiger, sein todtrauriger, sein komischer, sein kauziger, sein mitreißender Frontbericht trifft besonders bei den vielen noch Verheirateten ins Herz. Oder genauer: in Mark und Bein. Fleischhauer schreibt über die letzten Tage mit Ella aus dem ehelichen Schlafzimmer. Aus dem Wohnzimmer. Und aus der Küche – dort, wo die erste Granate explodierte. Das Gefecht eröffnet hatte seine Frau. Erst flog die Kasserolle, Fleischhauer überlebte dank Schutzengel. Dann zog seine Gattin den Ring mit den Worten: „Alles ist besser als noch ein Tag mit Dir.“, so der Titel des bei Knaus erschienenen „Romans“, der keine Autobiografie sein darf.
Jan Fleischhauer schreibt über seine Scheidung nicht mit blutunterlaufenen Augen, aber mit rosa Kalaschnikow. Entmannt, aber bewaffnet. Verletzt, aber verschorft. Getroffen, aber wieder zusammengeflickt. Er schreibt über diesen viel zu langen Weg von Ella zu Hannah durch Sturzbäche aus Tränen und über Berge von Tranquilizern hinweg. „Es ist wirklich enorm, was 0,5 Milligramm Tavor bewirken können. Eine halbe Tablette am Morgen, und die Angst fällt von einem ab wie ein böser Traum.“
Aus der Hölle ans Licht – der Bericht eines Überlebenden. Der 55-Jährige inszeniert sich dabei als bekennender Kontinuitätsanhänger. Überall, wo Fleischhauer hinging, ist er gekommen, um zu bleiben. In die Ehe wie als Journalist beim Spiegel. Beim Hamburger Magazin schreibt er seit 1989. So lange schon, dass er sich nicht geniert, achtundzwanzig Jahre später in Gegenwart der Ressortleiterin Tränen zu vergießen. Fleischhauer erinnert sich in seinem Buch an alles. An den Beginn dieser nach fünfzehn Jahren so katastrophal enden sollenden Liebe. An damals, als er für seine Auserwählte in der offenen DDR die Unterwäsche wusch, weil nur in seiner Unterkunft eine Westwaschmaschine stand: „Wenn das Schonprogramm durchgelaufen war, nahm ich ihre Blusen und ihre Unterwäsche und hängte sie auf die Leine im Badezimmer. Lange bevor wir zusammenlebten, wusste ich schon, welche Größe und Farbe Ellas Dessous hatten.“
Auch an später, als man schon einige Jahre verheiratet ist, beide Kinder sind schon da, erinnert er sich genau: „Es gab Kindergeburtstage, Weihnachtsessen und Familienurlaube die die Fotoalben wie Jahresringe wachsen ließen.“ Ja, so kitschig kann das Leben in der tränenverschleierten Nacherzählung sein, wo doch jeder die Anspannung und den Trubel von Kindergeburtstagen und Weihnachtsfeiern kennen und fürchten gelernt hat.
Aber man ahnt dann zwischen den Zeilen doch, woran Ella so lange gelitten hat. Wenn sich Jan Fleischhauer an den schönsten Moment seiner Ehe- und Familienzeit erinnert, sieht er sich auf dem Dach des gemeinsamen Penthouses in der Hängematte schaukeln und in die Wolken schauen. Dort oben fühlt er sich frei und geborgen. Mit sich alleine. Wattiert in dem sicheren Gefühl, das seine Frau ihm ein Stockwerk tiefer im Kinderzimmer den schaukelnden Silberrücken freihält. Verliebt in die Idee Familie, aber dann doch immer sorgsam außen vor.
Der Autor schreibt vom Scheitern der Liebe: „Natürlich lässt sich über das Scheitern der Liebe schreiben, ohne dass man auf eigene Erfahrungen zurückgreift. (…) Aber wer niemals aufrichtig geliebt hat, wird nicht wirklich über die Liebe und ihre Verwicklungen Rechenschaft ablegen können.“
Nun ist „Scheitern der Liebe“ eine Art Oxymoron. Eigentlich unmöglich. Denn Liebe ist ein Naturereignis, wie könnte Liebe jemals scheitern? Man verliebt sich, aber es gibt kein „Entlieben“. Die Liebe ist kein Hemd, das man nur fleißig bügeln muss. Unser Held ist zwar ein perfekter Hemdenbügler, aber auf dem Höhepunkt dessen, was er im Nachgang für die Zeit seiner ersten großen Liebe hält, liegt er glücklich und zufrieden mit sich alleine in der Hängematte über den Dächern von Berlin mit Blick auf den Fernsehturm. Über seiner Frau dort unten in der gemeinsamen Wohnung. Ein tragischer Held. Ja, eine Ehe kann scheitern, ein Zusammenleben, ein Familienleben. Aber die Liebe scheitert nie, sie zieht nur manchmal einfach weiter.
Fleischhauers Abrechnung – ja, auch das ist sein Buch – erzählt von der zweiten der beiden Geißeln der Menschheit. Die erste heißt Krebs und trifft beide Geschlechter, die zweite heißt Scheidung und ist für Frauen Befreiung vom Krebs namens Ehemann. So zumindest könnte ein Fazit lauten, wenn man Fleischhauers „Alles ist besser als noch ein Tag mit Dir“ liest. Der Autor mag sich selbst als gutartig verstanden haben. Aber auch gutartiger Krebs muss weggeschnitten werden, bevor er bösartig wird, mag Ella gedacht haben, damals, als sie Jan von heute auf Morgen entliebte. Für immer.
Der Leser folgt der Chronologie der schrecklichen Ereignisse. Der Blick zurück ist unvermeidlich. Abgepuffert wird diese streckenweise nervenzerrende Ich-Erzählung von geschickt gewobenen Essays, die beim Lesen wieder Kraft zum Atmen geben. Fleischhauer schaut dabei in Selbsttherapie auf sich herab. Einmal geht es um das Scheidungsrecht, um Gütertrennungen und um all diesen Wahnsinn einer Trennungsbürokratie, die den Verlassenen noch zum Aushälter der Betrügerin macht. So sieht sich Fleischhauer: „Aber verlassen werden und trotzdem weiterhin für alles aufkommen müssen? Das überfordert den stärksten Charakter.“ Und der tragische Held dieser Geschichte fragt sich: „Warum nicht mehr Menschen nach einer Scheidung zur Waffe greifen.“
Ein anderes Mal verliert sich der Neuverliebte seitenlang in zusammenführende Algorithmen der Dating-Portale. Von der Partnerbörse weiß Fleischhauer: Bei Tinder bekommen Frauen schon mal Penisfotos zugeschickt. Das mag er selbst nicht machen: „Wie ausgetickt muss ein Mann sein, um vor dem ersten Treffen sein Geschlechtsteil zu schicken?“ Auch ohne so ein Foto aus Fleischhauers Schatzkiste lernt er am Ende der Odyssee Hannah kennen und sogar lieben. Ein Happy End.
Aber zuvor geht es noch zu Schmuck-Wempe auf den Ku’damm, seinen Ehering entfernen. Denn der ist nach fünfzehn Jahren Ehe tief ins Fleisch gewachsen. Für das junge Ding am Schmucktresen zwar ein trauriger Anlass, aber technisch kein Problem. Die kleine Säge erledigt es im Nu. „Viel Glück“ hauchte sie und reichte mir das schwarze Tütchen.
Ein einziges Mal wollen wir doch die Distanz zwischen „Roman“ und Autobiografie erkunden und rufen persönlich bei Wempe an. Tatsächlich, die Säge in der Schublade unterm Tresen existiert. „Ja bei uns wird schon Mal gesägt, wenn der Ring über die Jahre zu eng geworden ist. Aber die Tütchen sind dunkel-weinrot.“ Der Faktencheck offenbart also die geringe Distanz vom „Roman“ zur Autobiografie, von dunkelweinrot zu düsterschwarz.
Nun schreibt Fleischhauer aus der Rückschau. Oft liegen Jahre dazwischen. Aber viele Gedanken lesen sich auch wie im Rausch der Tiefe aus seinem „Scheidungstagebuch“ beinahe grob zurück ans Licht gezerrt. Zombiegedanken. Untote Hirngeister. Ebenso roh wie blutig und ehrlich, wie wütend, enttäuscht und verzweifelt. Satz für Satz erzwingt der Autor so den Widerspruch seiner nun auf den heimischen Sofas lesenden Kundschaft.
Aber Seite für Seite wird diese Welt des Verlassenen glaubwürdiger. Der Leser leidet mit dem armen Tor, wird gar Interims-Analytiker, schaut auf sein eigenes Leben, vergleicht, erschrickt und, wenn die Bedrohung zu nah herangekommen ist, weicht der Leser schnell wieder aus in die Komödie – denn auch die bietet Fleischhauer an. „Alles ist besser als noch ein Tag mit Dir“ ist eine feinjustierte wunderschöne Komposition. Bisweilen gekonnter geklöppelt als das Spinnennetz der Spinnenfrau im Zentrum der Deutung. Nein, Ella ist kein Monster. Aber monströs bleibt, was diese Ella unserem tragischen Helden abfordert.
Ohne die so intelligent eingestreuten Essays, ohne diese Neutralitätspuffer zwischen Fleischhauers rasantem Herzeleidstriptease wären seine 207 Seiten kaum auszuhalten. Nun kommt Fleischhauer nicht an die selbstzerstörerische Intensität eines Stuckrad-Barres heran. Hier wirkt es eher so, als hätte sich der Buchhalter zum Gefühlsmenschen umgekrempelt. Aber der Kraftakt ist die Stärke dieses Buches. Weil er so nachvollziehbar geschildert wurde. Dass ist dann auch ein echtes Alleinstellungsmerkmal mit genau der Relevanz, die ein Bestseller braucht. Mit großem Identifikationspotenzial: Fleischhauer gibt den Verlassenen, gibt den Sprachlosen ihre Stimme wieder.
Den Thrill-Faktor gibt es auch. Bei Fleischhauer könnte man ihn in der Banalität des Bösen entdecken. Oder noch besser: in der bösen Banalität. Nicht der des Männer mordenden Hexenweibes, sondern des alltäglichen Bösen, versteckt hinter dem Märchenbuch, aus dem man grade den Kindern vorliest.
Zwanzig Seiten vor Schluss das Happy End mit Hannah. Das freilich sollte den Leser nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fleischhauer, das wir alle nur ein Leben haben. Ein Leben als Experimentierraum für diese eine Partnerschaft mit Kontinuität bis dass der Tod uns scheidet.
Das wollte Fleischhauer und er musste nun mit fast 50 Lebensjahren von vorne beginnen. Eine traurige Geschichte. Aber der Autor kämpft, er will sich noch nicht zu den anderen Gefallenen ins Seitenaus setzen. Doch geht das? Gibt es die Chance für ein zweites Leben? Kann man sich einfach neu erfinden?
Sicher lässt sich das Zeitfenster des Lebens in zwei Teile aufteilen. Jeder kann noch einmal von vorne anfangen. Aber wer von vorne beginnt, muss mit der Teilung im Rücken leben. Mit den unüberwindbaren Mauern zwischen diesen beiden Teilen. Mit jeder Zeile von Fleischhauer wird es klarer: Mauern, hochgezogen im Zustand der tiefsten Verletzung. Tröstlich für ihn: Schon in den 1970ern hatte der Populärpsychologe und Bestsellerautor Peter Lauster in „Die Liebe – Psychologie eines Phänomens“ seine Kernthese zur Liebe formuliert: „Liebe ist nicht teilbar.“ Und was nicht teilbar ist, bleibt also für immer ungeteilt verfügbar. Für seine zweite große Liebe Hannah.
So endet auch Jan Fleischhauers wundersame Selbsterrettung mit einem Mantra, das so schön erzählen will, wie die Kraft der Liebe selbst noch um die ausführlichste Anamnese den Mantel der Amnesie legen kann: „Eine nachsichtigere, liebevollere und überhaupt großartigere Frau werde ich in diesem Leben nicht mehr finden.“
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