Tichys Einblick
Go Woke, Go Broke?

J.D. Vance – Anwalt der »Abgehängten« im Konflikt mit dem Buchbetrieb

Die Biographie von Trumps Running-Mate J. D. Vance ist Bestseller und Verlags-Skandal: Der Ullstein-Verlag nimmt den Titel wegen Trump aus dem Programm, ein Kleinverlag steigt ein. Jetzt ist das Buch bei TE erhältlich.

Es tobt ein Shitstorm im sonst behäbigen Buchbetrieb des Sommers: »Wie komplett lost, intolerant und armselig der deutsche Kulturbetrieb ist« will WELT Chefredakteur Ulf Poschardt entdeckt haben, nachdem »Hillbilly-Elegie« von J.D. Vance plötzlich aus dem Angebot des Ullstein Verlags verschwunden ist. »Ignoranter gehts einfach nicht«, polterte der bekannte Münchner Soziologe Armin Nassehi. »In ›Hillbilly-Elegie‹ stand mal das Richtige drin und es wurde vom Richtigen geschrieben. Jetzt steht immer noch das Richtige drin, es wurde mittlerweile indes vom Falschen geschrieben. Deshalb hat der Verlag es aus dem Programm genommen«, analysierte der Kommunikationsberater Hasso Mansfeld die Lage. Tatsächlich sagt der Buchskandal viel über die Engstirnigkeit deutscher Verlagsmanager aus: Woke ist alles, Anpassung an den Mainstream gilt als Pflicht.

Dabei ist es eigentlich eher ein »linkes Projekt«, wenn man schon solche Einordnungen liebt. Als junger Mann von gerade mal 31 Jahren verfasst Vance seine Lebensgeschichte. Doch er ist kein Popstar. Er ist ein »Hinterwäldler«, ein »Hillbilly«. Er erzählt von den vergeblichen Anstrengungen seiner Leute, ihrer Hoffnungslosigkeit, ihrem Scheitern ebenso eindrücklich, wie er das beschreibt, was seinen »American Dream« wahr werden ließ.

 »Ich heiße J.D. Vance, und ich denke, ich sollte mit einem Geständnis beginnen …«, lautet der erste Satz der Einleitung zur Geschichte seiner Familie und seiner ersten drei Lebensjahrzehnte, die schon von acht Jahren in den USA erschien, 2017 in deutscher Übersetzung, ein internationaler Bestseller und verfilmt wurde.

Ist Peak Woke schon erreicht?
Die Erwachten, die Eliten und ihr Klassenkampf von oben
Der eigentliche Skandal beginnt mit der Nominierung von J.D. Vance zum Vize-Präsidentschaftskandidat der Republikaner am 15. Juli. Das verlieh diesem Backlist-Titel einen so außerordentlichen Nachfrageschub, dass die restliche Auflage – nach Auskunft einer Verlagsmitarbeiterin waren zunächst noch »ausreichend Exemplare vorhanden« – innerhalb kürzester Zeit vergriffen war. Ein Grund zu jubeln für den Verlag, würde man vermuten, besonders in Zeiten, in denen das Verkaufen von Büchern täglich durch Verschlechterung unterschiedlichster Rahmenbedingungen schwieriger wird.

Ullstein jedoch hat sich dagegen entschieden, der Nachfrage zu entsprechen und nachzudrucken – und die Lizenz für die deutsche Ausgabe nicht verlängert. Das lässt nicht nur wirtschaftlich vernunftgeleitete Beobachter den Kopf schütteln, sondern auch Leser dieses vielschichtigen Buches, das weit mehr ist, als die Autobiographie eines für dieses Genre viel zu jungen Mannes:

»Ich habe dieses Buch (…) nicht geschrieben, weil ich etwas Außerordentliches erreicht habe. Ich habe es geschrieben, weil ich etwas ziemlich Gewöhnliches erreicht habe – was den meisten Kindern, die so aufwachsen wie ich, eigentlich nie passiert. Ich bin nämlich in Armut aufgewachsen, im Rust Belt, in einer Stadt in Ohio, die einmal ein Stahlstandort war und von Stellenstreichungen und zunehmender Hoffnungslosigkeit geprägt ist, seit ich denken kann. (…) Ich wurde von meinen Großeltern aufgezogen, die beide keinen Schulabschluss hatten. In der ganzen, selbst der entfernteren Verwandtschaft gab es kaum jemanden, der studiert hatte. Die Statistik zeigt, dass Kinder, wie ich eines war, einer trostlosen Zukunft entgegensehen; dass sie nur mit Glück einem Leben als Sozialfall entgehen. Und wenn sie kein Glück haben, sterben sie an einer Überdosis Heroin, wie es Dutzenden in meiner kleinen Heimatstadt allein im letzten Jahr widerfahren ist. Ich war eines dieser Kinder mit einer trostlosen Zukunft.«

Die Geschichte, die J.D. Vance erzählt, wurde unmittelbar nach ihrem Erscheinen als ein Schlüssel zum Verständnis der Milieus gefeiert, die Hillary Clinton einmal geringschätzig als „basket of deplorables“ bezeichnet hat: die Abgehängten, »Hinterwäldler«, die Opfer des Strukturwandels – die obendrein ausgerechnet von denen aufgegeben worden sind, die die Interessen der »kleinen Leute« zu vertreten vorgeben: der politischen Linken. Und die darüber rätselten, warum sie nun ihre Stimmen Donald Trump gaben.

Auch in den Medien und von prominenten Lesern wurde »Hillbilly-Elegie« hochgelobt – so lange J.D. Vance ein erklärter und profilierte Kritiker von Donald Trump gewesen ist. Auch nach seiner Annährung an den Ex-Präsidenten, der ihn in seinem Wahlkampf zum Senator von Ohio unterstützte, den er 2022 gewann, änderte sich nicht viel an der inhaltlichen Einschätzung; das Buch »liefere einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des Auseinanderdriftens der US-Gesellschaft.«

Wir werden dumm vor Angst
Infektion der Kommunikationswege mit dem Virus der Moralisierung
Doch das ist nun alles anders. Der unveränderte, identische Text ist von einem Tag auf den anderen (dem 15. Juli) nicht länger tragbar. Denn sein Autor wandelte sich vom Anti-Trump zu Trumps »Running Mate«.
Es geht nicht darum, WAS J.D. Vance schildert, WIE er die Probleme adressiert und welche Auswege er aufzeigt, es geht nicht um die Elenden, Verlassenen und die Suche nach politischen Lösungen für sie. Es geht darum MIT WEM er danach sucht …

Es wurde in den letzten Tagen viel geschrieben über dieses Buch, das das alte lateinische Sprichwort bestätigt, dass Bücher ihre eigenen Schicksale haben. Es wird höchste Zeit, allen TE-Lesern zu empfehlen, „Hillbilly-Elegie“ selbst zu lesen. Es ist ein ergreifendes, erschütterndes, grundehrliches und illusionsloses Werk – doch auch voller Zuneigung zu den Menschen, um die es geht, die lebendig und ungeschönt geschildert werden, oft mit zärtlicher Dankbarkeit und mit viel Humor. Es ist eine Geschichte, die Mut und Hoffnung macht.

Nach dem Aus beim großen Ullstein hat sich das kleine Imprint YES, das sich in der Münchner Verlagsgruppe für originelle und höchst erfolgreiche Sachbücher und Ratgeber hervorgetan hat, dafür gesorgt, dass die deutsche Übersetzung bald wieder erhältlich ist. In unveränderter Neuausgabe. Das zeugt nicht nur von wirtschaftlicher Vernunft (eine Eigenschaft, die ohnehin vertrauenswürdig macht) sondern auch von publizistischer Liberalität und weltanschaulicher Weite.

Witzig und bezeichnend, dass YES wie Ullstein gemeinsam unter dem Konzerndach von Bonnier zuhause sind.

J.D. Vance, Hillbilly-Elegie. Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise. YES Publishing, Paperback-Ausgabe, 304 Seiten, 18,00 €


Mit Ihrem Einkauf im TE-Shop unterstützen Sie den unabhängigen Journalismus von Tichys Einblick! Dafür unseren herzlichen Dank!!>>>
Die mobile Version verlassen