Stephan Paetow ist ein großer Mann. Meist schreitet er etwas mürrisch daher, um die Körpermitte pendelnd wie ein Taschenmesser, das sich dann doch gegen das Zusammenklappen entscheidet. Die tägliche Rasur wird für Tage aufgespart, deren kalendarischer Rhythmus sich mir auch nach sieben Jahren nicht erschließt.
Ein wenig erinnert er vom Habitus an Karl Valentin. Mit einem wesentlichen Unterschied: Stephan Paetow leidet nicht an der Welt. Er hat seine eigene Methode, sie sich untertan zu machen. Er kann sich konsequent allen Dingen entziehen, die Anstrengung bedeuten. Mit einer Ausnahme: seinen Kolumnen. An denen arbeitet er hingebungsvoll und bis zur Erschöpfung.
Sorgsam achtet er darauf, seinen breiten Bildungshintergrund nicht zu deutlich durchscheinen zu lassen. Er spielt mit den Früchten einer germanistischen und anglistischen Ausbildung. Der Lehrer bricht sich nur Bahn, wenn er geduldig jungen Redakteurinnen die Kunst des Schreibens beibringt; was allerdings nicht häufig geschieht. Dann wird sein mürrischer Zug schnell blitzend spitzbübisch. Seine Wortwahl zu gefährlichen Drohnen mit erheblicher Zerstörungskraft. Große Konflikte umkurvt er dabei kunstvoll. Konflikte würden ablenken. Klingt das negativ? Keinesfalls. Das Ziel ist das Maß der Dinge.
Leser im klassischen Sinne hat er weniger als Anhänger. Verehrer. Die schon ein wenig „süchtig“ – zumindest sehn-süchtig – danach sind, dass endlich wieder Sonntag ist. Und Stephan Paetow die Absurditäten, die uns auf den politischen Bühnen des Landes und der Welt zugemutet wurden, mit rasiermesserscharfen Kommentaren und gallenbitterem Humor so auseinandernimmt, dass sich unser Unbehagen in schallendem Gelächter löst. Uns befreit. Dazu ermutigt, uns von diesem Wahnsinn nicht mundtot machen und klein kriegen zu lassen.
Sein inzwischen zum sechsten Mal erscheinender Jahresrückblick, diese „Chroniken von Absurdistan“, sollte es eigentlich auf Rezept geben. Oder von der Bundeszentrale für politische Bildung zur Stärkung der Kritikfähigkeit (dem Rückgrat des mündigen Bürgers) gesponsert werden. Das ist nicht der Fall. Hat aber den Vorteil, dass die Leser garantiert reinen Wein eingeschenkt bekommen – ohne Rücksicht darauf, wer sich auf die Zehen getreten fühlen könnte.
Ausblick auf den Rückblick 2022 gefällig?
Meine Empfehlung: Sichern Sie sich mindestens zwei Exemplare. Eines zum Selberlachen und eines, um Lachen zu verschenken. Ich finde, auch 2022 sollte Stephan Paetows „Blackbox“ unter keinem Weihnachtsbaum fehlen. Sie eignet sich aber auch vorzüglich als Gastgeschenk für die Silvesterparty oder als aufmunternder Gruß zu Jahresbeginn. Es gibt wenig Vergleichbares.
Die deutsche Satire ist zumeist staatstragend oder öffentlich-rechtlich und damit selbst eine Karikatur dessen, was sie zu sein behauptet. Womit sie zu einer Regierung passt, die ihrerseits nur absurdes Abziehbild dessen ist, was man als Regierung bezeichnen könnte. Satire ist oft Massenware, hergestellt mit GEZ-Gebühren in der ARD-Strickerei. Mit Stephan Paetow finden Sie einen Meister dieser Kunstform, die ansonsten am Wattegefühl der haltungsgemäßen Wohlanständigkeit zu ersticken droht.
Stephan Paetow, Blackbox 2022. Die satirischen Sonntagskolumnen. Die Chroniken von Absurdistan – unverschämt ehrlich, bitter-süß, zum Schreien komisch. Wishing Well Media, Paperback, 112 Seiten, 18,90 €