Tichys Einblick
Die Queen und ihr Erbe

Ist Großbritannien eine als Monarchie getarnte Republik?

Was die Tugenden und Werte von Elizabeth II. uns auch heute noch lehren können, im Umgang mit Krisen, Traditionen oder Familienstreitigkeiten, beleuchtet Alexander von Schönburg, mit der Familie Windsor bestens vertraut, in seinem jüngsten Werk. Und zeigt, was ihren Nachfolger King Charles III. erwartet.

Die Kunst, schwierige Zusammenhänge allgemeinverständlich darzustellen und Allgemeinüberzeugungen mit überraschenden Perspektiven zu verunsichern, beherrschen nur noch wenige Autoren der deutschsprachigen „Nonfiction“-Literatur. Gefragt am Markt sind theorieangedickte Zeitgeistbrühen, die das Publikum mit korrekter Haltungsmoral übergießen. Die große deutschsprachige Tradition des aufklärenden, leichtfüßig und stilsicher präsentierten Sachbuchs, von Egon Friedell, René Fülöp Miller, Friedrich Heer, Friedrich Sieburg, C.W. Ceram (alias Kurt W. Marek) und Dietrich Schwanitz hat nur zu einem kleinen Teil noch überlebt.

Spätestens mit seinem aktuellen Titel „Was bleibt, was wird – die Queen und ihr Erbe“ hat sich Alexander von Schönburg in die Reihe der Meister des Genres geschrieben. Schon in den letzten zwei Jahrzehnten hatte er mehrere Bestsellererfolge erringen können und ist ein erfahrener Sachbuchscribent, der stilsicher und mit einer angemessenen Prise Humor die unwegsamen geistigen Gelände unseres postmodernen Wertedschungels durchquert.

Kritiker haben ihm gelegentlich seine Leichtfüßigkeit vorgeworfen, etwa bei seinen selbst-ironischen Darstellungen des Niedergangs der Aristokratie das reale Elend in unserer Gesellschaft (Hartz 4!) nicht zu berücksichtigen. 1999 gehörte er mit Stuckrad-Barre und Christian Kracht einem gepflegt zynischen „pop-kulturellen Quintett“ an, das mit provokativer „Tristesse Royale“ gegen eine vorgeblich überbordende Geschmacksunkultur zu Felde zog. Die „antideutsche“ Zeitung „Jungle World“ beschuldigte die Fünf des Schnöseltums und verhängte in Jakobinermanier speziell über seine Person das Todesurteil: Man solle ihn köpfen und seinen Kopf auf einem Spieß durch Berlins Straßen tragen. Schönburg lächelte solchen Aberwitz einfach milde weg und schritt zur nächsten Tat.

Nach Gastspielen bei der B.Z., der FAZ, der Weltwoche, der Park Avenue und Vanity Fair heuerte er bei der BILD-Zeitung an, und gehört seit 2009 zur Chefredaktion. Paradoxerweise tat dieser Karriereschritt seiner Qualität als Autor nicht nur keinen Abbruch, sondern verfeinerte seine Fähigkeit, komplizierte Themen einleuchtend und unterhaltsam zu präsentieren. Genau diese Qualitäten kennzeichnen sein jüngstes Werk „Was bleibt, was wird – die Queen und ihr Erbe“.

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Krachts Erinnerungskaskaden sind sprachliche Filigranarbeiten
Sozusagen einen Geburtsvorteil hat bei diesem Thema seine Vertrautheit mit der Welt der Aristokratie und besonders der englischen Monarchie. Über seine Ehefrau, Irina Prinzessin von Hessen, einer Großnichte von Prinz Philipp, Herzog von Edinburgh und Prinzgemahl der Queen, ist er mit dem englischen Königshaus verwandt und hatte so häufig  Gelegenheit, auf Familienfesten die royale Verwandtschaft samt Queen persönlich kennenzulernen.

So kann er durch persönliche Faktenkenntnis behaupten: „Die Queen war der bekannteste Mensch der Welt. Und zugleich ein höchst privater. Man glaubt, alles über sie zu wissen. Und weiß doch gar nichts.“ Schönburg enttäuscht nach seinen eigenen Worten zwar jene Leser, „die ein plumpes Ausschlachten privater Begegnungen oder ein indirektes Wühlen in der Intimsphäre erwarten“. Stattdessen nimmt sich der Autor die Klischees und Ressentiments vor, die in der Öffentlichkeit, in Medien und Presse über sie verbreitet wurden –  etwa das falsche Bild einer starr-konservativen, ja steifen Person, wie in Stephen Frears Film „Die Queen“ mit Helen Mirren in der Titelrolle. Schönburg schildert sie mit vielen Belegen und Anekdoten als eine ganz warmherzige Frau.

Insbesondere ihre außerordentliche Menschenkenntnis, die Fähigkeit mit den unterschiedlichsten Charakteren in Kontakt zu kommen, ihre über Jahrzehnte entwickelte Small-Talk-Versiertheit, gleichgültig welcher sozialen Schicht, welchen Bildungsgrad oder welche Abstammung ihr Gegenüber hat. Im sanften Licht eines schlichten, aber freundlichen Humors werden diese Eigenschaften in Summe zu jener unwiderstehlichen „Soft Power“, die Großbritanniens vielleicht wichtigste diplomatische Waffe der letzten 70 Jahre war.

Die Sorge der professionellen Politikbeobachter beim Beginn ihrer königlichen Laufbahn, das hübsche, schüchterne Mädchen sei zu blass, um dem aufkommenden Medienzeitalter gewachsen zu sein, hat sich als Fehldiagnose herausgestellt. Rückwirkend muss man ihr eher bescheinigen, dass es gerade ihr aufreizend leiser Tonfall war, der sie inmitten des Eitelkeits- und Selbstdarstellungszirkus unserer Welt besondere Würde ausstrahlen ließ. In einer Zeit des Spektakels verzichtete sie darauf, spektakulär zu sein.

Auch ohne eigene Steuerungskompetenz spielte sie mit ihrer mentalen Unterstützung im Hintergrund bei einigen der großen britischen Richtungsentscheidungen eine bedeutsame Rolle. Mit ihrer engagierten Zustimmung konnte im ersten Jahrzehnt ihrer Regentschaft das Empire aufgelöst und in ein Commonwealth freiwilliger Mitglieder umgewandelt werden.

Schon in den 50er Jahren forcierte sie – misstrauisch beäugt gerade von Konservativen –  mit Besuchsreisen und Einladungen an deutsche Politiker wie Bundespräsident Heuß die Aussöhnung mit dem ehemaligen Kriegsgegner.

Und im hohen Alter unternahm sie zum Entsetzen des Establishments einen Bußgang nach Irland, um sich für die kolonialistischen Exzesse ihrer Vorfahren zu entschuldigen. Obgleich sie mit Lord Mountbatten einen engsten Verwandten durch den Terror der IRA verloren hatte, verweigerte sie den ehemaligen IRA-Kommandeuren Martin McGuiness und Gerry Adams nicht den Handschlag.

Portrait einer Ausnahmepersönlichkeit
Queen Elizabeth II. – Königin einer ganzen Epoche
Im Lauf ihres Lebens hat Elizabeth mehr als 100 Staatsbesuche unternommen, die jeweils mit weiteren Reisen, Festbanketts und Empfängen innerhalb des Gastlandes verbunden waren. Dabei hat sie die Fähigkeit entwickelt, bei den langweiligsten Reden ein interessiertes Gesicht zu machen und bei den abscheulichsten lokalen Delikatessen zu tun, als ob sie fantastisch schmeckten – darunter Entenembryos auf den Philippinen, gegrillter Anus vom Warzenschwein in Namibia und Gulasch aus dem Fleisch eines rattenähnlichen Nagetiers im zentralamerikanischen Belize („schmeckt ein bißchen wie Kaninchen“, bemerkte sie anschließend).

Als Gastgeberin hat sie mehr als 150 Staatsoberhäupter empfangen, darunter sämtliche US-Präsidenten seit Henry Truman, aber auch Widerlinge wie Ceauşescu und Idi Amin. Bei einem Staatsbesuch in Ghana im November 1961 gewann sie durch die Aufforderung zu einem hinreißenden Foxtrott die Sympathie des in Richtung Sowjetblock driftenden Präsidenten Kwame Nkrumah und zum Überdenken seiner Außenpolitik. Ghana verblieb trotz sozialistischer Rhetorik im Commonwealth.

Das Tanzen war übrigens Elizabeths Geheimwaffe. Alexander von Schönburg gestand ihr einmal, er sei zum Missvergnügen seiner Ehefrau Irina diesbezüglich ein ziemlicher Muffel. „Sie ermahnte mich in ihrem einzigartigen Tonfall mit den Worten: ‚Oh really? Dancing can lift your spirits, you know! It gives you a natural high like nothing else.‘ Die Formulierung ‚Oh really‘ mit langgezogenem ‚reaaally‘ kam aus dem Mund der Queen einer recht strengen Ermahnung gleich.“

Leidenschaftliche Tänzerin bis ins hohe Alter hinein, damit erfüllte sie eigentlich das, was einmal der holländische Nationaltrainer Louis van Gaal in einer Selbsteinschätzung als „Feierbiest“  bezeichnete. Vor allem auf ihrer schottischen Ferienresidenz Schloß Balmoral pflegte die Queen samt Verwandtschaft die ausschweifendsten Festivitäten zu veranstalten. Zwei Feiern pro Saison waren Standard. Einmal feierten die Royals gemeinsam mit dem gesamten Schloss- und Dienstpersonal, das andere Mal – dem berüchtigten „Gillies‘ Ball“ – mit den Jagdhelfern und sämtlichen Beschäftigten der Forstbetriebe und der Stallungen.

Da kamen je an die 300 Gäste zusammen, königliche Herrschaften und ihr Personal ließen es gemeinsam krachen. Parallel zum steigenden Alkoholpegel pflegten die Statusunterschiede zu verschwimmen. Nach stundenlangen schottischen Tänzen in schottischen Trachten unter Beigabe ungeheurer Mengen schottischen Whiskys drehten sich Prinzessinnen in den Armen von Stallburschen übers Parkett, oder die Königin wurde zur Tanzpartnerin ihres Kochs. Niemand durfte die Feier verlassen, bevor sich die Queen zurückgezogen hat, selten vor ein Uhr nachts. Der Rest feierte weiter bis in die frühen Morgenstunden.

»Bekenntnisse eines Häretikers«
Roger Scrutons konservative Streifzüge
Eine vielhundertjährige Konstante der Kritik an den Mächtigen ist die Verdammung von deren Liebe zu „Prunk und Pomp“. Alle wichtigen Elemente dieses Urteils wurden in der protestantischen und frühbürgerlichen Polemik gegen den Katholizismus erprobt. Später kam der Protest der landbesitzenden Elite gegen die Verschwendungs- und Schuldenmacherei der absolutistischen Höfe hinzu. Auf diesen Argumentationsgeleisen ging es im 19. Jahrhundert weiter, Meinungsführer wurde dabei der radikale Liberalismus im Bündnis mit der Industrie („Manchesterkapitalismus“), unterstützt von ruralen Protestbewegungen und den aufstrebenden Arbeiterorganisationen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete sich der Niedergang des Prinzips Monarchie immer sichtbarer ab. Frankreich verabschiedete sich 1871 endgültig vom Königtum, und nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs verschwanden das deutsche Kaiserreich, die Donaumonarchie, das Russische Zarentum und das Osmanische Reich aus der Reihe der Akteure.

Die wirksamste Überlebensstrategie wurde in England gefunden. Die Trennung der Monarchie mit ihrer „Prunk-und-Pomp“-Theatralik, den religiös inspirierten Ritualen, ihren festlichen Inszenierungen und feierlichen Staatsbanketten von der parlamentarisch legitimierten praktisch handelnden Politik wurde gewissermaßen zur Verfassungsnorm erhoben. Der legendäre Verfassungstheoretiker Walter Bagehot formulierte in seinem Standardwerk „The English Constitution“ als Grundlage für das britische Institutionengefüge: „Die ganze Institution der Monarchie basiert auf dem Mysterium.“ Für die symbolische Erhöhung ihrer Stellung habe sie auf jede öffentliche politische Meinung zu verzichten. Wie wenig die Monarchin (damals Königin Victoria) zu sagen habe, verdeutlichte er in der Pointe, sie müsse „ihr eigenes Todesurteil unterschreiben, wenn beide Häuser des Parlaments es verlangten“.

England schuf das perfekte Modell der konstitutionellen Monarchie, die einerseits ein großer Integrationsgarant des Landes ist, andererseits aber die gesellschaftlichen Entwicklungen dem demokratischen Wettbewerb der Parteien, einer freien Wirtschaft und zivilgesellschaftlichen Vereinigungen überlässt. Der Monarch unterwirft sich zur Erfüllung dieser Position einer weitgehenden Selbstbeschränkung. Er darf keine politische Rede halten, keine politische Parteinahme offenbaren, keine Auslandsreise unternehmen ohne die Zustimmung der gewählten Regierung.

Da die Krone in England zugleich das Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche ist, gibt es auch hinsichtlich von Eheschließungen und Berufstätigkeit Einspruchsrechte der Regierung. Edward VIII., der dies nicht einsehen wollte und gegen das Verbot des Parlaments an der Heirat mit der zweifach geschiedenen US-Amerikanerin Wallis Simpson festhielt, musste nach elf Monaten Regentschaft im Dezember 1936 zurücktreten. Ihm folgte widerwillig sein sprachbehinderter (hier sei auf den Film „The Kings Speech“ verwiesen) Bruder Albert als Georg VI. auf den Thron, der Vater Elizabeths II.

Das politische Vokabular Großbritanniens unterstützt in vielerlei Hinsicht die Illusion, die staatliche Gewalt gehe von der Krone aus. Die Regierung heißt „His Majesty’s Government“, der Premierminister wird als „His Majesty’s Prime Minister“ bezeichnet, die Steuern werden von „His Majesty’s Revenue and Customs“ eingezogen, Häftlinge sitzen in „His Majesty’s Prison“ und zu Beginn jeder neuen Legislaturperiode wird das Regierungsprogramm vom Monarchen vorgetragen und als King’s Speech bezeichnet – obwohl keine Silbe darin von ihm stammt.

Der Sinn von alldem ist nach Bagehot, dass eine Regierung, um reibungslos zu funktionieren, idealerweise aus einem „ehrfurchtgebietenden und einem effizienten“ Teil zu bestehen habe. Kabinett und Parlament bilden den effizienten, die Monarchie den ehrfurchtgebietenden Teil. In den Augen Bagehots, dessen Prinzipien auch der jungen Elizabeth Windsor eingetrichtert  wurden, ist Großbritannien eine als Monarchie getarnte Republik. „Die scheinbaren Herrscher der englischen Nation“, schreibt er, „kann man mit den eindrucksvollsten Gestalten in einer großartigen Prozession vergleichen. Von ihnen werden die Massen beeinflusst; sie sind es, denen das Volk zujubelt. Die wirklichen Herrscher verbergen sich in Kutschen zweiter Klasse, keiner beachtet sie oder fragt nach ihnen, aber man gehorcht ihnen vorbehaltlos und unbewusst, weil man sich von der Pracht und Herrlichkeit der Anführer der Prozession blenden läßt.“

Schönburg fragt im Blick auf den Thronfolgerwechsel, ob ein derart aufwendiges Spektakel, über dessen Wahrheitsgehalt jeder politisch informierte Mensch im Bilde sei, heute überhaupt noch tragbar wäre. Oder, ob ein derart groß angelegtes Schauspiel heute, im Zeitalter der – vorgeblichen – „Aufrichtigkeit, Transparenz und der Authentizität“ nicht wie Volksverdummung wirken müsse?

Heldenhaft im Alltag
Vergnügliches Plädoyer für lässigen Anstand und ritterliche Tugenden
Die Queen hat in ihrer 70-jährigen Regentschaft eine andere Bedeutung des konstitutionellen monarchischen Prinzips Gestalt werden lassen. Mit ihrer beispiellosen verfassungsmäßigen Treue, ihrer Loyalität zum politischen System, mit ihrem unfassbaren Arbeitsfleiß und einem vorbildlichen Lebenswandel hat sie ihrem Volk einen Sinn für die Werte der Tradition vermittelt – eine Ahnung von dem, was einmal als „Tugend“  verstanden wurde. Zu jedem Zeitabschnitt ihrer Regentschaft war die Queen im Lande verehrter und beliebter als die jeweilige Besetzung der Downing Street.

Schon Max Weber hat den entscheidenden Vorteil konstitutioneller Monarchien benannt. Ein gekröntes Haupt erfüllt eine Funktion, die ein gewählter Präsident nie erfüllen kann. Er begrenzt die überbordenden Ambitionen von Politikern und Demagogen dadurch, dass die höchste Stelle im Staat ein für alle Mal besetzt ist. Aber auch hier darf die Rolle der Persönlichkeit im geschichtlichen Kontext nicht außer Acht gelassen werden.

Seit Elizabeths Krönung 1953 hat sich die Struktur der Öffentlichkeit entscheidend verändert. Damals war das Fernsehen noch ein neues Medium, heute ist daraus, verstärkt durch Werbeindustrie, Boulevard und Internet ein unübersehbarer Infotainment-Komplex geworden. In Konkurrenz und im Zusammenspiel mit den immer mehr dominierenden sozialen Medien ist so, schreibt Schönburg, „ein alles verschlingender, nimmersatter und übermächtiger Moloch entstanden, der unsere modernen Gesellschaften in einem fortwährenden Aggregatszustand der Hysterie hält“.

Von Bagehots „mystischer Aura, die königliche Hoheiten für sich beanspruchen konnten“, ist fast nichts übrig geblieben. Hinzu kommt ein für Charles misslicher Umstand. Während seine Mutter als berühmteste Frau auf dem Planeten das Wunder vollbrachte, ein ewiges Rätsel zu bleiben, wissen wir über Charles mehr als uns lieb ist.

Neben einer 620 Seiten starken autorisierten Biographie liegen mehrere Titel aus seiner Feder vor (darunter ein Märchenbuch sowie mit „Harmony“ eine Gesamtschau seiner Weltsicht). Für seinen engeren Freundeskreis brachte er einen in Steifleinen gebundenen Band von 1402 Seiten heraus, der sämtliche Interviews enthält, die er seit 1968 gegeben hat. So kennt alle Welt seine Ansichten zu Städtebau, Bankenwesen, Klimawandel, alternativer Medizin, Heckenrodung, zur Mode und Ernährungsindustrie, zu ökologischer Landwirtschaft, zum interreligiösen Dialog, zur orthodoxen Kirche, zu Verpackungsverordnungen, Mülltrennung, zum Schutz des einheimischen Eichhörnchens und des Schwarzen Seehechts, zu Raumfahrt, Autoverkehr und zahllosen weiteren interessanten Themen. „Unpassenderweise sind wir – dank eines abgehörten Telefongesprächs – sogar mit seinen geheimsten erotischen Fantasien vertraut. Wie soll sich unter solchen Umstanden eine geheimnisvolle Aura erhalten?“

TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE
Der Mut zum freien, riskanten Denken
Charles zieht daraus die Konsequenz, einen Neuanfang zu wagen. Die Monarchie soll von traditionalistischen, antiquierten Elementen entschlackt werden. Der Startschuss hierfür war bei der Krönungsfeier zu besichtigen. Das heißt: Weg von dem Konzept „Magie“, hin zu einer Institution, die als eine Art „öffentlicher Dienstleister“ arbeitet. Eines der ältesten Elemente der Krönungszeremonie, der Kniefall und der Loyalitätsschwur der Herzöge wurde gestrichen. Die Ehrenplätze in den Kirchenbänken, traditionell reserviert für die Vertreter der höchsten Adelsgeschlechter, wurden demonstrativ an Bürger vergeben, die sich sozial verdient gemacht haben.

Das Vorhaben, auch Repräsentanten nichtchristlicher Glaubensgemeinschaften im Krönungsgottesdient eine Stimme zu geben, stieß bei Traditionsbewusten auf Empörung. Konservative Medien wie der „Spectator“ oder der „Telegraph“ spotten schon über die „woke“ Krönung. Sie werfen Charles vor, genau jene Bevölkerungsschichten zu verprellen, die dem Königshaus gegenüber immer loyal waren. Sie sehen das Land im Griff einer angeblich von Selbsthass getriebenen großstädtischen Neo-Oberklasse, die an allen säge, worauf das Nationalbewusstsein baue.

Alexander von Schönburg versucht am Ende seiner Darstellung zu einem optimistischeren Ausblick zu kommen. Er schreibt: „Die Monarchie strahlt zwar nicht mehr die Kraft aus und verdient nicht mehr den bedingungslosen Respekt wie in vergangenen Tagen. Aber sie hat immer noch die Kraft, als Bollwerk gegen die Tyrannei der Technokratie, der Erbsenzähler und Krämer zu wirken … Die englische Monarchie hat sich deshalb als erstaunlich robust herausgestellt, weil sie stets die Fähigkeit hatte, sich den jeweils herrschenden Umständen anzupassen, ohne die Traditionen, für die sie steht, zu verraten. Gerade diese Traditionen sind es, von denen jene unbesiegbare Faszination ausgeht.“

So ganz überzeugt ist der Autor jedoch nicht davon, dass Charles dafür die richtige Besetzung ist. Auch dem Rezensenten leuchtet seine angedeutete reservatio mentalis ein, wenn das Buch mit den Worten ausklingt: „Zugleich ist der Erfolg einer Monarchie auch eine Frage der Liebe – und die muss man sich beim Volk verdienen. William und Kate scheinen dazu eher in der Lage zu sein als Charles III.“

Alexander von Schönburg, Was bleibt, was wird – die Queen und ihr Erbe. Piper Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 240 Seiten, 25,00 €.


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