Heute schon tief genug ins Glas geschaut? Ins Wasserglas natürlich. Wir wissen doch: ohne Wasser kein Leben. Das köstliche Nass ist ein Gesundheitselixier, von dem man nie genug bekommen kann. Zwei Liter am Tag ist bereits erste Bürgerpflicht, wenn’s denn reicht. Denn wenn man Durst empfindet, sei es zum Trinken bereits zu spät, so die Beratung. Wie wär’s mit einem Tipp zum Abschlagen des Wassers: Wenn die Blase drückt, ist es zum Pinkeln schon zu spät. Deshalb vorher aufs WC gehen.
Doch wie findet man heraus, ob man sein Soll schon erfüllt hat? Expert/-innen raten zum „Turgortest“: Wer sich in die Haut zwickt, könne mit bloßem Auge sehen, ob Wassermangel drohe. Vielleicht beißen sich die Damen mal in den Hintern, um rauszufinden, ob bald Mittagspause ist.
Es heißt, ein Erwachsener verlöre täglich 2,65 Liter an Wasser. Bereits ab zwei Prozent Wasserverlust, warnen Ärzte, drohten Schwindel, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen. Außerdem käme dadurch „die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung im Körper nur zäh voran“. Früher waren für den Sauerstofftransport noch die roten Blutkörperchen verantwortlich.
Wasservergiftungen immer häufiger
Welcher Teufel mag die Ernährungsberatung bloß geritten haben, der Menschheit Trinkempfehlungen anzudienen? Mit Engelszungen verkünden sie nun Ratschläge, die uns bestenfalls dem ewigen Leben näherbringen. Immer öfter werden Wasservergiftungen beklagt, manchmal mit tödlichem Ausgang. Klingt zwar komisch, ist aber bitterer Ernst. Auch dann, wenn viele Menschen, ja sogar Ärzte, glauben, zu viel Flüssigkeit werde einfach wieder ausgeschieden.
Doch der Körper ist kein Bassin, bei dem man einfach den Stöpsel zieht. Zur Ausscheidung des Wassers benötigt die Niere Natrium, sprich Kochsalz. Der Mensch kann also nur so viel pieseln, wie er vorher an Salz gespeist hat. Fehlt Natrium, bleibt das Wasser notgedrungen im Körper. Dies führt schließlich zum Lungen- oder Hirnödem. Erhält der Patient nicht sofort reichlich Salz, ist er tot.
Gibt man den Fachbegriff „water intoxication“ in Pubmed ein, einer einschlägigen Datenbank für medizinische Publikationen, erhält man an die anderthalbtausend Treffer. Die meisten Vorfälle werden natürlich nicht groß publiziert, schließlich ist eine Wasservergiftung so banal wie ein entzündeter Appendix. Da ein Zuviel an Wasser zugleich ein Zuwenig an Salz bedeutet, trägt die Wasservergiftung noch einen zweiten Namen: Hyponaträmie. Pubmed liefert über 10.000 Treffer.
Opfer sind Kleinkinder ernährungsbewusster Mütter. Manche verdünnen sogar die Formulamilch, in der Hoffnung, ihr Baby zu verschlanken, denn Babyspeck macht ihnen Angst. Später tragen die Kids eine Aluflasche mit Saftschorle bei sich, an der sie aus Langeweile nuckeln. Apfelsaft enthält reichlich Kalium, den Gegenspieler des Natriums. Zudem mindert die Kalorienzufuhr durch die Fruchtsüße den Hunger. In der Folge essen die Kids weniger feste Nahrung, in der sich rettendes Salz befindet.
Typische Opfer sind Frauen auf Abnehmdiät. Um diese besser durchzuhalten, befolgen sie den Tipp, bei Hunger statt etwas zu essen lieber einen Schluck Wasser zu trinken. In der Folge kommt es zu Konzentrationsproblemen und Persönlichkeitsveränderungen. Am Steuer eines Pkw sind diese „Trinker“ genauso wenig erwünscht wie alkoholisierte Fahrer.
„Trinke nur, wenn du Durst hast“
Früher galt das ständige Wassertrinken (Polydipsie) als Hinweis auf psychiatrische Probleme, heute ist solches für viele junge Frauen normal. Unklar ist, ob die psychiatrischen Erkrankungen Polydipsie zur Folge haben oder ob diese vielmehr eine Folge des übermäßigen Wassertrinkens sind.
Am meisten leiden alte Menschen unter salzarmer Wasserkost, die ihnen gern verordnet wird. Eine schmerzhafte Folge sind Knochenbrüche. Bereits milde Hyponaträmien erhöhen das Frakturrisiko spürbar. Wenn die viele Flüssigkeit mangels Salz nicht mehr ausgeschieden werden kann, bekommt die schwächelnde Pumpe Extraarbeit. Stehen die Senioren aus ihrem Sessel auf, wird ihnen nach ein paar Schritten schwindlig, sie stürzen und brechen sich die morschen Knochen.
Besonders tückisch ist eine Symptomatik, die sich nahtlos in das Bild einer Demenz einfügt: Eine kräftige Bewässerung führt bei Greisen zu Verwirrtheit – die sich mit einer Salzgabe leicht therapieren ließe. Für manche Einrichtungen ein interessantes Geschäftsmodell, weil „demente“ Personen eine höhere Pflegestufe erhalten als Senioren, die noch selbstständig sind. Zumindest in Skandinavien versucht die Fachwelt, dem gefährlichen Trend gegenzusteuern. Im „Läkartidningen“, dem wichtigsten Ärztejournal des Nordens, werden die Kollegen regelmäßig aufgeklärt. Ein paar einschlägige Überschriften: „Wasser ist ein gefährliches Gift“, „Lebensgefährliche Hyponaträmie infolge des Irrglaubens, Wasser mache schön“. Und: „Trinke nur, wenn du Durst hast – zu viel kann dein Leben gefährden.“
Bald saufen sich in Deutschland mehr Menschen mit Wasser zu Tode als mit Alkohol.
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