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Hans-Jürgen Papier: „Unsere Freiheit ist in Gefahr“

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, kritisiert die Aushöhlung der bürgerlichen Freiheitsrechte während der Corona-Pandemie. Viele Regelungen hätten sich als offensichtlich ungeeignet, nicht erforderlich oder nicht verhältnismäßig erwiesen

Tichys Einblick: In der Corona-Pandemie sind bürgerliche Grundrechte in einem Ausmaß von der Politik suspendiert worden wie noch nie in der deutschen Geschichte. Welche Bilanz ziehen Sie nach bald 20 Monaten Corona-Ausnahmezustand?

Hans-Jürgen Papier: Ich hatte das Gefühl, dass man in Teilen der Politik nach dem Motto „Not kennt kein Gebot“ verfährt. Es herrschte die Meinung vor, der gute, der legitime Zweck, in diesem Fall der Schutz der Gesundheit und des Lebens der Bevölkerung, rechtfertige jedweden Grundrechtseingriff jedweder Schwere und Tragweite. Genau das ist aber nicht die Grundaussage unserer Verfassung, die ja die Freiheitsrechte nicht von ungefähr an den Anfang setzt und sich zu unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechten bekennt. Das bedeutet nun nicht, dass Freiheitsrechte durch den Staat, insbesondere also durch die Gesetzgebung und die darauf basierende vollziehende Gewalt, zum Schutz von Gemeinschaftsgütern oder zum Schutz anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang nicht beschränkt werden können. Doch diese Freiheitsbeschränkungen sind nicht grenzenlos zulässig und dürfen nicht beliebig vorgenommen werden.

Ich hatte bisweilen den Eindruck, dass nicht hinreichend berücksichtigt wurde, dass Freiheitsrechte nur insoweit beschränkt werden dürfen, wie es notwendig ist, um Gemeinschaftswerte und Rechtsgüter von Verfassungsrang zu schützen. Die verfügten Einschränkungen müssen auch geeignet sein, diesen Schutz – wenn auch nur annähernd – zu erreichen. Außerdem müssen sie im eigentlichen Sinn verhältnismäßig sein, bei der Abwägung zwischen Nutzen und Schaden muss also ein angemessenes Verhältnis bestehen.

Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung fiel gegen die Freiheitsrechte aus?

Zwar nicht alle, aber doch einige schwerwiegende Freiheitsbeschränkungen der vergangenen gut eineinhalb Jahre halten dieser wichtigen und stets vorzunehmenden Prüfung nicht hinreichend genug stand. Auch bei einer Ex-ante-Betrachtung, also einer Prüfung nach dem Wissen und dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Erlasses der jeweiligen Anordnungen, haben sich eine Reihe von Maßnahmen als offensichtlich ungeeignet, nicht erforderlich oder als nicht oder nicht mehr verhältnismäßig erwiesen.

Missbrauch von Wissenschaft
Corona-Politik ist unverhältnismäßig und freiheitsgefährdend
Allerdings zähle ich mich nicht zu denen, die die Maßnahmen des Staates in der Corona-Pandemie generell als unverhältnismäßig einstufen. Doch einzelne, wenn auch wesentliche Maßnahmen halten meines Erachtens dieser strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand. Der Staat, der in die Freiheitsrechte seiner Bürger eingreift, trägt gewissermaßen die Beweislast im Hinblick auf die Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gebots der Verhältnismäßigkeit.

Was bedeutet es aus rechtlicher Sicht, wenn die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ausläuft?

Wenn der Bundestag die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ nicht durch Beschluss verlängert, entfallen verschiedene Möglichkeiten des Bundesgesundheitsministeriums zum Erlass von Rechtsverordnungen, etwa zur Änderung der Arzneimittel-, des Apotheken- und des Berufsrechts im Gesundheitswesen. Die wesentlichen grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen beruhen aber auf Rechtsverordnungen der Landesregierungen, die allerdings bei einer Nichtverlängerung der epidemischen Lage nationalen Ausmaßes gleichfalls ihre bisherige gesetzliche Grundlage im Infektionsschutzgesetz (IfSG) verlieren.

Kann eine Landesregierung auch nach Auslaufen der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ die bisher laut IfSG möglichen Freiheitseinschränkungen in Kraft setzen?

Ja, das ist möglich, sollte der Bundestag nicht noch eine Änderung beschließen. Denn im Gesetz gibt es im einschlägigen Paragrafen 28a den Abs. 7, der hierfür eine rechtliche Grundlage bietet. Alle hier in erster Linie in Rede stehenden Freiheitseinschränkungen bleiben auf der Ebene der Bundesländer möglich, soweit und solange sich Covid-19 in einzelnen Ländern ausbreitet und das Parlament in dem betroffenen Land die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 des Paragrafen 28a IfSG für das Land feststellt. Um es nochmals ganz deutlich zuzuspitzen: Wenn der Bundestag in dem relevanten Zeitraum nicht mehr tätig wird, haben die Länder aufgrund des Infektionsschutzgesetzes des Bundes in der jetzt geltenden Fassung die Handhabe, alle auch bisher möglichen Schutzmaßnahmen in ihrem Zuständigkeitsbereich weiter anzuordnen.

Der Unterschied besteht allerdings darin, dass nicht mehr die Landesregierungen allein zuständig sind, die jeweiligen Landesparlamente müssen dem zustimmen. Das gibt den Landesparlamenten, die bei diesen Entscheidungen bislang außen vor blieben, ein Mitbestimmungsrecht. Und das finde ich überhaupt nicht verkehrt. Ich habe in der Pandemielage immer beklagt, dass diese weitgehenden Freiheitsbeschränkungen, die wir vor zwei Jahren in einem Rechtsstaat noch für unvorstellbar gehalten hätten, allein durch Verordnungen der Exekutive erlassen werden – ausgestattet mit einem mehr oder weniger weitgehenden Persilschein des Bundesgesetzgebers.

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Demokratie benötigt die frische Luft der Freiheit
Die Landesparlamente haben durch die schleichende „Hochzonung“ von Kompetenzen auf die Bundes- oder die EU-Ebene seit Jahren ohnehin immer mehr Kompetenzen verloren. Dass sie ausgerechnet bei diesem Thema jetzt wieder Mitwirkungsrechte erhalten, stärkt ihre Stellung. Denn die Länder der Bundesrepublik Deutschland sind Staaten, keine Verwaltungsprovinzen.

Auch in Europa beanspruchen die EU und ihre Organe immer mehr Kompetenzen. Wie souverän ist Deutschland, wenn Sie an die umstrittene laxe Geldpolitik der EZB denken, die vom EuGH einen juristischen Persilschein ausgestellt bekam, den das Bundesverfassungsgericht scharf rügte? Deshalb droht Deutschland jetzt sogar ein Vertragsverletzungsverfahren.

Sie beschreiben ein Spannungsverhältnis, das mit juristischen Mitteln in meinen Augen gar nicht lösbar ist. Sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU-Organe sollten es bei diesem Konflikt nicht zum Äußersten kommen lassen. Das angekündigte Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission wird zu einer Eskalation in diesem Spannungsverhältnis führen. Dabei ist dieser Konflikt letztlich unlösbar und müsste am Ende zwangsläufig zu einer grundlegenden Änderung der europäischen Verträge führen.

Für mich hat das BVerfG völlig zu Recht einen integrationsfesten Kern des deutschen Verfassungsrechts betont, wozu insbesondere das Demokratieprinzip gehört. Hier ist der deutsche Gesetzgeber, selbst wenn er dies mit qualifizierten Mehrheiten beschließen sollte, daran gehindert, Hoheitsrechte so weit abzugeben, dass etwa das grundsätzliche Budgetrecht des vom Volk gewählten Parlaments ausgehebelt wird. In verschiedenen Entscheidungen hat das BVerfG immer wieder betont, dass dieses Demokratieprinzip verletzt würde, wenn der EU-Mitgliedstaat Deutschland einer unlimitierten, unüberschaubaren und nicht eingegrenzten Haftung ausgesetzt würde. Diese Haftung für fremde und nicht begrenzte Schulden würde das Budgetrecht des Bundestags in seinen Grundfesten treffen.

Völlig zu Recht hat das BVerfG deshalb immer diesen integrationsfesten Kern betont. Wenn ein Organ der EU, etwa die EZB, eine Politik betreibt, die zu einer solchen Haftungsfolge für Deutschland führte, dann handelte sie „ultra vires“, überschritte damit ihre Kompetenzen. Ein solcher ausbrechender Rechtsakt wäre dann für Deutschland nicht verbindlich. Diesen Vorbehalt hat das BVerfG zur Wahrung des Kernbestands der deutschen Souveränität immer betont und gerade in den Entscheidungen zu den Anleihekäufen explizit formuliert. Solche Vorbehalte der Mitgliedstaaten sollten die Organe der EU respektieren und den Streit nicht zum Äußersten treiben, indem sie jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten. Die Kommission muss doch wissen, dass weder die Bundesregierung noch der Bundestag in der Lage sind, diesen Vorbehalt des unabhängigen Bundesverfassungsgerichts zu korrigieren oder zu ignorieren.

In Karlsruhe ist das Hauptsacheverfahren gegen das Pandemie-Notfallankaufprogramm der EZB anhängig, das keine Limitierungen des Kaufvolumens nach Länderquoten vorsieht. Wenn die Karlsruher Richter konsequent bleiben, dann müssten diese unbegrenzten Käufe jetzt als verfassungswidrige Monetarisierung der Staatsschulden eingestuft werden.

Anleitung zum Selberdenken
(K)ein Volk von Untertanen, Flüsterern und Denunzianten
Ich möchte diese Frage hier nicht abschließend beurteilen. Aber es könnte zu einer Konfliktlage kommen, die man so beschreiben kann: Zwei Züge drohen in voller Fahrt aufeinanderzuprallen. Ich wiederhole mich: Mit juristischen Mitteln wäre dieser Konflikt dann nicht mehr zu bereinigen. Ich gehe übrigens davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Haltung in der Gesamtheit der Mitgliedstaaten der Union gar nicht allein steht.

Es gibt zwar eine Reihe von EU-Staaten, die eine vergleichbare Verfassungsgerichtsbarkeit wie in Deutschland nicht kennen. Doch alle Verfassungsgerichte, die mit vergleichbaren Kompetenzen wie das deutsche Bundesverfassungsgericht ausgestattet sind, dürften das jedenfalls im Grundsatz ähnlich sehen. Auch im EU-Vertrag ist ausdrücklich festgelegt, dass die Union die nationale Identität und die grundlegenden verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten achtet und zu achten hat.

Die EU ist eben kein Staat, kein Bundesstaat, sondern nach ihrer eigenen Verfassungsstruktur ein Staatenverbund besonderer Art, ein Verbund rechtsstaatlich und demokratisch verfasster Mitgliedstaaten. Sie hat deshalb keine Allkompetenz. Die EU und ihre Organe können sich nicht immer weitere Kompetenzen selbst zubilligen oder im Sinne einer staatlichen Allzuständigkeit selbst einräumen. Doch diese Gefahr besteht. Das BVerfG wird allerdings wohl immer wieder versuchen dagegenzuhalten. Ob das dann wirklich gelingt oder ob es zu unauflösbaren Konflikten zwischen Deutschland sowie anderen Mitgliedstaaten mit den Organen der Europäischen Union führt, das weiß ich nicht. Ich habe aber große Befürchtungen, dass hier ein Sprengpotenzial vorhanden ist, das die EU in eine gefährliche Lage bringen kann.

Eine Demokratie lebt vom Meinungsstreit unterschiedlicher Standpunkte. In Zeiten der „Cancel Culture“ wird versucht, als nicht politisch korrekte Meinungen eingestufte Positionen zu stigmatisieren. Wie gefährlich ist das?

In meinem Buch „Freiheit in Gefahr“ weise ich nicht nur auf die Freiheitsgefährdungen und -beschränkungen durch den Staat hin. In zunehmendem Maß sind die Freiheitsrechte auch bedroht durch gesellschaftliche Entwicklungen ebenso wie durch die zunehmende Digitalisierung und Globalisierung. In der Pandemie hat der Staat zwar deutlich in die Grundrechte eingegriffen, das Meinungsklima der vergangenen Jahre ist aber – um ein Beispiel zu nennen – stark durch gesellschaftliche Organisationen und Gruppierungen bestimmt, ferner durch global operierende internationale Großkonzerne, die sich herzlich wenig um nationale rechtliche Vorgaben kümmern. Sie entscheiden nach eigenen Maßstäben, was auf ihren Plattformen an Informationen verbreitet wird und was nicht.

Weil die Meinungsfreiheit ein sehr hohes Gut in einer demokratisch verfassten Gesellschaft ist, hat der Staat aber gewisse Schutzpflichten, um dieses Grundrecht als verfassungsrechtliche Wertentscheidung zu gewährleisten. Deshalb muss er dafür Sorge tragen, dass die Meinungsfreiheit, aber beispielsweise auch die Kunstfreiheit oder die Wissenschaftsfreiheit sowie das Grundrecht auf Schutz der individuellen Persönlichkeit nicht durch gesellschaftliche Kräfte ausgehöhlt werden. Deshalb sehe ich mit großer Sorge, wenn beispielsweise an Universitäten Auftrittsverbote für Professoren gefordert werden. Oder wenn verlangt wird, dass Schauspieler nicht mehr für WDR-„Tatort“-Produktionen beschäftigt werden, weil sie öffentlichkeitswirksam eine kritische Position zur Corona-Krisenpolitik vertreten haben.

Durchblick schenken 2020
Man kann zwar alles sagen, wird aber nicht mehr differenziert gehört
Das höchste Gericht der USA, der Supreme Court, erachtete schon immer die Meinungsfreiheit als Grundlage jeder Freiheit überhaupt. Letztlich vertritt auch das Bundesverfassungsgericht, nicht wörtlich, aber sinngemäß, eine ähnlich hohe Wertschätzung der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit wird als ein für die Demokratie, aber auch für die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit ganz zentrales Freiheitsrecht verstanden. Deshalb müssen hier die staatliche Gesetzgebung wie auch die staatlichen Gerichte darauf achten, dass die Meinungsfreiheit weder durch starke gesellschaftliche Lobbys noch durch globale Digitalkonzerne ausgehöhlt wird. Hier ist der Staat als Garant für Schutzpflichten gefordert.

Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat der Gesetzgeber Privatunternehmen wie Facebook verpflichtet, Hassbeiträge und Falschinformationen zu löschen. Vorsorglich wird manches gelöscht, was durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist. Delegiert hier der Staat seine Schutzpflichten an Privatunternehmen?

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Aber es gelten ausschließlich das staatliche und das europäische Recht. Es kann nicht sein, dass große Intermediäre autonom entscheiden, welche Informationen oder Meinungen verbreitet werden dürfen und welche nicht. Da würde das staatliche Recht abdanken. Doch der Staat besitzt das Monopol der Rechtsetzung und der Rechtsprechung. Wenn sich Digitalunternehmen jetzt beispielsweise eigene Gremien schaffen, die Standards für die Löschung setzen und deren Einhaltung durchsetzen, die nicht mit dem staatlichen Recht vereinbar sind, dann muss jeder Rechtsstaat, nicht nur Deutschland, dieses Rechtsprechungs- und Rechtsetzungsmonopol durchsetzen.

Im Mai hat das BVerfG mit seinem Klima-Urteil Klagen junger Menschen stattgegeben, die eine Überlastung geltend machten, weil die gesetzlichen CO2 -Minderungsziele in diesem Jahrzehnt zu wenig ambitioniert seien und sie deshalb in den folgenden Jahrzehnten zu hart eingeschränkt würden. Dieses Urteil wurde von vielen gefeiert. Beim fortschreitenden Ausbau des Sozialstaats spielt die langfristige Tragfähigkeit dagegen keine Rolle. Ist das nicht ein Widerspruch?

Insbesondere Ihre Bedenken im Hinblick auf die Sozialpolitik teile ich. Vor geraumer Zeit habe ich bereits angeregt, dass Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit explizit in der grundlegenden Verfassungsbestimmung, also in Artikel 20 des Grundgesetzes, in dem das Demokratieprinzip angesprochen ist, verankert werden sollten. Und zwar in dem Sinn, dass die staatliche Gesetzgebung, aber auch die Exekutive und die rechtsprechenden Organe dafür Sorge tragen müssen, dass die Gemeinwohlbelange und Gemeinwohlbedürfnisse dauerhaft befriedigt werden.

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Misslich ist, dass dieser Nachhaltigkeitsgedanke in der aktuellen Politik fast ausschließlich auf die Klimapolitik und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen konzentriert wird. Da betont auch das Bundesverfassungsgericht den intergenerativen Gedanken. Aber Nachhaltigkeit muss in allen Politikfeldern gelten, insbesondere auch in der Sozialpolitik. Eine älter werdende Gesellschaft kann nicht die Kosten der Renten, Pensionen, der Gesundheitsversorgung und der Pflege allein auf die kleiner gewordenen Kohorten der jüngeren oder der kommenden Generationen abwälzen.

Dabei treffen die Wirkungen der Sozial- und Finanzpolitik vor allem den Nationalstaat, während selbst die ambitionierteste nationale Klimaschutzpolitik global fast keine Wirkung entfaltet, wenn nicht die großen CO2-Emittenten der Welt ähnlich ambitioniert mitziehen.

Gerade deshalb ist auf dem Feld der Sozial- und Finanzpolitik das Erfordernis der Nachhaltigkeit besonders wichtig. Den Klimawandel können Sie in der Tat nur wirksam im Zuge von internationalen Abkommen aufhalten. Alleingänge reichen dafür grundsätzlich nicht. Für den globalen Klimaschutz bringen sie so gut wie gar nichts, wenn sie nicht mit einer sehr aktiven und effizienten internationalen Politik und ihrer eindringlichen Förderung durch die nationale Politik einhergehen.

In Berlin hat eine Mehrheit der Wahlberechtigten die Enteignung von großen Wohnungsunternehmen befürwortet. Ihre Bewertung?

Ich bin ein Vertreter der liberalen Idee, dass zur Freiheit untrennbar auch der Eigentumsschutz gehört. Wer die geschichtliche Entwicklung der Menschenrechte verfolgt, ob in den ersten berühmten Verfassungen in den Vereinigten Staaten oder in Frankreich: Immer werden Freiheit und Eigentum als untrennbar deklariert. Das ist auch die Vorstellung des Grundgesetzes. Das Eigentum wird geschützt, weil es neben anderen Rechtspositionen wie Rente oder Arbeitseinkommen die ökonomische Basis der freien Entfaltung der Persönlichkeit bildet. Mich wundert schon, dass die Mehrheit der Berliner Wählerschaft offenbar Sozialisierungsfantasien folgt, die gerade im Ostteil dieser Stadt vor Jahrzehnten krachend und spektakulär gescheitert sind.

Abgesehen davon ist dieses Votum auch rechtlich problematisch. Der Berliner Senat ist zwar jetzt am Zug, weil er nach diesem Volksentscheid einen Gesetzentwurf erarbeiten muss. Im Zuge dieses Prozesses wird er aber erkennen oder erkennen müssen, dass die geforderte Sozialisierung verfassungsrechtlich nicht möglich ist. Insbesondere in Berlin nicht, wo eine Landesverfassung gilt, die im Gegensatz zum Grundgesetz eine Sozialisierungsmöglichkeit überhaupt nicht kennt. Der Landesgesetzgeber ist an diesen weitergehenden Eigentumsschutz der Landesverfassung gebunden. Rechtlich spricht auch dagegen, dass es hier in Wirklichkeit nicht um die Sozialisierung von Grund und Boden oder von Produktionsmitteln geht, sondern um die Zerschlagung von Unternehmen, die auch nach Artikel 15 des Grundgesetzes überhaupt nicht sozialisierungsfähig sind.

Hans-Jürgen Papier, Freiheit in Gefahr. Warum unsere Freiheitsrechte bedroht sind und wie wir sie schützen können. Heyne, Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 22,00 €.


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