Tichys Einblick
Vom Tod bedroht und vogelfrei

Große Solidarität für Rushdie

Zahlreiche Medienschaffende und Künstler stehen gegen islamischen Fundamentalismus auf.

1989 rief die iranische Führung zum Mord an dem britisch-indischen Autoren Sir Salman Rushdie auf und 33 Jahre später wäre dieser Aufruf beinahe verwirklicht worden: Während eines Vortrags am 12. August in Chautauqua, New York, wurde der Autor der „Satanischen Verse“ durch mehrere Stiche an Hals, Gesicht, Leber und Arm lebensgefährlich verletzt. Der Angreifer, der 24-jährige Hadi M. aus New Jersey, Sohn von Emigranten aus Jaroun im Libanon, wurde festgenommen – und regierungsnahe iranische Medien begrüßten den Angriff nicht nur, sondern bezeichneten Rushdie unter anderem als „Satan auf dem Weg zur Hölle“.

Literatur Nobelpreis für Rushdie gefordert

Der Anschlag auf Salman Rushdie durch einen islamistischen Attentäter ist bekanntermaßen kein Einzelfall: Von der Ermordung des islamkritischen niederländischen Filmregisseurs Theo von Gogh über die Enthauptung des französischen Geschichtslehrers Samuel Paty bis zum Massaker an den Karikaturisten der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ reicht eine Blutspur islamistischer Angriffe auf westliche Intellektuelle – auch der in Deutschland lebende Musiker Shahin Najafi ist mit zwei Todes-Fatwas belegt.

Und auch einige Übersetzter der Werke Rushdies, vor allem diejenigen der von religiösen Fanatikern als „blasphemisch“ eingestuften „Satanischen Verse“, die Rushdie die von Ajatollah Chomeini verkündete Fatwa einbrachte, mussten ihren Beruf mit ihrem Leben bezahlen: So ist Rushdies japanischer Übersetzer Hitoshi Igarashi 1991 in Tokio mit einem Messer ermordet worden, in Norwegen entging Verlagschef William Nygaard nur knapp einem Mordanschlag, der italienische Übersetzer Ettore Capriolo wurde schwer verletzt und in der Türkei entging Aziz Nesin nur knapp einem Brandanschlag, der 37 unbeteiligte Menschen das Leben kostete.

Mordversuch an Salman Rushdie:
„Man kann den Terrorismus nur besiegen, indem man sich entscheidet, keine Angst zu haben“
Doch nach dem Attentat auf Rushdie geben sich zahlreiche westliche Intellektuelle kampfeslustig und fordern eine große symbolische Gegenreaktion gegenüber dem fundamentalistischen Islam: So schlägt der bekannte französische Philosoph und Intellektuelle Bernard-Henri Lévy im „Journal du dimanche“ vor, Rushdie mit dem Literatur-Nobelpreis 2022 auszuzeichnen. Denn der indisch-britische Schriftsteller wird laut Lévy seit 30 Jahren dafür bestraft, dass er Texte schreibe, die „frei seien und frei machen“. Dafür verdiene er Wiedergutmachung, so der Franzose. Lévys Meinung schließt sich hierzulande auch der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff an, der Rushdie 1993 bei sich zu Hause versteckte.

Worte mit Worten nicht mit Gewalt erwidern

Wallraff gehörte ebenso wie Eva Menasse, Thea Dorn, Seyran Ates sowie Sven Regener am vergangenen Sonntag zu den Teilnehmern eines von „Welt“-Journalist und früherem PEN-Deutschland-Präsidenten Deniz Yücel veranstalteten Solidaritätsabend mit dem Titel „Words against Violence – ein Abend für Salman Rushdie“ im „Berliner Ensemble“, an welchem Texte des Autors als Zeichen des Widerstandes gegen Fanatismus und Gewalt vorgelesen wurden. „Wir alle müssen das schützen, was Salman Rushdie immer am wichtigsten war: die Freiheit des literarischen Wortes“, hieß es im Vorfeld zur Veranstaltung vonseiten der von Yücel gegründeten Schriftstellervereinigung „PEN Berlin“.

Auch Bari Weiss, frühere „New York Times“-Journalistin und profilierte Kritikerin von Cancel Culture und intellektueller Intoleranz, mahnte in einem „Welt“-Artikel an, dass sowohl religiösen Fanatikern als auch Anhängern des Wokismus entschieden entgegengetreten werden müsse: „Worte können abscheulich, ekelerregend, beleidigend und entmenschlichend sein. Sie können den Sprecher der Verachtung, des Protests und der scharfen Kritik würdig machen“, räumt die Journalistin ein. „Aber der Unterschied zwischen Zivilisation und Barbarei besteht darin, dass die Zivilisation Worte mit Worten beantwortet. Nicht mit Messern, Gewehren oder mit Feuer. Das ist eine klare Grenze. Es gibt keine Entschuldigung für das Verwischen dieser Linie – sei es aus religiösem Fanatismus oder aus ideologischer Orthodoxie irgendeiner anderen Art.“ Worte, Liedtexte, Kinderbücher und Kommentare seien nicht dasselbe wie Gewalt.

Dieser Beitrag von Stefan Ahrens erschien in der aktuellen Print-Ausgabe von Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken Autor und Verlag für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.


Salman Rushdie, Joseph Anton. Die Autobiografie. Aus dem Englischen von Bernhard Robben und Verena von Koskull. btb, 720 Seiten, 12,99 €.


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