Tichys Einblick: Außenministerin Annalena Baerbock sieht ihre Arbeit nicht in der Wahrnehmung deutscher Interessen im Ausland; vielmehr beschreibt sie ihre Arbeit als „Weltinnenpolitik“. Was kostet uns diese Weltinnenpolitik?
Fritz Söllner: Die Weltinnenpolitik, so wie sie die Frau Außenministerin betreibt, kostet uns gewaltige Summen. Sie ist nicht nur erfolglos, sondern wir richten weltweit wirtschaftlichen und politischen Schaden an. Wir erreichen unsere Ziele nicht, aber wir schneiden uns ins eigene Fleisch. Das zeigt sich in vielen Bereichen. Ob das jetzt die Klimapolitik ist, ob das die Lieferkettengesetze sind, die feministische Außenpolitik, die Exportförderung und so weiter.
Sie haben einen der drei Teile Ihres aktuellen Buches „Die Moralapostel“ mit „Die Missionierung der Welt“ überschrieben. Wie läuft diese Missionierung ab? Wer sind die Prediger?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, verschiedene Instrumente. Ich habe in meinem Buch drei Arten unterschieden. Erstens das Vorleben der richtigen Werte. Man appelliert an ein Land, sich auf die eine oder andere Art zu verhalten. Zweitens kann man Anreize schaffen. Beispielsweise werden Länder belohnt, die unsere Klimapolitik übernehmen. Sie bekommen Geld oder Handelserleichterungen. Die dritte Kategorie sind Zwangsmaßnahmen: Wirtschaftssanktionen, Schutzzölle und so weiter.
Wo schaden wir uns selbst mit solchen moralisierenden Machtmitteln?
Das am meisten diskutierte wirtschaftliche Druckmittel sind Sanktionen. Aber sind sie überhaupt wirksam?
Darüber kann man streiten. Es gibt verschiedene Studien zum Erfolg von Sanktionen – und die kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Pessimisten sagen, nur fünf Prozent aller Sanktionen seien erfolgreich. Andere sagen, die Erfolgsquote liege bei 30 Prozent. In bestenfalls drei von zehn Fällen führen Sanktionen also zu einer konkreten Verhaltensänderung.
Wann funktionieren Sanktionen?
Sanktionen können unter bestimmten Bedingungen funktionieren. Wenn sie multilateral verhängt werden, wenn sie ein konkretes Ziel haben und wenn dem Sanktionierten eine einfache Möglichkeit gegeben wird, sein Verhalten zu ändern. Aber wenn Sanktionen funktionieren, dann sehr schnell – oder sie funktionieren gar nicht. Die Sanktionen gegen Russland sind ein gutes Beispiel: Sie sollten Putin zum Frieden zwingen, aber dieses Ziel wurde nicht erreicht. Man kann sie also als gescheitert betrachten.
Wie hoch ist der wirtschaftliche Schaden, den wir Russland mit den Sanktionen zufügen?
Es ist schwer zu beziffern, was gewesen wäre, wenn es keine Sanktionen gegeben hätte. Im Jahr 2022 ist das russische Bruttoinlandsprodukt um drei bis vier Prozent eingebrochen. Aber die Wirtschaft hat sich schnell stabilisiert, 2023 gab es ein Wachstum von zwei Prozent, und für dieses Jahr wird ein Wachstum von drei Prozent erwartet. Das ist deutlich mehr als beispielsweise in Deutschland. Der kurzfristige Schaden hält sich also in Grenzen.
Und wie hoch ist der Schaden für Deutschland?
Nun, man kann zwei Zahlen nennen. Wenn man die Jahre 2022 und 2023 nimmt, dann hat der Krieg in der Ukraine einen Wertschöpfungsverlust von 300 Milliarden Euro verursacht. Dazu kommen die Belastungen für den Staatshaushalt: Militärhilfe, Finanzierung des ukrainischen Haushalts, Finanzierung der Flüchtlinge in Deutschland. Das hat rund 60 Milliarden Euro gekostet – und diese Summe wächst weiter. Das ist Geld, welches an anderer Stelle fehlt.
Das sind aber Kosten, die über die Sanktionen selbst hinausgehen. Die Finanzierung von Waffen und die Unterbringung von Flüchtlingen sind Folgekosten des Krieges. Aber wem schaden die Sanktionen am meisten?
So wie es jetzt aussieht, würde ich fast sagen, dass der Schaden für uns größer ist als für Russland. Aber die Fragestellung ist eigentlich, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, falsch. Es kommt nicht darauf an, ob der Schaden bei denen größer ist als bei uns. Es kommt darauf an, ob wir tatsächlich das Ziel erreichen, das wir erreichen wollen. Und wir erreichen es nicht, und deshalb sind die Sanktionen falsch. Auch wenn der Schaden bei uns geringer wäre als in Russland.
Die Europäische Union plant die Einführung eines CO2-Kompensationsmechanismus: Wie bewerten Sie dieses Vorhaben?
Der Ausgleichsmechanismus soll dazu führen, dass Unternehmen, die in Europa CO2-sparender, aber teurer produzieren, vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden, die diese Kosten nicht tragen muss. Importe nach Europa werden dann mit Zöllen belegt, die diesen Kostenvorteil ausgleichen sollen. Hier wird also alles teurer.
Hinzu kommt der enorme Bürokratie- und Nachweisaufwand. Gleichzeitig wird die europäische Industrie im Export weniger wettbewerbsfähig. Denn die hohen Produktionskosten hierzulande werden im Export nicht ausgeglichen. So können europäische Produkte auf dem Weltmarkt nicht bestehen.
Es entsteht also ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden, und die Verbraucher müssen künstlich erhöhte Preise zahlen.
Ja, aber es kommt noch schlimmer: Denn die Länder außerhalb der Zollschranke werden nicht einfach hinnehmen, dass wir ihre Unternehmen benachteiligen. Solche Zölle entsprechen nicht den Regeln der Welthandelsorganisation. Im schlimmsten Fall provozieren wir einen Handelskrieg mit den USA oder China. Und das alles nur, weil wir bei den politischen Eingriffen in die Wirtschaft die ökonomische und politische Realität ignorieren.
Prof. Dr. Fritz Söllner lehrt seit 1997 Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft, an der Technischen Universität Ilmenau. Er ist Mitglied der International Society for Ecological Economics, des Vereins für Socialpolitik und des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migrationspolitik, Umweltökonomie, Finanzausgleich und Geschichte des ökonomischen Denkens. In seinem neuen Buch „Die Moralapostel“ stellt er dar, wie übermoralisierte politische Entscheidungen die deutsche Exportwirtschaft nachhaltig schädigen.
Fritz Söllner, Die Moralapostel. Zerstörung eines Exportweltmeisters. LMV, Hardcover, 248 Seiten, 26,00 €.
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