An Franz Josef Strauß („FJS“, 1915 – 1988) scheiden sich auch 34 Jahre nach seinem Tod die Geister. Für die einen bleibt er „umstritten“, viele andere sehnen in Zeiten von Merkel, Scholz, Steinmeier, von der Leyen, Baerbock und Co. einen Mann wie ihn herbei und stellen immer wieder die Frage: Wie hätte FJS gehandelt und geurteilt? In den Monaten vor und nach der deutschen Wiedervereinigung; in 16 Jahren Merkel (wenn es dann überhaupt so viele geworden wären), in Zeiten von Klimadebatte, Corona, Ukraine, Inflation, Schulden, Transferunion, Bundeswehrdesaster, „Gender“… „Einer wie er fehlt heute!“ Das hört man zumindest in der Generation 55plus, die Strauß noch erlebt hat, regelmäßig.
Wer sich dem Phänomen FJS intensiver widmen möchte, muss eine Art Forschungssemester einlegen. Er wird im Buchhandel, in einer öffentlichen Bibliothek, in einer Universitätsbibliothek oder im Archiv der Hanns-Seidel-Stiftung endlos viele Regalmeter zu Strauß finden: Bücher, die er programmatisch selbst geschrieben hat; Biographien, Bildbände, Karikaturenbände, Videos. Er wird im „Netz“ zahlreiche FJS-Reden oder zumindest Auszüge davon als Video entdecken – mit zum Teil 2,5 Millionen Aufrufen. Interessanterweise wird der Interessierte viele Bücher zu FJS jüngsten Datums finden – etwa die Titel: „Wegbereiter der deutschen Einheit und Europäer aus Überzeugung“ (2020), „Franz Josef Strauß: Ein Leben im Übermaß“ (2017) oder „Herrscher und Rebell“ (2015, also zum 100. Geburtstag von FJS).
Nahaufnahmen
Der an FJS Interessierte kann sich einen ersten und sehr anschaulichen Überblick über den Politiker, Menschen und Vater Strauß verschaffen, indem er sich den soeben in Neuauflage erschienenen Band „Mein Vater Franz Josef Strauß. Erinnerungen“ vornimmt. Verfasst hat ihn der zweite Strauß-Sohn Franz Georg (*1961). Auf 288 Seiten erzählt und berichtet Franz Georg Strauß, wie der Politiker Mensch und Vater Strauß in der Nahansicht war. Das kann in einer solchen Konstellation Vater-Sohn nicht ohne Subjektivität abgehen.
Dennoch schafft es Sohn Franz Georg, sachlich an seinen „Papa“, wie er ihn im Buch immer wieder liebevoll nennt, heranzugehen. So wurde aus seinem Buch nicht nur eine Hommage an seinen Vater, schon gar nicht ein hagiographisches Stück. Auch diverse Strauß-„Skandale“ kommen zur Sprache. Und was die „äußeren“ Daten sowie die zeitgeschichtlichen Ereignisse und Umstände betrifft, ist das Buch absolut zuverlässig. Wer zum Buch des Sohnes etwa die 800 Seiten umfassende, 2015 erschienene Biographie des renommierten Münchner Zeithistorikers Horst Möller gegenliest (Titel: „Herrscher und Rebell“), wird das bestätigen können.
Im Kern aber geht es dem Strauß-Sohn um die zehn Jahre, die FJS Bayerns Ministerpräsident war – und zwar ein Ministerpräsident, der sein politisches Wirken nie an den Grenzen des Freistaates enden sah. Deutschlands Außenminister, wenn schon nicht Bundeskanzler, wollte er werden. Das war sein Traum. Die Konstellationen, vor allem die Koalitionen der CDU/CSU mit der FDP im Bund, verhinderten dies. Aber eine Art inoffizieller deutscher Außenminister, zumindest Bayerns „Außenminister“ war er dennoch. Sohn Franz Georg beschreibt dies immer wieder, hatte er den Vater doch als eine Art Adjutant auf unzählige Auslandsreisen begleitet, so nach Jugoslawien, Südafrika, Israel, in die USA, nach Bulgarien, Togo, China.
Kanzlerkandidatur und Milliardenkredit
Interessant, ja spannend wird das Buch besonders dort, wo es um ganz große Ereignisse geht: wenn etwa der Autor die Ostverträge der Jahre 1970 bis 1973 rekapituliert und nicht zu Unrecht Strauß‘ Verdienst beschreibt, diese Verträge vor das Bundesverfassungsgericht gebracht zu haben. Ohne die entsprechenden Karlsruher Urteile wären DDR-Bürger nicht mehr Inländer im Sinne des Grundgesetzes gewesen; 1989/90 wäre wohl anders verlaufen. So aber verbindet sich der Tag der Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990 per Zufall mit dem gleichen Datum zwei Jahre zuvor: Am 3. Oktober 1988 starb FJS.
Franz Georg geht ausführlich auf den von seinem Vater eingefädelten „Milliarden-Kredit“ des Jahres 1983 für die DDR ein. Die Begegnung seines Vaters mit Honecker und die vielen Gespräche seines Vaters mit DDR-Wirtschaftsfunktionär Alexander Schalck-Golodkowski hat er miterlebt. Er erinnert daran, was vielfach bis heute unter den Tisch gekehrt wird: Dass dieser Kredit nicht das „Leben“ der DDR verlängerte, sondern dass damit 4.000 politische Gefangene und Ausreisewillige die DDR verlassen konnten und die Selbstschussanlagen an der Todesgrenze abgebaut wurden.
Einschnitte und Bleibendes
Sehr persönlich wird das Buch, wenn Franz Georg den plötzlichen Tod seiner Mutter Marianne Strauß (*1930) in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1984 schildert. Sie war mit dem Auto von der Straße abgekommen und erst am frühen Morgen gefunden worden. Zu diesem Zeitpunkt weilte Strauß als Bundesratspräsident zusammen mit seinem Sohn auf offiziellem Besuch in Zagreb. Dieser Tod war im wahrsten Sinn des Wortes ein Bruch im Leben des FJS. Und ebenso persönlich wird das Buch, wenn Franz Georg den plötzlichen Tod seines Vaters am 3. Oktober 1988 in Regensburg, die nachfolgenden Trauerfeierlichkeiten und die Anteilnahme der Bevölkerung schildert. Ausführlich zitiert werden hier die Traueransprachen etwa von Kanzler Kohl (Strauß als „Urgestein“), von Bundespräsident Weizsäcker („Bei Strauß konnte niemand gleichgültig bleiben.“) und des damaligen Kardinals Ratzinger (Strauß als „kraftvolle, unverwüstliche Eiche“, als dann „gefällte Eiche“).
Franz Georg versäumt es auch nicht, die posthumen Würdigungen und Erfolge seines Vaters zu benennen: seinen Einsatz für den Münchner Großflughafen, der 1992 eröffnet und nach ihm benannt wurde; seinen Einsatz für den Rhein-Main-Donau-Kanal, der ebenfalls 1992 fertig wurde; die Ansiedlung eines neuen BMW-Werkes in Regensburg (statt im österreichischen Graz) und so weiter. Und ebenso wenig versäumt es der Strauß-Sohn, regelrechte Kampagnen etwa der „Süddeutschen“ gegen seinen Vater und über dessen Tod hinaus gegen die Strauß-Familie sowie manche Gemeinheiten von CSU-Leuten gegen seinen Vater zu benennen.
Alles in allem: Das Buch des FJS-Sohnes veranschaulicht – gut bebildert – aus erster Hand, was andere, distanzierte Autoren immer wieder mit Buchtiteln zum Ausdruck brachten: Strauß war „Weder Heiliger noch Dämon“ (Buchtitel aus dem Jahr 1965), und er war „Der barocke Demokrat aus Bayern“ (1995). Er musste viel einstecken, konnte aber mit rhetorischer Urgewalt und historischem Universalwissen, wie man es heute schmerzlich vermisst, heftig austeilen.
Das Vorwort zu den Erinnerungen des Strauß-Sohnes Franz Georg stammt übrigens aus der Feder des – klar doch! – bekennenden Strauß-Fans und jetzigen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Der 1967 geborene Söder war zwar, als Strauß Ministerpräsident in Bayern wurde, erst 11 Jahre und als Strauß starb 21 Jahre alt. Aber das Image des Strauß-Fans und stolzen Strauß-Nachnachnachnachnachfolgers pflegt er auch im Vorwort des Buches: 1983 habe er Strauß, das „rhetorische Kraftwerk“, bei einem Wahlkampfauftritt in Nürnberg erlebt und sogleich sein Zimmer zu Hause mit einem FJS-Poster („wie eine Pop-Ikone“) geschmückt.
Zum Autor: Franz Georg Strauß ist Medienunternehmer und promovierter Jurist. Er ist das zweite, 1961 geborene Kind von drei Kindern des Ehepaars Marianne und Franz Josef Strauß. Sein älterer Bruder Max Josef, Jahrgang 1959, ist Jurist; seine Schwester Monika (später Monika Hohlmeier, 1998 bis 2005 Kultusministerin in Bayern und seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments) wurde 1962 geboren.
Hinweis: anlässlich der Präsentation des hier rezensierten Werkes fand am 30. Juni ein Gespräch des Autors Franz Georg Strauß mit Bundesminister a.D. Theo Waigel über Franz Josef Strauß statt. Hier gehts zum Video >>>
Franz Georg Strauß, Mein Vater Franz Josef Strauß. Erinnerungen. LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten, 22,00 €