Die Wiener Journalistin und Autorin Judith Grohmann („Das Ösi-Phänomen“, „In geheimer Mission“) erhebt mit dem Titel Sebastian Kurz: Die offizielle Biografie einen hohen Anspruch. Sie wird ihm gerecht. Ihr Buch liefert ein umfassendes Bild des Ausnahmepolitikers. Das ist er schon jetzt, unabhängig davon, wie es mit ihm weitergeht.
Was die Autorin über den Start des kleinen Sebastian ins Leben schreibt, ist eine der Stellen, die Schlaglichter auf den Mann werfen, die nicht nur dem Leser in Deutschland, sondern auch in Österreich nicht vertraut sind.
Grohmann: „Sebastian Kurz war in seiner Entwicklung anderen Kindern um Längen voraus. Während die meisten Babys mit zwölf bis 18 Monaten das Laufen erlernen, konnte Sebastian Kurz bereits mit zehn Monaten gehen und ab dann auch ständig in der Wohnung herumlaufen, wodurch er die ständige Aufmerksamkeit seiner Eltern forderte. Aber damit noch nicht genug: Die ersten kompletten Sätze sprach der kleine Sebastian Kurz bereits mit einem Jahr und stellte damit viele andere Kinder in den Schatten. Es waren keine Sprechversuche die er machte, sondern er sprach bereits ganze Sätze.“
Die Koalition mit Jörg Haiders FPÖ zerbrach 2002 nach nur zwei Jahren. Bei den Neuwahlen kam die ÖVP unter Wolfgang Schüssel auf unerwartet hohe 42,3 Prozent. Schüssel erneuerte die Koalition mit der FPÖ. In diesem Jahr meldete sich der 16-jährige Sebastian Kurz bei der Volkspartei in seinem Bezirk Meidling und wollte mitarbeiten. Der dortige Obmann sagte ihm: „Die meisten sind bei uns etwas älter.“ Kurz: „Kein Problem, dann komme ich mal vorbei und senke den Altersdurchschnitt.“ In Meidling wurde es nichts, aber in Wien Mitte und dann ging es schnell: 2007 Bezirksobmann der Jungen Volkspartei in der Wiener Innenstadt. 2008 Landesobmann der Jungen Volkspartei Wien.
Wolfs erste Frage lautete: „Ich bin seit über 20 Jahren politischer Journalist und beschäftige mich hauptberuflich mit Politik. Wenn mich jetzt Herr Spindelegger anrufen würde und mich fragen würde, ob ich Integrationsstaatssekretär werden möchte, dann würde ich sehr höflich sagen: ‚Vielen Dank, aber davon verstehe ich zu wenig. Das kann ich nicht.’ Sie haben mit 24 Jahren und ohne irgendwelche relevante Berufserfahrung im Bereich gesagt: ‚Ich kann das.’ Warum eigentlich?“
„In diesem Moment“, schreibt Grohmann, „wuchs Sebastian Kurz über sich hinaus und erklärte offen und ehrlich, dass er ein sehr langes Gespräch mit Spindelegger geführt und sich bei ihm erkundigt habe, wie groß sein Freiraum sein würde und welche Möglichkeiten zur Gestaltung er haben würde. Das Integrationsstaatssekretariat sei etwas vollkommen Neues. Es habe bislang zu viel Hetze und Träumerei gegeben, doch nun gebe es die Möglichkeit, positiv zu gestalten. Das sei eine Herausforderung, erklärte Kurz dem Moderator Wolf.“
Das war nicht die Absicht von Wolf gewesen, der Kurz bis heute – körpersprachlich unübersehbar – nicht mag. Aber es war die Wirkung. Danach berichteten Medien plötzlich über Sebastian Kurz anerkennend, er hatte durch seine offene Art gewonnen. Grohmann zitiert den langjährigen österreichische Starjournalisten PeterMichael Lingens im Magazin profil, wo er lange Herausgeber und Chefredakteur gewesen war:
„Er funktioniert mit 24 Jahren wie andere erst mit 52. Er ist das größte politische Talent der ÖVP und der Prototyp des modernen Parteifunktionärs der Zukunft […]. In keinem seiner Interviews hat sich Kurz die geringste Blöße gegeben – er spricht längst perfektes Teflon.“
Dass Sebastian Kurz 2017 Bundeskanzler wurde und die Koalition seiner Neuen Volkspartei mit der FPÖ in diesem Jahr kündigte, wie es zur Entlassung der ganzen Regierung kam und dass nun der Wahlkampf für die Nationalratswahlen am 29. September läuft, wird vielen Lesern bekannt sein. Nicht bekannt wird sein, wie sich die Kommunikationsstrategie der Neuen Volkspartei in der kurzen Zeit seit ihrer Installierung durch Kurz entwickelt hat. Eine wichtige Gesprächspartnerin der Autorin Judith Grohmann, Kurz’ Mitstreiterin von Anfang an, Kristina Rausch hat darüber viel zu erzählen. Diese Buchteile finde ich mit am interessantesten. Denn die Kommunikation wendet sich direkt an die Bürger, überwiegend digital – wie auch sonst. Das geht Hand in Hand damit, dass Kurz jetzt im Wahlkampf wie 2017 überall im Land mit Bürgern wandert und redet.
Grohmann nennt noch einmal Peter Michael Lingens, den Doyen der Journalisten in Österreich, heute Kolumnist bei der politischen Wochenzeitung Falter: „Mit Sicherheit ist Sebastian Kurz im Bereich der Selbstvermarktung – wie der Vermarktung seiner Partei – der begabteste österreichische Politiker seit Bruno Kreisky. Wie Kreisky glaubt er gleichzeitig durchaus an die von ihm vertretenen politischen Thesen.“ Der Vergleich mit der Legende Kreisky ist in Österreichs Journalismus ein Ritterschlag.
Zum Schluss ein Thementipp für Sebastian Kurz (vielleicht auch für Judith Grohmann), dessen Spezialgebiet in seinem Maturafach Geschichte „Die politischen Parteien in der Zeit von Kaiser Franz Joseph“ war. Das Modell der europäischen Sozialdemokratie, das „Rote Wien“ als unternehmende und soziale Stadtregierung ist ein Erbe der Christlich-Sozialen von Karl Lueger, Wiens populärstem – heute würde man sagen populistischem – Bürgermeister. Die Sozialdemokraten brauchten 1918 nur weitermachen, wo Lueger aufgehört hatte.
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