Tichys Einblick
Druck auf Meinungs- und Pressefreiheit wächst

Facebook, Twitter & Co.: ADF-Leiter beklagt zunehmende Zensur

Anwalt Paul Coleman, Leiter von „ADF-International“, im Gespräch über die Gefährdung der Meinungsfreiheit und warum auch extremistische Ansichten nicht zensiert werden sollten.

Herr Coleman, in Ihrem kürzlich auf Deutsch veröffentlichten Buch Zensiert. Wie europäische »Hassrede«-Gesetze die Meinungsfreiheit bedrohen“ schreiben Sie über die Zunahme der Zensur. In welchen Bereichen kann man diese beobachten? Gibt es bestimmte Themen, die „ADF International“ Sorgen machen?

Die Zensur nimmt im ganzen politischen Spektrum immer stärker zu und betrifft viele verschiedene Bereiche. Aber unter allen Äußerungen – besonders im digitalen Bereich – greifen die Autoritäten besonders die Meinungen an, die gegen die aktuelle politische Kultur gehen. Christen beispielsweise, die an der Ehe zwischen Mann und Frau festhalten oder die glauben, dass das Leben bei der Empfängnis beginnt oder dass der christliche Glaube der wahre ist, rücken immer mehr in den Fokus von Polizeiermittlungen oder werden sogar strafrechtlich verfolgt. Uns bei „ADF international“ macht es besonders Sorgen, dass traditionell christliche Ansichten, die über Jahrtausende hinweg gegolten haben, jetzt polizeilich verfolgt werden. Das Strafgesetz ist das stärkste Werkzeug, das jede Regierung hat und wenn man davon Gebrauch macht, hat das ernsthafte Konsequenzen.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Na ja, ich denke, wenn man den Regierungen und den Ermittlern die Macht gibt, über das Strafgesetz kontroverse Meinungen anzugreifen und den Leuten die Plattformen zu entziehen, dann werden sie diese Macht auch nutzen. Und das ist ein sehr beunruhigender Trend, weil viele Christen diesen Prinzipien ja schon ihr Leben lang folgen – sie haben sie von ihren Eltern und von ihren Großeltern übernommen. Aber weil sich die Kultur aktuell ändert, sind diese Ansichten auf einmal tabu – man darf sie nicht mehr sagen oder auch nur denken.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass es oft Nicht-Regierungsorganisationen sind, die die Regierungen unter Druck setzen, noch striktere „Hassrede“-Gesetze zu erlassen. Welche Möglichkeiten haben sowohl die Regierungen als auch die Bürger der Länder, um dem entgegenzuwirken?

Ja, also in diesem sehr komplexen Bereich hat sich der Trend entwickelt, dass immer mehr Zensur gefordert wird. Der Grund dafür ist, dass penetrante Gruppen – obwohl sie in der Minderheit sind – immer lauter „Hassrede“ schreien, um die gesellschaftliche Debatte zu ersticken. Also, es gibt einen gewissen Kreislauf in diesem Bereich: Je mehr Hass die Nicht-Regierungsorganisationen aufdecken oder behaupten, dass er vorhanden sei, desto mehr finanzielle Unterstützung bekommen sie. Also, was kann man dagegen tun?

Kapitulieren vor Zensur kommt nicht in Frage
Wieder Angriff von Correctiv auf TE und die Pressefreiheit
Das wichtigste ist schlichtweg, für die Meinungsfreiheit aufzustehen – und zwar für die Meinungsfreiheit für alle, nicht nur für die Ansichten, mit denen wir übereinstimmen. Deswegen ist es auch wichtig, dass daraus kein parteiliches Phänomen gemacht wird. Denn letztendlich ist es egal, ob man sich dem rechten oder dem linken Flügel zuschreibt, ob man sich als konservativ oder liberal bezeichnet – freie Rede sollte etwas sein, wofür jeder einsteht, egal welche politischen Einstellungen er hat.

Aktuell kann man die fortschreitende Zensur besonders in Bezug auf das Virus sehen. Kommentare, die die Maßnahmen gegen das Corona-Virus kritisieren oder die Existenz des Virus leugnen, werden markiert oder komplett zensiert. Denken Sie, dass die aktuelle Situation ein Problem freilegt, das schon länger in den europäischen Gesellschaften existiert hat oder verschlimmert sich die Situation aktuell noch?

Ja, also die aktuelle Krisensituation offenbart auch eine Krise bezüglich der freien Rede. Gerade jetzt kann man sehen, wie schnell die Regierungen und staatlichen Autoritäten dazu bereit sind, gewisse Redeweisen zu unterdrücken, um die Leute auf eine Meinungslinie zu bringen.

Und das ist extrem besorgniserregend, weil man sich nur fragen muss: Wenn das in Bezug auf dieses Problem möglich ist, was wird die Regierungen und Autoritäten dann in Zukunft davon abhalten, andere Sichtweisen von uns als „Falschinformation“ abzutun? Und deswegen sind die Prinzipien, die die freie Meinungsäußerung absichern, so wichtig. Aber das größte Problem mit Begriffen wie „Hassrede“ oder „Falschinformation“ ist, dass sie schlichtweg nicht klar zu definieren sind. Das heißt, dass diese Bezeichnungen auf alle Arten von Rede angewandt werden können.

Wie Sie schon gesagt haben, wird es immer mehr als schlicht unmöglich angesehen, aufstachelnde Rede öffentlich zu äußern. In Bezug auf den Terrorismus, der sich in Europa in den letzten Jahren verstärkt hat, ist das verständlich, denn viele junge Leute kommen gerade über das Internet erstmals mit extremistischen Ansichten in Kontakt. Ist es nicht sinnvoll, bereits die Verbreitung solcher Ideologien in der Öffentlichkeit einzuschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen?

Ich denke, wir sind uns alle einig darin, dass dieses Problem behandelt werden muss. Ich möchte bestimmt keine Gesetzlosigkeit, die den Leuten erlaubt, alles zu tun, was sie wollen. Tatsächlich haben alle europäischen Staaten aber bereits sehr, sehr strikte Gesetze, um den Terrorismus zu bekämpfen. Ich glaube aber nicht, dass extreme Einschränkungen der Bürgerrechte der beste Weg sind, um den Terrorismus zu bekämpfen. Dadurch geraten die Dinge nur noch mehr in den Untergrund. Es ist besser, diese Ansichten in der Öffentlichkeit zu behalten, wo man darüber diskutieren und sie auch widerlegen kann.

Zensur auf dem Vormarsch
Heute noch Meinungsfreiheit – morgen bereits „Hassrede“?
Das Strafgesetz ist nicht dafür gemacht, die Bürger zu einem guten Sozialverhalten zu drängen. Deswegen ist die Grenze, die ich ziehe, Anstachelung zu Gewalt zu verbieten. Denn der Punkt ist, dass das eine klar zu definierende Grenze ist, wo man eindeutig weiß, ob man sich strafbar gemacht hat oder nicht. Aber bei Begriffen wie „Hassrede“ oder „extreme Ideologien“ ist es einfach unmöglich, eine Grenze zu ziehen.

Jetzt haben Sie die beunruhigende Entwicklung bezüglich der freien Rede sehr ausführlich beschrieben. Können Sie noch ein Beispiel geben, das das aufzeigt?

Ja natürlich. In einem Fall, den wir aktuell bearbeiten, geht es um Päivi Rasanen aus Finnland. Sie ist schon seit 25 Jahren ein Parlamentsmitglied und war Ministerin der Regierung, sie ist also eine sehr erfahrene Politikerin. Letztes Jahr hat sie einen Tweet an ihre Kirche gerichtet, in dem sie die Gemeinschaft dafür kritisiert hat, dass sie eine Schwulen-Pride-Parade in Helsinki unterstützt hat. Darin hat sie hinterfragt, ob es mit der Lehre der Bibel zu vereinbaren ist, so etwas zu unterstützen. Dazu hat sie ein Foto von einem Bibelvers gepostet. Und deswegen führt der oberste Staatsanwalt des Landes jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen sie.

Und nicht nur das. Sobald sich die Nachricht darüber verbreitet hatte, kamen noch drei weitere Ermittlungsverfahren wegen der Bibelverse gegen sie hinzu. Also sieht sich eine sehr erfahrene Politikerin jetzt wegen einer traditionell christlichen Sichtweise auf die Ehe und die menschliche Sexualität mit vier strafrechtlichen Untersuchungen konfrontiert. Das ist ein brandaktueller Fall. Und über den ganzen Kontinent verteilt gibt es noch viele andere Beispiele, aber ich denke, das ist besonders schockierend, weil ich glaube, wenn wir in einer Situation sind, in der der oberste Staatsanwalt des Landes Ermittlungsverfahren gegen Leute führen kann, weil sie Bibelverse veröffentlichen, dann sind wir in einer sehr ernsten Situation.

Das von Hannelore Wetzel mit Paul Coleman geführte Interview erschien zuerst bei Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Paul Coleman, Zensiert. Warum europäische „Hassrede-Gesetze“ die Meinungsfreiheit bedrohen. Fontis Verlag, 288 Seiten, 18,00 €.


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