Tichys Einblick
Wie frei ist die freie Enzyklopädie?

Eine Enzyklopädie mit politischer Schlagseite

Es wäre naiv, das Social-Media-Projekt Wikipedia so zu verstehen, dass hier alle Nutzer friedlich und diskussionsoffen ihr Wissen beitragen, wodurch in einer Art herrschaftsfreiem Diskurs inhaltlich abgewogene Einträge entstehen, die das Wissen der Menschheit sammeln.

Eine Momentaufnahme: ZDF, heute journal, 1. Juli 2018. Ein Bericht über den Koalitionsstreit zwischen CDU und CSU zur Asylpolitik. Darin wird auf Kritik vonseiten »der Bundestagsopposition« eingegangen. Gesendet werden zwei Stellungnahmen: von Politikern der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen. Auf Stimmen der anderen Oppositionsparteien wartet der Fernsehzuschauer vergeblich, obwohl Die Linke über mehr Abgeordnete verfügt als die Grünen und die AfD über mehr als die FDP. »Lügenpresse« oder »Fake News«, um zwei Schlagworte zu nennen, kommen Bürgern über die Lippen, die mit der Vorenthaltung von Information nicht zufrieden sind. Doch die Medien kommen häufig ohne direkte Lügen aus, deshalb trifft der ebenfalls in der politischen Kontroverse genutzte Begriff »Lückenpresse« das Phänomen weit besser.

Wahrheit besteht aus der Summe zahlreicher unterschiedlicher Facetten von Wirklichkeitswahrnehmung. Kein Mensch kann alle Informationen aufnehmen, die täglich auf ihn einprasseln. Mechanismen der Wahrnehmungsfilterung sorgen dafür, dass wir nur jene registrieren und verarbeiten, die wir für essenziell erachten. Ähnlich agieren Medien: Sie treffen aus der Fülle an existierenden Informationen eine Auswahl, da es gar nicht möglich ist, sämtliche Facetten eines Sachverhalts oder eines Streitfalls aufzubereiten. Stattdessen werden die Daten auf eine möglichst schnell konsumierbare Größe, eine »Story«, zusammengeschnitten. Im extremen Fall bleibt eine schwarz-weiß gestrickte »Gut-gegen-Böse«-Geschichte übrig. Medienmitarbeiter entscheiden also darüber, welche Information gesendet wird und welche nicht. Und mit welchen Worten die Information vermittelt wird. »Die Wahrheit« erreicht den Leser oder Zuschauer also nur in einer gefilterten Form, nur noch indirekt.

TE 06-2019
Kepplinger: Journalisten sind keine Lügner, sie sind Gläubige
Nun könnte man dies als strukturelle Notwendigkeit betrachten oder auch als ein Serviceangebot der Medien für die Adressaten. Doch stellt sich bei der Informationsfilterung die Frage, nach welchen Kriterien dies geschieht. Welcher Meldung wird eine besondere Bedeutung zugebilligt, welcher Hinweis als minder oder unwichtig erachtet? Letztlich also: Was wird mitgeteilt, und was fällt unter den Tisch? Und ist es eher Zufall oder pure Willkür, wenn bestimmte Informationen verschwiegen, andere hingegen aufbereitet und dramatisiert werden? Im Regelfall ist es doch sehr wahrscheinlich, dass ein Medienvertreter sich bei der Auswahl etwas denkt, vor allem wenn es sich nicht um reinen Broterwerb, sondern um eine faktisch ehrenamtliche Tätigkeit handelt wie bei Wikipedia. Vermutlich wird bei Letzterer eine höhere oder eine persönliche Absicht verfolgt – entweder aktiv, indem versucht wird, den Leser in dessen (politischer) Haltung zu beeinflussen, oder passiv: Der Medienmitarbeiter ordnet sich, zum Beispiel aus Karrieregründen, einer Mehrheitsansicht unter, spielt also ein gelerntes Spiel aus opportunistischen Gründen mit.

Bei Journalisten klassischer Medien im deutschsprachigen Raum ist nun eine starke Sympathie für politisch linke Positionen nachgewiesen, so auch in der Bundesrepublik. Laut einer 2013 veröffentlichten Umfrage gaben Politikjournalisten folgende Parteipräferenzen an: keine Partei 36,1 Prozent, Grüne 26,9 Prozent, SPD 15,5 Prozent, CDU/CSU 9 Prozent, FDP 7,4 Prozent, Die Linke 4,2 Prozent, Sonstige 0,9 Prozent. Focus schrieb dazu:

»Bei einer Wahl, bei der die Unparteiischen als Nichtwähler zu Hause blieben, ergäbe sich somit folgende Stimmverteilung: Grüne 42 Prozent, SPD 24 Prozent, CDU/CSU 14 Prozent, FDP zwölf Prozent, Linke sieben Prozent. Die Kollegen votieren also mit einer satten Zweidrittelmehrheit für die neue Bundeskanzlerin Claudia Roth und wählen die SPD als Juniorpartner in einer grün-roten Koalition.«

Dies unterscheidet sich eklatant von den Ergebnissen der letzten Bundestagswahlen, d. h., es existieren bezüglich der politischen Auffassungen deutliche Differenzen zwischen der Berufsgruppe der Journalisten und der Gesamtbevölkerung. Auch daraus erklären sich Filterungen wie die anfangs erwähnte im heute journal. Vor allem erklären sich Unterschiede und Entfremdungen hinsichtlich der Wirklichkeitswahrnehmung vieler Bürger und der Wirklichkeitsdarstellung vieler Medienvertreter.

Nun gibt es keine Umfragen zur politischen Präferenz bei Wikipedia-Autoren. Zu vermuten ist aber, dass hier eine ähnliche Schlagseite nach links vorliegt. So zumindest lautete das Resultat einer Erhebung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Dort wertete man 2010 eine Umfrage unter deutschen Wikipedia-Administratoren aus. Von 281 Anfragen kamen 56 Rückantworten. »Der typische Administrator in der Online-Enzyklopädie Wikipedia ist täglich 140 Minuten auf der Plattform aktiv, männlich, 40 Jahre alt und linksliberal«, schrieb Torsten Kleinz auf heise online.

Von 28 kategorisierten Angaben stuften sich fünf Administratoren als »links« ein, zwei als »eher links«, vier als »Mitte-links«, fünf als »linksliberal«, zwei als »grün«, einer als »links-grün«. Hinzu kamen einer, der sich als »pragmatisch-grün« bezeichnete, zwei »Liberal-Grüne«, fünf »Liberale«, ein »Libertärer« und einer, der sich der »Mitte« zugehörig fühlte. Selbsteinstufungen als »rechts« oder »konservativ« gab es nicht eine einzige. Einige Administratoren machten ausformuliertere Angaben, ein einziger nannte sich »konservativ, sozial, heimatverbunden, umweltorientiert, Wirtschaftsfreund, Globalisierungskritiker, am Christentum zweifelnd, islamkritisch, kapitalismusskeptisch«. Andere verorteten sich als »tendenziell eher links«, als »links der Mitte in variierender Ausprägung«, als »am ehesten wohl linksliberal« und einer als »wertkonservativer linksliberaler grüner Sozialist«.

Die Selbsteinschätzungen der Administratoren liefern Hinweise auf die politischen Neigungen der Autorenschaft, die ja aus dem Administratorenstamm erwachsen ist. Und aus der somit postulierten Linkslastigkeit erklärt sich, dass konservative oder rechtsgerichtete Verlage, Publikationen oder Autoren in Wikipedia-Artikeln tendenziell negativer dargestellt werden als linksgerichtete. Dies trifft zudem auch auf Personen zu, die sich selbst womöglich gar nicht als rechtsgerichtet verstehen, aber einer linken Agenda aus anderen ideologischen Gründen im Wege stehen, etwa weil sie Einwanderung kritisieren oder Rollenbilder des Feminismus respektive der »Gender-Theorie« nicht übernehmen, alternative Auffassungen zu historischen Ereignissen vertreten oder bestimmte umweltpolitische Dogmen nicht akzeptieren.

Zugleich ist die Befürchtung einer Veränderung des Stimmungsklimas oder gar einer »Unterwanderung« durch rechtsgerichtete Autoren vor allem eine Sorge derjenigen, die sich der Linkslastigkeit in der Administratorenschaft – und sehr wahrscheinlich auch in der Autorenschaft – bewusst sind, diese Dominanz begrüßen und durch Appelle an die Wachsamkeit abzusichern suchen. Infolge der solcherart ausgeübten Macht über die Darstellung auf Wikipedia-Seiten werden zum einen die Leser in ihrer Haltung zu bestimmten Positionen, Personen und Institutionen beeinflusst, und zwar umso mehr, je unkritischer sie gegenüber Medien sind, zum anderen kann Personen, von denen Einträge handeln, direkt geschadet werden: beruflich, wirtschaftlich und persönlich.

Methoden der unterschiedlichen Darstellung in Wikipedia-Beiträgen

Wie werden Auswahl, Gewichtung und Wertung von Wirklichkeit nun aber bei Wikipedia umgesetzt? Nachfolgend werden drei Taktiken vorgestellt, die allesamt den gezielten Einsatz bzw. das Weglassen von Informationen nutzen. Medienwissenschaftler sprechen von »Framing«: Bestimmte Worte wecken bestimmte Assoziationen und Einstellungen. Die nachfolgend stichprobenartig herausgesuchten Beispiele sollen dazu dienen, für das Problem zu sensibilisieren.

Schwarmintelligenz versus Herdentrieb
Wikipedia: Manipulationen Orwell‘schen Ausmaßes
Natürlich handelt es sich bei diesem Aufsatz um eine exemplarische Darlegung. Die Aufgabe einer systematischen Untersuchung müsste eine weit umfangreichere wissenschaftliche Arbeit leisten. Auch kann hier nicht tiefergehend auf den ideologischen Konflikt eingegangen werden, der sich hinter den »Edit-Wars« von »links« gegen »rechts« verbirgt. Zugrunde liegt, so viel sei in aller Kürze gesagt, die epochale Auseinandersetzung zwischen den Kräften, denen es um die Erhaltung von Kulturbeständen und tradierten Lebensweisen geht, und jenen, die sich von der Zerstörung traditioneller Fesseln den Sprung in eine »emanzipierte« oder egalitäre moderne globale Gesellschaft erhoffen. Da dies alles hier nicht expliziert werden kann, beschränkt sich der Fokus auf die Resultate bei Wikipedia.

a) Kategorisierung vs. Unterlassen von Kategorisierung

Menschen neigen bei der Verarbeitung von Eindrücken zur Einordnung, zum »Schubladendenken«. Problematisch werden von außen gesetzte Kategorisierungen, wenn damit politische Affekte generiert bzw. Vorurteile geschürt werden. Eine solche Absicht kann hinter einigen Wikipedia-Artikeln zumindest vermutet werden. Die These lautet: Besteht Interesse, eine Person oder eine Institution für einen Teil der Leser als von einseitigen politischen Interessen geleitet zu »brandmarken«, dann setzt man dort ein »Brandzeichen«: Sie werden politisch festgelegt, einer Partei zugeschrieben, oder es wird zumindest ein Feld umgrenzt, in dem sie sich bewegen. Möchte man eine Person oder Institution hingegen als möglichst seriös, aufgeklärt, rational, der Wissenschaft verpflichtet darstellen, so wird auf eine Kategorisierung verzichtet.

Tendenziell ist feststellbar, dass rechtsgerichtete Personen und Institutionen in der Online-Enzyklopädie als solche benannt und kategorisiert werden. Bei linksgerichteten Personen und Institutionen ist das häufig nicht der Fall, sofern die Person nicht so prominent ist, dass ein Verschweigen bestimmter Sachverhalte des Lebenslaufs auffallen würde. Zudem dürfte die Einstufung als »rechts« stärker ins Gewicht fallen, denn viele Leser sind durch die Erziehung und die Medien in der Bundesrepublik Deutschland vorgeprägt und assoziieren mit dem Begriff »rechts« negative Bilder. Eine diesbezügliche Kategorisierung kann also dazu führen, dass sie überschnell eine ablehnende Haltung gegenüber der beschriebenen Person oder Institution einnehmen, ohne sich je eingehender mit ihr beschäftigt zu haben. Als Rückkopplungseffekt kann es zu sozialen Schäden bei den so kategorisierten Personen kommen.

b.) Darstellung als »umstritten« – Zitieren kritischer Gegenstimmen

Wird eine Position als »umstritten« bezeichnet, so versteckt sich dahinter weniger das Ansinnen, das Für und Wider von Argumenten abzuwägen. Dann wäre die Erwähnung ja auch überflüssig, da fast jede Person des öffentlichen Lebens und fast jede politische Position in irgendeiner Weise »umstritten« ist. Es geht um etwas anderes. Vielmehr werden nämlich in Beiträgen Personen zitiert, die sich großenteils negativ oder skeptisch äußern. Aus welchen Interessen heraus, bleibt dabei unerwähnt. Der Kritiker, gern auch »Experte«, erscheint wie eine neutrale Gutachterinstanz, sein politischer Standort wird nicht thematisiert. Von dieser Warte aus wird die vorgestellte Person oder Institution dem Leser wahlweise als »abseitig«, »unseriös«, »politisch radikal« oder »extrem« zu vermitteln versucht. Bei anderen Personen oder Institutionen wird auf das Zitieren kritischer Gegenstimmen verzichtet. Ihre Position wird als über jede Kritik erhaben dargestellt, sie selbst erscheinen als seriös oder renommiert und mit »gutem Ruf« ausgestattet.

Während die Artikel über rechtsgerichtete Personen oder Institutionen häufig mit kritischen Gegenstimmen garniert werden, findet sich das bei linksgerichteten Personen und Organisationen tendenziell weniger. Das betrifft ganz besonders solche Publizisten, die dem »antifaschistischen Milieu« zugehören, also in starkem Maß in den »Kampf gegen rechts« verstrickt sind.

c) Mücken werden zu Elefanten, und dunkle Flecken verschwinden einfach

Ein weiteres Instrument, das in den Wikipedia-Artikeln angewendet wird, um eine Person oder Institution ins gewünschte Licht zu rücken, besteht darin, einzelne Aspekte – Werke, Äußerungen oder auch Verfehlungen – zu betonen und ihnen dadurch ein übergroßes Gewicht zu verleihen. Bei anderen hingegen werden »dunkle Flecken« vertuscht: einfach nicht erwähnt. Solche inhaltlichen Verkürzungen und Formulierungen sind auch bekannt aus der klassischen »antifaschistischen« Anprangerungsliteratur. Aus dem Programm eines als rechts geltenden Verlags wird beispielsweise nur zitiert, was negative Konnotationen hervorruft, andere Verlagspublikationen werden verschwiegen oder in proportional geringerem Maß erwähnt, also marginalisiert.

Im Folgenden sollen einige Beispiele aus dem »linken« bzw. »rechten« Spektrum verdeutlichen, wie die politische Tendenz der beschriebenen Personen und Institutionen bei Wikipedia kenntlich zu machen versucht wird.

Ein Blick nach rechts: Der Artikel über den österreichischen Leopold Stocker Verlag enthält bereits im Einleitungstext eine politische Markierung, da dort »im eigenen Haus wie auch im Tochterunternehmen Ares Verlag rechtskonservative Literatur mit Schnittpunkten zum Rechtsextremismus« verlegt würde. Darüber hinaus wird explizit auf »deutschvölkische« Titel im Verlagsprogramm der Vergangenheit hingewiesen.

Nur eine Geldfrage
Wikipedia: erfolgreichstes Machtinstrument linker Deutungshoheit
Ein Blick nach links: Beim PapyRossa Verlag finden sich solch detaillierte Kategorisierungen nicht, obwohl er sogar vonseiten der linken Szene in den eigenen Reihen verortet wird. Im Eintrag heißt es schlicht: »ein Verlag mit Sitz in Köln«. Zum Verlagsprogramm wird nur sehr allgemein verlautbart, es umfasse »Politik, (Sozial-)Geschichte, Ökonomie, Feminismus, Bildung und Schule, Familie, Fußball sowie die Reihen Basiswissen Politik/Geschichte/Ökonomie und Hochschulschriften«. Dass dort zum Beispiel Bücher wie »Kapitalismus« des DKP-Mitglieds Georg Fülberth verlegt werden, »Rassismus und Antirassismus« des ehemaligen SDS-Mitglieds und Marxisten Wulf D. Hund, »Wenn die Linke fehlt« des italienischen Kommunisten Domenico Losurdo oder ein Sammelband der Linksjugend Solid, wird nicht weiter thematisiert.

Ein Blick nach links: Im Eintrag »Anton Maegerle« findet sich bezeichnenderweise nicht einmal der bürgerliche Name des »antifaschistisch« ausgerichteten Journalisten – ein selbst für Wikipedia sehr ungewöhnliches Faktum. Der Autorenname ist nämlich nur das Pseudonym für Gernot Modery. Zwar wird später erwähnt, dass »Maegerle« SPD-Mitglied ist und sich publizistisch und organisatorisch in der Partei engagiert, er selbst wird aber politisch neutral nur als »ein deutscher Journalist und Autor« vorgestellt, also nicht als sozialdemokratischer oder linker Autor. Einige kleinere Chroniken aus seiner Feder im Magazin Stern werden unter der Kategorie »Fachartikel« eingeordnet. Zur Rezeption seiner Publikationen erscheint nicht die sonst übliche Überschrift »Kritik«, hier heißt es »Angriffe«. Während also »der deutsche Journalist und Autor« »Anton Maegerle« nur »beobachtet«, »verfasst«, »aufdeckt«, »auswertet« und »protokolliert«, werden seine Kritiker als Angreifer dargestellt, so als käme eine Aggression nur von ihrer Seite. Diese Gegner werden im Gegensatz zur politisch weitgehend neutralen Darstellung »Maegerles« als »Neurechte und Rechtsextremisten«, sogar als »Neonazis« politisch kategorisiert. Verschwiegen wird, dass »Maegerle« auch in der Zeitschrift der rechte rand publiziert hat, die 1998 im Verfassungsschutzbericht des Bundes als »organisationsunabhängige linksextremistische bzw. linksextremistisch beeinflusste Publikation« mit Verbindungen zur von der DKP beeinflussten Gruppierung VVN/BdA eingestuft wurde. Stattdessen wird explizit erwähnt, dass »Maegerle« »wegen seiner beruflichen Tätigkeit Anfeindungen und Bedrohungen bis hin zu Mordaufrufen von Neonazis ausgesetzt« sei.

Ein Blick nach rechts: Der Historiker Karlheinz Weißmann wird politisch eindeutig als »ein Buchautor und Hauptvertreter der deutschen Neuen Rechten« kategorisiert. Als Kritiker wird der »Sozialwissenschaftler Gerhard Schäfer« zitiert, welcher vor allem durch einige wenige »antifaschistisch« motivierte Arbeiten in Erscheinung getreten ist. Dass es vor einigen Jahren nicht bei »Anfeindungen und Bedrohungen« geblieben ist, sondern einen politisch motivierten Anschlag auf Weißmanns Haus gegeben hat, bei dem Fenster zerbrochen sind, Lackfarbe an die Fassade geschmiert und ins Hausinnere auf Bücher, Möbel und Böden geworfen wurde, bleibt unerwähnt, obwohl der Vorgang seinerzeit öffentlich gemacht wurde.

Ein Blick nach links: Auch Siegfried Jäger, der Gründer des »Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung« (DISS), wird politisch neutral als »ein deutscher Sprachwissenschaftler« bezeichnet, der »diskursanalytisch zu Rassismus und Rechtsextremismus« forsche. Einen Hinweis auf die von Jäger und dem DISS-Institut vertretene »antirassistische« Theorie und deren Verbreitungsbemühungen durch Forderungen an Medienvertreter findet man nicht, ebenso wenig, dass Jäger weiten Teilen der bundesdeutschen Presselandschaft, von Bild über FAZ, Focus bis zur Zeit und dem Spiegel »Rassismus«, »Neokonservatismus« und »völkischen Rassismus« vorgeworfen hat. Überhaupt sei nach seiner Meinung in der Bundesrepublik der Versuch der 68er-Bewegung, »mehr Demokratie zu wagen«, durch ein »völkisch-nationalistisch« zu bezeichnendes Gesellschaftsmodell gestoppt worden. Um der schleichenden Umwandlung in eine »ultrakonservative und reaktionäre« Gesellschaft vorzubeugen, propagierte er 1992 die Erteilung von Mitbestimmungsrechten an Einwanderer »in viel größerem Maße«. Jäger plädierte zudem bei seiner Ansicht nach »volksverhetzenden« Publikationen für Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit, »alle rechtsextremen Parteien, einschließlich der Republikaner«, sollten verboten werden. Von alledem findet sich in der Online-Enzyklopädie nichts.

Ähnlich verhält es sich bei Jägers Ehefrau Margret Jäger, mit der er eng zusammenarbeitet. Sie wird in der Kopfzeile ihres Wikipedia-Eintrags als »Sprachwissenschaftlerin und Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung« bezeichnet. Eine politische Kategorisierung fehlt. Immerhin wird in den wenigen Zeilen zur »politischen Biografie« kurz erwähnt, dass sie »dem 1. Bundesvorstand … der 1982 gegründeten Partei Demokratische Sozialisten« angehörte. Zudem liest man: »Margret Jäger war außerdem Mitherausgeberin der Zeitschrift Revier, die zeitweilig im Duisburger Margret Jäger Revier Verlag erschien, den sie von 1977 bis 1985 leitete.« Einzelheiten zu dieser linksgerichteten Publikation finden sich nicht, wohl aber an anderer Stelle im Internet.

Dem Artikel zu jenem »Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung« ist zu entnehmen, es handele sich um »eine private interdisziplinäre Forschungseinrichtung« die sich, wie es später neutralisierend heißt, als »zwar tendenziell linkes, aber parteipolitisch und organisationspolitisch unabhängiges Institut« verstehe. Immerhin findet sich ein kleiner Abschnitt zur »Kontroverse« über das DISS. Doch die angeführten Kritiker werden – anders als bei rechtsgerichteten Autoren und Institutionen – nicht gänzlich wertungsfrei zitiert, sondern durch zahlreiche »gegenkritische« Bemerkungen in ihrer Glaubhaftigkeit und Seriosität zu erschüttern versucht.

Eine Große Anfrage von CDU-Abgeordneten im Bundestag bezüglich des »Verdachts der finanziellen Förderung linksextremistisch beeinflusster Initiativen durch das ›Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt‹« hätte »zu keinem Ergebnis« geführt. Tim Peters, Landesvorsitzender der Jungen Union Berlin, hätte in seiner Dissertation eine Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung »behauptet«. Der Begriff suggeriert, dass diese Feststellung nicht verifizierbar sei. Dabei findet sich sogar in der online einsehbaren DISS-Publikation »Stimmungsmache. Extreme Rechte und antiziganistische Stimmungsmache« der ganz offene Hinweis: »Wir danken für die Förderung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung.«

Andreas Lieb
Wikipedia: Knuttis grüner Schatten
Die Kritik am DISS durch den Journalisten Felix Krautkrämer wird wiederum als »Wehren« gegen Rechtsextremismusvorwürfe bezeichnet. Gegen Krautkrämers Recherchen werden zudem die SPD-Politiker Stephan Braun und Mathias Brodkorb mit Gegenstellungnahmen eingehend zitiert, die das DISS auf diese Weise in Schutz nehmen. Die Kritik durch den FAZ-Redakteur Lorenz Jäger wird schließlich mittels einer Einschätzung durch Jürgen Habermas zu entkräften versucht: Jäger sei »als Rechtsaußen der FAZ-Feuilleton-Redaktion einschlägig bekannt«. Weitergehende kritische Arbeiten werden im Eintrag erst gar nicht genannt, weder die ausführliche Analyse in »Das ›antifaschistische Milieu‹« des Autors dieser Zeilen noch die kritischen Bemerkungen durch den Gewerkschaftsmitarbeiter Wolfgang Kowalsky im Jahr 1992, noch die 2004 beim Institut für Staatspolitik (IfS) erschienene Schrift »Kritik als Ideologie. Die ›Kritische Diskursanalyse‹ des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS)«.

Ein Blick nach rechts: Das Institut für Staatspolitik wird eingangs sogleich kategorisierend als »private Einrichtung, die nach eigenen Angaben als Organisations- und Aktionsplattform für neurechte Bildungsarbeit dienen soll«, vorgestellt. »Es gilt als Denkfabrik der Neuen Rechten.« Mehrere Kritiker werden in dem Eintrag unwidersprochen zitiert. Während sich im DISS-Artikel unter »Literatur« keine dem Institut kritisch gegenüberstehenden Publikationen finden, werden hier gleich vier Schriften von politischen Gegnern genannt, darunter drei des DISS-Mitarbeiters Helmut Kellershohn.

Ein Blick nach links: Kellershohn wiederum wird bei Wikipedia als »deutscher Historiker und Rechtsextremismusforscher« aufgeführt. Eine politische Kategorisierung findet nicht statt, wenngleich zu lesen ist, er sei nach eigenen Angaben »als Student in der 68er-Bewegung aktiv« gewesen und habe in diversen linkssozialistischen und kommunistischen Blättern publiziert, unter anderem in einer Schrift des Parteivorstands der PDS. Eine von Kellershohn herausgegebene Publikation wird als »anerkannter Sammelband« hervorgehoben, die Quellenangabe dazu nennt indes die Buchbesprechung eines politisch nahestehenden Autors.

Eine ähnliche Wertschätzung wird dem »antifaschistisch« orientierten Autor Andreas Speit zuteil, bereits in der Einleitung wird lobend erwähnt: »Er gilt als einer der besten Kenner der rechtsextremen Szene in Deutschland.« Weiter heißt es, er gehöre »zu den renommiertesten Experten für den Rechtsextremismus, der in zahlreichen Medien zitiert und interviewt sowie von Wissenschaftlern und anderen Fachautoren rezipiert wird«. Obwohl Speit in zahlreichen Zeitschriften der politischen Linken (Jungle World, der rechte rand, Freitag) publiziert hat, wird auch er neutral als »deutscher Journalist und Publizist« signifiziert. Die dargestellten ausgedehnten Aktivitäten sowie die breite Medienrezeption zeichnen ein einseitig positives Bild, kritische Stimmen zu Speit werden nicht zitiert. Sowohl »Maegerle« als auch Speit werden im Artikel über den Journalisten Felix Krautkrämer, der sich ihrer Arbeit kritisch gewidmet hatte, als »Fachjournalisten für Rechtsextremismus« bezeichnet. Während Krautkrämers Analysen abfällig kommentiert werden, sind die Einträge von »Maegerle« und Speit »blütenrein«: Worte wie »anerkannt« (Kellershohn) oder »renommiert« (Speit) unterstreichen dies. Ein Seitenblick auf die Einträge zu den Nobelpreisträgern des Jahres 2017 zeigt, dass sich dort solcherart Beschreibungen in keinem einzigen Fall finden. Offenbar sind diese Begriffe überflüssig bei Personen, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Leistungen wirklich weitgehend anerkannt sind.

Wikipedia und die Beeinflussung »von oben«

Häufig kann der einzelne Medienvertreter nicht isoliert betrachtet werden. Seine Tätigkeit, inklusive der Filterung und sprachlichen Präsentation von Informationen, richtet sich auch an Vorgaben »von oben« aus oder orientiert sich zumindest daran. Verleger, Chefredaktion, Anzeigenkunden, mächtige Politiker – mit all diesen Gruppen möchte sich der kleine Redakteur selten anlegen, versucht also mehr oder minder deren Erwartungen zu erfüllen, um seine Existenz nicht zu belasten.

Was für hierarchisch gegliederte Medien zutrifft, ist zwar nur bedingt auf ein offenes Social-Media-System wie Wikipedia übertragbar, dennoch existiert auch hier Einflussnahme. An der Online-Enzyklopädie kann jeder Mensch sofort – offen oder anonym, also ohne dass der Autor für den Text haftbar gemacht werden kann – mitschreiben. Anschließend können die Einträge umgehend von anderen verändert werden. Eine gewisse Kontrollfunktion liegt allein bei den Administratoren, bewährten, langjährigen Wikipedia-Nutzern.

Wie ein Kriegsschauplatz
Enttarnung eines Wiederholungstäters - Wikipedia: das kontaminierte Lexikon
Keinesfalls aber ist damit gesagt, dass alle Autoren ganz frei und selbstständig ihre Positionen posten. In der Vergangenheit kam es öfters zu Fällen der organisierten Einflussnahme. Unternehmen, Lobbyorganisationen und PR-Firmen wurden bezichtigt, gezielt manipulativen Einfluss auf einzelne Artikel zu nehmen. Bekannt ist zudem, dass die Büromitarbeiter von zahlreichen Politikern auf Anweisung bei Wikipedia aktiv sind. Insofern ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass es gerade in den sensiblen politischen Streitfällen auch Bemühungen einer organisierten politischen Einflussnahme gibt. Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass politische, gesellschaftliche und staatliche Institutionen die Bedeutung der geistigen Einflussnahme durch ein viel genutztes Angebot wie Wikipedia längst erkannt haben. Wer will also noch annehmen, dass hinter den »Edit-Wars« allein Computer-Nerds mit viel Tagesfreizeit stecken, die zu fast jeder Tageszeit am Rechner sitzen und Beiträge umgehend löschen und verändern? Ebenso gut könnte es sich um mehrere Personen unter einem Nickname handeln, die sich ablösen. Oder um mehrere Autoren mit Nicknames, die in engem Kontakt miteinander stehen, sich die Bälle zuspielen – und eventuell auf der Lohnliste von jemandem stehen, der gar nicht selbst in Erscheinung tritt. Möglichenfalls handelt es sich sogar um ganze Büros, die nur mit dieser Tätigkeit beauftragt sind. Das sind natürlich Vermutungen, die stets nur in Einzelfällen, wenn ein »Skandal« durch gewisse Zufälle öffentlich wird, nachweisbar werden.

Es wäre naiv, das 2001 gegründete Social-Media-Projekt Wikipedia so zu verstehen, dass hier alle Nutzer friedlich und diskussionsoffen ihr Wissen beitragen, wodurch in einer Art herrschaftsfreiem Diskurs inhaltlich abgewogene Einträge entstehen, die das Wissen der Menschheit sammeln.

Dieses Prinzip mag bei botanischen oder geografischen Themen funktionieren, sobald die Artikel aber in einen gesellschaftlich umkämpften Bereich hineinreichen, beginnen andere Mechanismen zu greifen. In der Folge bleibt letztlich der Eintrag bei Wikipedia stehen, welcher am aggressivsten durchgesetzt wurde. Es »gewinnt« also nicht das bessere Argument, sondern die Thesen derjenigen Wikipedia-Autoren, welche über die meiste Zeit verfügen, um am Rechner zu sitzen – und/oder das größere Interesse haben, bestimmte Positionen durchzupauken, womöglich im Verbund mit zwei, drei Gesinnungsfreunden, die sich ebenfalls als Autoren betätigen. Politische Kraft- und Machtverhältnisse übertragen sich somit auf Lexikoneinträge. Wikipedia beruht solcherart auf einem sozialdarwinistischen Prinzip – der Hartnäckigere, »Stärkere« setzt sich durch. Manche Beiträge, vor allem im politischen Bereich, beruhen auf purem Durchsetzungswillen, auf der Besessenheit, den eigenen Standpunkt zu verbreiten. Wer mehr Mitstreiter hat, mehr Freizeit und mehr Aggressionspotenzial, kann die Formulierungen durchdrücken, die er haben möchte – die damit einhergehenden Beleidigungen und latenten Drohungen sind im Diskussionsbereich nachzulesen.

Wikipedia-Artikel bilden mit ihren spezifischen Formulierungen also Machtverhältnisse ab. Wer die Macht hat, entscheidet, wie Wirklichkeit gesehen werden soll. Dabei bleibt die Objektivität oft auf der Strecke. Wird der »Edit-War« zu stark, können Administratoren zwar schlichtend eingreifen, doch was ist, wenn politische Freunde, die bereits lange Zeit bei Wikipedia als Nutzer tätig waren, längst selber zu Administratoren mit weitergehenden Steuerungsbefugnissen »aufgestiegen« sind?

Fazit: Wikipedia ist nur bedingt als seriöse Informationsquelle anzusehen. Sie hat, auch wenn das die vielen aufrichtigen, kompetenten und gut meinenden Mitarbeiter nicht gerne hören, nichts mit einer klassischen Enzyklopädie gemein, die üblicherweise von namentlich verantwortlichen Wissenschaftlern zusammengetragen wird. Sicherlich eignen sich die Artikel, um sich schnell über Basisinhalte zu informieren. Ansonsten sind sie aber stets kritisch zu betrachten, da sie zwangsläufig dem Risiko politischer Manipulation ausgesetzt sind.


Claus Wolfschlag, Politologe und Autor zahlreicher Bücher, u.a. zu Themen des Widerstands in der NS-Zeit, zu Linksradikalismus, Film und Kunst.  Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Übernahme seines Beitrags aus:

Andreas Mäckler (Hg.), Schwarzbuch Wikipedia. Mobbing, Diffamierung und Falschinformation in der Online-Enzyklopädie und was jetzt dagegen getan werden muss. Zeitgeist print & online, 364 Seiten, 19,90 €


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