Herrliche Zeiten wären die unsrigen für Satiriker, wenn es noch Satiriker gäbe. Doch als wären die Zeiten nicht ohnehin schon schlimm genug, wurden uns zur Plage statt der Satiriker die Comedians gesandt. So bleibt nur, in die Dummheit zu fliehen, wie es bereits der Fürst der Humanisten, der weise Erasmus von Rotterdam empfahl, der die Torheit zu uns sprechen lässt: „Mögen die Menschen in aller Welt von mir sagen, was sie wollen – weiß ich doch, wie übel von der Torheit auch die ärgsten Toren reden –, es bleibt dabei: Mir, ja mir ganz allein und meiner Kraft haben es Götter und Menschen zu danken, wenn sie heiter und frohgemut sind.“
Die Hamburger Strafverteidigerin Angela Wierig hat eine Sammlung von Miniaturen vorgelegt, die in der EXIL-Reihe des Buchhauses Loschwitz erscheinen und in denen sie sich an einer Art Lob der Dummheit versucht. Sie geht von der Feststellung aus, dass der Mensch weder gut noch böse ist, sondern in erster Linie dumm. Der Mensch postuliert die Autorin, sei das Spitzenmodell der Schöpfung und „angesichts der Entwicklungsdauer“ sei „das Ergebnis eher enttäuschend“. Über das Wesen dieser Dummheit erkundet sie deren Auswirkungen, untersucht den Vorteil der Dummheit und deren Nachteil, fragt schalkhaft, ob die Dummheit Staatsziel sei, skizziert dann die „Herrschaft der Dummheit, um schließlich einige Gedanken zum Thema Dreistigkeit und Dummheit anzustellen.
Die Pointe der Antwort auf die Frage nach der menschlichen Dummheit soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: sie wirkt wie eine verblüffende Paraphrase des Abschieds der Torheit, den Erasmus vor über fünfhundert Jahren dichtete: „Und jetzt – ich sehe es euch an – erwartet ihr den Epilog. Allein, da seid ihr wirklich zu dumm, wenn ihr meint, ich wisse selber noch, was ich geschwatzt habe, schüttete ich doch einen ganzen Sack Wörtermischmasch vor euch aus. Ein altes Wort heißt: ‚Ein Zechfreund soll vergessen können‘, ein neues: ‚Ein Hörer soll vergessen können.‘ Drum Gott befohlen, brav geklatscht, gelebt und getrunken, ihr hochansehnlichen Jünger der Torheit!“
Auch die Slawistin und Literaturwissenschaftlerin Eva Rex fragt nach warum der Eindruck entsteht, „dass immer größere Teile unserer Mitmenschen in einer Parallelwelt leben. Wie kommt es, dass die meisten Mitglieder der westlichen Gesellschaften so merkwürdig apathisch und desinteressiert an ihrem eigenen Geschick agieren und ihrer eigenen Verdrängung (als Volk, als Nation, als Kultur) entgegensehen, ja diese sogar beklatschen? Woher kommen die Verblendung und Leichtgläubigkeit gegenüber den Gaukeleien der etablierten Medien, oft entgegen besseren Wissens? Warum sind moderne Menschen trotz ausdifferenzierter „Individualisierung“ und „Aufgeklärtheit“ so empfänglich für ideologische Großkonzepte wie Gleichstellung, Multikulturalismus und den Kampf gegen den Klimawandel und lassen sich entgegen ihren eigenen Interessen für deren Etablierung mobilisieren?“
Rex fragt: „Wie kommt es, dass so viele sich nicht mehr auf ihre eigene Wahrnehmung verlassen und auch nicht den Mut haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, sondern darauf, was vermeintliche „Autoritäten“ ihnen vorbeten?“ Hannah Arendt folgend analysiert sie unterschiedliche Phänomene unseres politischen und medialen Alltags, von der „Willkommenskultur“ bis zur Corona-Pandemie. Man muss nicht in allem mit Rex übereinstimmen, schon weil man sich auf die eigene Wahrnehmung verlässt, doch anregend ist der pointierte Text allemal. Ihr Dreh und Angelpunkt ist wie für Hannah Arendt die veränderte Wirklichkeitswahrnehmung. So zitiert sie nicht nur Arendts grundlegende Analyse, sondern wendet sie auf aktuelle Phänomenen an, um zum Verständnis ihrer Mechanismen zu gelangen: „Die Mentalität moderner Massen“, schreibt Arendt, „vor ihrer Erfassung in totalitären Organisationen (…) beruht darauf, dass (sie) an die Realität der sichtbaren Welt nicht glauben, sich auf eigene, kontrollierbare Erfahrungen nie verlassen, ihren fünf Sinnen misstrauen und darum eine Einbildungskraft entwickeln, die durch jegliches in Bewegung gesetzt werden kann, was scheinbar universelle Bedeutung hat und in sich konsequent ist. Massen werden so wenig durch Tatsachen überzeugt, dass selbst erlogene Tatsachen keinen Eindruck auf sie machen. Auf sie wirkt nur die Konsequenz und Stimmigkeit frei erfundener Systeme, die sie mit einzuschließen versprechen.“
Um die veränderte Wirklichkeitswahrnehmung und das Leben – nun buchstäblich – in einer Parallelwelt handelt es sich in Bernd Wagners Roman „Mao und die 72 Affen oder Die geheimen Memoiren des Ewigen Vorsitzenden samt dem Interview über die Corona-Pandämonie“, der als dritte Neuerscheinung in der zweiten Lieferung der EXIL-Reihe des Buchhauses Loschwitz verlegt wird. Wagner ist Lyriker, vor allem aber ein Vollblut-Erzähler. Zwischen seinen ersten im Aufbau Verlag 1976 veröffentlichten Erzählungen und dem vorliegenden Roman liegt ein Werk, das aus Prosa und Lyrik besteht. Die sprachliche Schönheit und Eleganz, die Sicherheit des erfahrenen Erzählers ziehen den Leser in die humorvoll erzählte Dystopie hinein.
Die turbulente Satire, und in dem ich das zugebe, widerlege ich meine Eingangshypothese, dass es keine Satire mehr gibt, was aber nicht weiter schlimm ist, weil die kognitive Dissonanz das einzige Mittel ist, um in unseren Zeiten ernst genommen zu werden, die turbulente Satire also erinnert ein wenig an Forrest Gump, nur dass wir es bei Mao nicht mit einem Beobachter, sondern mit einem machtbewussten und skrupellosen Politiker zu tun haben. Doch wie in Forrest Gump werden uns die Weltereignisse seit der Kindheit aus dessen Sicht geschildert.
Dass Nikita Chruschtschow berühmtes Hämmern mit dem Schuh auf dem Rednerpult während der Vollversammlung der Vereinten Nationen auf Maos Wirken zurückgeht, erfährt der Leser beiläufig.
Wagner gelingt es, die Durchtriebenheit und moralische Unbedarftheit, die Banalität der Macht zu porträtieren, die immer wieder in Sätzen wie „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen“ oder in der entrüsteten Frage der Ministerpräsidentin Heide Simonis nach ihrer Abwahl: „Und was wird aus mir?“ zum Ausdruck kommen. So ganz entgeht aber auch Bernd Wagner nicht der Gefahr aller Dystopien, dass zuweilen die Konstruktion durchscheint.
Bernd Wagners Roman gipfelt in der burlesken Schilderung der Anleitung seiner talentierten Schülerin Angela Merkel, und er verrät uns, was es mit der Pandemie, die er nur Pandämonie nennt, auf sich hat. Doch werde ich keinesfalls – wie auch bei einem Thriller nicht – das Finale verraten.
Die zweite Lieferung der Reihe EXIL im Buchhaus Loschwitz umfasst:
Eva Rex, Rettet den gesunden Menschenverstand! Hannah Arendt im Mehrheitsdiskurs. 112 Seiten, 17,- €
Bernd Wagner, Mao und die 72 Affen oder Die geheimen Memoiren des Ewigen Vorsitzenden samt dem Interview über die Corona-Pandämonie. 264 Seiten, 19,- €
Angela Wierig, Pawlowsche Idioten. 120 Seiten, 17,00 €.