Einmal abgesehen davon, dass Klaus von Dohnanyi ein sehr erfahrener Politiker ist, der schon in den 1970ern Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Mitglied des Bundestags und dann Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg war, hat er sein gefühlt ganzes Leben politische Arbeit geleistet und ist in dieser Eigenschaft in einem Zeitraum von 70 Jahren allen wichtigen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte begegnet. Wenn so jemand ein Buch mit dem Titel »Nationale Interessen« schreibt, muss man aufmerken – die gesamte Lebenserfahrung des Politikers ist in die gut 230 Seiten, auch zwischen den Zeilen, eingeflossen.
Wir haben uns in dieser schnelllebigen Zeit des medialen Massenkonsums abgewöhnt, aufzuhorchen und genau hinzuhören. Dies wäre aber wichtig, denn die heutigen Politiker werden ja vor allem von den Medien getrieben, da diese scheinbar näher am Volk sind. Die Medien schauen aber auf Einschaltquote, Auflage und Klicks. So kommt es häufig zu Reibungsverlusten. Das sieht man daran, dass Medien den Willen des Volkes oft falsch einschätzen.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich die Bürger zu Wort melden und ihre Meinung direkt, zum Beispiel online, kundtun. Dafür ist es allerdings nötig, seriös informiert zu sein, was bei der Überfülle an Informationen fast unmöglich ist. Genau deshalb ist das vorliegende Buch so wertvoll. Der Informationsgehalt ist enorm, doch vor allem die Schlüsse, die der Autor daraus gezogen hat, sind klasse.
Hier schreibt nämlich ein politisches Urgestein, von dessen Lebenserfahrung wir Leser profitieren können. Wir, ebenso wie die Wohlstandsverwahrlosten und die verwöhnte Nach-Nachkriegsgeneration, sind nämlich dabei, das in Jahrzehnten schwer erarbeitete Kapital, aber auch die Lebensauffassung unserer Eltern und Großeltern zu verschleudern – und das, obwohl weder die Großeltern noch die Eltern der meisten von uns etwas mit den Nazis zu tun hatten. Viele Großeltern von heute waren ja schon die Blumenkinder der Nachkriegszeit.
Vor allem aber auch, weil der ehemalige SPD-Politiker durch die Brille eines Sozialdemokraten betrachtet, was geschieht. Dohnanyi ist sicherlich kein kapitalistischer Machtapologet, ganz im Gegenteil. Genau das macht sein Buch so interessant, dass er aus realpolitischer Sicht Warnungen ausspricht – auch die, die wir nicht hören wollen.
Deshalb muss sich die Generation der heutigen Entscheidungsträger bewusst werden, dass auch sie dem harten Urteil ihrer Enkel und Urenkelkinder ausgesetzt sein wird, wenn hier das Kapital der kommenden Generationen ohne Not verspielt wird – zum Schein geopfert auf dem „Altar“ des Gutmenschentums.
Das Volk hat ein Recht darauf, dass seine ureigenen nationalen Interessen von der von ihm gewählten politischen Klasse vertreten und verteidigt werden. Ein vom Volk gewählter Politiker muss zuerst an sein Vaterland und die Bedürfnisse seines eigenen Volkes denken. Das ist keine Selbstverständlichkeit mehr, abgesehen davon, dass das Wort »Volk« schon in Ungnade gefallen ist! Die Außenministerin fühlt sich der Ukraine genauso verpflichtet wie ihren eigenen Wählern! Geht’s noch?
Dohnanyis Buch ist lesenswert, weil es einen Einblick gibt in die heterogene Interessenlage der großen Machtblöcke und ihrer Bestrebungen, diese zu verändern. Es nimmt die Gefahren und Chancen, die sich für Deutschland daraus ergeben, in den Blick und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung.
GLORIA FÜRSTIN VON THURN UND TAXIS restrukturierte nach dem Tod ihres Mannes das weit verzweigte Familienunternehmen. Schwerpunkte ihres vielfältigen Engagements sind Pflege des kulturellen Erbes der Familie sowie der Stiftung „Ja zum Leben“.
Klaus von Dohnanyi, Nationale Interessen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche. Siedler, Hardcover mit Schutzumschlag, 240 Seiten, 22,00 €.