Tichys Einblick
Mehr aus weniger

Ein umwelt- und klimapolitisches Lob des Kapitalismus

Andrew McAfee, Forschungsdirektor an der amerikanischen Elite-Universität Massachusetts Institute of Technology (MIT), zeigt in seinem neuesten Buch, wie wirtschaftlicher Wettbewerb, technologischer Fortschritt, öffentliches Bewußtsein und bürgernahe Regierungen Umwelt und Klima zu schützen vermögen.

Vor fünf Jahren erhielten die beiden amerikanischen Wirtschafts- und Technologieforscher Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee für ihr Buch The Second Machine Age. Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis. Ihr damaliges Buch handelte von den Auswirkungen der immens beschleunigten Digitalisierung von industriellen Produkten und Prozessen auf die Arbeitswelt. Diese steht laut der beiden MIT-Forscher erneut vor einem tiefgreifenden Umbruch in Hinblick auf die Quantität und Qualität der Nachfrage nach Arbeit. Erstmals in der Geschichte des industriellen Kapitalismus erfasse der technologische Wandel in großem Stil nicht mehr nur die Produktionsarbeit, sondern auch die Dienstleistungsarbeit und führe so auch dort in großem Ausmaß zur Ersetzung von Arbeitskraft durch Automatisierung. Um einem damit drohenden, dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit in den entwickelten Dienstleistungsgesellschaften der westlichen Welt entgegenzuwirken, empfahlen die beiden Autoren in ihrem aufsehenerregenden Buch als wichtigstes Mittel: stärkeres Wirtschaftswachstum.

Genau dieses hat sich in den letzten Jahren in den westlichen Industrienationen jedoch nicht nur zusehends abgeschwächt, sondern ist dort auch zunehmend in Verruf geraten. Das dem industriellen Kapitalismus zugrunde liegende und für sein Fortbestehen unverzichtbare Prinzip des stetigen Wirtschaftswachstums wird in Politik, Medien und Wissenschaft weitgehend einhellig sowohl für die zahlreichen Beeinträchtigungen oder gar Zerstörungen der Umwelt  wie auch für den voranschreitenden Klimawandel verantwortlich gemacht. Wenn im Weltmaßstab immer mehr industrielle und landwirtschaftliche Produkte hergestellt oder erzeugt werden, dann liegt es zunächst auf der Hand, daß dafür immer mehr natürliche Ressourcen der Umwelt entnommen und durch die Herstellung entstehende Schadstoffe an die Umwelt abgegeben werden. Stetiges Wirtschaftswachstum bewirkt deswegen notgedrungen nicht nur einen zunehmenden Raubbau an natürlichen Ressourcen, sondern auch eine voranschreitende Verschmutzung der Umwelt mit den bekannten Folgen für Menschen, Tiere, Pflanzen und Klima. Beides ließe sich laut zahlreicher Umwelt- und Klimaexperten nur stoppen, wenn das Wirtschaftswachstum weltweit möglichst gedrosselt, besser noch auf Null gebracht werde.

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Gegen diese Sichtweise, die mal mehr mal weniger die seit den 1970er Jahren aufkommende westliche Umwelt- und Klimapolitik beherrscht, wendet sich Andrew McAfee nun mit einem weiteren Buch. Das ist nicht weiter verwunderlich, ist aus seiner Sicht doch zu befürchten, daß den westlichen Industrienationen durch eine wachstumsfeindliche Umwelt- und Klimapolitik in Verbindung mit einer voranschreitenden Digitalisierung der Wirtschaft eine zunehmende Massenarbeitslosigkeit droht. Sein neues Buch trägt in seiner deutschen Übersetzung den verheißungsvollen Titel Mehr aus Weniger und erzählt laut Untertitel Die überraschende Geschichte, wie wir mit weniger Ressourcen zu mehr Wachstum und Wohlstand gekommen sind – und wie wir jetzt unseren Planeten retten. Basis seines Rettungsvorschlags bilden einige in der Tat überraschenden Ergebnisse statistischer Analysen zur historischen Entwicklung des Zusammenhangs zwischen verschiedenen wirtschaftlichen Indikatoren.

McAfee startet mit einem Rückblick in die vorindustrielle Zeit und zeigt, daß der einst von Thomas Robert Malthus (1766-1834) beschriebene negative Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und der Versorgungslage der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Produkten bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Tat eine wichtige Rolle gespielt hat. Wuchs die Bevölkerung deutlich schneller als die landwirtschaftliche Produktivität, kam es über die Jahrhunderte immer wieder zu extremen Hungersnöten. Viele Menschen starben, so daß die verbleibende Bevölkerung sich allmählich wieder ausreichend mit Lebensmitteln versorgen und über die Generationen weitere Kinder zeugen konnte – bis die nächste Versorgungs- und Hungerkrise das Bevölkerungswachstum erneut stoppte.

Mit der zunächst in England beginnenden kapitalistischen Industrialisierung setzt sich dieser periodische Zyklus, wie McAfee unter anderem anhand von Statistiken des britischen Ökonomen Gregory Clark zeigt, dort nicht mehr weiter fort. Ganz im Gegenteil nehmen Bevölkerungswachstum und der durchschnittliche, in Reallöhnen gemessene Lebensstandard in England ab Beginn des 19. Jahrhunderts ohne größere Einbrüche stetig zu. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kommt es dann regelrecht zu einer Explosion des Lebensstandards, der keineswegs nur die wirtschaftliche Lage der oberen und mittleren Klassen und Schichten, sondern auch die der Arbeiterklasse stetig verbessert. Diese Verbesserung drückt sich nicht nur in allmählich steigenden Reallöhnen, sondern auch in einer kontinuierlichen Verbesserung der alltäglichen Lebensverhältnisse der gesamten Bevölkerung, vor allem in Bezug auf Nahrungsmittel, aber auch im Gesundheitswesen.

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McAfee verwendet als Beleg für diese Entwicklung ein Diagramm des Historikers Ian Morris, das stark an das berühmt gewordene „Hockey-Schläger“-Diagramm aus der Klimaforschung erinnert. Zeigt dieses nach einem jahrhundertelangen mehr oder weniger stetigen Verlauf der globalen Temperatur einen plötzlichen exponentiellen Anstieg mit der beginnenden Industrialisierung, belegt das Diagramm von Morris nach einer Jahrhunderte dauernden, tendenziellen Verschlechterung der sozialen Entwicklung in den westlichen Ländern, eine ebenso plötzliche exponentielle Verbesserung ab dem 19. Jahrhundert. Erreichte dieses Niveau laut dem von Morris errechneten Index seit der Zeit der Jäger und Sammler bis Ende des 18. Jahrhunderts lediglich die Punktzahl von 45 Punkten, schoß sie in den nächsten hundert Jahren schon um 100 Punkte nach oben, um weitere einhundert Jahre später im Jahr 2000 in den westlichen Industrienationen bei fast 1000 Punkten zu landen.

Dieser immense zivilisatorische Fortschritt über einen Zeitraum von nur zweihundert Jahren ist laut McAfee vor allem dem kapitalistischen Wettbewerb und dem von ihm vorangetriebenen wissenschaftlichen und technologischen Wandel zu verdanken. Erst mit  seiner Hilfe sei es möglich geworden, die Produktivität zunächst in der landwirtschaftlichen und dann in der industriellen Produktion permanent zu steigern, um so immer mehr Menschen ein angenehmes und inzwischen sogar in vieler Hinsicht luxuriöses Leben zu ermöglichen. In Ländern, in denen der kapitalistische Wettbewerb, wie derzeit zum Beispiel in Venezuela oder auch in Russland, stark begrenzt oder sogar außer Kraft gesetzt wird oder wo er sich, wie zum Beispiel in vielen afrikanischen Ländern, nie frei entwickeln konnte, stagniere der technologische Wandel und mit ihm der wirtschaftliche Fortschritt und Wohlstand für alle. Für McAfee steht daher außer Frage, daß allein der Kapitalismus im Zusammenspiel mit dem von dem Ökonomen Joseph A. Schumpeter einst als „schöpferischer Zerstörung“ beschriebenen Prinzip des technologischen Wandels dazu in der Lage ist, den zivilisatorischen Fortschritt voranzutreiben und die wirtschaftlichen Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern.

Hinzu kommt aber, so McAfee, inzwischen noch etwas anderes. War einer der Preise für den ökonomischen und sozialen Fortschritt bislang die zunehmende Beeinträchtigung und Schädigung von Umwelt und Klima, unter denen nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen zu leiden haben, dann scheint diese Entwicklung dank des kapitalistischen Wettbewerbs und des technologischen Fortschritts inzwischen auch allmählich an ihr Ende zu gelangen. Schon früh wurde unter Ökonomen darüber gestritten, ob das vom kapitalistischen Wettbewerb diktierte Gesetz der Kostensenkung nicht auch bewirke, daß Unternehmen nach technischen und organisatorischen Mitteln und Wegen suchen müssen, weniger Rohstoffe zu verbrauchen. Dies könne nicht nur manchen Raubbau an natürlichen Ressourcen, sondern auch die Erzeugung und den Ausstoß von Schadstoffen mindern. Wenn sich durch die Kostenminderung aber gleichzeitig das Produktionsvolumen erhöht, dann wurden solche Einspareffekte in der Vergangenheit in aller Regel durch das Produktionswachstum wieder zunichte gemacht oder sogar übertroffen. Die Einsparraten an Material, etwa zur Herstellung von Papier, waren meist geringer als die Wachstumsraten der Märkte, so daß am Ende trotz der Einsparungen mehr Rohstoffe verbraucht und mehr Schadstoffe erzeugt wurden – sofern die Rohstoffe durch den forcierten Verbrauch nicht völlig zur Neige gingen und das Produktionswachstum dadurch zum Erliegen kam.

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Deswegen stieg auch in den industriell am höchsten entwickelten Ländern im Verlauf der Industrialisierung parallel zum Wirtschaftswachstum auch immer der natürliche Ressourcenverbrauch und in Folge dessen die Umweltverschmutzung. Dies führte in den USA erstmals im Jahr 1970 zur Ausrufung des Notfalls, dem sogenannten Earth Day, in dessen Folge laut McAfee nicht nur in den USA zunehmend Lösungsvorschläge in den Vordergrund traten, die er mit dem Akronym CRIB kennzeichnet: Consume less, Recycle, Impose limits, and go Back to the land (Konsumiere weniger, recycle, setze Grenzen und gehe zurück aufs Land). All diese Vorschläge tragen, mit Ausnahme des Vorschlags Grenzen zu setzen, zur Lösung der Umwelt- und Klimaprobleme seiner Meinung nach nicht nur nichts bei, sondern befördern diese Probleme sogar, wenn zum Beispiel die landwirtschaftliche Produktivität durch den Umstieg auf kleinere Einheiten sinkt und der Flächenverbrauch dadurch steigt oder wissenschaftlich unbedenkliche Unkrautvernichtungsmittel wie Glyphosat verboten werden.

Das CRIB-Lösungskonzept zur Lösung der Umwelt- und Klimaprobleme ist laut McAfee aber nicht nur nutzlos sowie für die Wirtschaft und teilweise auch die Umwelt schädlich; es bremst auch den einsetzenden Trend hin zu einer Dematerialisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten, der sich als Folge der Entstehung und Entwicklung des auf der Digitalisierung von Produkten und Prozessen beruhenden zweiten Maschinenzeitalters zusehends abzeichnet. Erstmals in der Wirtschaftsgeschichte führt der Einsatz neuer Technologien zu Einsparraten im Rohstoff- und Materialverbrauch, die deutlich über den Wachstumsraten der Märkte liegen. Damit erfährt nicht mehr nur die menschliche Arbeitskraft, sondern auch der Einsatz von Rohstoffen und Materialien eine Effizienzsteigerung bislang unbekannten Ausmaßes. Das bislang geltende Gesetz, daß zur Herstellung von mehr Produkten auch mehr Rohstoffe und Materialien benötigt werden, scheint sich allmählich aufzulösen. Das eröffnet bislang ungeahnte Möglichkeiten, mit weniger Rohstoffen und Materialien mehr zu produzieren – sofern der kapitalistische Wachstums- und Technologiemotor wieder Fahrt aufnimmt.

Als besonders einprägsame Beispiele nennt McAfee das Smartphone und das Computer Aided Design (CAD). Während das Smartphone eine Vielzahl anderer Geräte überflüssig macht, zu deren Herstellung zahlreiche Rohstoffe und Materialien notwendig sind, erlaubt das CAD in der Produktentwicklung die Optimierung des Materialeinsatzes in bislang unbekannten Ausmaßen, etwa bei der Herstellung von Getränkedosen. Beispielhaft ist für McAfee aber auch die computergestützte Steuerung des Einsatzes von Güterwaggons bei der amerikanischen Bahn, die die Waggon-Bestände deutlich reduzierte und das Fracking, das den Rohölverbrauch der USA drastisch senkte. Weitere Beispiele ließen sich mühelos anfügen, sei es die derzeit aufgrund von Corona um sich greifende Praxis des Homeoffice, die mit Hilfe der Digitalisierung Büroraum spart, oder die durch Car-Sharing optimierte Nutzung von Personenkraftwagen, die den Bedarf an Parkraum und Parkgebäuden reduziert.

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Auch hier beläßt es McAfee nicht bei mehr oder weniger spektakulären Beispielen, sondern belegt anhand von Statistiken, daß der Trend zur Dematerialisierung sich zusehends in den wirtschaftlichen Kennzahlen niederschlägt. So ist der Verbrauch von Aluminium, Nickel, Kupfer, Stahl und Gold in den USA von dem Jahr 1900 bis zum Jahr 2000 mit einigen Wachstumsdellen kontinuierlich gestiegen, um danach bis zum Jahr 2015 deutlich zu sinken. Vor dem Jahr 2000 entwickelte sich der Verbrauch dieser Metalle weitgehend analog zur Entwicklung des Brutto-Sozialprodukts (BIP), während danach das BIP kontinuierlich weiterwächst, der Verbrauch der Metalle hingegen ebenso deutlich sinkt. Ähnlich verhält es sich mit den Baustoffen und Holzprodukten in den USA, deren Verbrauch entgegen dem BIP ab dem Jahr 2000 signifikant zurückgeht.

Diese Umwelt und Klima schonende Entwicklung wäre laut McAfee ohne das kapitalistische Wettbewerbsprinzip und den mit ihm einhergehenden technologischen Fortschritt, zu dem er ausdrücklich auch die Kernenergie zählt, nicht möglich geworden. Auf diese Faktoren will er daher beim weiteren Kampf gegen den Raubbau an der Natur und den Klimawandel unter keinen Umständen verzichten. McAfee bezeichnet sie daher als zwei unverzichtbare „Reiter des Optimisten“, die er den „Apokalyptischen Reitern“ des Neuen Testaments gegenüberstellt, an die ihn wohl manche Umwelt- und Klimaschützer erinnern. Da es im Neuen Testament aber um vier Reiter (Krieg, Hungersnot, Pest und Tod) geht, gibt sich auch McAfee nicht mit nur zwei „Reitern des Optimisten“ zufrieden, sondern fügt noch zwei weitere hinzu: das öffentliche Bewußtsein und das bürgernahe Regieren. Beide schaffen zwar keinen wirtschaftlichen oder gar technologischen Fortschritt, sind aber unverzichtbar, wenn es darum geht, die Externalisierung von Problemen und Kosten, die dem kapitalistischen Wirtschaftsprinzip zu eigen ist, einzudämmen.

Hierzu zählen laut McAfee fraglos auch all jene Probleme und Kosten, die kapitalistische Unternehmen gerne der Umwelt aufbürden, sei es zum Beispiel in Gestalt von Luft- und Wasserverschmutzung oder von rücksichtslosem Ressourcenverbrauch. Hier gilt es nach seinem Dafürhalten das öffentliche Bewußtsein zu schärfen, um so auch das Problem- und Verantwortungsbewußtsein der Unternehmen zu schärfen, denen notfalls auch mit Hilfe von Gesetzen Grenzen zu setzen sind. Trotz seines Lobs für den kapitalistischen Wettbewerb versteht sich McAfee nicht als Anhänger eines ultraliberalen Markt-Fundamentalismus, sondern als Vertreter eines durch öffentliche Bewußtseinsbildung, Vorgaben und Gesetze eingehegten und so gezähmten Kapitalismus. Ohne sie würden seiner Meinung nach viele Unternehmen noch heute ihre Abwässer einfach in die Flüsse ableiten, ihre Luftschadstoffe nicht filtern sowie ihren Müll nicht trennen und umweltgerecht entsorgen.

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Am besten lassen sich laut McAfee Unternehmen von diesem Verhalten dadurch abbringen, daß die Schäden, die damit verursacht werden, mit Kosten belegt werden, die die Unternehmen zu tragen haben. Er plädiert daher unter anderem ebenso für staatlich gesetzte Co²-Ziele und einen darauf aufbauenden Emissionshandel wie für Schadstoffvorgaben für Automobile mit Strafzahlungen für die Hersteller bei Überschreitung der Vorgaben. Sein Credo gilt der Schaffung von Märkten für Umweltbelastungen mit Hilfe der Öffentlichkeit und einer entsprechenden Förderung durch staatliche Vorgaben und Gesetze. Wer gegen sie verstoße, müsse mit Kosten belastet werden, die spürbar höher sind als die Kosten eines sauberen und umweltfreundlichen Verhaltens. Umwelt- und klimaschädliches Verhalten dürfe sich nicht (mehr) lohnen.

Die beiden Reiter öffentliches Bewußtsein und bürgernahes Regieren sollen indes nicht nur die Externalisierung von Umweltschäden und der daraus entstehenden Kosten, sondern auch zwei ganz andere problematische Folgen des kapitalistischen Wettbewerbs und des technologischen Fortschritts eindämmen. Dabei handelt es sich laut McAfee um die mit dem zweiten Maschinenzeitalter voranschreitende Konzentration wirtschaftlicher Aktivitäten in urbanen Ballungsräumen und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Niedergang ländlicher Regionen. Dieser wiederum führe zu einer allmählichen Auflösung zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Isolation sowie zu einer zunehmenden sozialen wie politischen Spaltung der westlichen Gesellschaften, die vor allem zu Lasten der Mittelschichten gehe.

Weiße US-Bürger machten laut McAfee in den Nachkriegsjahrzehnten den Großteil der in den städtischen wie den ländlichen Regionen wachsenden amerikanischen Mittelschicht aus, die nun im zweiten Maschinenzeitalter nicht nur in den USA zunehmend unter wirtschaftlichen und sozialen Druck gerät. Bei ihnen erodiere zusehends das Gefühl, ein Teil von etwas Größerem zu sein. Stattdessen wachse das Gefühl, wirtschaftlich und sozial zusehends abgehängt zu werden. Daß dieses Gefühl sie nicht trügt, belegt McAfee unter anderem anhand eines Diagramms der Ökonomen Branko Milanovic und Christoph Lakner, das in der Fachwelt als „Elephant Graph“ bekannt geworden ist. Es zeigt, daß die unteren und oberen gesellschaftlichen Schichten im Verlauf der letzten Jahrzehnte weltweit vom wirtschaftlichen Wachstum profitiert haben, während die Mittelschichten deutliche Einbußen zu erleiden hatten.

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Während McAfee die entwickelten Industriegesellschaften nicht nur der westlichen Welt in Hinblick auf die Lösung ihrer Umwelt- und Klimaprobleme auf einem sehr guten Weg sieht, kommt er in Hinblick auf die Lösung der Probleme ihres gesellschaftlichen und politischen Zusammenhalts zu einer deutlich pessimistischeren Einschätzung und prognostiziert eine sich verschärfende Spaltung der westlichen Gesellschaften in „Autoritäre“ und „Pluralisten“. Während es für die Lösung der Umwelt- und Klimaprobleme ein weitgehend fertiges ökonomisches Drehbuch gebe, fehle ein solches für die Lösung der durch wirtschaftliche Konzentration und soziale Isolation entstehenden Probleme weitestgehend. Ein solches Drehbuch lasse sich auch nicht so ohne weiteres entwickeln.

McAfees gesellschaftspolitischer Pessimismus ist in seinem Buch, das sich auf nur rund vierzig von insgesamt 310 Seiten mit den Problemen wirtschaftlicher Konzentration und sozialer Isolation befasst, allerdings weit weniger profund belegt und durchdacht als sein Optimismus in Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes. Der Autor hätte diese teils dennoch interessant zu lesenden Seiten für ein weiteres, gut recherchiertes Buch aufsparen können, ohne dem Inhalt und der zentralen Botschaft seines aktuellen Buches groß zu schaden. Noch besser wäre es allerdings gewesen, er hätte sie dazu genutzt, sich etwas eingehender mit der Frage zu befassen, in welchem Spannungsverhältnis seine vier „Reiter des Optimisten“ zueinander geraten, wenn zum Beispiel innerhalb der Europäischen Union (EU) immer mehr Anstrengungen unternommen werden, durch planwirtschaftliche Vorgaben und Eingriffe sowie Konjunkturprogramme und nicht durch Marktprozesse das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und den technologischen Wandel voranzutreiben.

Trotz dieser Schwächen handelt es sich bei McAfees Buch um eine ebenso kenntnis- und faktenreich verfasste wie anschaulich und spannend geschriebene Analyse der Zusammenhänge von Wirtschaft und Umwelt, die überaus lehrreich und lesenswert ist. Sie straft all jene Experten, Aktivisten und Politiker Lügen, die meinen, durch weniger Kapitalismus Umwelt und Klima schützen zu können. McAfee entgegnet ihnen mit einem umwelt- und klimapolitischen Lob des Kapitalismus, das es in sich hat. Man darf nun gespannt sein, wie dessen Kritiker und Feinde darauf reagieren.

Andrew McAfee, Mehr aus weniger. Die überraschende Geschichte, wie wir mit weniger Ressourcen zu mehr Wachstum und Wohlstand gekommen sind und wie wir jetzt unseren Planeten retten. DVA, 384 Seiten, 26,- €


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