Tichys Einblick
Krummen Gestalten an der Allerweltsecke

Ein Exil für Freiräume des Denkens und Träumens

Die Dresdner Verlagsbuchhändlerin Susanne Dagen ist hochgradig sensibilisiert für das Unglück, das Autoren widerfährt, die nicht mehr durch ihre Werke wahrgenommen, sondern nur noch nach ihren politischen Standpunkten sortiert und im Zweifel aussortiert werden

In diesen Zeiten der Volkshygiene, des Abwehrkampfes gegen den bösen und tückischen Virus, in diesen Zeiten, in denen auch auf dem Feld der Gesinnung Schlachten geschlagen werden und der Gute Deutsche, wieder einmal, im Gleichschritt gegen das Böse marschiert, also gegen die Abweichung, den Widerstand, den Zweifel, die Kritik an der Obrigkeit, in diesen Zeiten, in denen man schon fast aufgeben möchte, läuft diese kleine Blondine mitten in den Feuilleton-Salon, wächst dort auf zwei Meter, stemmt die Fäuste in die Hüften und ruft: „Aufwachen, ihr Idioten, die zweite Halbzeit kommt noch“. Susanne Dagen, die Dresdner Buchhändlerin aus Loschwitz, ja, aus diesem weinberankten Hexenknusperhäuschen, hat in ihrem Verlag eine neue Buch-Reihe aufgelegt, der provokante Titel: Exil.

Rumms!

Moment mal!

Ist Exil nicht die heiligste Vokabel der deutschen Literatur, das Etikett für mutigen antifaschistischen Widerstand, für die verbrannten und verbannten Dichter? Und will Susanne Dagen damit behaupten, das Schickal der von ihr verlegten Autoren sei mit dem der Thomas Mann, Feuchtwanger, Werfel, Brecht vergleichbar?

Interview
Uwe Tellkamp: „Das Volk ist nicht links“
Das sicher nicht, denn Susanne Dagen ist in ihrer herrlichen Unverfrorenheit, ihrem Kampfeswillen nicht blöde und auch nicht sittlich verroht. Im Gegenteil, sie ist hochgradig sensibilisiert für das Unglück, das Autoren widerfährt, die nicht mehr durch ihre Werke wahrgenommen, sondern nur noch nach ihren politischen Standpunkten sortiert und im Zweifel aussortiert werden. Die ersten drei in diesem neuen Imprint Exil sind Uwe Tellkamp, Monika Maron, Jörg Bernig.
Uwe Tellkamp mit der Betrachtung „Das Atelier“, einer atemberaubenden Raumfahrt in die Welt der Farben und der Kunst, einer mythologischen Erkundung der Künstlerfigur im Sternbild des Orion, des Nachthimmels seiner Inspiration. Aber auch der kafkaesken Nacht-Akademie mit ihren fürsorglichen Belagerungen.

Monika Maron kommt mit Texten, die ihren unvergleichlichen Tonfall aus Melancholie und Schnauze und Präzision vorführen, in verschiedenen Textformen, ein inniger Brief ist darunter, Demonstrationsbeobachtungen, rauschender Mairegen.

Schließlich Jörg Bernig, mit „An der Allerweltsecke“, der auf einer Lesetour durch den Balkan zerbombte Städte besucht,  Belgrad und Novisad und Sarajewo, also Zentraleuropa, die zerrissene Mitte, und die absurden Fronten in Mostar mit seiner berühmten Brücke mit den Brückenspringern, eine Reise über kaum vernarbten Bürgerkriegswunden und eine persönlich Erinnerung für mich, an einen Urlaub in Titos Reich Ende der 60er, damals sprangen noch Jugendliche in Badehose von der Brücke und keine Profi-Athleten in Neoprenanzügen, und das Staunen über das erste Minarett meines Lebens in Sarajewo, wie aufregend und – wie touristisch ruhig alles war.

Über Tellkamps Erzählung, die zwischen zwei Anrufungen des Orion gespannt ist, wird in der nächsten Printausgabe von Tichys Einblick berichtet, die Ostern erscheint.

Wenden wir uns hier Monika Maron zu, die sich riskiert hatte, als sie ebenfalls (wie ich) Dagens Erklärung „Charta 2017“ unterschrieben hatte, ein Manifest, das sich gegen die Einengung der Meinungskorridore wandte und gegen Ächtung von sogenannten „neurechten“ Autoren auf der Frankfurter Buchmesse protestierte. Die Anlehnung an die Bürgerrechts-“Charta 77“, mit der tschechische Künstler gegen den Stalinismus protestierten, war durchaus beabsichtigt.

Es war der autobiografische Roman „Flugasche“ von 1981, der Monika Maron mit einem Schlag als große Autorin etablierte.  Er war auch eine Reportage über Umweltverschmutzung, Zensur und Duckmäusertum in der einstigen DDR. Zahlreiche weitere Romane und Essays – und Literaturpreise! –  folgten, Monika Maron ist die neben Cora Stephan wohl weitgespannteste politisch engagierte deutschsprachige Autorin.

Personalien Borchardt und Bernig
Die Linke und ihr fragwürdiges Demokratieverständnis
In ihrem Band der Reihe Exil ist ihre Bandbreite auf die schönste Weise zu besichtigen. Er beginnt mit einem Brief an eine Freundin, und schlägt, wie es nur Briefe erlauben, einen vertrauten warmen Ton an, und sie lässt ihn mit einem Geständnis beginnen, mit Naturbeobachtungen über einen Käfer, der sich von Grashalm zu Grashalm schwingt, oder darüber, wie ihr der Hund gehorcht. „Liebe E., seit wir beide gestern den Hörer aus der Hand gelegt haben, plagt mich der Gedanke, du könntest glauben, ich sei hier auf dem Land inzwischen verblödet.“ Doch aus der Naturbetrachtung erwächst ein „Gefühl von Heiligkeit“, die Einsicht, dass sie, die Schreibende, nichts anderes sei als „das Gefederte und Bepelzte da unten am See, etwas nicht viel anderes.“ Und dann hebt sie ab. „Wie der Hoffmannsthalsche junge Lord, dem die abstrakten Worte wie modrige Pilze im Mund zerfielen….“ und sie führt über Vermutungen über altersgerechte Erfahrungen, über Sprache und Herzgedanken, Bilder, Musik und Träume an, schließlich hin zu Altern und Tod. Wie warm und menschlich und zärtlich hier über all das gesprochen, geschrieben wird.

Folgt eine Reise-Episode über den ersten Besuch in New York noch von der DDR aus, vom quietschkomischen Kampf gegen die Kakerlaken im Apartment eines abwesenden Freundes, über die teuerste Theaterkarte ihres Lebens (eine im Übrigen schlechte Investition) und die Erinnerungen an Little Italy, Museen, die Sirenen der Krankenwagen und den „süßlichen Gestank des Mülls“, der sich nach der Heimkehr mit dem des blühenden Raps in Vorpommern vermischt, weshalb sie sich nun, angesichts von Rapsfeldern, stets an New York erinnert fühlt, was als durchaus sensationellstes aller Assoziationskunststücke gelten kann.

Monika Maron hat diese Mischung aus Poesie und Witz und Schnauze, und lässt in dieser Mischung an Heinrich Heine denken, der sich allerdings noch dazu sentimentale Galanterien erlaubt, die Monika Maron in ihren Texten nicht duldet. Warum? Sie gibt die Antwort in einer Art Berliner Rap mit dem Titel „Eigentlich sind wir nett“, mit dem sie auf einer Bahnfahrt einen Süddeutschen über den Berliner Humor aufklärt, der für alle Welt (außer Berlinern, die es nur ahnen) eine andere Form von Prügel ist.

Spott und Hohn im Intermezzo über „Weibliche Kreativität“ und dann ein Adlerflug in die deutsche Klassik über die Freundschaft von Gotthold Ephraim Lessing mit Moses Mendelssohn, die sie neben der olympischen von Goethe und Schiller nicht genug gewürdigt sieht, und sie hat recht: Was die beiden, die im gleichen Jahr 1729 geboren wurden, Lessing in Kamenz, Mendelssohn in Dessau, für die Aufklärung und Toleranz in deutschen Breiten leisteten, hätte aus diesem Volk, wenn es richtig zugehört hätte, eines des am wenigsten bornierten und rassistischen der Erde machen können.

Monika Maron präsentiert im titelgebenden Naturbild „Krumme gestalten, vom Wind gebissen“ ihre vorpommersche Heimat, arm, herb, gegen den Sturm gestemmte Prosa, und in der ergreifenden Würdigung der jüdischen Erzählerin Ida P. führt sie vor, wie ballastfrei und tiefklug sie die Worte setzt, ja vielleicht ist das ihr hervorstechendes Merkmal: sie schreibt ohne jede Angeberei, und trifft damit ins Herz.


Monika Maron, Krumme Gestalten, vom Wind gebissen. Essays aus drei Jahrzehnten, Reihe Exil im Buchhaus Loschwitz, 112 Seiten, 17,00 €


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