Im Frühling letzten Jahres kam der Bestseller „Der Selbstmord Europas“ des englischen Publizisten und Journalisten Douglas Murray auf Deutsch heraus. Darin befasste er sich mit der Frage, warum sich westeuropäische Staaten bereitwillig dem islamischen Eroberungsstreben unterwerfen und warum sie dabei sind, ihre zweitausendjährige Kultur widerstandslos aufzugeben. Sein neues Buch „Wahnsinn der Massen“, das jetzt in deutscher Sprache erschienen ist, kann durchaus als Fortsetzung des ersten Buches betrachtet werden und könnte ohne weiteres auch den Titel „Der Selbstmord der bürgerlichen Gesellschaft“ tragen.
Denn die Phänomene, die Murray diesmal untersucht, die extremen und inzwischen gewalttätigen Formen von Feminismus, Schwulenbewegung und der Bewegungen gegen Rassendiskriminierung können als Symptome der gleichen Krankheit verstanden werden, die auch zur Selbstaufgabe westlicher Kulturnationen geführt hat. Wie damals beim Jubelempfang für angeblich Flüchtende benehmen sich Menschenmassen seit einiger Zeit zunehmend irrational, überschäumend und wie im Fieberwahn, verfolgen in Herden offensichtliche Wahnideen und fallen über Andersdenkende her. Einst sinnvolle Bewegungen, die für die Gleichberechtigung benachteiligter Minderheiten kämpften, laufen immer stärker aus dem Ruder, stellen realitätsferne Behauptungen auf und verfolgen gnadenlos jeden geringfügigen Widerspruch. Es scheint so, als wüchse ihre Radikalität in dem Maße, wie es ihnen gelungen ist, ihre ursprünglichen Ziele zu erreichen.
Der bessere Mensch ist eine Frau, schwarz und schwul
Murray untersucht vier verschiedene Bewegungen von ihren Anfängen an bis zu den heutigen Formen: Die Bewegung der Schwulen, die Frauenbewegung, die Trans-Bewegung und die Bewegung gegen Rassendiskriminierung. Am Ende zeigt es sich, dass das Entwicklungsmuster der Bewegungen überall das gleiche ist: Während es am Anfang um berechtigte Anliegen der Gleichberechtigung ging, die von der gesellschaftlichen Mehrheit akzeptiert wurden, geht es heute darum, zu beweisen, dass Schwule, Frauen, Nicht-Weiße und Transmenschen die besseren Menschen sind. Sie stehen einer sexistischen, rassistischen, von Weißen dominierten Gesellschaft gegenüber, die sie gnadenlos unterdrückt. Am besten dargestellt ist die Vorstellung durch die neue Gesellschaftspyramide: Oben an der Spitze der Pyramide befindet sich eine kleine, mächtige Minderheit weißer Männer. Sie unterdrückt alle anderen, die das Fundament der Pyramide bilden. Früher war das die Arbeiterklasse, heute sind es Schwule, Frauen, Transmenschen und alle Rassen außer Weiße.
Diese Auffassung von der Welt hat innerhalb von wenigen Jahren den Weg von den extremsten Rändern der akademischen Welt über die Universitäten in die Medien und vor allem in die sozialen Medien geschafft und beherrscht inzwischen nicht nur die elektronischen, sondern auch weitestgehend die sogenannten Qualitätsmedien. Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Ideen aus den Kursen exotischer Studienfächer bis in die Mitte der Gesellschaft ausgebreitet haben, hat die meisten demokratisch und bürgerlich Gesinnten völlig überrascht. Eine ganz entscheidende Rolle spielen und spielten dabei die sozialen Medien, über die neue Ideen ventiliert und Kampagnen organisiert werden. Sie haben ihre Grundhaltung in Windeseile der herrschenden Ideologie angepasst. Ein besonders interessanter Abschnitt im Buch widmet sich den eingebauten politisch korrekten Verfälschungen der Wirklichkeit durch Google, wobei Google nur als Beispiel für das Verhalten aller großen sozialen Medien steht. Hier merkt Murray zu Recht an, dass wir uns über die Wirkungsweise der elektronischen Medien dringend Gedanken machen sollten, bevor es endgültig zu spät sein wird.
Eine neue Universalideologie ist entstanden
Die Interpretation der Welt vom Gesichtspunkt der Identitätspolitik und der sogenannten Intersektionalität (damit ist die Zusammenführung aller genannten Beschwerden gemeint) „ist der kühnste und umfassendste Versuch zur Schaffung einer neuen Universalideologie“ seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der religiöse Glaube hatte schon vorher immer stärker an Boden verloren und danach brachen auch alle bis dahin gültigen Welterklärungen zusammen, und mit ihnen die politischen Ideologien. Doch ein ideelles Vakuum kann nicht lange fortbestehen. Früher oder später muss etwas kommen, das es ausfüllt. Die Menschen sind in Ermangelung großer Erzählungen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, und es sieht ganz so aus, dass zumindest viele unter ihnen – auch große Teile der Eliten – ihn in der Identitätspolitik gefunden zu haben.
Die Frage lautet deshalb, wie weit lässt sich die Gesellschaft von dieser neuen revolutionären Lehre infizieren , wie weit geht die Bereitschaft der Eliten, sich an die Spitze der neuen revolutionären Bewegung zu setzen? Die Bereitschaft scheint nicht nur in den USA sehr weit zu gehen. Offensichtlich haben die deutschen Blockparteien und die von ihnen besetzten Staatsorgane diesen revolutionären Geist gierig aufgesogen – auch ohne, dass hierzulande eine nennenswerte Bewegung vorhanden wäre.
Politik ist nicht der Sinn des Lebens
Auf eine Frage hat Murray trotz intensiver Recherchen keine Antwort gefunden: Was kommt danach? Wie sieht denn die Gesellschaft aus, die alle Forderungen der Interessengruppen erfüllt hat? Die Frage ist schon deshalb nicht zu beantworten, weil die Forderungen der einzelnen Teilbereiche zusammengenommen kein konsistentes zukünftiges Gesellschaftsbild ergeben. Aber noch schwerer wiegt, dass sich die Forderungen gegenseitig ausschließen. Denn letztendlich geht es jeder Gruppe darum, die eigenen Privilegien zu maximieren. Die Entmachtung des gemeinsamen Feindes, des weißen Mannes im Besitz von irgendeiner größeren oder kleineren Macht, hinterlässt nur ein Trümmerfeld, auf dem neue Beziehungen und Herrschaftsverhältnisse entstehen werden. Wie diese aussehen sollen, darauf gibt es zurzeit keine Antwort.