Tichys Einblick
Es ist gut, die Dinge beim Namen zu nennen

Douglas Murray: „Ich glaube, die Wahrheit wird sich durchsetzen.“

Im Gespräch mit Nigel Farage erklärt Douglas Murray, warum es wichtig ist, die Dinge beim Namen zu nennen, warum er das Misstrauen der Briten gegenüber Ideen für eine gute Idee hält und warum die Linke den entscheidenden Fragen der Gegenwart ausweicht

Nigel Farage: Heute treffe ich jemanden zum Gespräch, der sich wirklich hervorgetan hat. Und wenn ich mir sein neues Buch “Wahnsinn der Massen” so anschaue, dann frage ich mich, ob er vielleicht ein noch größerer Querkopf ist als ich: Douglas Murray. Douglas, ich habe mir die Kapitelüberschriften in Deinem Buch angeschaut: Kapitel 1: “Schwul”, Kapitel 2: “Frauen”, Kapitel 3: “Rasse”, Kapitel 4: “Trans”. Willst Du die Leute gegen Dich aufbringen?

Douglas Murray (lacht): Nein.
Kürzlich hielt ich einen Vortrag an einer Universität. Als die Kapitelüberschriften vorgelesen wurden, wurde es ganz still. Nachdem der Vortragende fertig war, schaute ich auf und lächelte einfach – und alle brachen in schallendes Gelächter aus. Weil wir mittlerweile alle wissen, welche Themen wir besser nicht ansprechen sollten. Zufälligerweise sind das aber die Dinge, die besonders interessant sind und über die wir, wie ich finde, unbedingt reden sollten. Ich habe die Kapitel schon ganz bewusst so benannt. Denn ich frage mich: Warum sprechen wir nicht darüber? Das Publikum bestätigt nämlich, diese Diskussionen auch führen wollen.

Nigel Farage: Sehr interessant … “Wahnsinn der Massen” – mir gefällt dieser Titel. Wo immer ich in letzter Zeit auch hingehe, werde ich von Leuten gefragt: “Nigel, was geht gerade vor sich?” Es scheint eine große schweigende Mehrheit zu geben, die sich große Sorgen macht, z.B. darüber, was mit der Meinungsfreiheit geschieht.
Ich verstehe die grundsätzliche These Deines Buches, die besagt, dass alle gesellschaftlichen Gruppen, die hier angesprochen werden, ursprünglich einen guten Grund hatten, sich in irgendeiner Form diskriminiert zu fühlen. Sie kämpften für ihre Gleichberechtigung und haben sie auch zum großen Teil verwirklicht. Die Hauptaussage Deines Buches ist aber, dass sie nach den erreichten Siegen nicht aufgehört haben zu kämpfen.

Nigel Farage im Gespräch mit Douglas Murray
Themen, über die wir nicht sprechen sollen, sind besonders interessant
Douglas Murray: Das haben viele Bewegungen gemeinsam. Ein berühmtes Zitat von Eric Hoffer erklärt das zutreffend: „Jede gute Sache beginnt als gute Sache, wird dann zum Geschäft und endet mit einem Riesenbetrug.“ Das passierte in fast allen Fällen, in denen um Gleichstellung gekämpft wurde. Homosexuellenrechte sind seit einigen Jahren fest in der Gesellschaft verankert. Jetzt gibt es aber diese ganzen Organisationen drum herum, wie z.B. „Stonewall“. Was machst du denn, wenn du ein großer Wichtigtuer in solch einer Organisationen bist? Du willst Deine Stellung, deine Pension behalten. Also musst du etwas finden, wofür sich die Organisation als nächstes engagiert. „Stonewall“ entschied sich für die Transgender-Bewegung. Jetzt sorgen sie dafür, dass Kinder in der Schule in Transgender unterrichtet werden. Schon jetzt sind diese Organisationen reicher denn je, mehr Mainstream denn je. Sie erhalten Zuwendungen von großen Unternehmen. Es gibt bereits Unternehmen, die „Stonewall“ darum bitten, ihre Unternehmenspolitik zu bewerten, denn sie wollen bescheinigt bekommen, zu den Guten zu gehören. Das ist lächerlich! Das hat mit dem ursprünglichen Ziel nichts mehr zu tun.

Nigel Farage: J. K. Rowling, die ja nun wirklich keine politische Provokateurin ist, schlug ja unlängst auch viel Hass entgegen, weil sie die Transideologie angezweifelt hat.

Douglas Murray: Das hängt alles miteinander zusammen. Homosexualität ist ein Minderheitenthema, aber das Verhältnis zwischen Mann und Frau betrifft eine Mehrheit. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau lässt sich eben nicht so einfach polarisieren. Was ist denn geschehen, nachdem die Feministinnen sich durchgesetzt hatten? Die Feministinnen des 20. Jahrhunderts kämpften dafür, mit Männern gleichberechtigt zu sein. Sie sind inzwischen gleichberechtigt. Doch nun kommt es zu übertriebenen Forderungen, weil es so viele professionelle Feministinnen gibt. Weil es so viele gibt, die sich ständig im Kampfmodus befinden, die in einer Haltung leben, als stünden sie permanent auf den Barrikaden. Weil sie nichts haben, was sie sonst tun könnten.

Nigel Farage: Lass uns über Black Lives Matter reden. Du kennst Amerika ziemlich gut und ich ebenfalls – ich würde meinen, dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass wir in Großbritannien bezüglich Rassismus weitaus fairer waren als es in Teilen der USA der Fall ist. Ich will damit sagen, dass ich es nicht leiden kann, wenn man Statuen herunterreißt oder wenn der Mob regiert. Ich habe unglaubliche Bilder im Fernsehen gesehen: Da versuchte der Mob eine unschuldige Frau in einem Restaurant zu zwingen, die rechte Faust zu heben, also ungefähr so, wie 1933 mit dem Hitlergruß. Unglaublich. Aber offensichtlich gibt es einen Grund dafür, dass die Black Lives Matter Bewegung in Amerika entstanden ist. Welcher ist das?

Identitätslinke Läuterungsagenda
Wie eine Straftat in den USA für die Verbreitung einer Läuterungsagenda in Deutschland instrumentalisiert wird
Douglas Murray: Jeder Kampf um Gleichberechtigung fängt irgendwann mit nachvollziehbaren und gut begründeten Ansprüchen an. Ich bin übrigens ebenfalls der Meinung, dass Amerika und England zwei vollkommen verschiedene Länder sind. Ich lehne auch das Importieren spezifisch amerikanischer Rassenprobleme nach England ab. Ich bin in einem England aufgewachsen, das bereits sehr divers war. Wir haben uns für die Hautfarbe unserer Schulkameraden nicht interessiert, wir haben sie nicht einmal wirklich bemerkt. Sicher, manche Menschen haben Rassismus erfahren. Aber generell haben wir uns in England doch in den letzten Jahrzehnten gar nicht dafür interessiert. 

Nigel Farage: Ich stimme zu. Meine Jahre in Europa haben mir gezeigt, dass wir in England viel toleranter sind als unsere europäischen Nachbarn hinsichtlich Herkunft oder Religion.

Douglas Murray: Es gibt kein anderes Land mit einer solchen Diversität zum Beispiel im Kabinett und es gibt auch gar keine Opposition dagegen.

Nigel Farage: Wie kann es dann sein, dass ein Vorfall in Amerika, der Tod George Floyds, innerhalb einer Nanosekunde sehr gut organisierte – und wie es den Anschein hat, auch finanziell bestens ausgestattete – Proteste in England hervorruft?

Douglas Murray: Es ist dieselbe Geschichte. Nochmal: Es gibt in Amerika eine spezifische Rassenproblematik, mit der sich das Land seit langer Zeit auseinandersetzen muss. Dann wird George Floyd getötet. Ich denke übrigens, wir sollten diese Ereignisse sorgfältig betrachten: es gibt niemanden, der den Polizisten, der George Floyd getötet hat, in Schutz nehmen würde. Niemand verteidigt, was dieser Polizist und seine, übrigens sehr diversen, Kollegen an diesem Tag getan haben.

Nigel Farage: Würdest du ihn in Schutz nehmen?

Douglas Murray: Nein! Der Polizist hat diese Verhaftung offensichtlich auf die schlimmstmögliche Weise ausgeführt. Aber erst die Gerichtsverhandlung wird zeigen, ob seine Tat rassistisch motiviert war. Und wie mein Freund Sam Harris bemerkt hat, gibt es in den USA jedes Jahr zehn Millionen Begegnungen zwischen Polizei und Bevölkerung – der bewaffnetsten Bevölkerung der Welt. Es gibt also Schwierigkeiten in der amerikanischen Polizeiarbeit, die wir nicht unterschätzen dürfen. Aber als Reaktion darauf zu behaupten, alle amerikanischen Polizisten seien Rassisten oder in England sei es noch viel schlimmer und die ganze englische Geschichte sei rassistisch: das ist absurd.

Nigel Farage: Wie konnte das so explodieren?

Gegen den Westen und die Aufklärung
Unsere Taliban
Douglas Murray: Weil sie vorbereitet waren. Und bereit, loszulegen. Dies ist eine Bewegung, die Märtyrer braucht. Sie sucht Märtyrertum und hat uns bereits falsche Märtyrer geliefert. Es gab 2014 das Massaker von Ferguson in Missouri, ein Startpunkt der Black Lives Matter Bewegung. Angeblich hatte dort das Opfer die Hände erhoben und rief: Bitte nicht schießen! Das behaupteten die Black Lives Matter-Aktivisten. Im Prozess stellte sich dann aber heraus – und sogar Black Lives Matter musste es eingestehen – dass der Mann eben nicht die Hände in der Luft hatte, sondern dem Polizisten, der ihn festnehmen wollte, seine Waffe wegzunehmen versuchte.

Der entscheidende Punkt ist, dass wir in England, ebenso wie in Amerika, zugelassen haben, dass eine Bewegung vor sich hingärt, die alle Aspekte unserer Geschichte feindselig betrachtet.


In Amerika gibt es mittlerweile zwei Generationen, die beigebracht bekommen haben, dass es das schlimmste Land der Welt sei, nicht etwa nur problembehaftet. Diese Leute kennen übrigens überhaupt keine anderen Länder. Das ist das eklatante Unwissen derselben Leute, die laufend sagen: „Bildet Euch!“. Das sind immer die dümmsten Leute, diese Bilde-Dich-Brigade, die selbst gar nichts über die Welt weiß. Sie sind nirgends gewesen. Sie können die amerikanische Zivilisation mit keiner anderen vergleichen. Sie denken, Amerika sei das einzige Land gewesen, das Sklaverei hatte. Es gab Sklaverei in jeder Zivilisation weltweit. Sie meinen, dass Großbritannien durch Sklaverei definiert würde. Und sie wissen nicht, dass sich dieses Land in der Auseinandersetzung um die Abschaffung der Sklaverei geradezu zerrissen hat. Das liegt Jahrhunderte zurück. Es hat uns viel gekostet. Wir haben den Preis bezahlt, weil wir überzeugt waren, dass es moralisch richtig war, ihn zu bezahlen. Und jetzt kommen diese Leute und erzählen einer ungebildeten, ignoranten Generation, dass sie diese historischen Fakten nicht kennen müsse.

Der neue Klassenkampf
Wie der Wahnsinn der Massen unsere Gesellschaft zerstört
Nigel Farage: Wenn wir uns die Medien und die großen Unternehmen in unserem Land anschauen – das sind doch die großen gesellschaftlichen Gruppierungen, die meinungsbildend sind. Die wissen doch Bescheid über Großbritanniens Verhältnis zur Sklaverei. Wie kann es also sein, dass – und Du hast es selbst ja auch erlebt – als ich einige Tage nach dem Sturz der Colsten-Statue in Bristol in einem Fernsehstudio sagte: „Bei  Black Lives Matter geht es mehr um den Sturz des Kapitalismus, die Zerstörung der Staatsstrukturen, Entmachtung der Polizei“ – dass ich zur besten Sendezeit im Fernsehen ein Lügner genannt werde? Nur weil ich das ausspreche, was sie auf ihrer eigenen Website als Ziele formulieren? Was geht bei den Medien und in unseren großen Unternehmen vor sich?

Douglas Murray: Zunächst gibt es da einige Leute, die tatsächlich so ignorant sind, dass sie diese Behauptungen glauben…

Nigel Farage: … aber doch nicht in den Medien und Geschäftskreisen …

Douglas Murray: … in den Medien und Geschäftskreisen haben wir es mit einem anderen Phänomen zu tun. Da geht es um Feigheit. Als „Rassist“ bezeichnet zu werden ist ja mittlerweile das Schlimmste, was einem in unserer Gesellschaft widerfahren kann. Manche entgegen: „Offensichtlich stimmt das nicht, denn du hast es doch überlebt, ein Rassist genannt worden zu sein“. Es stimmt aber doch. „Rassist“ ist tatsächlich das Gehässigste, was man über jemanden sagen kann. Und es ist unmöglich, diesen Vorwurf zu entkräften, weil wir in diesem Land in mehr als 20 Jahren die Auffassung entwickelt haben, dass alles im Auge des Betrachters liege: Wenn einer also denkt, etwas sei rassistisch, dann sei es auch rassistisch. Diese Auffassung fügt einer Gesellschaft unglaublichen Schaden zu. Aber darin sind Bewegungen wie Black Lives Matter besonders gut. Dieses Terrain besetzen sie gerne und sehr gut; indem sie behaupten: Jeder, der sich uns entgegenstellt – und den Themen, die wir in unseren Forderungskatalog mithineinschmuggeln – muss ein Rassist sein. Es ist höchste Zeit, dass sich mehr Leute im Geschäftsleben und in Regierungen dem entgegenstellen und sagen: Nein! Wir durchschauen, was ihr tut.

Es gibt ganz viel Beispiele für solche Mechanismen in der Vergangenheit. Nimm doch nur einmal die „Friedensforschung“. Sie entstand auf mysteriöse Weise während des Kalten Krieges. „Friedensforschung“: Wenn man diesen völligen Blödsinn nicht mochte – er wurde übrigens auffällig oft von Russland finanziert – dann war man gegen den Frieden. Aber wie könnte man gegen Frieden sein? Das konnte doch nur bedeuten, dass man die Atombombe werfen wollte.

Nigel Farage: Verrate mir einmal, als was Du schon alles beschimpft wurdest. Gib mir eine Liste. 

Douglas Murray: Offensichtlich bin ich ein großer Heuchler, ein schrecklicher Transphober und ein schwuler Homophober.

Nigel Farage: Ich frage, weil ich selbst über die Jahre extrem beleidigt worden bin. Wie gehst Du damit um?

Es geht ums Beschämen, nicht um Scham
»Public Shaming«: Vergebung ist nicht vorgesehen
Douglas Murray: Ach, mir ist es einfach wurscht. Wirklich. Nach meiner Auffassung hängt die Charakterentwicklung davon ab, ob man unterscheiden kann, für wessen Meinung man sich interessieren sollte und für wessen nicht, wem man zuhören sollte und wem nicht. Es gibt einige wenige Leute, Familie, Freunde, Menschen, die ich bewundere. Wenn die sagen: Da liegst du falsch – dann höre ich definitiv zu. Wenn mich aber jemand mit einem phantasierten Social-Justice-Warrior-Twitternamen kritisiert, dann macht mir das keine schlaflosen Nächte.

Nigel Farage: Du bist ein interessantes Phänomen. In Frankreich zum Beispiel werden Intellektuelle ja auf ein Podest gestellt und verehrt.

Douglas Murray: Ich habe diesen Aspekt der französischen Kultur oft bewundert (lacht).

Nigel Farage: Du bist ein Intellektueller und trotzdem verkaufst Du Bestseller. Wie machst Du das? In England?

Douglas Murray: Wir haben ja eine feine intellektuelle Tradition hier in England.

Nigel Farage: Aber sie wird nicht respektiert.

Douglas Murray: Das würde ich so nicht sagen. Doch es gibt eine enorme Eigenart hierzulande, die sich vielleicht so beschreiben lässt: Die Briten sind traditionell skeptisch Ideen gegenüber. Konservative Denker oder Schriftsteller bringt das in eine Zwickmühle. Dieses britische Misstrauen Ideen gegenüber…

Nigel Farage: … das liegt vielleicht daran, weil wir uns durchwursteln… 

Douglas Murray: …Ja! Das britische Misstrauen gegenüber Ideen ist eben selbst auch eine gute Idee. Mein verstorbener Freund Roger Scruton wurde da sehr deutlich. Misstrauen zu hegen gegenüber Leuten, die Ideen haben, heißt auch, Utopisten gegenüber misstrauisch zu sein. Der Rest Europas ist in der Geschichte regelmäßig Utopien verfallen. Doch das britische Volk hat das historisch nicht gemocht. Ein enormer Vorteil. Aber wenn man selbst an Ideen interessiert ist, kommt es eben zu diesem Konflikt. Misstrauen gegenüber großen Ideen, ist ein gutes Misstrauen. Denn wenn du jemandem begegnest, der behauptet, besser zu wissen, wie du leben solltest, dann solltest du so weit wie möglich davonlaufen! Aber manchmal lebt man eben in einem Zeitalter, das vollgestopft ist mit abstrusen Ideen. Und es ist nicht genug, das einfach zu ignorieren. Denn man ist von diesen Ideen ja ständig umgeben, man atmet sie regelrecht ein. Die Kinder lernen sie in der Schule. Deshalb kritisierst du Schulen ja auch. Ich halte es übrigens auch für entscheidend, dass die britische Öffentlichkeit erkennt, dass ihre Kinder mit verrotteten Ideen gefüttert werden.

»Aber ihr habt doch Roger Scruton!«
Unsere Zeit braucht Denker – besonders von konservativer Gesinnung
Nigel Farage: Das interessiert mich jetzt ganz besonders. Ich habe gelesen, was du über Universitäten gesagt hast. Und ich weiß noch, was ich gedacht habe, als Blair forderte, 50 Prozent der jungen Leute sollten Universitäten besuchen. Natürlich tat er das in erster Linie, um junge Labour-Wähler zu erzeugen. Wer konnte ahnen, wie erfolgreich er damit sein würde? Ich bin kein Intellektueller. Ich bin ein Geschäftsmann, ein Pragmatiker. Aber ich sehe doch, dass man den jungen Leuten ab 13, 14 in der Schule und später an der Universität kritisches Denken beibringen müsste, nach dem Muster: Hier ist ein Problem. Hier sind zwei Lösungen. Überlege dir welche dir lieber ist. Jetzt geht es aber doch so: Man sagt den Leuten, hier ist ein Problem. Es gibt zwei Lösungen. Aber die eine ist moralisch verwerflich, nur die andere ist gut. Ist es das, was an unseren Universitäten schiefläuft? Und wie schlimm ist es deiner Meinung nach?

Douglas Murray: Ich denke, dass jedes Zeitalter einen religiösen Instinkt hat. Alle Menschen haben einen religiösen Instinkt. In unserem Zeitalter wurde der religiöse Instinkt in einen kulturreligiösen Instinkt überführt. Leute werden indoktriniert, einer Kultreligion zu folgen. Man sagt ihnen, wie gutes und wie schlechtes Verhalten aussieht, wie sich eine gute Person benimmt und woran man eine schreckliche Person erkennt. Dabei geht es eher um Haltungen als um Verhalten. Das ist alles Teil der Verarsche: Welche Signale solltest du senden, um zu beweisen, dass du zu den Guten gehörst? Und welche, wenn du Teil der „guten“ Gruppe bist, aber gleichzeitig die schrecklichen Eigenschaften eines, sagen wir mal, weißen Mannes hättest, was solltest du tun, um trotzdem zu demonstrieren, dass du dadurch nicht zu den Bösen gehörst?


In dieser billigen Religion kannst du zeigen, dass du gut bist, indem du dich solidarisierst mit dem allerneuesten Anliegen. Indem du dich mit allem verbündest, womit man sich gerade zu verbünden hat. Auch indem du sagst, wie sehr du dich für was auch immer schämst. Das sind alles religiöse Instinkte. Man kann sogar einen Zehnten zahlen, z.B. als großes Unternehmen oder als Universität, am besten noch bevor dieser Mob einen ins Visier nimmt. Die billigste Methode, sich freizukaufen, z.B. für eine Bank, die dafür bekannt ist, dass sie viele Männer einstellt: sie zahlt einfach ihren Tribut an Black Lives Matter und schon ist alles gut. Das ist es, was sich gerade abspielt. Wir haben eine neue Moral, eine neue Religion. Ich habe sie jahrelang zu beschreiben versucht und dies sind die klarsten Anzeichen dafür.

Nigel Farage: Es ist eine Sache, aufzustehen und etwas anzuprangern. Ich tue das selbst oft, zum Beispiel in der Frage der permanenten Flüchtlingsankünfte hier in England. Du hast darüber in „Der Selbstmord Europas“ geschrieben, die ganze Thematik auch mit Bezug zu den Konflikten im Mittelmeer. Ich glaube, ich bin wie Du ganz gut darin, Themen zu setzen und darüber zu reden. Aber: Was tun wir, um dieses Problem zu lösen? Was tun wir, um z.B. die Universitäten wieder auf den Stand zu bringen, den sie einmal hatten?

Douglas Murray: Ich glaube an die Wahrheit. Ich glaube tatsächlich, dass die Wahrheit eine große Fähigkeit hat, durchzudringen.

Nigel Farage: …am Ende…

DIE WELTWOCHE über Douglas Murray
Europas seltsamer Selbstmord
Douglas Murray: …am Ende! Gott weiß, wie schwierig und wie unerfreulich es in der Zwischenzeit werden wird. Ich gebe Dir ein Beispiel. Ich habe gerade ein Buch besprochen von einer sehr bekannte Neurowissenschaftlerin aus Kanada namens Deborah Sow. Sie schreibt über das Ende von Gender. Sie ist eine liberale Denkerin und sie erklärt sehr schön, dass man nicht einfach so weitermachen und behaupten könne, es gebe keine Geschlechter. Es ist schlicht unmöglich.

Aber es ist dasselbe mit jeder Diskussion. Die These, die ich in „Der Selbstmord Europas“ aufgestellt habe, lautet, dass wir die große Frage zum Thema der Migration noch gar nicht gestellt haben. Welches ist diese Frage?

Ich würde sie als Zwickmühle beschreiben: Wir würden ja gerne nett und hilfsbereit sein gegenüber all den Menschen in der Welt, die großes Pech hatten, die in Kriegsgebieten leben, furchtbare Situationen durchmachen in schrecklichen Ländern, die von Despoten niedergewirtschaftet wurden. Wir würden gerne großzügig zu ihnen sein. Aber: Können wir alle aufnehmen? Nein. Was können wir also stattdessen tun? Ich versuche seit Jahren, Leute dazu zu bringen, darüber endlich nachzudenken!

Ich erlebe das laufend mit meinen linken Freunden. Ich sage zu ihnen „Ihr wisst genau, dass das der Konflikt ist: Wir können nicht alle aufnehmen, die in schwierigeren Situationen leben als wir. Also? Was habt ihr vor?“ Alles, was sie tun, ist, dieser Frage auszuweichen. Seit Jahren. Sie können nur immer ausweichen und alle, die nicht mit ihnen übereinstimmen, als Rassisten bezeichnen! Das ist aber nicht nachhaltig. Ihre Argumente sind nicht nachhaltig und das ist mit vielen Debatten so. Und deshalb bin ich recht zuversichtlich, dass es enden wird.

Nigel Farage: Wenn wir die Debatte intellektuell gewinnen, wird das zwangsläufig in politisches Handeln münden?

Douglas Murray: Nein, du kannst eine Debatte intellektuell gewinnen und politisch verlieren.

Nigel Farage: Haben wir eine konservative Partei?

Interview
Douglas Murray über die Woke-Tyrannei und die Jakobiner unserer Zeit
Douglas Murray: Das ist das Ganze andersherum. Die gewinnt politisch und verliert intellektuell. In dieser Situation befinden wir uns zumindest teilweise hier in Großbritannien. Wir haben eine konservative Regierung mit 80 Sitzen Mehrheit. Und dennoch gibt es tägliche Beispiele für vieles, mit dem ein Konservativer eigentlich nicht einverstanden sein kann. Erst kürzlich hat unsere Regierung schmählich versagt, als unsere – und ich möchte sie nicht nur als Denkmäler bezeichnen, sondern als heilige Orte unserer Nation – geschändet wurden, als das Kriegerdenkmal in London jeden Tag beschädigt wurde. Da gab es dieses Video von Black Lives Matter Demonstranten, die zu einem Team sehr junger Freiwilliger, das gekommen war, um das Ganze aufzuräumen, sagten: Na? Kümmert ihr euch jetzt um eure wertvollen Statuen? Da hätten wir sagen müssen: Ja! Ja, uns liegt etwas an unseren Denkmälern, sie sind wertvoll für uns, das sind unsere heiligsten Plätze und wir entschuldigen uns nicht dafür, sie in Ehren zu halten. Niemand in der Regierung sagte das.

Nigel Farage: Mittelengland sagt das schon. Ich glaube ja, dass die BBC eine Grenze überschritten hat, als sie das Hymnensingen in den Last Night of the Proms aussetzen wollte. 

Douglas Murray: Ich verstehe nicht, was die BBC sich dabei gedacht hat. Sie erwecken den Eindruck, dass sie sich schuldig fühlen. Was mir doch sehr verdächtig vorkommt. Was hatte die BBC mit der Ermordung George Floyds zu tun? Warum benehmen sie sich, als seien sie Komplizen gewesen? Sie zeigen Videos, in denen sie sagen, wir hätten mehr tun können. Was verbergen sie? Was habt ihr für ein Problem? Warum glaubt ihr das? Weil ein amerikanischer Polizist in Minnesota jemanden getötet hat, sollen wir unsere Hymne nicht mehr singen können? Glaubt ihr, wenn wir Rule Britannia singen, dass wir dann in Frankreich einmarschieren? Oder was glauben sie? Dass wir anfangen, Leute zu lynchen, wenn wir Land of Hope and Glory singen? Vielleicht glauben sie das wirklich. 

Nigel Farage: Ich weiß es nicht! Lass uns nach Nord-London gehen, um es herauszufinden.

Douglas Murray: Diese Leute vertrauen sich selbst nicht. Also vertrauen sie auch uns nicht. Wir aber vertrauen uns, wir wissen, dass das englische Volk ein anständiges Volk ist und dass wir Liedtexte richtig verstehen.

Nigel Farage: Das entspricht fast der Spaltung zwischen Remain und Brexit. Ich habe nämlich in den ganzen Diskussionen, in denen es darum ging, wie schrecklich unsere Geschichte sei, festgestellt, dass gerade die Remainer so argumentieren.

Denkmalsturz 2020
Die westliche Geschichte wird verfälscht
Douglas Murray: All diese Leute sagen ja immer, sie wollen, dass wir unsere Vergangenheit besser verstehen. Schön und gut, aber das muss natürlich auch ein rundes und reifes Verständnis sein. Und da liegt das Problem. Wir sind in dieser und anderen Angelegenheiten nämlich mit Kritikern konfrontiert, die nicht unser Wohl im Auge haben. Wir kommen wieder zurück auf die Frage: Wem würde ich zuhören? Ich höre meinen Freunden und meinen Lieben zu, weil ich genau weiß, dass sie mein Wohl im Auge haben. Sie wollen, dass es mir gut geht. Ich höre doch niemandem zu, der mir das Schlechteste wünscht und von dem ich das weiß. In Bezug auf mein Land verhält es sich ebenso. Ich höre doch Leuten, die die Großzügigkeit und Größe Englands anerkennen zu, wenn sie sagen, ihr könntet dies oder das besser machen. Ich bin aber mittlerweile nicht mehr bereit, Leuten zuzuhören, die glauben, dass nichts an unserer Geschichte gut gewesen sei. Genauso wenig wie den Leuten, die glauben, es hätte nichts Gutes in Amerika gegeben, Columbus hätte niemals in See stechen dürfen. Hört diesen Leuten nicht zu! Sie wollen Dir nicht helfen, besser zu werden. Sie wollen dich vernichten!

Nigel Farage: Wenn wir uns in fünf Jahren hier wiedertreffen, werden wir diesen gegenwärtigen Wahnsinn hinter uns gelassen haben?

Douglas Murray: Ich bin tatsächlich zuversichtlich, dass wir es schaffen. 

Nigel Farage: Das ist ein schönes Schlusswort. Haben Sie Vertrauen! Und wenn Sie einen „woken“ Freund ärgern wollen, dann kaufen Sie ihm dieses Buch. Ein tolles Geschenk: „Wahnsinn der Massen“.

Douglas Murray, Wahnsinn der Massen. Wie Meinungsmache und Hysterie unsere Gesellschaft vergiften. Edition Tichys Einblick im FBV, 352 Seiten, 24,99 €.


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