Ein geheimes Treffen von Milliardären am 5. Mai 2009 im Haus von Sir Paul Nurse, einem britischen Nobelpreisträger und Präsidenten der privaten Rockefeller University in den USA, brachte eine neue Lobby in Schwung. Die Anwesenden, darunter Michael Bloomberg, Warren Buffett, Bill Gates, David Rockefeller Junior und George Soros, diskutierten darüber, wie sie ihren Reichtum einsetzen könnten, um die Welt zu verbessern.
Die informelle Nachmittagssitzung sollte diskret bleiben, weshalb man selbst engen Mitarbeitern der Philanthropen gesagt hatte, ihre Chefs befänden sich in »Sicherheitsbriefings«, berichtete drei Wochen später die Sunday Times. Aber warum die Geheimhaltung? »Sie wollten von Reich zu Reich sprechen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass etwas, was sie sagen, in den Zeitungen landen und man sie als alternative Weltregierung darstellen würde«, gab ein Zeuge zu verstehen. Die Milliardäre hatten jeweils 15 Minuten Zeit, um ihr philanthropisches Steckenpferd vorzustellen. Beim Abendessen tauschten sie sich aus, wie sie sich auf ein gemeinsames Ziel einigen könnten. So stand eine Reform der Überwachung von Ausgaben für Entwicklungshilfe ebenso zur Debatte wie der Bau ländlicher Schulen und Wasserversorgungssysteme in ärmeren Ländern. Als übergeordnetes Problem für Umwelt, Gesellschaft und Industrie identifizierten die Anwesenden das Bevölkerungswachstum. Zum Gegner erklärten sie die Lobby fossiler Energie, die über 80 Prozent der weltweiten Energiemenge vermarktet und entsprechend mächtig ist.
Das Strategiepapier »Design To Win – Philanthropy’s Role in the Fight Against Global Warming« der Stiftung ClimateWorks aus dem Jahr 2007, eine Art Masterplan, wies den Weg: Darin steht geschrieben, wie Stiftungsmittel am effizientesten zum Aufbau einer Klimaschutzpolitik eingesetzt werden können: »Gründe neue, nationale Organisationen mit der Expertise zur strategischen Beschaffung von Fördergeldern mit großer Hebelwirkung.« Ein finanzieller Aufwand von jährlich 600 Millionen US-Dollar genüge dabei, um bis 2030 weltweit elf Gigatonnen CO2 einzusparen und damit die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten.
Hal Harvey, dem Mann hinter dem Masterplan »Design to Win«, ging es eigentlich gar nicht ums Klima. Sein Gegner war das Erdöl, gestand er. Als er Anfang der 1980er-Jahre zur Tauglichkeitsprüfung für das Militär musste, sei ihm klar geworden, dass nahezu alle drohenden bewaffneten Konflikte mit dem Rohstoff zu tun hatten. »Ich wusste, wir müssen ganz schnell weg davon«, erinnert sich Harvey in der Zeit. In Stanford hatte er Energietechnik, Physik und Politik studiert, danach arbeitete er für NGOs, die sich für die Kontrolle von Atomwaffen einsetzten. Bald landete er bei der Hewlett Foundation, die »eine bessere Welt fördern« will und Stand 2020 über ein Vermögen von mehr als 13 Milliarden US-Dollar verfügte. Harvey übernahm 2002 das Umweltprogramm der Organisation. Von nun an ging es ihm auch ums Klima. Er gründete weitere Stiftungen, 2021 etwa die Climate Imperative Foundation mit einem Jahresbudget von fast 200 Millionen Dollar [sowie in Deutschland die Stiftungen Agora Energiewende, die Agora Verkehrswende und die Stiftung Klimaneutralität – Anm. d. Red.].
Damit war die fossile Industrie abgehängt. Laut einer Schätzung des Soziologen Robert Brulle aus dem Jahr 2013 verfügte diese im Zeitraum von 2003 bis 2010 über 900 Millionen US-Dollar jährlich und hatte 91 Lobbygruppen unter sich. Unklar blieb in seiner Untersuchung allerdings, welcher Anteil des Budgets tatsächlich in Kampagnen gegen Klimaschutz geflossen war, denn die Gruppen verfolgten daneben noch andere Ziele. Eine Analyse der Klimaschutzorganisation InfluenceMap, die ein breites mediales Echo nach sich zog, ergab 2019, dass die fünf größten Öl- und Gasunternehmen der Welt zusammen etwa 200 Millionen Dollar pro Jahr für Interessenvertretung ausgeben – getragen wird InfluenceMap von den Großstiftungen der Lobby für Erneuerbare Energien.
Nisbet zweifelt an der Uneigennützigkeit der vermeintlich klimafreundlichen Finanziers:
Für Ultramilliardäre ist ein Klimanotstand die perfekte Gelegenheit, noch größeren Einfluss auf das Weltgeschehen geltend zu machen, da sie die Zivilgesellschaft mit Milliarden an Philanthropie überschütten und ihre Geschäfte und Investitionen vor kritischer Prüfung schützen können. (…)
Die Geldgeber würden darauf abzielen, einen »Übergang zu Solar- und Windenergie herbeizuführen, der die Weltwirtschaft erfasst«, bilanziert Nisbeth. Eine »breite Palette anderer Technologien und Politiken« hätten die Sponsoren ausgeschlossen – ein Fehler, meint der Experte:
Um den historisch beispiellosen gesellschaftlichen Wandel zu erreichen, fordern etwa die meisten Szenarien des UN-Klimarats nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern auch Investitionen in Kernenergie, CO2-Speicherung und andere Technologien.
Nisbeth kritisiert die Ausrichtung der Initiativen: »Ein Großteil der Klima-Philanthropie-Welt bleibt erbittert parteiisch«, schreibt er. Obwohl die Vereinten Nationen gemäß eigenem Vorsatz stolze 17 »Ziele für nachhaltige Entwicklung« erreichen wollen, hat das Handeln der Stiftungen dafür gesorgt, dass der Kampf gegen den Klimawandel die 16 anderen – darunter die Versorgung mit günstiger Energie, ein breites Bildungsangebot, eine ausreichende Gesundheitsversorgung sowie die Beseitigung von Hunger und Armut – in den Hintergrund drängt. (…)
»Planetare Grenzen«: Die Behauptung von Knappheit verleiht Macht
Eine aufgebrachte Runde redete sich allmählich in Rage auf dem WEF 2023 in Davos, wo alljährlich eine Elite aus Wirtschaft und Politik »Lösungen für eine bessere Welt« finden will. Al Gore warnte vor »einer Milliarde Klimaflüchtlingen«, vor »kochenden Ozeanen« und »Regenbomben«. Ein Chef der Zurich Insurance Group, finanziell an der Energiewende beteiligt, mahnte: »Das Scheitern des Klimaschutzes ist in diesem Jahr eines der am höchsten bewerteten Risiken.« Der Geschäftsführer der Ikea-Stiftung, die ebenfalls in die Transformation investiert, forderte Zusammenarbeit »in großem Umfang, um den Planeten zu schützen«. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, meinte, die nächsten Jahrzehnte würden »den größten industriellen Wandel unserer Zeit – vielleicht aller Zeiten – mit sich bringen«.
Für die Stimmung der Runde verantwortlich war die Sozialwissenschaftlerin Joyeeta Gupta von der Universität Amsterdam, die in ihrer Rede vor einer »Gefahrenzone« und »planetaren Grenzen« gewarnt hatte – ein mittlerweile beliebtes Thema politischer Organisationen: 2019 hatte die Global Commons Alliance, getragen von Großstiftungen, Finanzinstituten, Umweltverbänden und Forschern, die Earth Commission gegründet, um natürliche Limitationen der Erde abzustecken, etwa für den Klimawandel, die Biosphäre, den Wasserverbrauch, die Landnutzung oder die genetische Vielfalt. In ihrer Rede lobte Gupta den Beitrag der anwesenden Wissenschaftler, »sichere und gerechte Grenzen« des Planeten zu identifizieren – dann übergab sie das Mikrofon an Johan Rockström, Schellnhubers Nachfolger als Direktor des PIK, der auch der Earth Commission vorsaß.
Rockström und seinem Team sei es in der Tat gelungen, »planetare Grenzen« zu finden, die der Mensch entweder bereits überschritten habe oder in naher Zukunft überschreiten würde. Bei der ersten handle es sich um die 1,5 Grad globalen Temperaturanstieg, die – anders als vom Weltklimarat definiert –, eine manifeste »physikalische Grenze« darstellen: Werden sie überschritten, drohen angeblich unumkehrbare Katastrophen.
Wissenschaftlich waren die »planetaren Grenzen« durchgefallen, doch politisch machten sie Karriere. Medien würdigten sie mit großen Schlagzeilen. Dass das Konzept politisch aufgeladen war, hatte einer von Rockströms Koautoren, der Chemiker Will Steffen, bereits 2011 bestätigt: »Letztlich muss es eine oder mehrere Institutionen geben, die mit Autorität über die Ebene der einzelnen Länder hinaus agieren, um sicherzustellen, dass die Grenzen des Planeten respektiert werden.« Der Wissenschaftsphilosoph Steve Rayner kritisierte das Bestreben: Die Festlegung planetarer Grenzen verschleiere »die inhärente Normativität der Entscheidung, wie auf Umweltveränderungen reagiert werden soll«. Derartige Beschlüsse seien eine Frage politischer Auseinandersetzung, nicht wissenschaftlicher Tatsachen. Bei den »planetaren Grenzen« handle es sich um eine wirksame Strategie, um öffentliche Debatten zu beenden und einem »globalen Schiedsrichter« den Weg zu ebnen, der im Namen von Mensch und Natur entscheiden dürfe. Das scheine zumindest das Ziel zu sein.
In Davos griff UN-Generalsekretär António Guterres die Vorlage Rockströms auf – kein Wunder, ist der PIK-Chef doch fester Redner bei UNEP. Internationalen Organisationen kommt die Theorie gelegen, sie spannen die »planetaren Grenzen« und deren Autoren deshalb gerne für sich ein. Die Lösung des Problems bestehe darin, »multilaterale Institutionen einzuführen«, sagte Guterres. Als das EU-Parlament 2023 eine Konferenz zum Thema »Beyond Growth« veranstaltete, dienten die »planetaren Grenzen« ebenfalls als Referenz. Rockström erklärte im selben Jahr anlässlich seiner neuesten Studie, mit dem Konzept habe er den »sicheren Handlungsraum für die Menschheit auf der Erde wissenschaftlich quantifiziert«. »Dies gibt uns einen Leitfaden in die Hand für notwendige Maßnahmen«, fügte er hinzu.
Die Behauptung »planetarer Grenzen«, also von Knappheit, verleiht Macht, den Mangel zu verwalten: Im Februar 2024 schlugen Rockström und seine Mitstreiter im Wissenschaftsmagazin PNAS vor, den Vereinten Nationen »eine übergreifende Verwalterrolle für die planetaren Gemeingüter« zu übertragen, wobei die »Erdsystemwissenschaft eine herausragende Rolle spielen wird«.
Leicht gekürzter Auszug aus:
Axel Bojanowski, Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten. Der Klimawandel zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft. Westend Verlag, Klappenbroschur, 286 Seiten, 25,00 €.
Mit Ihrem Einkauf im TE-Shop unterstützen Sie den unabhängigen Journalismus von Tichys Einblick! Dafür unseren herzlichen Dank!!>>>