Tichys Einblick
Ein messerscharfes, furchtloses Buch

Die Sexuelle Revolution und ihr geheimer Treiber

Revolutionen sind eine zweischneidige Sache. Manchmal schaffen sie Luft zum Atmen, manchmal ersetzen sie schlimme Zustände durch noch schlimmere. Das gilt auch für die Sexuelle Revolution. Von Bernhard Meuser

Die Sexuelle Revolution ist ganz bestimmt eine große Erzählung. Beanspruchten andere «Weltwenden» den Umsturz politischer Systeme, bewirkten sie die Spaltung von Glaubensgemeinschaften oder kämpften sie um die Neuverteilung der Welt, so träumten die Mütter und Väter der Sexuellen Revolution von der Veränderung des Menschen in seinem intimsten Milieu: der Art, wie wir lieben, wie wir unsere Kinder zeugen und wie wir sie erziehen. Und sie übersetzten ihre Optionen nicht ohne Erfolg in alltägliche Handlungen.

So unterschiedliche Geister wie der Soziologe Niklas Luhmann (1927–1998), der Kulturphilosoph Charles Taylor und Benedikt XVI. sahen in der Sexuellen Revolution eine grundstürzende Veränderung des Sozialverhaltens. Luhmann spricht von der Atomisierung der Intimbeziehungen und weist auf den paradoxen Umstand hin, dass früher Liebesbeziehungen zu Sexualbeziehungen wurden, während heute Sexualbeziehungen die Last aufgebürdet sei, Liebe zu erzeugen. Sex aufzuschieben, würde «als ein kaum noch zu begreifender Irrweg angesehen».

Taylor lässt in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts sein «Zeitalter der Authentizität» beginnen. Es geht um immer stärkere Individualisierung. Treiber sei ein neues Verständnis von Sexualität, resp. eine Revolution in der Sexualmoral. Diese Revolution habe sich, so Taylor, vollzogen durch die «Relativierung von Keuschheit und die Erklärung, Homosexualität sei eine legitime Option.»

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Papst Benedikt befindet sich also in guter Gesellschaft, wenn er davon spricht, dass «in den 60er Jahren ein ungeheuerlicher Vorgang geschehen ist, wie es ihn in dieser Größenordnung in der Geschichte wohl kaum je gegeben hat. Man kann sagen, dass in den zwanzig Jahren von 1960 bis 1980 die bisher geltenden Maßstäbe in Fragen der Sexualität vollkommen weggebrochen sind und eine Normlosigkeit entstanden ist, die man inzwischen abzufangen sich gemüht hat». (…)

Revolutionen sind eine zweischneidige Sache. Manchmal schaffen sie Luft zum Atmen, manchmal ersetzen sie schlimme Zustände durch noch schlimmere.

Das gilt auch für die Sexuelle Revolution. 2017 brachte ARTE eine zweiteilige französische Dokumentation «Befreite Lust – Befriedigung und Spaß», in denen der in den fünfzig Jahren seit 1967 zu Tage tretende Kulturbruch im Stil einer Siegergeschichte abgefeiert wurde. In der Ankündigung der Sendung bei ARTE wird das Unwiderstehliche eines globalen Ereignisses zelebriert: «Freie Liebe, Offenheit, Selbstbestimmung: Am Tag nach der Vereidigung von Donald Trump, am 21. Januar 2017, gingen in Washington, San Francisco, Tel Aviv, London, Manila, Berlin und Paris Millionen von Menschen auf die Straße, um für die Errungenschaften des Feminismus und der Sexuellen Revolution zu demonstrieren.» (…)

Das vielleicht wichtigste Ereignis der Sexuellen Revolution war nicht ihr Anfang, aber ein bis heute wirksamer Katalysator und Beschleuniger. Ich spreche von der Erfindung eines die Empfängnis verhütenden Hormonpräparates durch ein Team um den österreichischamerikanischen Chemiker Karl Djerassi (1923–2015). Djerassi selbst nannte sich einerseits «Die Mutter der Antibabypille», glaubte aber vornehmlich, «ein Mittel für die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Frau» gefunden zu haben.

Die Dokumentation setzt bei Dr. Alfred Charles Kinsey (1894–1956) an, der mit seinem 1948 erschienenen Report die prüde Nation vor den Kopf stieß und bis heute als der vielleicht wichtigste Sexualforscher und eigentliche Auslöser der Sexuellen Revolution gilt.

Kinsey zeichnete das Bild einer Nation, die nach außen hin Anstand zelebrierte, unter der Decke aber alle nur denkbaren Formen sexueller Grenzüberschreitung betrieb. Was die ARTE-Doku aber verschwieg: Kinsey beschrieb weniger Amerika als Kinsey. Der Mann, der sich öffentlich als konservativer Wissenschaftler und verheirateter Vater von vier Kindern ausgab, war nicht nur ein lausiger Forscher, der auf skrupellose Weise zu wertlosen, weil falschen Erkenntnissen kam. Kinsey selbst führte ein Doppelleben. Besessen von Sex in jeder Form, nötigte er seine Mitarbeiter zum Sex oder zum Filmen von sexuellen Handlungen und unterhielt mit seinem Institut enge Beziehungen zu pädophilen Kriminellen, die Sex mit Kindern filmten. Kinsey war brennend an der «Orgasmusfähigkeit» von Säuglingen und Kindern interessiert und sammelte Filmchen dazu.

Der pädophile Komplex
  Aus heutiger Sicht fragt man sich, warum den Lesern seines Hauptwerkes «Sexual Behavior in the Human Male» die Begeisterung nicht auffiel, mit der Kinsey von ihm organisierte Kinderschändung darstellte: «Es ist sicher, dass ein noch höherer Anteil der Jungen multiple Orgasmen hätte haben können, wenn die Situation es erlaubt hätte. […] Sogar die jüngsten Säuglinge, 5 Monate alt, sind zu solch wiederholten Reaktionen in der Lage. […] Das Maximum, das beobachtet wurde, waren 26 Höhepunkte in 24 Stunden [ein 4-jähriger und ein 13-jähriger Junge. Anm. d.Ü.], und der Bericht weist darauf hin, dass in derselben Zeiteinheit noch mehr möglich gewesen wäre.»

Alfred C. Kinsey sollte nicht die einzige merkwürdige Gestalt unter den Vätern und Müttern der Sexuellen Revolution bleiben. Es wimmelt darin von schrägen Gestalten, die Theoriebildung zur persönlichen Entlastung betrieben. Die «Planned Parenthood»-Gründerin und langjährige Präsidentin Margaret Sanger (1879–1966) verließ ihren Mann und die drei Kinder, um sich sexuell zu verwirklichen. Sie war eine Eugenikerin, die auch Zwangssterilisationen gut fand.

Auch Schwulen-Vordenker Magnus Hirschfeld war Eugeniker und Rassenhygieniker; er beteiligte sich sogar an Genitalverstümmelungen. Eine andere Lichtgestalt, der Sexualforscher Helmut Kentler («Vater der Sexualpädagogik der Vielfalt»), war ein krimineller Kuppler, der mit staatlicher Hilfe reihenweise Kinder an Pädophile vermittelte.

Mit den Helden der Sexuellen Revolution lässt sich keine Saga stricken. In Amerika nicht, in Deutschland nicht, in Frankreich nicht, wo gerade der Vorzeigeliterat Gabriel Matzneff als der zynische Päderast enttarnt wird, der er zeitlebens war und woraus er in seinen Büchern nie einen Hehl machte. Es ist die immer gleiche Geschichte des ewigpubertären Egomanen, der seine Selbstverwirklichung auf Kosten der seelischen Vernichtung von Kindern und Jugendlichen betreibt.

ARTE feiert seine Helden und freut sich an Bikinis, Miniröcken und der neuen Generation, die auf «Befreiung, Aufbruch und Selbstbestimmung» drängt. Die Antibabypille wird fokussiert auf das «Recht auf Lustbefriedigung», das durchzusetzen das große Ziel der Bewegung ist. Geknackt werden soll «die herrschende Sexualmoral als Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument eines autoritären Systems.»

Das war natürlich eine marxistische Parole, die auf das 19. Jahrhundert und eine andere Quelle der Sexuellen Revolution, auf Friedrich Engels, hinweist. In Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats beschreibt Engels den «ersten Klassengegensatz» in der Geschichte: die monogame Ehe. Verständlicherweise schließt an diese Sicht der Dinge die facettenreiche Geschichte des Feminismus an, die in einer frühen Phase die Traktoristin hervorbrachte, die – so denke ich – auch nur eine neue Variation ausbeutender Unterdrückung der Frau darstellte. Das Patriarchat mutierte nur zum Staat.

In den späten Sechzigern und Siebzigern des 20. Jahrhunderts sind wieder klassenkämpferische Töne zu hören. Über die Lektüre von Wilhelm Reich entdecken sowohl die amerikanischen Hippies wie die linke Szene in Deutschland und Frankreich «in Rauschmitteln und Sexualität umstürzlerisches Potential.»

Herbert Marcuse lieferte mit Triebstruktur und Gesellschaft eine fertige Theorie, wonach die «Unterdrückung des Eros […] eine soziopathologische Dynamik in Gang setzt, die zur Herrschaft des Menschen über den Menschen führt und schließlich Krieg und Massenmord hervorbringt». Gute Gründe für mehr freien Sex!

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ARTE würdigt an dieser Stelle die Berliner Kommune 1, in der es nach Dieter Kunzelmann neues Leben geben soll, getragen von «der Leidenschaft der an sich selbst Interessierten». Der ihm zugeschriebene Spruch: «Was geht mich der Vietnamkrieg an, wenn ich Orgasmus-Schwierigkeiten habe», stammt zwar nicht von Kunzelmann, sondern von Rainer Langhans, er markiert aber das in jenen Jahren stattfindende Umkippen von politischer Weltverbesserung in privaten Hedonismus und Esoterik.

Das hatte Marcuse nicht erhofft. Die flotten Kommunarden und Kommunardinnen, von der Zeitschrift «Stern» («Sex sells») nackt abgelichtet, erstreben die Zerschlagung der Kleinfamilie und propagieren die freie Liebe. Die Kommune 1 wird, so ARTE, «weltweit Vorbild für ein neues Lebensmodell». Für welches? (…)

«Es war so», schreibt Katharina Wulff-Bräutigam, Kind einer Münchner Kommunardin und eines 68er-Rebellen, «dass wir unseren Eltern bei der Verwirklichung ihrer Ego-Trips im Wege standen.» Auch die Autorin Sophie Dannenberg («Das bleiche Herz der Revolution») erinnert sich und differenziert: «Noch heute denke ich gern an meinen Kinderladen zurück. Es war eine glückliche Zeit. Die Welt war wild und geheimnisvoll. Wir waren glückliche Kinder. Und einige von uns wurden sexuell missbraucht. […] Der Missbrauch fand nicht vor Ort statt. Aber er hatte dort seinen Ursprung. Unsere Eltern taten das nicht, weil sie pädophil waren. Sie taten es, weil sie Sex mit Kindern für fortschrittlich hielten, weil sie dachten, dass Scham und Hemmung bourgeois seien, und weil es entsprechende Texte von Wilhelm Reich und Fotobücher von Will McBride gab, wo missbrauchte Kinder fröhlich in die Kamera lachten. […] Rückblickend könnte man sagen, sie haben es nicht so gemeint. […] Im Grunde haben sie nur ihre revolutionäre Pflicht getan.»

Was von ARTE nicht thematisiert wird, aber ins Auge springt: Die Welt der Männer und Frauen driftet immer weiter auseinander. Männer verrohen in virtuellen Welten. Frauen ziehen sich in gewaltfreie Zonen zurück. Für was braucht man eigentlich Männer? Ein MännerBashing greift um sich. Das vermeintlich schwächere Geschlecht schlägt zurück.

ARTE thematisiert nicht, wie Männer und Frauen wieder zueinander finden könnten in eine Art komplementäre Harmonie. Die scheint für immer zerschlagen. Stattdessen wird von getrennten Welten erzählt, die weniger miteinander zu tun haben, als dass sie durch parallele Forderungen nach Liberalisierung und Akzeptanz besonderer Lebensweisen verbunden sind.

Einerseits etabliert sich eine starke männlich-homosexuelle Kultur. Andererseits wächst ein vielschichtiger Feminismus, der einmal aggressiv männerfeindlich sein kann, ein andermal verschworen lesbisch daherkommt, dann wieder sich aus Forderungen nach Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung herleitet, wie ihn etwa Johanna Dohnal vertritt (und wie ihn Männer und Frauen gemeinsam vertreten können). Sie sagt: «Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‹weibliche Zukunft›. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Machtund Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.» Hier geht es um die Feststellung subtiler Ausgrenzungen im Blick auf eine gemeinsame humane Entwicklung von Männern und Frauen.

Schon beim Wort «Selbstbestimmung» werden aber die Dinge mehrdeutig. Ist damit «Gewalt gegen Frauen» gemeint? Der Kampf gegen Sexismus am Arbeitsplatz, gegen übergriffige Männer, gegen Genitalverstümmelung? Oder geht es um das vermeintliche «Menschenrecht auf Abtreibung»?

Darauf zielte der sogenannte «Tarabella-Bericht», zu dem sich das Europaparlament 2015 mit 441 Ja-Stimmen, 205 Enthaltungen und 52 Nein-Stimmen bekannte. Darin fordert das Parlament das «Recht der Frauen auf sexuelle und reproduktive Gesundheit» – eine gezielt designte Worthülse, die in das Wörterbuch des Unmenschen gehört. Gemeint ist nämlich nicht in erster Linie Empfängnisverhütung, sondern Abtreibung. Abtreibung wird für Christen und öko-logisch denkende Menschen niemals etwas Anderes als die Tötung eines Kindes und auch niemals Gegenstand einer Güterabwägung sein, so sehr Frauen auch durch eine unverhoffte Schwangerschaft in Not geraten.

An dieser Stelle muss man auf Simone de Beauvoir (1908–1986) aufmerksam machen, spielt die Gefährtin von Jean-Paul Sartre doch gleich in mehreren Strängen der Sexuellen Revolution eine Schlüssel- rolle: in einem Feminismus, der sich von Männern abgrenzt; in der Vorbereitung der Gendertheorie; und im Kampf für das Recht auf Abtreibung. Die Gendertheorie nahm sie vorweg mit ihrem berühmten Diktum: «Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.» Im Stil einer Amazone machte sie ihre beiden eigenen Abtreibungen publik und richtete in ihrem Pariser Salon eine eigene Abtreibungsstation ein: «Was sich in meinem Körper zutrug, ging doch niemanden außer mir etwas an.» Wiederum gelingt ihr die Vorwegnahme eines verhängnisvollen Slogans, nämlich: «Mein Bauch gehört mir!»

Die Schwangerschaft beschreibt Simone de Beauvoir «gleichzeitig als eine Bereicherung und als eine Verstümmelung. Der Fötus ist ein Teil ihres Körpers und auch wieder ein Parasit, der auf ihre Kosten lebt.»

Nicht weniger folgenreich ist ihre Dekonstruktion des Verhältnisses von Mann und Frau in der Veröffentlichung ihrer dramatischen Beziehung zu Jean-Paul Sartre, die ebenso heftig und andauernd wie fragil und offen für andere «Zufallslieben» ist: «Ich hatte nicht den Wunsch, dass Sartres Existenz sich in der eines anderen Wesens spiegeln und fortsetzen solle: Er genügt sich, er genügte mir. Und ich genügte mir.»

Bald dreht sich ein buntes Karussell männlicher und weiblicher Geliebter, begleitet von psychischen Abstürzen und immer neuen Experimenten. «Ich liebe das Leben so sehr», schreibt Simone de Beauvoir, «und verabscheue den Gedanken, eines Tages sterben zu müssen. Und außerdem bin ich schrecklich gierig: ich möchte vom Leben alles, ich möchte eine Frau, aber auch ein Mann sein, viele Freunde haben und allein sein, viel arbeiten und gute Bücher schreiben, aber auch reisen und mich vergnügen, egoistisch und nicht egoistisch sein […] Und wenn es mir nicht gelingt, werde ich wahnsinnig vor Zorn.»

Was Familie tun kann, soll sie selbst tun
Gender macht Schule und Kinder zu Opfern
Wie ARTE ausführlich anhand der historischen Diskriminierung und der berührenden Entstehungsgeschichte des Christopher Street Days belegt, spielt Homosexualität im Fortgang der Sexuellen Revolution eine immer stärkere Rolle, ja wird mehr und mehr zum heimlichen Treiber fortschreitender Emanzipationen. Für die endlich errungene Akzeptanz homosexueller Lebensstile, ja die Welle der Sympathie dafür in der Öffentlichkeit, bietet ein ARTE-Interpret eine einfache Erklärung: Besonders männliche Homosexuelle mit ihrer hemmungslos gelebten Promiskuität führten eben sinnlich und schamlos vor: «Hallo, es gibt ihn – den schrankenlosen Sex. Man muss nur wollen.» Das ziehe Menschen aller sexuellen Präferenzen an. (…)

Es gibt den gemeinsamen Nenner, der die vielfältigen Ansätze aus Klassenkampf, Feminismus, Menschenrechtsbewegung, Gendertheorie, «Planned Parenthood» und die schillernde Vielfalt der Queer-Initiativen zusammenbindet: maximale individuelle Freiheit zu sexueller und «reproduktiver» Selbstverwirklichung; Abbau aller emotionalen Hemmnisse in der Bevölkerung und aller gesetzlichen Vorbehalte auf politischer Ebene.

Dokumentiert wird die Durchsetzung von Sex für alle in allen Varianten vom Kindergarten an. Wie weit die Vorstellungen gehen, macht das pädagogische Konzept «Sexualpädagogik der Vielfalt» deutlich, das von der scharfzüngigen Kritikerin Birgit Kelle so bissig wie detailreich kommentiert wird:

«Dildos, Potenzmittel (für die Sekundarstufe!), Lack, Leder, Latex, Aktfotos, Vaginalkugeln und Handschellen sollen […] beispielsweise als Unterrichtsmaterialien von den Schülern ‹ersteigert› werden – für verschiedene Parteien eines Mietshauses, in dem zwar kein einziges heterosexuelles Paar mit Kindern wohnt, was dem Lebensraum der meisten Kinder in Deutschland am nächsten käme, dafür aber alleinerziehende Mütter, Lesben mit und Schwule ohne Kind, aber auch ein klassisches Heteropaar ohne Kinder. Nicht geklärt ist, wer von ihnen die Handschellen bekommt.

Bildung? Die Schüler können alternativ den ‹neuen Puff für alle› kreieren. Auch ganz spaßig. Das Haus soll im Unterricht mit allerlei Zimmern bestückt werden, indem man der pädagogisch wertvollen Fragestellung nachgeht: ‹Welche sexuellen Vorlieben müssen in den Räumen wie bedient und zufriedengestellt werden?›, wobei explizit verschiedene sexuelle Präferenzen und auch Praktiken benannt werden sollen.» (…)

«Der Kampf um die sexuelle Befreiung», heißt es bei ARTE, «scheint auch im 21. Jahrhundert noch nicht zu Ende zu sein. Auch wenn sich traditionelle Geschlechterzuschreibungen immer mehr auflösen, noch immer müssen Homosexuelle, Transsexuelle oder auch Sexarbeiterinnen weltweit um ihre Rechte kämpfen.» Zum Schluss darf eine Vorkämpferin der neuen Sexualmoral ihre Vision vortragen. Sie spricht davon, dass sich hoffentlich bald alle geschlechtlichen Zuschreibungen, insbesondere die von Mann und Frau, in nichts auflösen. Pansexualität stünde am Horizont einer postbiologischen, von jeder Natur emanzipierten Welt. Schon morgen könne man Kinder in Retorten züchten, und Frauen wären damit endgültig nicht mehr belastet.

Ablenkungsmanöver Synodaler Weg
Moral ist Flankenschutz für die Liebe
So ganz scheint die Sexuelle Revolution wiederum nicht zu greifen: So wollte eine Studie des Bundesumweltministeriums («Zukunft? Jugend fragen!») im Jahr 2018 wissen: «Was ist Jugendlichen wichtig?». Das Ergebnis überraschte viele: Stabile soziale Beziehungen stehen für die Jugendlichen an erster Stelle. «Einen Partner haben, dem man vertrauen kann» fanden 78 % sehr wichtig und 17 % eher wichtig. Für 67 % der Jugendlichen war «Ein gutes Familienleben führen» sehr wichtig und immerhin für 25 % noch eher wichtig.

Wenn eines im Kulturbruch deutlich geworden ist, dann die Tatsache, dass wir es mit einer in sich konsistenten neuen Anthropologie zu tun haben, die mit der christlichen (wie übrigens schon mit der jüdischen) Anthropologie nicht kompatibel ist.

Thomas Söding spricht von der Monogamie als dem «identity marker des frühen Christentums». In der Tat gipfelt das biblische Bild vom Menschen in monogamer Liebe, die noch einmal gekrönt wird durch die mystische Aufladung der Mann-Frau-Verbindung durch Jesus in der Analogie Christus/Kirche. Von der Bibel her gibt es keine irgend geartete Brücke zu einem Menschenbild, in dem die zivilisatorischen Tabus, die nicht ohne Grund da sind, aufgehoben werden. (…)

Die traditionelle christliche Moral erscheint wie eine Negativfolie für alles, was anders werden soll: Die Komplementarität von Mann und Frau soll aufgelöst, biologische Konstanten sollen aus dem menschlichen Design gelöscht, die uralte Bindung von Sex und Fruchtbarkeit an Gegengeschlechtlichkeit und Liebe soll abgelöst, die Dauerhaftigkeit und Exklusivität von Liebe soll ins Exotische verwiesen, dafür Promiskuität zum Normalfall erklärt werden; gelten soll ein Lustrecht für alle und ein Tötungsrecht von Kindern im Kontext von Geburtenregelung, usw.

Die Sexuelle Revolution entpuppt sich als blasphemische Heilslehre, gebaut um den Satz: «Es ist gut, dass der Mensch allein bleibt.» Sie ist ein Programm für Einsamkeit, eine Monadologie. Sie tilgt Hingabe und Transzendenz und verwandelt die Kolonie des Menschlichen in ein Biotop von Raupen, aus denen nie Schmetterlinge werden.

Leicht gekürzter und um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Bernhard Meuser, Freie Liebe. Über neue Sexualmoral. Fontis, 432 Seiten, 20,00 €


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