Von Zeit zu Zeit schaltet die EU in den Denunziationsmodus – in der Regel ausgelöst durch ein „empörendes“ Verhalten eines ihrer osteuropäischen Mitglieder.
So hat die ungarische Regierung Anfang des Jahres ein Gesetz eingeführt, das den Unterricht über die „LGBT-Ideologie“ in den Schulen einschränken würde. Donnerwetter, da zog das EU-Parlament sofort in die Schlacht! Es verabschiedete unverzüglich ein Notstandsgesetz, um rechtliche Schritte gegen Ungarn einzuleiten, weil es gegen die „Werte, Grundsätze und das Recht“ der EU verstößt. Alle, von Ursula von der Leyen bis Emmanuel Macron schlossen sich dem an und erklärten, das ungarische Gesetz sei eine Bedrohung für ganz Europa.
In der vergangenen Woche jedoch haben sowohl die hohen Tiere der EU als auch das Parlament selbst angesichts einer weitaus umfassenderen Verletzung der Freiheitsrechte geschwiegen. Österreich kündigte an, dass es seine Bürger in einen weiteren Lockdown schicken werde. Und dass ab Februar die Covid-Impfung für alle Bürger verpflichtend sein wird. Ohne Wenn und Aber. Wer in Österreich sein Haus verlassen will, muss sich in Zukunft impfen lassen.
Deutschland wird wohl nachziehen, und ein teilweiser Lockdown ist bereits in Kraft. In Deutschland, der Tschechischen Republik und der Slowakei wurden die Beschränkungen für nicht geimpfte Personen bereits verschärft. In Rotterdam kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten, die gegen den Lockdown protestierten, und der Polizei.
Wie kann es also sein, dass ein Teil der Bevölkerung in ihren Häusern festgehalten wird und die EU nichts dagegen zu sagen hat? Ist dies nicht ein Verstoß gegen die Freiheit des Einzelnen? Ist der Gedanke, eine bestimmte Gruppe aufgrund ihres Gesundheitszustands in ihren Häusern einzusperren, nicht der schwerwiegendste Eingriff in die Freiheit, den eine Regierung vornehmen kann, abgesehen von einer tatsächlichen Inhaftierung der Bevölkerung?
Zum Beispiel findet sie keinen Platz für Fragen oder Herausforderungen, die nicht in ihre eigene Interpretation der Welt passen. Es stimmt, dass es in manchen Gegenden Europas schwieriger ist, schwul oder trans zu sein als in anderen. Aber nun gibt es auf einmal Länder, die es einem nicht erlauben, ein Leben zu führen, wenn man sich nicht gegen Covid impfen lassen will.
Ich bin zufällig anderer Meinung als die Impfgegner. Ich hatte nicht mehr Angst vor der Covid-Impfung als vor den verschiedenen Impfungen, die ich im Laufe meines Lebens für Reisen durch Afrika und Teile des Fernen Ostens erhalten habe. Ich hatte keine Angst vor dem Impfstoff, und ich sah auch keinen vernünftigen Grund, ihn nicht zu nehmen.
Aber ein bestimmter Teil in allen unseren Gesellschaften ist anderer Meinung. Ich halte diese Menschen für fehlgeleitet. Aber sie haben Bedenken, die jede liberale Gesellschaft als legitim ansehen sollte, so falsch sie auch sein mögen. Wenn es sich bei Covid um Ebola handeln würde, dann würde es vielleicht die schwerwiegenden Maßnahmen erfordern, die jetzt vorgenommen werden. Aber das ist nicht der Fall. Es handelt sich um eine Krankheit, die bestimmte Personengruppen unverhältnismäßig stark betrifft. Zum Beispiel die Fettleibigen. Hat sich bisher überhaupt ein Land die Mühe gemacht, eine ernsthafte Kampagne zur Bekämpfung der Fettleibigkeit in unserer Gesellschaft durchzuführen? Nein, natürlich nicht. Denn auch in diesem Fall gäbe es Aspekte, die legitimerweise öffentlich erörtert werden sollten und solche, die persönlicher Natur sind.
Wann immer die EU Polen oder Ungarn angreift, tut sie dies unter dem Vorwand, die Hüterin und letzte Garantin der Rechte der EU-Bürger zu sein. Doch während Millionen von Menschen in ganz Europa versuchen, ihre grundlegendsten Rechte zu schützen – und Geimpfte wie Ungeimpfte gleichermaßen bestraft werden – ist von der EU nichts zu vernehmen. Das liegt nicht daran, dass ihre Zuständigkeiten nicht so weit gehen würden, sondern ist vielmehr daran, dass sie kleingeistig und politisch motiviert sind. Eine Tatsache, die noch nie so deutlich zutage trat wie jetzt.
Dieser Beitrag von Douglas Murray erschien zuerst unter dem Titel „The awful truth about the EU has been exposed“ in The Telegraph am 21. November 2021.
© Douglas Murray / Telegraph Media Group Limited 2021.
Mehr vom Autor:
Douglas Murray, Wahnsinn der Massen. Wie Meinungsmache und Hysterie unsere Gesellschaft vergiften. Edition Tichys Einblick im FBV, 352 Seiten, 24,99 €.