Tichys Einblick
Hochaktueller differenzierter Debattenbeitrag

Die Sache mit dem Wald – Ökosystem, Wirtschaftsfaktor, Sehnsuchtsort

Unseren Wäldern geht es schlecht. Welche Rolle spielt die Forstwirtschaft und gibt es wirklich zu viel Wild? Der Forstwissenschaftler Sven Herzog hinterfragt alte Konzepte und Glaubenssätze im Naturschutz und plädiert für einen „Schutz durch Nutzung“.

Als 2007 der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel beabsichtigte, strenge Feinstaubauflagen für private Kaminöfen einzuführen, die einem Verbot zahlreicher derartiger Öfen gleichgekommen wären, schlug ihm herbe Kritik (heute würden wir das „Shitstorm“ nennen) von verschiedensten Seiten entgegen. Man hatte den Eindruck, dass der Minister gerade im Begriff war, die Menschenrechte abzuschaffen. Und so ganz falsch ist dieser Vergleich nicht: Energetische Holznutzung, das Verfeuern von Holz zur Wärmegewinnung, begleitet uns, seit Menschen das Feuer beherrschen. Die Vorstellung, an einem kalten Winterabend vor einem wärmenden Kamin zu verbringen, berührt die meisten Menschen bis heute emotional zutiefst, jenseits aller Fragen hinsichtlich Ökobilanz und Feinstaubdiskussion. Und die Politik hat seinerzeit erfahren müssen, dass ein Eingriff in zwei Millionen Jahre emotionaler Menschheitsgeschichte mal eben mittels Verordnung durchaus auf Widerstände trifft.

Lange hielt diese Erkenntnis nicht an, und so wird derzeit wieder über kaum ein anderes Thema in Bezug auf die Nutzung der Wälder so intensiv diskutiert wie über die energetische Nutzung von Holz. Deren CO2-Bilanz ist nahezu neutral und – je nachdem, welches der zahlreichen Rechenmodelle man zugrunde legt – deutlich günstiger als diejenige der meisten anderen Energieträger. Insbesondere zum Heizen von Gebäuden spielt Holz also eine immer bedeutendere Rolle. Der militärische Konflikt in der Ukraine bzw. die Sanktionen der EU gegenüber Russland machen sehr deutlich, dass nicht allein die Klimabilanz, sondern auch die Verfügbarkeit eines Energieträgers im Lande dessen Nachhaltigkeit ausmacht.

Es gibt keinen Klimanotstand
Ist CO2 wirklich ein Klimakiller?
Andererseits, auch das ist unbestritten, verbessert sich die Ökobilanz von Holz noch einmal deutlich, wenn der energetischen Nutzung eine stoffliche Nutzung vorgeschaltet ist oder Restholz aus Handwerk und Industrie bzw. Abfallholz verbrannt wird. Nun fällt bei der Holzernte ein Teil des Holzes als Waldrestholz im „Schlagabraum“ (wirtschaftlich nicht nutzbare Reste von Bäumen, die nach dem Holzeinschlag im Wald zurückgelassen werden) an. Darunter verstehen wir Holz, welches sich im Wald bei der Stammholzernte nicht wirtschaftlich weiterverarbeiten lässt. Insbesondere Holz aus Baumkronen und Ästen gehört dazu.

Gerade der Umgang mit diesem Holz wird heute vieldiskutiert. Einerseits gibt es mittlerweile technische Ernteverfahren, welche die Entnahme ganzer Bäume und die Nutzung auch des Holzes unterhalb der Derbholzgrenze wirtschaftlich macht. Auch die Menschen, die als Selbstwerber draußen im Wald ihr Brennholz holen, nutzen oft genau diese sonst nur schwer verwertbaren Teile des Baumes. Dem gegenüber steht das Argument, dass auf diese Weise den Wäldern Nährstoffe entzogen werden, die für die Erhaltung der Bodenqualität erforderlich sind.

Damit treffen drei Perspektiven bzw. Interessenlagen aufeinander: Aus Sicht des Waldbesitzers sollte die Bewirtschaftung rentabel sein, d. h. auch möglichst hohe Erträge bzw. Deckungsbeiträge liefern. Gleichzeitig muss der Waldbesitzer darauf achten, dass zu hohe Biomasseexporte aus dem Wald vermieden werden, damit der Boden in seiner Leistungsfähigkeit erhalten wird. Schließlich hat auch die lokale Bevölkerung das ausgeprägte Interesse, zur Selbstversorgung Holz aus dem heimischen Wald zu erhalten. Forstliche Nachhaltigkeit bedeutet, in Zukunft hier eine Interessenabwägung, die allen Aspekten gerecht wird, zu erreichen.

Einseitige Lösungen, wie auf die Entnahme des Waldrestholzes komplett zu verzichten, sind nicht nachhaltig und weder aus Sicht der Nutzer noch aus ökologischer bzw. Forstschutzsicht (Waldbrandgefahr, Brutmaterial für Insekten) sinnvoll. Gleiches gilt für die technisch heute für bestimmte Holzsortimente mögliche „Vollbaumernte“, bei der praktisch keine Reste des oberirdischen Baumes im Wald verbleiben. Letzteres ist vielleicht aus ökonomischer Sicht sinnvoll, aber ökologisch (Nährstoffexport) und sozio-kulturell (keine Möglichkeit der lokalen Selbstversorgung) nicht nachhaltig. Somit müssen hier Kompromisse gefunden werden, etwa derart, dass ein bestimmter prozentualer Anteil im Wald verbleibt.

Für das Jahr 2020 wissen wir, dass in Deutschland knapp 60 Millionen Kubikmeter Rohholz energetisch genutzt wurden. Etwas weniger als die Hälfte entfällt davon auf die Nutzung als Brennholz durch private Haushalte. Etwa 15 Prozent wurden in kleineren Biomassekraftwerken (maximal ein Megawatt Leistung) und etwas mehr als ein Drittel in größeren Kraftwerken (über ein Megawatt Leistung) genutzt. Die privaten Haushalte nutzen dabei zu rund 75 Prozent „Scheitholz“, den Rest bilden z. B. Pellets oder Holzhackschnitzel. Das Scheitholz wiederum entstammt meist geringerwertigen Rundholzsortimenten oder dem Waldrestholz. Insgesamt betrug die aus Holz (einschließlich Abfallholz) im Jahre 2021 gewonnene Energie mit rund 166 Milliarden Kilowattstunden rund 6 Prozent des gesamten Energieverbrauches in Deutschland. Der Anteil an den erneuerbaren Energien betrug etwa 35 Prozent. Anders ausgedrückt wurden auf diese Weise CO2 -Emissionen von etwa 46 Millionen Tonnen, also wiederum sechs Prozent der gesamten CO2-Emissionen Deutschlands, (ca. 762 Millionen Tonnen) vermieden. (…)

Unzureichende staatliche Risikovorsorge
Blackout – wenn es zum Äußersten kommt
Ein gerne als nebensächlich abgetaner Aspekt: Einzelfeuerungsanlagen, z. B. Kaminöfen, idealerweise ohne Abhängigkeit vom Stromnetz, stellen eine hervorragende Backup-Lösung für den Fall akuter lokaler Störereignisse dar. Das plötzliche Fehlen von russischem Gas kann hier ebenso ein Problem sein wie ein lokaler Blackout im Stromnetz, welches moderne Heizungen Flächendeckend lahmlegt.

Ein kleiner, doch nicht ganz unwichtiger Beitrag des Waldes zur Nachhaltigkeit und wieder ein Hinweis darauf, dass wir lernen müssen, komplexe Fragen auch in ihrer Komplexität zu beantworten: Selbst wenn das Heizen mit Holz lokal zu bestimmten Zeiten einmal höhere Feinstaubwerte produziert, so ist dies sicher ein nachrangiges Thema, wenn wir das Gesamtbild einschließlich Klimawirkungen und Versorgungssicherheit der Menschen betrachten. (…)

Windkraftanlagen im Wald

Ähnlich intensiv diskutiert, ist derzeit die Frage nach Windkraftanlagen in bzw. über Wäldern. Viele Jahre lang galt die Errichtung von Windkraftanlagen über Waldgebieten als ein umwelt- und artenschutzpolitisches Tabu. Zu groß erschien das Risiko, durch Eingriffe in Wälder die dortige Artenvielfalt massiv zu schädigen. Ein nicht geringer Teil der waldlebenden Arten nutzt den Luftraum oberhalb der Baumkronen mehr oder minder intensiv. Das Spektrum reicht von zahlreichen flugfähigen Insektenarten über Fledermäuse bis hin zu Schwarzstörchen und zahlreichen Greifvögeln.

Die Bauphase und die Wartungsarbeiten erfordern ein ausgedehntes Wegenetz in den Wäldern und führen zu regelmäßigen Störungen der betreffenden Arten. Ob sich selbst große, lernfähige Arten wie das Rotwild daran langfristig gewöhnen, ist noch eine offene Frage.

Von der Vorstellung, Windkraftanlagen nur außerhalb von Wäldern zu errichten, verabschiedete man sich schon bald vor dem Hintergrund eines vor allem in den 2010er Jahren stagnierenden Ausbaus der Windenergienutzung in Deutschland. Zu viele staatliche Subventionen waren offenbar über Jahre in diesen Sektor geflossen, zu großer politischer Erwartungsdruck lastete seit der spontanen Entscheidung Deutschlands zum Ausstieg aus der Kernenergie im Jahre 2011 auf der Branche.

Die Errichtung einer Windkraftanlage im Wald, so viel zunächst zur ökonomischen Seite, kann dem Waldbesitzer, entweder als Betreiber der Anlage selbst oder zumindest als Verpächter des Grundstücks, auf dem die Anlage errichtet wird, außerordentlich hohe Erträge bescheren. Allein die jährliche Pacht für den Standort eines Windrades erreicht je nach Vertragsmodell leicht eine hohe fünf- bis sechsstellige Summe in Euro.

Wildwuchs der Windkraft
Robert Habeck und der gründeutsche Windwahn auf dem Gipfel
Mit diesen Hektarerträgen kann die reine Waldwirtschaft nicht konkurrieren. So ist es aus Sicht der Grundeigentümer durchaus verständlich, wenn sie diese zusätzlichen Wertschöpfungspotentiale aus dem Wald nutzen und sich für den weiteren Ausbau von Windkraftanlagen auch im Wald aussprechen. Allerdings zahlen derzeit die Menschen und die Natur den Preis dafür. Für viele Menschen stellen Windkraftanlagen mit ihren schon drastischen Auswirkungen auf das Landschaftsbild vor allem ein landschaftsästhetisches Problem dar. So wie Menschen in den Metropolen Südostasiens aufwachsen, ohne jemals die Sterne am Himmel gesehen zu haben, so werden unsere nachfolgenden Generationen aufwachsen, ohne jemals die Ästhetik einer Wald- oder Kulturlandschaft ohne Windkraftanlage gesehen zu haben.

Ein weiteres Problem von Windkraftanlagen, besonders solcher Anlagen im Wald, ist die Frage der Gefährdung von Wirbeltierarten, insbesondere Fledermäusen und Vögeln. Bei Vögeln ist es das Kollisionsrisiko, bei Fledermäusen vor allem das Risiko von Barotraumen, also Gewebeschädigungen, die durch heftige Luftdruckänderungen in unmittelbarer Umgebung der Rotoren ausgelöst werden.

Gefährdungen von Zugvögeln und Fledermäusen kann man durch zeitweise Abschaltungen der Windkraftanlagen zu verhindern versuchen. Diese Abschaltalgorithmen wirken, statistisch gesehen, sicherlich nicht schlecht. Ökonomisch gesehen werden die Kosten für den Produktionsstillstand derzeit zumindest größtenteils von den Stromkunden getragen. Wie lange diese Vorgehensweise bei rapide steigenden Strompreisen noch durchzuhalten ist, wird sich zeigen.

Brutvogelbestände, etwa Schwarzstorch, Rotmilan, Seeadler, Schreiadler oder Uhu, sollen durch Mindestabstände der Windräder zu bekannten Brut- und Nahrungsplätzen geschützt werden. Dieser Aspekt ist bei Anlagen über Wäldern von besonderer Bedeutung, die empfohlenen Mindestabstände werden in der Planungspraxis aber oftmals nicht eingehalten.

Nicht allein das Kollisionsrisiko ist ein Problem der Windkraftanlagen in Wäldern, sondern auch die Störung von Tieren. Wildkatzen meiden beispielsweise langfristig Lichtungen, auf denen Windkraftanlagen stehen. Rothirsche scheinen zwar nach einigen Jahren eine gewisse Gewöhnung an die Anlagen zu zeigen, unterliegen allerdings durch die erforderliche Verkehrsinfrastruktur und regelmäßige Wartungsarbeiten langfristig weiteren Störungen. Störungen dieser Wildart im Wald können wiederum Stress und vermehrte Einflüsse auf die Waldvegetation, also Fraßschäden, mit sich bringen.

Eine echte Nachhaltigkeitsbewertung von Windkraftanlagen generell fällt schwer. Zu unklar sind die Bewertungsmaßstäbe. Wie viel ist eine eingesparte Tonne CO2 wert, verglichen mit einem getöteten Schwarzstorch, einer vom Rotwild verbissenen Forstkultur oder einem zerstörten Landschaftsbild? Wir brauchen, um als menschliche Gesellschaft existieren zu können, keine ästhetischen Landschaftsbilder, wir brauchen keine Waldromantik, wir brauchen auch keine Schwarzstörche oder Wildkatzen – aber wollen wir wirklich ohne dies alles leben?


Gekürzter und um die im Buch enthaltenen Fußnoten bereinigter Auszug aus:
Sven Herzog, Die Sache mit dem Wald. Neue Perspektiven und Konzepte für unser Ökosystem. Kosmos, Hardcover, 352 Seiten, mit zahlreichen Fotos, Grafiken und Schautafeln, 28,00 €


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