Norbert Bolz hat der Autorin Cora Stephan ein treffendes Kompliment gemacht. Sie habe, so der emeritierte Medienwissenschaftler und Twitter-Aphoristiker, „das zentrale Problem unserer politischen Kultur thematisiert: den Krieg der Hysteriker gegen das Normale.“
Wie kann das sein, dass man das Normale loben, ja, es sogar verteidigen muss? Ist das Normale nicht per se das, was in Gesellschaften als den jeweils vorherrschenden Normen entsprechend, also so etwas wie der Mainstream ist? Und muss man daher nicht eher stets das Nicht-Normale verteidigen, das immer in der Minderheit und dadurch gefährdet ist?
Natürlich, in normalen Zeiten muss Normalität nicht besonders gelobt und verteidigt werden. Die „Normalos“, wie Stephan sie nennt, erwarten wohl auch gar nicht, dass man sie für ihr Normalsein lobt. Aber wir leben eben in Zeiten, in denen normal zu sein nicht den vorgegebenen Normen entspricht.
Also was ist normal? Cora Stephan definiert: „Normal ist, was Gewohnheit begründet, etwas, das man nicht erklären muss. Auf das man sich verlassen kann. Normal ist das, was funktioniert., weil es sich im Laufe der Zeit bewährt hat. Das Wiederkehrende, das Alltägliche, Ordnung und Sicherheit. Beruhigende Gewohnheit. Routine, die nicht zum ständigen Nachdenken nötigt. Normal ist alles, was Orientierung schafft. Was uns dazu befähigt, es miteinander auszuhalten, weil wir einen gewissen Konsens erwarten können. … Es ist das, was ein ganzes Leben hält.“
Von jenen selbsterklärten Befreiern, die mit Eifer und erstaunlichem Machtinstinkt die rasche Abwicklung des Bewährten zu Gunsten des Erträumten betreiben, und den dies meist passivgleichmütig hinnehmenden Normalos, handelt der Rest des Buches in den Kapiteln „Krieg der Geschlechter“, „Heimat“ (eigentlich geht es da vor allem um verlorene Heimaten), „Das Eigene und das Fremde“ und „Diktatur der Moral“. Stephans Buch ist in weiten Teilen eine Erklärung dafür, wie das Normale im Westen und besonders in Deutschland zu einer verteidigungsbedürftigen Lebensform wurde – und es dennoch vermutlich noch von einer Mehrheit der Bürger gelebt wird.
In der gegenwärtigen Krise übrigens kann sich Stephan besonders bestätigt sehen. Wie sie im Prolog schreibt: „Sie werden gern übersehen, das Normale ist nicht schlagzeilenträchtig, nur in Krisenzeiten sieht man, dass es ohne sie nicht geht: ohne Handwerker und Bauern, Polizisten und Feuerwehrleute, Postboten und LKW-Fahrer, Verkäufer, Apotheker, Reinigungskräfte, Pfleger – die Liste ist unvollständig, sie wäre zu lang. Verzichtbar ist eher der Meinungshabende, der Intellektuelle, die Plaudertaschen in den Medien oder gar die Influencer im Netz. Oder all jene, die eine mehr und mehr ausufernde Bürokratie bedienen, die vielen in den weit nützlicheren oder gar lebenswichtigen Berufen das Leben schwermachen, etwa den Hausärzten und Apothekern.“
Ein bißchen Demut der „Meinungshabenden“, zu denen Stephan ebenso wie der Rezensent gehören, vor denen, die den Laden in seinen Grundfunktionen am Laufen halten – auch das gehört zur Verteidigung der Normalität.
Cora Stephan, Lob des Normalen. Vom Glück des Bewährten. Edition Tichys Einblick im FBV, 240 Seiten, 16,99 €.